Titel:
Keine Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei zuletzt geduldetem, vormaligem türkischen Asylbewerber
Normenketten:
AufenthG § 25a, § 25b, § 60a Abs. 2, § 104c
VwGO § 60
Leitsätze:
1. Die Bearbeitung einfacher, regelmäßig behandelter prozessualer Fristen darf ein Rechtsanwalt mit Ausnahme der Rechtsmittelbegründungsfristen bewährtem und überwachtem Büropersonal überlassen. Er muss in diesem Fall jedoch durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass mit dem Eingang eines fristauslösenden Schriftstücks Beginn und Ende der Frist in das Fristenbuch oder den Fristenkalender eingetragen werden und bei aufwendigen Schriftsätzen zudem eine Vorfrist vermerkt wird. (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Der durch § 123 Abs. 5 VwGO angeordnete Vorrang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO greift dann nicht durch, wenn durch die Ablehnung einer beantragten Aufenthaltserlaubnis keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 und Abs. 4 beseitigt wird, weshalb der Ablehnung nicht ausnahmsweise der Charakter eines belastenden Verwaltungsakts zukommt (VGH Mannheim BeckRS 2021, 11984). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a oder § 25b AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz; das gilt grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein "geduldeter Ausländer" sein muss (VGH München BeckRS 2022, 36338). Ein Ausländer ist geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder er einen Rechtsanspruch auf eine Duldung besitzt, schließlich, wenn er sich im Besitz einer sog. Verfahrensduldung befindet. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG kann ausnahmsweise die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächliche gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten auch zugute kommen kann (VGH München BeckRS 2018, 32944). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für die Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwGE 167, 211 = BeckRS 2019, 37863). (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Eine nachhaltige Integration des Ausländers iSv § 25b Abs. 1 S. 1 AufenthG ist nur dann anzunehmen, wenn die Regelvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 S. 2 AufenthG vorliegen und keine Integrationsdefizite ersichtlich sind. Als maßgebend erweist sich insoweit, ob die bei der Erfüllung der in § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 1–5 AufenthG normierten Voraussetzungen eingreifende Regelvermutung der nachhaltigen Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt (OVG Münster BeckRS 2015, 49235). (Rn. 33) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Beschwerdefrist, Organisationsverschulden, Fristenkalender, Statthafte Antragsart im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, Umdeutung, Aufenthaltserlaubnis, Chancen-Aufenthaltsrecht, Verfahrensduldung, türkischer Staatsangehöriger, erfolgloses Asylverfahren, Duldung, Fiktionswirkung, nachhaltige Integration
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 25.11.2022 – AN 11 S 22.2302
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2770
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. November 2022 (Az. AN 11 S 22.02302), mit welcher der Antragsteller sein Eilrechtsschutzbegehren gegen die Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise Duldung, weiterverfolgt, bleibt ohne Erfolg. Denn die Beschwerde ist zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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1.1 Zwar hat der Antragsteller die Frist zur Einlegung der Beschwerde versäumt. Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die Beschwerdefrist ist gemäß § 147 Abs. 2 VwGO auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. November 2022 wurde dem Antragstellerbevollmächtigten ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen elektronischen Empfangsbekenntnisses am 29. November 2022 zugestellt. Mithin begann die Frist am 30. November 2022, 0:00 Uhr zu laufen (§§ 57 Abs. 1, 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB) und endete am 13. Dezember 2022, 24:00 Uhr (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Die am 15. Dezember 2022 per EGVP bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Beschwerde war somit verfristet.
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1.2 Dem Antragsteller ist jedoch nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zu gewähren.
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Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO).
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„Verschulden“ i.S.v. § 60 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 u.a. – juris Rn. 5 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen. Ein schuldhaftes Handeln von Hilfspersonen des Rechtsanwalts, insbesondere von Büropersonal, kann als solches dem bevollmächtigten Rechtsanwalt und damit auch der Partei nicht zugerechnet werden, da eine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift über die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen im Prozessrecht fehlt. Allerdings können Fehler von Hilfspersonen auf eine in der eigenen Verantwortungssphäre des bevollmächtigten Rechtsanwalts liegende Ursache zurückzuführen sein, wenn diesen im Hinblick auf die betreffende Ursache ein Organisationsverschulden und damit ein eigener Schuldvorwurf trifft (BayVGH, B.v. 14.5.2013 – 11 B 12.1522 – juris Rn. 11). In dem Wiedereinsetzungsantrag ist deshalb darzulegen, dass kein schuldhaftes Handeln des Prozessbevollmächtigten vorliegt, sondern dass dieser hinreichende organisatorische Maßnahmen getroffen hat, um ein Fristversäumnis auszuschließen (vgl. BVerwG, B.v. 10.4.2017 – 1 B 66.17 – InfAuslR 2017, 261 Rn. 2). Dabei gilt, dass ein Rechtsanwalt nicht jedweden Anteil anwaltlicher Tätigkeit auf Hilfspersonal delegieren darf. Die Delegation auf ausgebildetes, hinreichend geschultes Assistenzpersonal, das sich bereits als zuverlässig erwiesen hat, ist aber jedenfalls im Hinblick auf die Verrichtung einfacher Tätigkeiten, die keine besonderen juristischen Kenntnisse verlangen, zulässig. Allerdings muss der Rechtsanwalt durch eine selbst verantwortete Büroorganisation die Überwachung des Personals ebenso sicherstellen wie ein weitgehendes Ausschalten abstrakt-generell zu erkennender Fehlerquellen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 18 ff m.w.N, Vorwerk/Wolf in BeckOK, Stand 1.12.2020, § 233 ZPO Rn. 27, 28 m.w.N.). Auch die Bearbeitung einfacher, regelmäßig behandelter prozessualer Fristen (nicht jedoch Rechtsmittelbegründungsfristen) darf ein Rechtsanwalt bewährtem und überwachtem Büropersonal überlassen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 19; Peters in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.7.2022, § 60 Rn. 19 m.V.a. BVerwG NJW 1982, 2458). Er muss in diesem Fall jedoch durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass mit dem Eingang eines fristauslösenden Schriftstücks Beginn und Ende der Frist in das Fristenbuch oder den Fristenkalender eingetragen werden und bei aufwendigen Schriftsätzen zudem eine Vorfrist vermerkt wird (Peters in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.7.2022, § 60 Rn. 19 m.w.N.). Dies muss sofort mit dem Eingang des fristauslösenden Schriftstücks geschehen (Peters in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.7.2022, § 60 Rn. 19 m.V.a. BVerwG NJW 2005, 1001; OVG Münster BeckRS 2019, 176). Dabei muss der Rechtsanwalt den Fristablauf dann selbst prüfen, wenn ihm die Akte im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (Peters in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.7.2022, § 60 Rn. 19 m.V.a. BGH BeckRS 2017, 129368; BayVGH, B.v. 14.1.2020 – 11 CS 19.2490 – juris Rn. 11).
