Titel:
Keine ernsthafte Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien - hier: lediger, syrischer Staatsangehöriger
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36 Abs. 4 S. 1
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2 lit. a
Leitsatz:
In Bulgarien besteht für nicht-vulnerable, gesunde und arbeitsfähige alleinstehende volljährige Personen derzeit keine beachtlich wahrscheinliche und willensunabhängige Gefahr einer Verelendung iSv Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Drittstaatenfall, Syrischer Staatsangehöriger, Zuerkennung subsidiären Schutzes in Bulgarien, Kurzfristig heilbare Hauterkrankung, Systemische Mängel (verneint), Drittstaat, syrischer Staatsangehöriger, Bulgarien, systemische Mängel, subsidiärer Schutz, Abschiebungsandrohung, Hauterkrankung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27720
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom … 2023 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom … 2022 angedrohte Abschiebung nach Bulgarien.
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Der Antragsteller – ein lediger, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens – reiste am … 2022 in das Bundesgebiet ein und stellte am … 2023 einen Asylantrag.
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Mit Schreiben vom … 2023 erklärten die bulgarischen Behörden, dass der Kläger in Bulgarien am … 2022 subsidiären Schutz erhalten habe.
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Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am … 2023 gab der Antragsteller u.a. an, er wolle nicht zurück nach Bulgarien, da sein Ziel von Anfang an die Bundesrepublik gewesen sei. Während der 7-8 Monate in Bulgarien habe er nicht studieren und arbeiten können und sei obdachlos gewesen. Nach Hilfe und Unterstützung habe er bei (privaten) Einrichtungen in Bulgarien nicht gesucht. Gelegentlich habe er in privaten Haushalten gearbeitet (etwa den Garten gepflegt). Er habe seinen bulgarischen Aufenthaltstitel in Frankreich weggeworfen. Auf Nachfrage, ob er derzeit Beschwerden oder Erkrankungen habe, erklärte er, er habe Allergie zu Eiern und zu scharfem Essen. Dagegen verwende er eine Hautcreme und nehme Tabletten ein. Zurück nach Syrien könne er nicht, da er Angst vor dem Krieg und einer Rekrutierung habe.
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Mit Bescheid vom … 2023 (zur Post gegeben am … 2023) lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, drohte der Antragsteller für den Fall der Nichteinhaltung einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Bulgarien an und befristete das gesetzliche Einreiseverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Darüber hinaus wurde unter Nr. 3 des Bescheidstenors bestimmt, dass die Vollziehung der Abschiebung im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt werde.
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In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, dass nach Auffassung des Bundesamtes die Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien ausreichend seien und dem Antragsteller für den Fall einer Rückkehr in das Land eine Verletzung von Art. 3 EMRK (Art. 4 EU-GR-Charta) nicht drohe. Es sei dem Antragsteller vielmehr bei einer Rückkehr möglich, mit der erforderlichen Eigeninitiative und mit staatlichen und privaten Hilfen zu vermeiden, dass er in eine Situation extremer materieller Not gerate, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsteller um (finanzielle) Unterstützung bemüht bzw. nach Unterkunft oder (dauerhafter) Beschäftigung gesucht hätte. Allein der Wunsch des Antragstellers, nicht nach Bulgarien zurückkehren zu müssen, sondern in der Bundesrepublik bleiben zu dürfen, lasse nicht auf systemische Mängel in Bulgarien schließen.
