Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.02.2023 – 19 ZB 22.2431
Titel:

rechtmäßige Versagung eines Aufenthaltstitels

Normenkette:
AufenthG § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 38a, § 54 Abs. 2 Nr. 9
Leitsatz:
Voraussetzung für die Verselbständigung des Aufenthaltsrechts ist, dass der stammberechtigte Ausländer im Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Besitz eines grundsätzlich zur Verfestigung geeigneten Aufenthaltsrechts gewesen ist; bei der italienischen Daueraufenthaltsberechtigung (soggiornante di lungo periodo-CE) handelt es sich nicht um eine „Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU“ im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ehegattennachzug, Ausweisungsinteresse, vorsätzliche Delinquenz, Daueraufenthalt-EU
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 05.10.2022 – AN 5 K 21.1954
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2786

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Berufungszulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die am ... 1979 geborene Klägerin, eine albanische Staatsangehörige, die am 1. November 2015 zu ihrem (wohl damaligen) Ehemann G. S. (Trennung nach ihren Angaben im Januar 2022), der seit dem 6. November 2015 (zuletzt verlängert bis 5.11.2019; sodann über sechsmonatiger Auslandsaufenthalt – Ausreise ersichtlich am 27.9.2020 –, visafreie Wiedereinreise mit Besucherstatus für 90 Tage – aufgrund eines italienischen Aufenthaltstitels (soggiornante di lungo periodo-CE) – am 30.3.2021 aus Tirana; durch Bescheid des Antragsgegners vom 22.10.2021 für sofort vollziehbar erklärte Ablehnung der Erteilung einer konkludent (durch „Anfrage“ oder „Anruf“ unter dem 31.3.2021) beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG sowie Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, Bejahung eines Ausweisungsinteresses aufgrund zuletzt unter dem 17.4.2020 erfolgter strafrechtlicher Verurteilung (Fahren ohne Fahrerlaubnis) zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen (mittels Haft vollstreckt) sowie Verneinung der Prognose eines gesicherten Lebensunterhalts; Rücknahme von Eilantrag und Klage gegen den Bescheid unter dem 5.10.2022) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG war, einreiste, die seit 3. Dezember 2015 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG (zuletzt verlängert bis 5.11.2019) war und die im Bundesgebiet wiederholt straffällig wurde (zuletzt unter dem 28.7.2021 Verurteilung wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten auf Bewährung), wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2022, durch das ihre Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 22. Oktober 2021 abgewiesen worden ist. Mit dem Bescheid vom 22. Oktober 2021 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (insbesondere gemäß § 31 AufenthG) abgelehnt (Nr. 1), die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheids zu verlassen (Nr. 2), und ihr für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung insbesondere nach Albanien angedroht (Nr. 3). Für den Fall der Abschiebung wurde ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet (Nr. 5).
2
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegt nicht vor.
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
4
Die Klägerin rügt, es sei der Grund der ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils einschlägig. Die Klägerin erfülle sehr wohl die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels. Sie erziele Einkommen, mit welchem ihr Lebensunterhalt gesichert sei. Darüber hinaus habe sie ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Sie sei im Wege des Familienzuzugs nach Deutschland gekommen und sei mindestens drei Jahre mit ihrem Ehemann in Deutschland verheiratet (gewesen). Daher habe sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben. Unabhängig davon sei mit dem Aufenthaltstitel des Ehemanns aus Italien ein Aufenthaltstitel in dem Sinne zu bejahen, dass es hier für die Erteilung des Aufenthaltstitels ausreichend sei. Soweit hinsichtlich der Straftaten ein Ausweisungsinteresse behauptet werde, sei dem ebenso entgegenzutreten. Es sei immer eine individuelle Interessenabwägung vorzunehmen, die hier klar zu Gunsten der Klägerin ausfalle. Die Klägerin sei schon seit mehreren Jahren in Deutschland und habe sich hier integriert, sie erziele ihren Lebensunterhalt selbst und habe ein Sprachniveauzertifikat Deutsch B1 erworben.
