Titel:
Reichweite einer Verpflichtungserklärung
Normenketten:
BGB § 133, § 157
AufenthG § 4 Abs. 1 S. 2, § 68 Abs. 1, § 68a
AsylG § 55 Abs. 1
VwGO § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 1, § 161 Abs. 1, § 166
ZPO § 114, § 121 Abs. 1
Leitsätze:
1. Inhalt und Reichweite, insbes. Geltungsdauer, der von der Klägerin eingegangenen Verpflichtung als einseitig empfangsbedürftiger Willenserklärung lassen sich in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB unter Würdigung der der Abgabe der Erklärung zugrundeliegenden Umstände im Wege der Auslegung ermitteln (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 49835; BeckRS 1998, 30035179 jeweils mwN). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verpflichtete ist nach § 68 AufenthG im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall liegt vor, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit der Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte (vgl. BVerwG BeckRS 2014, 49835; BeckRS 1998, 30035179). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein atypischer Ausnahmefall kann nach der Rspr. des BVerwG darin begründet sein, dass für den Aufenthalt des Ausländers nicht nur – wie im Regelfall – allein oder ganz überwiegend private Gründe ausschlaggebend waren, sondern es sich insoweit auch um eine vornehmlich öffentliche Angelegenheit (wie die Aufnahme bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge) handelt und die Behörden damit eine Mitverantwortung für die Risikoentscheidung getroffen haben (vgl. BVerwG BeckRS 1998, 30035179). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Inanspruchnahme wegen Haftung für Lebensunterhalt, Verpflichtungserklärung, (keine) zeitliche Beschränkung der Haftung, Atypischer Fall (verneint), Regelfall, Versorgung im Krankheitsfall, Geltungsdauer des Besuchsvisums, Bonitätsprüfung, Haftungsrisiko, zeitliche Beschränkung der Haftung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 09.11.2021 – W 9 K 21.1034
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27684
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
2
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 21. Juli 2021 zu Recht versagt (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte den Bescheid des Landkreises W., Az.: FB32-3258-8017 vom 12. September 2018 vollständig zurückgenommen (Ziff. 1 des Bescheids), wurde festgestellt, dass im Zeitraum vom 7. Januar 2015 bis 31. Oktober 2017 Frau M2. Z. Leistungen gem. §§ 1, 3 ff. AsylbLG sowie Krankenhilfe gemäß § 4 AsylbLG gewährt wurden (Ziff. 2), wurden die für Frau M2. Z. nach dem AsylbLG geleisteten Zahlungen in der Zeit vom 7. Januar 2015 bis 5. Juni 2017 in Höhe von 14.958,98 EUR von der Klägerin zurückgefordert (Ziff. 3), wurde die Klägerin aufgefordert, den in Ziffer 3 genannten Betrag innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung des Bescheides an die Kreiskasse zu überweisen bzw. innerhalb der geltenden Frist von vier Wochen eine monatliche Ratenzahlung zu beantragen (Ziff. 4) sowie mitgeteilt, dass sich der Landkreis W. den rückwirkenden Widerruf aller Leistungen vorbehält, wenn diese aufgrund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben bzw. ohne Angabe geänderter Verhältnisse bewilligt worden sind (Ziff. 5).
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Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 12.5.2020 – 2 BvR 2151/17 – juris Rn. 19; B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007- 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 10 C 17.2591 – juris) ein. Vorliegend trat Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags für die am 5. August 2021 erhobene Klage und Vorlage der vollständigen Bewilligungsunterlagen am 31. August 2021 mit Abgabe der Stellungnahme des Beklagten vom 12. Oktober 2021 am 20. Oktober 2021 ein.