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Gegen den Bescheid des Bundesamts ließ der Kläger am … 2023 Klage (…) erheben. Weiter beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung von Klage und Antrag wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Antragsteller nach seiner Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter das Asylcamp habe verlassen müssen. In der Folgezeit habe er keine Wohnung und auch keine Sozialleistungen erhalten, vielmehr habe er arbeiten müssen, um sich das leisten zu können. Aufgrund sprachlicher Defizite und fehlender Berufsausbildung sei es ihm nicht möglich gewesen, ausreichend Geld für Unterkunft, Essen und ärztliche Versorgung zu sichern. Er sei abgemagert, habe Skabies bekommen und habe zum Arzt nicht gehen können. Darüber hinaus habe er Probleme mit Schleusern gehabt, denen er Geld schulde. An die Polizei habe er sich nicht gewandt, da er gehört habe, sie werde ihm nicht helfen. Der Kläger habe unter Schlafstörungen und Angstzuständen gelitten, sei traumatisiert und suizidal.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Zur Begründung verweist sie auf den angefochtenen Bescheid.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung vom … 2023 bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die mit dem angefochtenen Bescheid auch verfügte Abschiebungsandrohung ist statthaft und auch sonst zulässig.
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Der Klage kommt keine aufschiebende Wirkung zu (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Sie wurde innerhalb der hier einschlägigen Wochenfrist erhoben und innerhalb der Frist wurde auch der Eilantrag gestellt (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG). Weiter hindert die durch das Bundesamt verfügte befristete und bedingte Aussetzung der Vollziehung (in Anknüpfung an den Ausgang des Eilverfahrens) eine Entscheidung nicht und lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen.
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2. Der Antrag ist allerdings unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage – im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO – ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht grundsätzlich kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
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2.1. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris; VG Augsburg, B.v. 28.3.2017 – Au 7 S 17.30519 – juris). So wie sich der Sachverhalt nach Aktenlage darstellt, ist nach summarischer Prüfung nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller für den Fall seiner Rückkehr nach Bulgarien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta droht. Damit wird die Klage (…) mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben. Auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessensabwägung kommt daher nicht in Betracht.
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a) Das Bundesamt hat die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt. Nach dieser Bestimmung ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz) gewährt hat. Entsprechend der Mitteilung der bulgarischen Asylbehörde vom … 2023 wurde dem Kläger in Bulgarien der internationale Schutz zuerkannt. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen demnach grundsätzlich vor.
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Eine Unzulässigkeitsentscheidung kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) gleichwohl aus Gründen vorrangigen Unionsrechts (bzw. in richtlinienkonformer Auslegung des § 29 Abs. 1 AsylG) ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn die Lebensverhältnisse, die den in dem anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) bzw. von diesem entsprechenden Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erfahren.
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Dafür genügt es allerdings nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat. Gleiches gilt für das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat im Vergleich zu einem anderen sowie für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94 ff., 97).
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Ein Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erst dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden) und ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese (Erheblichkeits-)Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich die betroffene Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., C-297/17 u.a. – juris Rn. 90 f.; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 92 f.; B.v. 13.11.2019 – Hamed und Omar, C-540/17 und C-541/17 – juris Rn. 39).
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Bei dem so definierten Maßstab ist ebenfalls zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige oder um eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (Vulnerabilität) handelt, die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta auch im Rahmen des Art. 4 EU-GR-Charta zu berücksichtigen ist.
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Für die demnach zu treffende Gefahrenprognose ist auf das Bestehen einer ernsthaften Gefahr („serious risk“) abzustellen, was dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“) in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht entspricht (vgl. zu dieser Wertung BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1C 35/19 – juris Rn. 27; ferner zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit vgl. OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – juris Rn. 34 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR).
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Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrens-RL) eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed und Omar, C-540/17 und C-541/17 – juris Rn. 35; vgl. auch BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35/19 – juris Rn. 23). Die gerichtliche Prüfung hat mithin auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die eine von sämtlichen Umständen des Falles abhängige, besonders hohe Erheblichkeitsschwelle erreichen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., C-297/17 u.a. – juris Rn. 88 f.).