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Gemessen daran war das Verschulden der in der Kanzlei des Antragstellerbevollmächtigten beschäftigten Z. dem Antragsteller nicht gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
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Die Kanzleiangestellte hat schuldhaft gehandelt, indem sie es versäumt hat, die Frist zur Einlegung der Beschwerde – von der sie ausweislich des auf der in Kopie vorgelegten Abschrift des Beschlusses angebrachten Hakens und Namenskürzels der Angestellten Kenntnis genommen hatte – in das Fristenbuch einzutragen. Dies geht auch aus der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung hervor, in welcher die Kanzleiangestellte ausführt, als sie den Beschluss zur Bearbeitung bekommen habe, habe sie diesen bei der Rechtsbehelfsbelehrungmit ihrem Kürzel versehen; dies diene dem Anwalt als Beleg dafür, dass sie die Frist notiert habe. Normalerweise werde diese dann in den Kanzleifristenkalender eingetragen, was sie jedoch in diesem Fall vergessen habe, weil sie wegen eingehender Telefonanrufe abgelenkt gewesen sei.
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Ein über das Verschulden der Kanzleiangestellten hinausgehendes Organisationsverschulden des Antragstellerbevollmächtigten, welches sich der Antragsteller nach den genannten Maßstäben zurechnen lassen müsste, lag nicht vor. Aus dem Vortrag des Antragstellerbevollmächtigten sowie der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten geht hervor, dass die Überwachung von Fristen in der Kanzlei derart organisiert ist, dass die in der Rechtsmittelbelehrunggenannte Frist von der Kanzleiangestellten berechnet und im Fristenbuch eingetragen wird, was auf dem fristauslösenden Schriftstück vermerkt wird. Der Vermerk auf dem fristauslösenden Schriftstück hat den Zweck, dem Rechtsanwalt die Kontrolle zu ermöglichen, dass die Frist eingetragen wurde. Des Weiteren hat der Antragstellerbevollmächtigte dargelegt, dass die seit dem 1. Oktober 2020 in der Kanzlei beschäftigte Angestellte ab diesem Zeitpunkt mit der Fristenkontrolle beauftragt worden sei, über die nötigen Fachkenntnisse hierzu verfüge, in die Aufgabenstellung ordnungsgemäß eingewiesen worden sei, regelmäßig überwacht werde und die Aufgabe bisher auch zuverlässig erfüllt habe. Daraus folgt, dass der Antragstellerbevollmächtigte sich aufgrund des Vermerks auf dem Beschlussabdruck darauf verlassen durfte, dass die Frist von der Angestellten ordnungsgemäß notiert wurde. Eine darüber hinausgehende Kontrolle des Fristenkalenders in jedem Einzelfall, ob die Eintragung auch vorgenommen wurde, kann von dem Antragstellerbevollmächtigten nicht verlangt werden. Denn eine solche Obliegenheit würde einem Eintragen der Frist durch den Rechtsanwalt selbst gleichkommen und somit den Entlastungseffekt der – grundsätzlich zulässigen – Delegation zunichtemachen. Vielmehr wäre dem Antragstellerbevollmächtigten der Vorgang bei ordnungsgemäßem Eintrag der Beschwerdefrist in das Fristenbuch rechtzeitig wieder vorgelegt worden, um die Frist zu wahren, worauf dieser sich verlassen durfte.
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Des Weiteren hat der Antragstellerbevollmächtigte die erforderliche Handlung auch innerhalb der Frist von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gem. § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO vorgenommen, da er nach der Wiedervorlage der Akte am 15. Dezember 2022 noch am selben Tag die Beschwerde eingelegt hat.