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Die Klägerin rügt, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu hohe Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Klage stelle. Zugleich komme die angefochtene Entscheidung der Vorwegnahme der Hauptsache sehr nahe. Die Entscheidung berücksichtige hauptsächlich nur Argumente der Beklagten. So werde beanstandet, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren den atypischen Fall nicht konkret und substantiiert vorgetragen habe. Die Klägerin habe aber schon im Widerspruchsverfahren ausreichend dargelegt, in welcher Zwangslage die Verpflichtungserklärung abgegeben worden sei. Es sei zum Beispiel in der Begründung des Widerspruchs vom 15. Oktober 2018 erwähnt worden, dass im September 2014 die Verlängerung des Visums beantragt worden sei, da der Krieg in der Ostukraine immer noch nicht vorbei gewesen und die Rückkehr in ihre Heimat für Frau Z. lebensgefährlich gewesen wäre. In diesem Krieg sei im August 2014 ihr Enkel getötet worden, auch das Haus, in dem sie gewohnt gehabt habe, sei unbewohnbar geworden. Sowohl bei der Abgabe der ersten Verpflichtungserklärung im Juni 2014 als auch bei der zweiten im September sei die Klägerin in einer Zwangslage gewesen und habe aufgrund ihrer familiären Verpflichtung, ihrer Mutter zu helfen, gehandelt. Trotzdem seien in der angefochtenen Entscheidung des Beklagten keinerlei Ermessenserwägungen in Betracht gezogen worden. Das Gericht lehne ebenfalls ohne weitere Prüfung der Sachlage einen atypischen Fall, somit auch das Ermessen der Behörde ab. Im angefochtenen Beschluss des Gerichts werde somit die Klagebegründung zu diesem Punkt kaum berücksichtigt, insbesondere auch nicht, dass die Klägerin auch Beweismittel benannt gehabt habe, um ihre Zwangslage zu beweisen. Das Gericht gehe in seiner Entscheidung weder auf die Benennung der Beweismittel, noch auf seinen eigenen Amtsermittlungsgrundsatz ein. Entgegen der Auffassung des Gerichts sei die Klägerin auch nicht genauestens über die Folgen der Verpflichtungserklärung informiert worden. Daher sei sie davon ausgegangen, dass die Verpflichtungserklärung nur zu dem Besuchszweck abgegeben worden sei und sei auch bereit gewesen, innerhalb des Zeitraumes, der im Visum der Mutter angegeben worden war, für ihren Unterhalt zu sorgen. Die Klägerin habe im vorliegenden Fall von einer zeitlichen Beschränkung der Verpflichtungserklärung ausgehen dürfen, da sie über maximale Besuchsdauer von sechs Monaten gewusst gehabt habe. Hätte sie dagegen gewusst, dass ihre Verpflichtung sogar mehrere Jahre hätte dauern können, hätte sie zumindest versucht, rechtzeitig anwaltlichen Rat einzuholen und andere Möglichkeiten für den Aufenthalt der Mutter zu suchen, wie zum Beispiel einen Antrag nach § 28 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 AufenthG zu stellen. Die Verweisung des Gerichtes auf ältere Verpflichtungserklärungen, hier auf die aus dem Jahre 2013, sei nicht zulässig. Denn auch nach einem Jahr hätten sich gesetzliche Änderungen ergeben können. Eine Behörde dürfe nicht ihre Verpflichtung der Rechtsfolgenaufklärung vollständig auf den Bürger abwälzen. Außerdem seien Paragrafen, auf die im Formular der Verpflichtungserklärung Bezug genommen werde, einem juristischen Laien in der Regel nicht bekannt und die Formulierungen ihm kaum verständlich. Dies gelte hier auch für die Klägerin. Im angefochtenen Beschluss werde auch erwähnt, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, „dass die Verpflichtungserklärung aufgrund einer Diskrepanz zwischen dem vorhandenen Einkommen und Umfang der Verpflichtung schon nicht hätte entgegengenommen werden dürfen“. Hier sei einzuwenden, dass die Ausländerbehörde für die Einkommensprüfung in der Regel nur drei letzte Lohnabrechnungen verlange und diese Prüfung nur für den Besuchszweck vorgenommen werde und nicht für einen dauerhaften Aufenthalt. Das sei hier auch der Fall gewesen. Gerade wenn man auf die Diskrepanz zwischen dem Einkommen der Klägerin und dem Umfang der Verpflichtung abstelle, habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass sie nur während des Zeitraums von insgesamt 6 Monaten pro Jahr hafte. Ansonsten wäre sie nicht imstande gewesen, vollumfänglich für den Unterhalt der Mutter zu sorgen, insbesondere hätte sie die für das Alter ihrer Mutter sehr hohen Krankenversicherungsbeiträge nicht bezahlen können. Nach dem deutschen Unterhaltsrecht wäre sie auf jeden Fall nicht leistungsfähig gewesen. Bezüglich der im Beschluss erwähnten Möglichkeit der Umverteilung werde hier ergänzend vorgetragen, dass die Klägerin bereits ein paar Monate nach der Einreichung des Asylantrags versucht gehabt habe, ihre Mutter zu sich zu holen. Frau Z. habe in einer völlig fremden Umgebung und ohne Sprachkenntnisse starke Depressionen bekommen. Es sei ihr sehr schlecht gegangen, sie habe sich orientierungslos gefühlt und der behandelnde Arzt habe ihr starke Antidepressiva verschrieben. Er habe auch befürwortet, dass sie zu der Klägerin umziehe. Die Klägerin habe diesbezüglich mehrere Male bei der Asylbehörde in E. vorgesprochen.