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Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union – wie sie etwa in Art. 4 EU-GR-Charta zum Ausdruck kommen – anerkennen, umgesetztes Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der Grundrechtecharta anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt im Grundsatz auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Asylverfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; U.v. 19.3.2019 – Ibrahim u.a., C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; vgl. auch Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3). Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer (Rück-)Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
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b) Unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse zur Tatsachen- und Rechtslage von in Bulgarien anerkannten international Schutzberechtigten, die nach ihrer Anerkennung Bulgarien verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen, geht das erkennende Gericht davon aus, dass in Bulgarien für nichtvulnerable, gesunde und arbeitsfähige alleinstehende volljährige Personen derzeit keine beachtlich wahrscheinliche und willensunabhängige Gefahr einer Verelendung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta oder Art. 3 EMRK besteht. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der inzwischen weitgehend einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. u.a. VGH BW B.v. 13.10.2022 – A 4 S 2182/22 – juris m.w.N.; OVG NW, B.v. 16.12.2022 – 11 A 1397/21.A – juris m.w.N.; OVG LSA, B.v. 12.9.2022 – 3 L 198/21 – juris m.w.N.; SächsOVG, U.v. 7.9.2022 – 5 A 153.17.A – juris m.w.N.; OVG NW, B.v. 22.8.2023 – 11 A 3374/20.A – juris Rn. 58 ff.; vgl. auch VG Bayreuth, U.v. 10.7.2023 – B 7 K 22.30819; VG Saarland, U.v. 24.3.2023 – 3 K 766/22 – juris m.w.N.)
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Obwohl sich anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien grundsätzlich selbst um eine Unterkunft bemühen müssen und keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in einer Flüchtlingsunterkunft haben (SFH, Auskunft an das OVG NW vom 8.7.2022, S. 2), bestehen auch weiterhin keine konkreten Hinweise darauf, dass anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien im Allgemeinen obdachlos oder von Obdachlosigkeit in besonderem Maße bedroht wären. Die geringe Auslastung der Aufnahmezentren für Asylsuchende besteht fort, sodass anerkannt Schutzberechtigte dort auch weiterhin Unterkunft erhalten können (OVG NW, B.v. 15.2.2022 – 11 A 1625/21.A – juris Rn. 60 ff.). Die Belegungsrate betrug Ende des Jahres 2020 20%, Ende des Jahres 2021 47%, im Juni 2022 53% und Ende des Jahres 2022 wieder 47%. Die Ankunft zahlreicher ukrainischer Flüchtlinge in Bulgarien hat sich auf die Belegung nicht nennenswert ausgewirkt, da diese ganz überwiegend anderweitig Unterkunft finden (Aida, Country Report: Bulgaria, 2020 update, S. 57, 2021 update, S. 66, 2022 update, S. 75; SFH, Auskunft an das OVG NW vom 6.7.2022, S. 1.).
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In den Aufnahmeeinrichtungen wird Verpflegung zur Verfügung gestellt. Die Bewohner erhalten drei Mahlzeiten am Tag. Es besteht eine medizinische Grundversorgung. Sanitäre Anlagen stehen zur Verfügung, wenn auch mit Einschränkungen. Der Zugang insbesondere zu warmem Wasser kann sich als problematisch erweisen. Notwendige Reparaturen können auf sich warten lassen. Die Hygiene in den Aufnahmezentren weist Mängel auf, berichtet wird u.a. von Bettwanzen. Seit Mai 2022 werden in allen Aufnahmezentren monatlich Maßnahmen zur besonderen Reinigung, Desinfektion und Schädlingsbekämpfung durchgeführt (AIDA, Country Report: Bulgaria, 2022 update, S. 76 f.). Damit ist – auch in Anbetracht bestehender Mängel – jedenfalls eine Minimalversorgung sichergestellt, die die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) in der Regel befriedigt und eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-GR-Charta nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt (so jüngst auch OVG NW, B.v. 21.7.2023 – 11 3153/20.A – juris Rn. 79 f. m.w.N.).