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2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
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Der Antragsteller, am ... 1987 geboren und türkischer Staatsangehöriger, am 2. September 2012 erstmals in das Bundesgebiet eingereist, dessen Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 29. Juni 2016 unter Androhung der Abschiebung in die Türkei abgelehnt wurde, dessen Klage gegen die Asylablehnung rechtskräftig abgewiesen wurde (Urteil des VG Ansbach vom 22.2.2022, Az.: AN 1 K 16.30894; Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss des BayVGH vom 26.4.2022 – Az.: 24 ZB 22.30356 – abgelehnt), der am 7. Juni 2022 eine bis 7. September 2022 befristete Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen fehlender Reisedokumente mit der Erlaubnis der Erwerbstätigkeit bei der Firma L.-KG für 30 Stunden/Woche, befristet zum 31. Dezember 2022 (Bl. 304 d.A.), erhielt und am 29. August 2022 einen gültigen Reisepass vorlegte, beantragte am 3. Juni 2022 durch seinen Bevollmächtigten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, hilfsweise einer Duldung. Mit Bescheid vom 27. September 2022 lehnte die Antragsgegnerin nach Anhörung des Antragstellers (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin vom 30.8.2022, Bl. 397 ff. d.A., sowie Stellungnahme vom 13.9.2022, Bl. 404 d.A., in welcher der Antragstellerbevollmächtigte darauf hinwies, dass der Antragsteller die Erteilungsvoraussetzungen des in Kürze in Kraft tretenden „Chancen-Aufenthaltsrechts“ erfülle) die Verlängerung der Duldung (Nr. 1 des Bescheidstenors) sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Nr. 2 des Bescheidstenors) ab (Bl. 409 ff. d.A.). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, da das zum Zeitpunkt der Erteilung der Duldung am 7. Juni 2022 vorhandene tatsächliche Abschiebungshindernis mit der Vorlage des am 3. Juni 2022 ausgestellten Reisepasses entfallen sei, scheide eine Verlängerung der Duldung aufgrund Passlosigkeit aus. Darüber hinaus stünden der Abschiebung des Antragstellers in seinen Herkunftsstaat keine sonstigen Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen. Auch aus Gründen effektiven Rechtsschutzes ergebe sich kein Abschiebungshindernis, da dem Antragsteller kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustehe. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen, die seine weitere vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten, lägen ebenfalls nicht vor, so dass auch eine Verlängerung der Duldung im Wege einer Ermessensentscheidung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausscheide. Die vorgebrachte geplante Verabschiedung des Chancen-Aufenthaltsgesetzes und ein (darauf gestützter) möglicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe bereits tatbestandlich der Anwendung des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG entgegen, da seitens des Antragstellers ein dauerhafter Aufenthalt und nicht nur eine weitere vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet angestrebt werde. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG werde abgelehnt, da der Antragsteller sich vollziehbar ausreisepflichtig nach §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufhalte, sodass er bereits nicht zu dem nach § 25b AufenthG begünstigen Personenkreis eines geduldeten Ausländers zähle. Durch die Vorlage eines gültigen Reisepasses sei das tatsächliche Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entfallen. Sonstige Hindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG stünden seiner Abschiebung nicht entgegen, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Gültigkeit der Duldung über den 7. September 2022 hinaus nicht vorlägen. Neben dem fehlenden Duldungsstatus fehle es zum einen an dem Nachweis über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG sowie zum anderen an der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG. Die vorgelegte Anmeldung zur Prüfung „Leben in Deutschland“ am 27. Oktober 2022 bzw. die in dem Anhörungsverfahren vorgetragene Vorverlegung des Prüfungstermins auf den 29. September 2022 genüge nicht als Nachweis dieser Erteilungsvoraussetzung. Auch habe der Antragsteller weder einen Nachweis der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung erbracht, noch sei bei der Betrachtung seiner bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommenssowie seiner familiären Situation zu erwarten, dass sein Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG künftig gesichert sein werde. Nach Mitteilung des Amtes für Existenzsicherung und Soziale Integration stehe der Antragsteller seit 1. Dezember 2013 durchgängig im Leistungsbezug. Eine Beschäftigung habe er während seines nun bereits zehnjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nur in der Zeit vom 23. Juni 2022 bis 7. September 2022 ausgeübt. Auch unter Berücksichtigung des vorgelegten Einstellungsangebots der O.-GmbH vom 1. Juli 2022 könne der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nicht, auch nicht überwiegend, selbst sichern, zumal die verlangte Existenzsicherung nicht alleine durch eine punktuelle Betrachtung der jeweils aktuellen Beschäftigungssituation beurteilt werden könne. Für die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts sei nicht ausschließlich die fehlende Arbeitserlaubnis ursächlich, zumal dem Antragsteller während des laufenden Asylantrags auf Antrag und nach Vorlage der erforderlichen Erklärung Arbeitserlaubnisse hätten erteilt werden können. Darüber hinaus habe er weder einen deutschen Schulabschluss erworben noch eine qualifizierte Berufsausbildung abgeschlossen. Zudem lebe der Antragsteller weiterhin alleine in einer Asylbewerberunterkunft und verfüge nicht über familiäre Bindungen, die zu einer Lebensunterhaltssicherung führen könnten. Demzufolge sei weder sein Lebensunterhalt (überwiegend) gesichert noch eine künftige Lebensunterhaltssicherung zu erwarten. Aufgrund der Nichterfüllung der materiellen Erteilungsvoraussetzungen der Anspruchsnorm komme es auf die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, soweit diese (im Rahmen des § 25b AufenthG) Anwendung fänden, nicht an.