Allerdings sei ihr gesagt worden, dass sie noch warten müsse, dass zunächst eine Anhörung im Asylverfahren stattfinden müsse usw. Diese Hinauszögerung habe dazu geführt, dass die Klägerin nun mit dem Betrag von ca. 15.000,- EUR in Anspruch genommen werde. Der o.g. Umstand sei dem Beklagten ebenfalls bekannt gewesen und hätte in seiner Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Bei der eingehenden Prüfung der Sachlage habe die Klage hinreichende Aussichten auf Erfolg. Da die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die Kosten des Verfahrens nicht tragen könne, sei ihrem Antrag stattzugeben.
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Diese Rügen greifen nicht durch. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergibt sich eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage gegen den Bescheid vom 27. Juli 2021 nicht.
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Wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind hiervon nach § 68 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ausgenommen. Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bedarf die Verpflichtung der Schriftform. Der Erstattungsanspruch steht nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Die Verpflichtungserklärung erlischt vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren ab Einreise des Ausländers nicht durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 oder durch Anerkennung nach § 3 oder § 4 des Asylgesetzes (§ 68 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Nach der Übergangsvorschrift des § 68a AufenthG gilt § 68 Absatz 1 Satz 1 bis 3 auch für vor dem 6. August 2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen, jedoch mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von drei Jahren tritt. Aus diesen Regelungen ergibt sich die Befugnis der erstattungsberechtigten Stelle, den Erstattungsanspruch durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) geltend zu machen (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 1 C 4.13 – BVerwGE 149, 65, 68 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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Die Verpflichtungserklärung zur Begründung eines entsprechenden Kostenerstattungsanspruches der öffentlichen Stelle, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat, ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; einer vertraglichen Vereinbarung bedarf es nicht. Inhalt und Reichweite, insbesondere Geltungsdauer, der von der Klägerin eingegangenen Verpflichtung als einseitig empfangsbedürftiger Willenserklärung lassen sich in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB unter Würdigung der der Abgabe der Erklärung zugrundeliegenden Umstände im Wege der Auslegung ermitteln (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33.97 – juris Rn. 26; U.v. 13.2.2014 – 1 C 4.13 – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 3.5.2018 – 13 LB 2/17 – juris Rn. 33; OVG NRW, U.v. 8.12.2017 – 18 A 1040/16 – juris Rn. 30; BayVGH, U.v. 24.4.2012 – 10 B 11.2838 – juris Rn. 24 jeweils m.w.N.). Maßgebend ist grundsätzlich der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen musste. Dieser Auslegungshorizont ändert sich ausnahmsweise dann, wenn die Verpflichtungserklärung durch Unterzeichnung eines von der Ausländerbehörde verwendeten Vordrucks mit vorformulierten Erklärungen und Erläuterungen und gegebenenfalls maßgeblich von der Ausländerbehörde vorgenommenen Änderungen oder Ergänzungen erteilt wird. In diesem Fall ist darauf abzustellen, wie der Erklärende die Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Verbleiben nach objektiver Würdigung bzw. Auslegung der Erklärung insoweit Unklarheiten, gehen diese zu Lasten der den Vordruck verwendenden Ausländerbehörde (vgl. NdsOVG, U.v. 3.5.2018, a.a.O. Rn. 33; VGH BW, U.v. 12.7.2017 – 11 S 2338/16 – juris Rn. 29; OVG SH, U.v. 7.8.2013 – 4 LB 14/12 – juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 26.4.2012, a.a.O., Rn. 26 f.).
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Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Leistungsbescheids bestimmt sich – anders als bei aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakten – nach der im Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblichen Rechtslage (BVerwG, U.v. 16.10.2012 – 10 C 6.12 – BVerwGE 144, 326-341, Rn. 12).
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Soweit die Klägerin rügt, dass sie entgegen der Auffassung des Gerichtes nicht genauestens über die Folgen der Verpflichtungserklärung informiert worden sei und daher von einer zeitlichen Beschränkung der Verpflichtungserklärung ausgehen durfte, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass nach summarischer Prüfung kein Anhaltspunkt besteht, der eine die Verpflichtungswirkung begrenzende Auslegung der von der Klägerin abgegebenen Verpflichtungserklärungen bieten würde. Insbesondere sei die Klägerin bereits anlässlich der im Jahr 2013 abgegebenen Verpflichtungserklärung ausdrücklich auf Umfang und Dauer der eingegangenen Verpflichtungen und somit der Haftung bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck hingewiesen worden.