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Unter dem 6. Februar 2022 trug sie ergänzend u.a. vor, es habe eine individuelle Abwägung zwischen den Ausweisungsinteressen und dem Bleibeinteresse zu erfolgen. Sie sei schon viele Jahre in Deutschland, sie habe weit über drei Jahre rechtmäßig mit ihrem Ehemann in Deutschland zusammengelebt, zum Zeitpunkt der Trennung sei der Ehemann auch immer noch im Besitz eines Aufenthaltstitels für Italien gewesen. Daher habe die Abwägung zu ihren Gunsten auszufallen. Auch seien „die vorgelegten Sprachzertifikate“ anzuerkennen. Insoweit könne die Klägerin auch gerne einem Sprachtest unterzogen werden.
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Diese Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf.
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Die von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert eine konkret fallbezogene und hinreichend substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung; es muss dargelegt werden, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2019 – 10 ZB 17.1343 – juris Rn. 4 m.w.N.). Schon wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Zulassungsverfahren einerseits und im nachfolgenden Berufungsverfahren andererseits genügt es in der Regel nicht, etwa unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen und unter schlichter Wiederholung der eigenen Ansichten die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen; auch eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung ist insoweit nicht ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 14).
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Vorliegend kann dahinstehen, ob das Zulassungsvorbringen der Klägerin, das sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens unter Hinzufügung aktueller Umstände beschränkt, dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO entspricht. Mit dem Zulassungsvorbringen zieht die Klägerin die entscheidungstragende Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach sie keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (insbesondere) nach § 31 Abs. 1 AufenthG hat, jedenfalls nicht ernstlich in Zweifel.
9
Zu Recht weisen das Verwaltungsgericht und der Beklagte unwidersprochen darauf hin, dass gem. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin als eigenständiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr nur dann möglich ist, wenn bis zum Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Voraussetzungen für den Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG erfüllt waren und der stammberechtigte Ausländer im Besitz eines der in § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG genannten Aufenthaltstitel war. Zu Recht führen das Verwaltungsgericht und der Beklagte insoweit aus, dass dies beim Ehemann der Klägerin schon deshalb nicht der Fall sei, da er bereits vor Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft (im Januar 2022) nicht mehr im Besitz eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet war, da sein (vom Beklagten unstreitig als konkludent gestellt angesehener) Antrag vom 31. März 2021 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG mit bestandskräftigem Bescheid des Beklagten vom 22. Oktober 2021 abgelehnt worden ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 4 AufenthG (dem Ehemann der Antragstellerin war zuletzt gültig bis 5.1.2019 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG erteilt worden, sodann hatte er sich ins Ausland begeben), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Hinzukommt: Grundlegende Voraussetzung für die Verselbständigung des Aufenthaltsrechts ist, dass der stammberechtigte Ausländer im Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft (Januar 2022) im Besitz eines grundsätzlich zur Verfestigung geeigneten Aufenthaltsrechts (so wie in § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG benannt) gewesen ist (Nr. 31.1.4 AufenthG AVwV). Zu Recht weisen das Verwaltungsgericht und der Beklagte darauf hin, dass es sich bei der italienischen Daueraufenthaltsberechtigung – soggiornante di lungo periodo-CE – (die der Ehemann der Klägerin ersichtlich besitzt) nicht um eine „Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU“ im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 1 AufenthG handelt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Ehemann der Klägerin (je) eine insoweit erforderliche Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU gem. § 9a AufenthG (vgl. Bergmann/Dienelt/Dienelt, AufenthG 14. Aufl. 2022, § 30 Rn. 4) erteilt wurde. Der italienische Aufenthaltstitel berechtigt hingegen (lediglich) – wie beim Ehemann der Klägerin zunächst geschehen – zur Titelerteilung gemäß § 38a AufenthG. Wie ausgeführt war der Ehemann der Klägerin allerdings bereits vor Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG.
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Zu Recht weisen im Übrigen das Verwaltungsgericht und der Beklagte darauf hin, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (insbesondere nach § 31 AufenthG) des Weiteren die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (vgl. BeckOK, AuslR /Tewocht, § 31 AufenthG Rn. 10) entgegensteht, da betreffend die Klägerin ein Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besteht. Denn sie verwirklicht einen Ausweisungstatbestand im Sinne eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses (§§ 53, 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG).
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Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9/94 – juris Rn. 20, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23/03 – juris Rn. 19 ff., B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris, B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6, B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 5, B.v. 15.12.2013 – 10 B 03.1725 – juris Rn. 16 m.w.N.). Bei Straftaten, die nur durch einen Ausländer begangen werden können, gilt insoweit nichts Anderes.