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Den Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der (zugleich erhobenen) Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise einer Duldung (Az.: AN 11 K 22.02303) hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, der Antrag sei bereits unzulässig, im Übrigen auch unbegründet. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sei nicht gemäß § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG statthaft, weil der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 3 bzw. 4 Satz 1 AufenthG, zu deren Wiederaufleben ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO führen könnte, nicht ausgelöst habe. Die während der Dauer des Asylverfahrens geltende Aufenthaltsgestattung sei mit der Unanfechtbarkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 29. Juni 2016 (mit Abschiebungsandrohung in die Türkei) erloschen (m.V.a. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylG). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 3. Juni 2022 habe gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylG keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst. Denn es solle, von hier nicht einschlägigen gesetzlich normierten Ausnahmen abgesehen, gemäß § 10 AufenthG, § 39 Nr. 4 und 5 AufenthV grundsätzlich verhindert werden, dass erfolglose Asylbewerber nach Abschluss ihres Asylverfahrens ihren Aufenthalt in Deutschland durch ein Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verlängern. Vorläufiger Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei Unanwendbarkeit des § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG könne nur im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erlangt werden. Ungeachtet der sich insoweit stellenden Fragen zur nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO möglichen bzw. gebotenen Auslegung oder Umdeutung des Eilrechtsschutzbegehrens wäre der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO jedenfalls unbegründet. Denn der Antragsteller habe weder den erforderlichen Anordnungsanspruch auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels noch auf Erteilung einer Duldung glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung habe der Antragsteller wohl keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Insoweit werde auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Ergänzend sei auszuführen, dass der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt kein „geduldeter Ausländer“ i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25b AufenthG sei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Das gelte grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein „geduldeter Ausländer“ sein müsse. Geduldet sei ein Ausländer, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung gleich welcher Art erteilt worden sei oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung habe. Dies sei beim Antragsteller nicht der Fall. Seine Duldung sei vielmehr mit Ablauf des 7. September 2022 erloschen. Allein der Verweis auf das – bislang noch nicht beschlossene und in Kraft getretene – sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht führe insoweit zu keiner anderen Beurteilung, insbesondere lasse sich daraus kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ableiten. Das Gesetzgebungsverfahren sei keineswegs schon so weit fortgeschritten, dass ausreichend sicher wäre, welchen Inhalt das Gesetz letztendlich haben werde. Insbesondere folge derzeit auch kein Anordnungsanspruch daraus, dass für den Zeitpunkt einer geplanten Abschiebung eine den Betroffenen betreffende Bleiberechtsregelung beschlossen worden sei oder konkretisiert unmittelbar bevorstehe. Es liege derzeit auch kein Rechtsanspruch auf Duldung vor, noch seien sonstige Gründe ersichtlich, aus denen die Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG tatsächlich oder rechtlich unmöglich sei. Auch insoweit werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Abgesehen davon komme auch mangels eines zu sichernden Anspruchs die Erteilung einer lediglich ausnahmsweise möglichen Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Betracht. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass zweifelsfrei ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels bestehe oder der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf ermessensfehlerfreie Ermessensausübung geboten sei oder dass keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich seien, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten, seien bei summarischer Prüfung nicht erfüllt.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde, zu deren Begründung der Antragsteller vortragen lässt, soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage als unzulässig eingestuft worden sei, sei die vom Gericht selbst angesprochene Umdeutung des Rechtsschutzbegehrens in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO vorzunehmen. Aus dem Inhalt des Antrags und seiner Begründung ergebe sich, dass einstweiliger Rechtsschutz gegen Vollzugsmaßnahmen der Antragsgegnerin angestrebt werde. Die Umdeutung sei geboten, da sie augenscheinlich dem bei der Antragstellung geäußerten Antragstellerinteresse entspreche und auch nicht dadurch ausgeschlossen sei, dass der Antragsteller anwaltlich vertreten sei. Es werde deshalb beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen. Dabei werde davon ausgegangen, dass auch ein Anordnungsanspruch bestehe und genügend glaubhaft gemacht worden sei. Soweit das Gericht hierzu ausführe, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG habe, verweise es ausschließlich auf die Regelung gemäß § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach nur ein „geduldeter Ausländer“ Inhaber eines solchen Anspruchs sein könne. Formal betrachtet sei der Antragsteller zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein „geduldeter Ausländer“, weil ihm die zuvor bestehende Duldung aberkannt worden sei. Zumindest nach Inkrafttreten des neuen § 104c AufenthG müsse aber davon ausgegangen werden, dass auch ein durch eine Verfahrensduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG zu sichernder Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zweifelsfrei bestehe. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass noch nicht ausreichend sicher sei, welchen Inhalt das Gesetz letztendlich haben werde, sei überholt. § 104c AufenthG gelte ab dem 1. Januar 2023 und sei von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten sei nun auch ein Anspruch nach dieser neuen Vorschrift zu beachten. Dieser bestehe zweifelsfrei, weil der Antragsteller sich weit mehr als die geforderten fünf Jahre ununterbrochen geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten habe und abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1, 1a und 4 sowie § 5 Abs. 2 AufenthG die früher seitens der Antragsgegnerin monierten Voraussetzungen wie (u.a.) Lebensunterhaltssicherung nicht mehr gefordert seien. Somit bestehe inzwischen auch ein Anspruch auf eine Verfahrensduldung, weil im (nunmehr) maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG zweifelsfrei gegeben sei.