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Angesichts des eindeutigen Wortlauts der auf bundeseinheitlichem Formular am 5. Februar 2013 und 6. Juni 2014 abgegebenen Verpflichtungserklärungen, wonach der Verpflichtungsgeber sich „ab der Einreise bis zur Beendigung des Aufenthalts“ bzw. „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am Juni 2014“ bis zur Beendigung des Aufenthalts des begünstigten Ausländers oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck verpflichtet, die Kosten für den Lebensunterhalt, die explizit sämtliche öffentliche Mittel umfassen, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden zu übernehmen, ist eine Beschränkung des Haftungsumfangs aus der Erklärung nicht ersichtlich. Die Verpflichtung erstreckt sich im Regelfall auf den gesamten Aufenthalt eines Begünstigten. Soll eine Abweichung von der formularmäßigen Bestimmung getroffen werden, bedarf es hierfür einer ausdrücklichen Regelung, insbesondere eines ausdrücklich bestimmten Gültigkeitszeitraums (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2012 – 10 B 11.2838 – juris Rn. 30 <in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde ein klar definierter Zeitraum angegeben>). Eine abweichende zeitliche Beschränkung wurde vorliegend nicht vorgenommen. Insbesondere dient der unter der Rubrik „Bemerkungen“ eingefügte Vermerk „Besuchsvisum“ (Verpflichtungserklärung vom 5. Februar 2013) bzw. die unter der Rubrik „Bemerkungen“ erfolgte Eintragung „90 Tage“ bei dem Formularfeld „voraussichtliche Dauer des Aufenthalts“ und „Besuchsvisum“ bei dem Formularfeld „Zweck des Aufenthalts“ (Verpflichtungserklärung vom 6. Juni 2014) in Auslegung der Erklärung nach dem Empfängerhorizont nicht dazu, die Gültigkeitsdauer einzuschränken. Eintragungen unter der Rubrik „Bemerkungen“ zum Zweck des Aufenthalts dienen in erster Linie der Information der Auslandsvertretung für die Visumerteilung und sind für die Dauer der Verpflichtung regelmäßig ohne Belang (vgl. NdsOVG, U.v. 3.5.2018 – 13 LB 2/17 – juris Rn. 38). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ausnahmsweise hieraus eine Beschränkung der Dauer der Verpflichtung ableiten konnte, sind nicht ersichtlich. Die subjektive Vorstellung der Klägerin, nur für eine Besuchsreise für die Lebenshaltungskosten der eingeladenen Mutter aufkommen zu müssen, findet im Wortlaut der Erklärung, der erkennbar auf die Beendigung des Aufenthalts oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck abstellt, keine Stütze. Ist der Betroffene irrig der Auffassung, die Verpflichtung gelte nur für den Gültigkeitszeitraum eines Visums, so handelt es sich dabei um einen die Anfechtung der Erklärung nicht begründenden Irrtum über den Erklärungsinhalt (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand 4/2017, § 68 Rn. 32).
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Die Stellung eines Asylantrages nach Einreise mit einem Besuchsvisum und die Gestattungswirkung nach § 55 Abs. 1 AsylG, die keinen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darstellt, lassen die Haftung des Verpflichtungsgebers unberührt (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 1 C 4.13 – juris Rn. 12; Funke-Kaiser, GKAufenthG, Stand 4/2017, § 68 Rn. 24). Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass in der Verpflichtungserklärung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Verpflichtung die Erstattung von Leistungen auch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz umfasst.
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Entgegen dem Beschwerdevorbringen umfasst die erklärte Verpflichtung somit die in Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheids zur Erstattung geltend gemachten Aufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bzw. öffentliche Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall; aus den abgegebenen Erklärungen ergeben sich weder Widersprüche noch Unklarheiten. Die von der Klägerin jeweils geleisteten Unterschriften beziehen sich erkennbar auf sämtliche vorstehenden Angaben, insbesondere die Bestätigung im Formblatt, zu der Verpflichtung der Erstattung der explizit ausgeführten Aufwendungen „aufgrund meiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein“.