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Der bulgarische Arbeitsmarkt hat sich weder in Folge der Corona-Pandemie noch durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge derart verschlechtert, dass es international Schutzberechtigten nun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich wäre, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden und damit ihren Lebensunterhalt im Sinne des nach Art. 4 EU-GR-Charta, Art. 3 EMRK gebotenen Existenzminimums selbstständig zu bestreiten. Vielmehr erholt sich die bulgarische Wirtschaft weiter und ist zunehmend auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Besonders groß ist die Nachfrage nach Personal weiterhin im Handel, bei Logistik und Transport, in der Gastronomie und der IT-Branche. Die Arbeitslosenquote betrug zum Ende des Jahres 2022 3,9% nach 5,3% im Jahr 2021. Insgesamt war der bulgarische Arbeitsmarkt nach den Informationen der Europäischen Kommission, EURES, geprägt durch Arbeitskräftemangel, steigende Löhne und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. So wurden 2022 insgesamt 158.300 freie Stellen auf dem primären Arbeitsmarkt gemeldet. Über die Arbeitsämter wurden meistens Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor vermittelt (Köche, Kellner, Barkeeper, Friseure, Kosmetiker, Krankenpfleger und Animateure) – 18.902 Stellen. Die Nachfrage nach Bedienpersonal von stationären Maschinen und Anlagen nimmt weiter zu. In diesem Bereich hätten 14.864 Stellen zur Verfügung gestanden. In den Bereichen Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Bauwesen und Verkehr seien 12.221 Arbeitsstellen frei. Groß sei das Stellenangebot für Verkäufer sowohl in den großen Handelsketten als auch in kleineren Geschäften (11.415), für Facharbeiter in der Lebensmittel-, Bekleidungs- und Holzindustrie und den verwandten Bereichen (7.353) sowie für Beschäftigte in der Abfallwirtschaft und ähnlichen Bereichen (12.894). Die Zahl der Stellen für Pflegepersonal (Krankenpfleger, Betreuungspersonal in Kindergärten) sei mit 7.675 Plätzen nach wie vor hoch. Etwa 6.750 offene Stellen gebe es auch für Kfz-Führer und Maschinenbediener. Gemeldet worden seien 6.459 Stellen für Metallarbeiter, Maschinenbauer und Handwerker. 4.292 Stellen für Schutz- und Sicherheitspersonal seien unbesetzt. Für gelernte Kräfte stellt sich die Arbeitssuche einfacher dar als für ungelernte. Gerade im Gastgewerbe, in der Logistik und im Handel können aber auch ungelernte Kräfte zum Einsatz kommen. In diesen Bereichen versuchen die Unternehmen verstärkt, Arbeitnehmer aus dem (europäischen) Ausland anzuwerben. Bulgarisches Personal zu finden, ist zunehmend schwierig, weil die erwerbstätige Bevölkerung immer älter wird und junge Bulgaren verstärkt ins westeuropäische Ausland abwandern. Die meisten Unternehmen greifen auf Online-Vermittlungsportale zurück. Diese Form der Personalgewinnung ist in Bulgarien neben der Akquise durch die Arbeitsämter oder Referenzen und persönliche Kontakte üblich (GTAI Germany Trade & Invest, Wirtschaftsumfeld, Bulgarien, Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten, vom 20.7.2022 sowie vom 12.7.2023; Statista, Bulgarien: Arbeitslosenquote von 2011 bis 2022, vom 27.6.2023; Europäische Kommission, EURES, Arbeitsmarktinformationen: Bulgarien vom 8. Mai 2023; SeeNews, Bulgaria's unemployment rate falls to 3.9% in Q4, vom 17.2.2023).
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Sprach- und Integrationskurse, die Drittstaatsangehörigen den Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt erleichtern, werden zwar nicht staatlicherseits (so SFH, Auskunft an das OVG NW vom 8.7.2022, S. 3), aber von NGO, etwa dem Bulgarischen Roten Kreuz, der Caritas Sofia und IOM, angeboten (Bulgarian Red Cross, Welcome to Bulgaria, Useful Information for Relocated and Resettled Persons, S. 19).