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Diese Rügen des Antragstellers greifen nicht durch. Offenbleiben kann, ob der Antragsteller damit dem Gebot der Darlegung der Beschwerdegründe gemäß § 146 Abs. 3, 4 Satz 4 VwGO in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Denn die in der Beschwerdebegründung (fristgerecht) vorgebrachten Gründe, auf deren Nachprüfung das Beschwerdegericht im Grundsatz beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung.
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2.1 Zwar trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antrag sei bereits unstatthaft und damit unzulässig, nicht zu. Es kann aber dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht sodann eine Umdeutung in einen Antrag nach § 123 VwGO vorgenommen hat oder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 VwGO lediglich hypothetisch (mit zutreffendem Ergebnis) geprüft hat.
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Festzuhalten ist insoweit, dass das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgeht, dass (auch) hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubniserteilung unter der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides nur das Antragsverfahren nach § 123 VwGO statthaft ist. Der durch § 123 Abs. 5 VwGO angeordnete Vorrang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO greift vorliegend nicht, da durch die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubniserteilung keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG beseitigt wird, weshalb der Ablehnung nicht ausnahmsweise der Charakter eines belastenden Verwaltungsaktes zukommt (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2021 – 11 S 2891/20 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 15.11.2002 – 10 CE 02.1467 – juris Rn. 7; Fleuß in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 137). Der Antragsteller ist aufgrund der Ablehnung seines Antrags auf Zulassung der Berufung am 26. April 2022 vollziehbar ausreisepflichtig gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (vgl. § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG); seine asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattung ist gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG mit der Unanfechtbarkeit des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes erloschen. Aus § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylG folgt, dass der Antrag auf Aufenthaltserlaubniserteilung keine Fiktionswirkung i.S.d. § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG entfaltet (vgl. Faßbender in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 15.10.2022, AsylG § 43 Rn. 5; OVG NRW, B.v. 15.4.2005 – 18 B 492/05 – juris Rn. 2). Deshalb könnte eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zugunsten des Antragstellers nicht die Wirkung haben, dass seine Ausreisepflicht aufgrund der Versagung des Aufenthaltstitels nicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar wäre (vgl. VGH BW, B.v. 20.11.2007 – 11 S 2364/07 – juris Rn. 2 f.) und der Antragsteller nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO einstweilen so zu behandeln wäre, als gelte die Fiktionswirkung fort (vgl. VGH BW, B.v. 20.11.2007 – 11 S 2364/07 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Offenbleiben kann, ob eine Antragsänderung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO in der Beschwerdeinstanz – wie sie dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers entnommen werden könnte –, zulässig wäre (vgl. bejahend für den Fall der Umdeutung eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag gemäß § 123 VwGO: BayVGH, B.v. 15.11.2002 – 10 CE 02.1467 – juris Rn. 7; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 146 Rn. 13c; dagegen ablehnend [für den Fall der nachträglichen Erweiterung eines Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO um einen zusätzlichen Antrag gemäß § 123 VwGO]: BayVGH, B.v. 23.8.2011 – 2 CS 11.1218 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 25.7.2002 – 18 B 1136/02 – juris Rn. 7 ff; OVG BB, B.v. 14.9.2007 – OVG 9 S 29.07 – juris Rn. 6; HessVGH, B.v. 9.1.2008 – 1 TG 2464/07 – juris Rn. 3).
19
2.2 Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn dem Antragsteller steht der erforderliche Anordnungsanspruch in der Gestalt eines Anspruchs auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels bzw. der hilfsweise begehrten Duldung nicht zu.
20
2.2.1 Nicht zu beanstanden ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zusteht.
21
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a bzw. § 25b AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Das gilt grundsätzlich auch für die Voraussetzung, dass ein Antragsteller ein „geduldeter Ausländer“ sein muss (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 7.12.2022 – 19 CE 22.2047 – juris Rn. 11 m.w.N.). Ein Ausländer ist geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Ein Rechtsanspruch auf Duldung ist jedenfalls dann ohne weiteres ausreichend, wenn die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen, kann es diesem nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie dieser Pflicht im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht nachkommt und den Aufenthalt lediglich faktisch duldet (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 24 m.V.a. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2019, § 25b AufenthG Rn. 10). Zum anderen ist auch ein Ausländer, der sich (lediglich) im Besitz einer sogenannten Verfahrensduldung befindet, im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG „geduldet“ (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 28).
22
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Antragsteller jedoch nicht mehr geduldet. Die ihm (nach dem Erlöschen seiner asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG am 26. April 2022) am 7. Juni 2022 erteilte Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (da der Antragsteller keinen Pass besaß) nach deren Ablauf am 7. September 2022 nicht erneuert, weil der Antragsteller inzwischen einen gültigen Pass vorgelegt hatte. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf (weitere) Duldung:
23
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen liegen zugunsten des Antragstellers nicht vor.