13
Der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ist auch dann eröffnet, wenn das Strafmaß bei einem Verstoß gegen Strafvorschriften nicht das in § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG genannte Mindestmaß erreicht (vgl. SächsOVG, B.v. 17.2.2020 – 3 A 44/18 – juris Rn. 10). Die in den Katalogen der Absätze 1 und 2 des § 54 AufenthG konkretisierten Ausweisungsinteressen sind vom Bundesgesetzgeber alle als schwerwiegend bewertet worden. Die zugrundeliegenden Handlungen sind aber ersichtlich nicht gleicher Art und auch nicht in gleicher Weise sanktioniert oder pönalisiert. Die numerisch aufgeführten schwerwiegenden Ausweisungsgründe des § 54 Abs. 2 AufenthG stehen in keinem Stufenverhältnis zueinander, sondern begründen bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen jeweils für sich genommen ein entsprechendes Ausweisungsinteresse. Gleiches gilt für die in § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG geregelten Alternativen inlandsbezogener Verstöße oder Handlungen im Ausland. Nach den Gesetzesmaterialien kommt dem Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ausdrücklich eine eigenständige Auffangfunktion zu (BT-Drs. 18/4199, S. 6; BT-Drs. 18/4097, S. 52; vgl. OVG Sachsen, B.v. 17.2.2020 – 3 A 44/18 – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 14.11.2018 – 13 LB 160/17 – juris Rn. 41; B.v. 20.6.2017 – 13 LA 134/17 – juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 11.1.2019 – 18 A 4750/18 – juris Rn. 6 ff.).
14
Die Klägerin wurde durch das Amtsgericht S. am 4. September 2019 wegen Diebstahls in drei Fällen (Datum der letzten Tat 2.6.2019) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt. Das Amtsgericht N. verurteilte sie am 28.Juli 2021 wegen Diebstahls in vier Fällen (Datum der letzten Tat 17.8.2020) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten zur Bewährung. Ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 28. Dezember 2020 nach § 154 Abs. 1 VwGO eingestellt. In Anbetracht dieser vorsätzlichen Delinquenz der Klägerin spricht nichts für die Annahme eines geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Besondere Umstände, die es im Fall der Klägerin erfordern würden, ausnahmsweise einen nur geringfügigen Verstoß anzunehmen, sind nicht durchgreifend dargelegt. Ebenso wenig ist vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass das zu Recht spezialpräventive Zwecke verfolgende Ausweisungsinteresse nicht mehr aktuell sein könnte.
15
Auch ist ein Ausnahmefall (im Sinne eines zulässigen Abweichens von der Regelvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) nur dann gegeben, wenn ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der so bedeutsam ist, dass er das jedenfalls sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelvoraussetzung beseitigt. Es muss sich um eine Abweichung handeln, die die Anwendung des Regelfalls nach Sinn und Zweck und unter Beachtung höherrangigen Rechts als derart unverhältnismäßig erscheinen lässt, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2017 – 10 ZB 15.2059 m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerwG – beck-online Rn. 17,18). Davon ausgehend unterscheidet sich das Ausweisungsinteresse, das sich aus den Straftaten der Klägerin ergibt, nicht von der Mehrzahl der Fälle, in denen das Ausweisungsinteresse der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Aufgrund der mehrfachen vorsätzlichen Delinquenz der Klägerin im Bereich der Eigentumsdelikte (zuletzt Haftstrafe) machen ihr pauschaler Hinweis auf einen Aufenthalt in Deutschland seit mehreren Jahren, eine nicht näher ausgeführte Integration, eine (derzeitige) Erzielung ihres Lebensunterhaltes (dahinstehen kann, dass die Klägerin durch die Stellung eines Prozesskostenhilfeantrages für das Berufungszulassungsverfahren ihre Bedürftigkeit behauptet) und den Erwerb eines Sprachniveauzertifikats (unabhängig von dessen „Anerkennungsfähigkeit“) die Berufung auf das Fehlen der gesetzlich vorgesehenen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht unverhältnismäßig.
16
Die übrigen Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil greift das Zulassungsvorbringen nicht an. Insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
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Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren war bereits wegen mangelnder Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit (insoweit hat die Klägerin Unterlagen angekündigt, aber nicht vorgelegt) abzulehnen. Im Übrigen ergeben sich die nicht hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gem. §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO aus den getätigten Ausführungen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 S. 1, § 47, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Ziff. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 S. 4 VwGO).