31
Zugang zu Schule und Berufsausbildung besteht für anerkannt Schutzberechtigte (ebenso wie für Asylbewerber) nach dem Gesetz in gleicher Weise wie für bulgarische Staatsangehörige. Der Schulbesuch ist kostenlos. In der Praxis gibt es bei der Einstufung der nicht bulgarischen Kinder und Jugendlichen gewisse Hindernisse, die aber überwunden werden können. Bei Unterbringung in einer Einrichtung des SAR wird der tägliche Schulweg mithilfe von Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert, die für die Kinder auch Vorbereitungs- und Nachhilfeunterricht anbieten. Das Bulgarische Rote Kreuz unterstützt zudem anerkannt schutzberechtigte Schulkinder, die sich nicht in einer Einrichtung des SAR aufhalten, durch zusätzlichen Bulgarisch-Unterricht und Unterrichtsmaterialien (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Bulgarien, Stand: 17.5.2023, S. 8 ff.; AIDA, Country Report Bulgaria, 2022 update, S. 80, 112).
32
Diese Erkenntnisse zugrunde gelegt kann das erkennende Gericht auch im Falle des arbeitsfähigen und gesunden Antragstellers keinen vom dessen Willen unabhängigen „Automatismus der Verelendung“ bei einer Rückkehr nach Bulgarien feststellen (vgl. dazu OVG NW B.v. 22.8.2023 – 11 A 3374/20.A – juris Rn. 53).
33
Der junge und ledige Antragsteller wird aller Voraussicht nach in Bulgarien Unterstützung bei der Integration, insbesondere beim Erlernen der bulgarischen Sprache, erhalten und in der Lage sein ggf. nach einer Übergangszeit eine Arbeit aufzunehmen. Für das Gericht ist es bei gegenwärtigem Verfahrensstand nicht ersichtlich, dass der Antragsteller eine besondere Vulnerabilität aufweisen würde. Bei Skabies (auch: Krätze) handelt es sich um eine ansteckende, aber kurzfristig heilbare Hautkrankheit. Auch die vorgetragene Allergie zu bestimmten Lebensmittel stellt keinen Grund da, warum sich der Antragsteller nicht auf die in Bulgarien für Anerkannte vorhandene medizinische Grundversorgung (s.o.) verweisen lassen könne. Ferner sind dem bisherigen Vorbringen des Klägers und dessen Bevollmächtigten keinerlei Bemühungen des nicht arbeitstätigen Antragstellers bei Integration und Arbeitssuche beim vorangegangenen Aufenthalt in Bulgarien erkennbar. Vielmehr hat er diese aufgrund der Absicht, nach Deutschland weiterzuziehen, wohl (weitgehend) unterlassen. Bei entsprechenden (Integrations-)Bemühungen und Eigeninitiative dürfte dem Antragsteller gelingen, sich die Mittel für die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu beschaffen (sei es durch eine Erwerbstätigkeit bzw. über die Inanspruchnahme von Sozialleistungen), sodass er nicht in eine Situation gerät, die sich als Verletzung von Art. 4 EU-GR-Charta erweist. Hinsichtlich der behaupteten Drohungen durch Schleuser ist der Antragsteller auf die bulgarischen Sicherheitsbehörden zu verweisen. Schließlich wird Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids genommen.
34
2.2. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich Bulgariens auch nicht zu Tage. Die unter Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts vom … 2023 getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist aus den oben genannten Gründen ebenfalls nicht zu beanstanden.
35
Der rechtliche Maßstab für eine Verletzung des hier allein in Betracht kommenden Art. 3 EMRK ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG identisch mit dem vorstehend unter 2.1. dargelegten Maßstab (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris; BVerwG, U.v. 21.04.2022 – 1 C 10/21 – juris; SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382.18 – juris). Wie bereits ausgeführt, droht dem Antragsteller jedoch bei einer Rückkehr nach Bulgarien keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung.
36
Im Übrigen leidet der Antragsteller ersichtlich nicht unter lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich alsbald nach der Abschiebung verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
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2.3. Nach alledem wird sich der angefochtene Bescheid aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ohne Erfolg bleibt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
39
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.