24
Eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen ist gegeben, wenn eine Abschiebung aufgrund objektiver Umstände, die in der Person des Ausländers oder in äußeren Gegebenheiten liegen, nicht bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchgesetzt werden kann. Unmöglichkeit der Abschiebung ist nicht schon bei jeder geringen zeitlichen Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen anzunehmen, sondern nur bei dem zeitweiligen Ausschluss der Abschiebung aufgrund rechtlicher Verbote oder Hindernisse oder aufgrund tatsächlicher Umstände außerhalb der administrativen Organisation der Abschiebung. Das Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Ausreisepflicht eines Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann und ihre Durchsetzung auf nicht absehbare Zeit unmöglich ist. Eine Duldung ist aber grundsätzlich dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, die Ausreisepflicht des Ausländers aber nicht ohne erhebliche Verzögerung durchgesetzt werden kann (BT-Drs. 11/6321, 76 zu § 55 Abs. 1 AuslG 1990). Der Gesetzgeber geht von der zügigen Durchführung der Abschiebung aus. Ergeben sich Hindernisse, die eine erhebliche Verzögerung der Abschiebung nach sich ziehen, ist nach § 55 Abs. 2 AuslG (jetzt: § 60a Abs. 2 AufenthG) zu verfahren. Erscheint die Abschiebung nach den Gegebenheiten des Falles nicht aussichtslos, darf andererseits ein fehlgeschlagener Abschiebungsversuch vorausgesetzt werden, bevor eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung angenommen wird. Die Ausländerbehörde hat im Rahmen der Prüfung einer Aussetzung der Abschiebung nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, sondern auch, innerhalb welchen Zeitraums eine solche möglich ist. Dies gilt nicht nur für die Fälle, in denen eine Abschiebung grundsätzlich möglich ist, sondern auch in den Fällen, in denen eine Abschiebung derzeit unmöglich ist. In den letztgenannten Fällen ist von der Ausländerbehörde zu prüfen, wann dieses Hindernis behoben sein wird. Kommt die Ausländerbehörde zu dem Ergebnis, dass die Abschiebung nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden kann oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss ist, ist eine Duldung zu erteilen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1997 – 1 C 3.97 – juris Rn. 22 f.; U.v. 21.3.2000 – 1 C 23.99 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 4.1.2016 – 10 C 15.2016 – juris Rn. 22; U.v. 4.8.2021 – 19 B 21.1268 – juris Rn. 25 ff.; BeckOK AuslR/Kluth/Breidenbach, 35. Ed. 1.10.2022, AufenthG § 60a Rn. 9; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 60a AufenthG Rn. 22 ff.).
25
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Abschiebung des Antragstellers ist tatsächlich möglich. Der Antragsteller hat am 29. August 2022 einen von seinem Heimatstaat – in den die Abschiebung erfolgen soll – ausgestellten, gültigen Reisepass vorgelegt. Der Antragsteller hat auch kein anderes tatsächliches Abschiebungshindernis dargelegt.
26
Rechtlich unmöglich i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist die Abschiebung, wenn sich im Verhältnis zum Ausländer für die Bundesrepublik Deutschland aus einfachem Gesetzesrecht oder aus Unions-, Verfassungs- bzw. Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 60a Rn. 24; Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 15.10.2022, AufenthG § 60a Rn. 32). Wegen der Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes bzw. des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nach § 42 Satz 1 AsylG kommen nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2016 – 19 CE 16.1953). Der Antragsteller macht zur Begründung eines rechtlichen Abschiebungshindernisses (sinngemäß) geltend, ihm stehe eine sog. Verfahrensduldung zur Sicherung seines behaupteten Rechtsanspruchs auf die am 3. Juni 2022 beantragte Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25b AufenthG bzw. auf der Grundlage des § 104c AufenthG (nach dessen Inkrafttreten am 31.12.2022 aufgrund Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes v. 21.12.2022, BGBl. I, S. 2847, sog. Chancen-Aufenthaltsrecht) zu. Die Voraussetzungen einer sog. Verfahrensduldung liegen jedoch zugunsten des Antragstellers nicht vor.
27
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis- bzw. Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30). Dem in § 81 Abs. 3, 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 30). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat vorliegend – wie dargelegt – keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Der Antragsteller hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung.
28
Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 – 13 ME 213/17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 – 19 CE 17.550 – juris Rn. 31). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 30).
29
Ein solcher Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung besteht für den Antragsteller im Hinblick auf § 25b AufenthG nicht. Der Antragsteller erfüllt bereits die tatbestandliche Voraussetzung des § 25b Abs. 1 AufenthG „geduldeter Ausländer“ (wie dargelegt) nicht. Dafür wäre erforderlich, dass er aus einem sonstigen Grund zum maßgeblichen Zeitpunkt geduldet wäre oder aus einem sonstigen Grund eine Verfahrensduldung beanspruchen könnte. Dafür ist nichts ersichtlich.
30
Hinzukommt (ohne dass es im Ergebnis noch darauf ankommt): Es fehlt am Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Der Antragsteller erfüllt nicht die Regelvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG (i.d.F. des Art. 1 Nr. 4 a) bb) des Gesetzes v. 21.12.2022 – BGBl. I, S. 2847 – in Kraft seit 31.12.2022), nach der er sich seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben muss. Zeitlicher Bezugspunkt des Erfordernisses eines erlaubten, geduldeten oder gestatteten Voraufenthalts seit sechs Jahren ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens sechs Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern (vgl. BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 34). Dieses Erfordernis spiegelt den Zweck des § 25b Abs. 1 AufenthG wider, nachhaltig integrierten Ausländern trotz ihres gegenwärtig prekären Aufenthaltsstatus dann eine langfristige Aufenthaltsperspektive zu eröffnen, wenn ihre Abschiebung unmöglich oder aus anderen Gründen ausgesetzt ist; es bestätigt damit zugleich das Prinzip des Vorrangs der Durchsetzung der Ausreisepflicht in Fällen, in denen – ungeachtet im Bundesgebiet erbrachter Integrationsleistungen – eine Abschiebung im entscheidungserheblichen Zeitpunkt tatsächlich möglich ist (vgl. Berlit, GK-AufenthG, Stand 1.2.2023, AufenthG § 125b Rn. 35). Letzteres ist bei dem Antragsteller – wie dargelegt – der Fall.
31
Des Weiteren fehlt es vorliegend an der Regelerteilungsvoraussetzung der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung des Antragstellers gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG lässt zwar eine Abweichung von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (regelmäßig) zu, wenn die Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG erfüllt ist, d.h. der Ausländer seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert, wobei ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen für die Lebensunterhaltssicherung in der Regel unschädlich ist (§ 25b Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Überwiegend durch Erwerbstätigkeit gesichert ist der Lebensunterhalt, wenn das so erwirtschaftete Einkommen die Sozialleistungen (unter Berücksichtigung der Maßgaben des § 2 Abs. 3 AufenthG) übersteigt. Das Merkmal „überwiegend“ in der ersten Alternative bezieht sich auf das Ergebnis der Sicherung des Lebensunterhalts, denn nur bei dieser Auslegung hat die Vorschrift auch in der ersten Alternative den vom Gesetzgeber bezweckten privilegierenden Charakter gegenüber § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 52; Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 15.10.2022, AufenthG § 25b Rn. 41; Kluth in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, AufenthG § 25b Rn. 20 m.w.N.: Merkmal erfüllt, wenn mehr als 50% des Bedarfs des Antragstellers durch seine Erwerbstätigkeit erarbeitet wird). Ausreichend ist daher, wenn durch Erwerbstätigkeit ein Einkommen erwirtschaftet wird, das (unter Berücksichtigung der Maßgaben des § 2 Abs. 3 AufenthG) einen gegebenenfalls hinzutretenden Sozialleistungsanspruch in der Höhe übersteigt. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG formuliert zwei Varianten, die nur alternativ erfüllt sein müssen: Sichert ein Ausländer seinen Lebensunterhalt bereits überwiegend durch Erwerbstätigkeit im Sinne des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 AufenthG, bedarf es nicht zusätzlich einer positiven Prognose künftiger vollständiger Lebensunterhaltssicherung aufgrund der bisherigen Situation im Sinne der zweiten Alternative. Ungeachtet dessen muss die aktuelle Einkommenssituation auch bei der ersten Alternative über eine bloß punktuelle Betrachtung hinaus prognostisch eine gewisse Stabilität aufweisen (BVerwG, U.v. 18.12.2019 – 1 C 34.18 – juris Rn. 52; Röder a.a.O. Rn. 43). Sichert der Antragsteller seinen Lebensunterhalt im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung nicht (überwiegend) durch Erwerbstätigkeit, ist gemäß § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AufenthG im Wege einer Prognose (vgl. Wortlaut: „zu erwarten ist“) festzustellen, ob er seinen Lebensunterhalt i.S.d. § 2 Abs. 3 AufenthG zukünftig sichern wird. Anders als bei der ersten Alternative lässt das Gesetz hier eine rückschauende Betrachtung zu, verlangt diese sogar, indem es die bisherige Schul-, Ausbildungs-, Einkommenssowie die familiäre Lebenssituation des Antragstellers ausdrücklich zur Prognosegrundlage erklärt. Im Rahmen der Prognose ist auch zu berücksichtigen, dass sich mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Chancen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessern werden (Samel/Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, AufenthG § 25b Rn. 18; Röder a.a.O., Rn. 44; Kluth a.a.O., Rn. 21 m.w.N.).
32
Gemessen daran kann der Antragsteller seinen Lebensunterhalt im maßgeblichen Zeitpunkt nicht zumindest überwiegend sichern. Nach der ersten Alternative des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG scheidet dies schon deshalb aus, weil der Antragsteller im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht über die gemäß § 4a Abs. 4 Alt. 2 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV erforderliche Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (Beschäftigungserlaubnis) verfügt. In Anbetracht der vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers und des Fehlens von Duldungsgründen kann auch künftig – im Sinne der zweiten Alternative von § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG – nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller künftig seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit wird sichern können. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin ihm die Beschäftigungserlaubnis – welche nach § 4a Abs. 4 Alt. 2 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1 BeschV einen geduldeten, gestatteten oder erlaubten Aufenthalt voraussetzt – nicht rechtswidrig vorenthält, ergibt sich auch aus einer Rückschau auf die bisherige Ausbildungs- und Erwerbsbiografie des Antragstellers keine andere Prognose. Der Antragsteller hat im Bundesgebiet keine Berufsausbildung absolviert und war – abgesehen von einer mit den Aufenthaltsgestattungen vom 18. Mai 2015 (Bl. 144 d.A.) sowie vom 17. Dezember 2015 (Bl. 147 d.A.) gemäß § 61 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 32 BeschV erlaubten Tätigkeit als Lagerarbeiter (dagegen enthält die Aufenthaltsgestattung vom 17.6.2016 keine Beschäftigungserlaubnis mehr, sondern den [allgemeinen] Hinweis auf die Erlaubnispflichtigkeit einer Erwerbstätigkeit, vgl. Bl. 148 d.A.) – während der gesamten Dauer des Asylverfahrens ohne Erwerbstätigkeit und bezog Leistungen nach dem AsylbLG. Soweit weitere Anträge auf Beschäftigungserlaubnis von der Antragsgegnerin – aufgrund entsprechender Stellungnahmen der Bundesagentur für Arbeit – wegen des Vorhandenseins bevorrechtigter Arbeitnehmer (vgl. Bl. 103, 109 d.A.) bzw. wegen fehlender Angaben des Arbeitgebers in der Zustimmungsanfrage (vgl. Bl. 126, 128 d.A.) bzw. mit dem Hinweis auf die ungünstige Bleibeperspektive (vgl. Bl. 170 d.A.) abgelehnt wurden, legt der Antragsteller nicht dar, dass die jeweiligen Entscheidungen mit § 61 AsylG nicht im Einklang gestanden hätten bzw. ermessensfehlerhaft gewesen wären. Der (pauschale) Hinweis des Antragstellers darauf, dass ihm als Asylbewerber keine Erwerbstätigkeit gestattet gewesen sei, ist damit unbehelflich. Erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens am 26. April 2022 erhielt der Antragsteller (in der Duldung vom 7.6.2022) eine Gestattung der Erwerbstätigkeit bei der L.-KG (Tätigkeit im I.-Restaurant), welche vom Arbeitgeber bereits zum 9. Juli 2022 wieder gekündigt wurde (Bl. 319 d.A.). Hinsichtlich des Arbeitsplatzangebots der Zeitarbeitsfirma O.-P. vom 1. Juli 2022 (Bl. 319 d.A.) erhielt der Antragsteller wegen des Entfallens seiner Duldung keine Beschäftigungserlaubnis (vgl. Schreiben der Antragsgegnerin v. 7.11.2022, Bl. 173 d.A.). Damit ist auch prognostisch nicht gesichert, dass der Antragsteller künftig seinen Lebensunterhalt (zumindest) überwiegend sichern können wird.
33
Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass und inwiefern vorliegend – trotz der vorhandenen Integrationsdefizite, wie sie durch das Nichterfüllen einzelner Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 AufenthG deutlich werden – in einer gegebenenfalls anzustellenden Gesamtschau von einer nachhaltigen Integration des Antragstellers in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG auszugehen wäre. Ohnehin ist eine nachhaltige Integration des Ausländers i.S.d. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach der Auffassung des Senats nur dann anzunehmen, wenn die Regelvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliegen und keine Integrationsdefizite ersichtlich sind (BayVGH, B.v. 26.10.2021 – 19 CS 21.2291, Rn. 14). Maßgebend ist somit, ob die bei Erfüllung der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 AufenthG normierten Voraussetzungen eingreifende Regelvermutung der nachhaltigen Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt (BayVGH, B.v. 26.10.2021 – 19 CS 21.2291, Rn. 15 m.V.a. OVG NW, B.v. 21.7.2015 – 18 B 486/14 – juris Rn. 10). Vorliegend fehlt es jedoch bereits am Vorliegen aller Regelerteilungsvoraussetzungen, sodass eine wertende Gesamtbetrachtung schon im Ausgangspunkt nicht veranlasst ist.
34
2.2.2 Dem Antragsteller steht auch keine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG (n.F.) zu. Unabhängig von der Frage, ob der Eilantrag auch insoweit – trotz des Fehlens eines entsprechenden Antrags bei der Ausländerbehörde im Zeitpunkt der Antragstellung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei dem Verwaltungsgericht (soweit nicht in der Stellungnahme des Antragstellerbevollmächtigten im Anhörungsverfahren vom 13.9.2022 ein solcher Antrag zu sehen wäre) – zulässig ist und ungeachtet dessen, dass der Antragsteller – wie nach dem Wortlaut der Norm erforderlich – aktuell nicht über eine Aufenthaltsgestattung, Duldung oder Aufenthaltserlaubnis verfügt, fehlt es bereits an der Voraussetzung des ununterbrochenen geduldeten, gestatteten oder erlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet seit fünf Jahren zum maßgeblichen Stichtag 31. Oktober 2022 gemäß § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2023 – 19 CE 22.2584, Rn. 16; vgl. zur Maßgeblichkeit des Stichtags – der in der endgültigen Gesetzesfassung gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung vom 1.1.2022 auf den 31.10.2022 verschoben wurde – BT-Drs. 20/3717, S. 2, 17). Denn der Antragsteller war bis 7. September 2022 im Besitz einer Duldung. Ein darüber hinaus gehender Duldungsanspruch stand ihm – wie dargelegt – im maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu, weil auch am Stichtag des 31. Oktober 2022 keine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung vorlag, nachdem der Antragsteller der Antragsgegnerin bereits am 29. August 2022 einen gültigen Reisepass vorgelegt hatte.
35
2.2.3 Schließlich sind schon keine Gründe für die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG dargelegt oder sonst ersichtlich. Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Abgesehen davon, dass das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache erkennbar auf einen dauerhaften und nicht nur vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet abzielt – welcher von einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht gedeckt ist –, hat der Antragsteller auch keine dringenden persönlichen oder humanitären Gründe geltend gemacht. Da der Antragsteller auch offensichtlich die Voraussetzungen des § 104c AufenthG nicht erfüllt, kann auch unter diesem Gesichtspunkt keine Reduzierung des der Antragsgegnerin nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eingeräumten Ermessens angenommen werden.
36
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
37
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG.
38
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).