Angesichts der im Formblatt enthaltenen ausdrücklichen Hinweise zu Umfang und Dauer der Verpflichtung, die die Klägerin unterzeichnet hat, ist die geltend gemachte Unverständlichkeit von Formulierungen oder ein Aufklärungsmangel nicht ersichtlich. Insbesondere durfte die Klägerin im vorliegenden Fall – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – gerade nicht von einer zeitlichen Beschränkung der Verpflichtungserklärung ausgehen, da insoweit das Formblatt keine Eintragungen enthält, die Anlass für eine die Verpflichtungswirkung begrenzende Auslegung der von der Klägerin abgegebenen Verpflichtungserklärungen bieten würden. Wenn eine solche Festlegung auf einen bestimmten Zeitraum gewollt gewesen wäre, hätte dies unter der „Dauer der Verpflichtung“ eingetragen werden müssen.
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Soweit die Klägerin rügt, dass das Gericht die Zwangslage der Klägerin kaum berücksichtigt habe und ohne weitere Prüfung der Sachlage einen atypischen Fall abgelehnt habe, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass ein Regelfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, sodass die Klägerin zur Erstattung herangezogen werden konnte, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedurft hätte.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangen das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, in der Regel, dass die öffentliche Hand ihr zustehende Geldleistungsansprüche durchzusetzen hat. Von dieser Regel kann bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden. Dies gilt auch für den Erstattungsanspruch nach § 68 AufenthG. Demgemäß ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall liegt vor, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit der Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 1 C 4.13 –; U.v. 24.11.1998 – 1 C 33.97 – jeweils juris).
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Nach dem bundeseinheitlichen Merkblatt des Bundesministeriums des Innern zur Verwendung des bundeseinheitlichen Formulars der Verpflichtungserklärung (Stand: 2.5.2018, insoweit weitgehend gleichlautend mit der Fassung vom 15.12.2009) gibt es für die Prüfung der Bonität des Verpflichtungserklärenden keine betragsmäßige Festlegung des Einkommens, über das er verfügen muss. Die Leistungsfähigkeit ist bezogen auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung bestehender Unterhaltsverpflichtungen und der Anzahl der eingeladenen Ausländer zu ermitteln. Die vorgenommene Prüfung ist auf dem amtlichen Vordruck durch die Behörde ausdrücklich als „nachgewiesen“ oder „glaubhaft gemacht“ zu bestätigen. Die beiden Voten unterscheiden sich dadurch, dass bei einer Glaubhaftmachung gegenüber dem Nachweis ein geringeres Maß behördlicher Überzeugungsgewinnung ausreicht. Dementsprechend hat die Ausländerbehörde der Stadt K. in Ansehung der vorgesehenen Aufenthaltsdauer der eingeladenen Mutter der Klägerin und der Angabe des Netto-Einkommens der Klägerin („ca. 1600.- €“ bzw. „ca. 1500,- €“, jeweils auf dem Formblatt vermerkt) die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin als nachgewiesen erachtet.
17
Ein atypischer Ausnahmefall kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin begründet sein, dass für den Aufenthalt des Ausländers nicht nur – wie im Regelfall – allein oder ganz überwiegend private Gründe ausschlaggebend waren, sondern es sich insoweit auch um eine vornehmlich öffentliche Angelegenheit (wie die Aufnahme bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge) handelt und die Behörden damit eine Mitverantwortung für die Risikoentscheidung getroffen haben (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1998, a.a.O.). Hat der Erklärende jedoch – wie vorliegend – für eine allein privaten Zwecken dienende Einreise von Ausländern zu Besuchszwecken gegenüber der entgegennehmenden Behörde ausdrücklich erklärt, aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation in der Lage zu sein, den Unterhaltsbedarf der eingeladenen Ausländer zu decken, so kann er der Behörde später nicht entgegenhalten, sie habe seine Bonität nicht ausreichend geprüft (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand 4/2017, § 68 AufenthG Rn. 43). Anders als in der dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 1998 zugrunde liegenden Fallkonstellation, die die Aufnahme von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen im Jahr 1992 betraf, war im vorliegenden Fall der im Visumverfahren geltend gemachte Aufenthaltszweck für die Mutter der Klägerin rein privater Natur und keine durch eine politische Leitentscheidung oberster Landes- und Bundesbehörden begründete öffentliche Angelegenheit. Mit ihren Verpflichtungserklärungen hat die Klägerin vielmehr vollumfänglich das Risiko übernommen, dass ihre Mutter das Bundesgebiet nicht rechtzeitig vor Ablauf der Geltungsdauer des Besuchsvisums verlässt, sondern den Aufenthaltszweck durch die Asylantragstellung ändert und während des Asylverfahrens öffentliche Leistungen in Anspruch nimmt. Schließlich begründet auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus für die Mutter der Klägerin durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 6. Oktober 2017 keinen Umstand, der eine Ermessensentscheidung als notwendig erscheinen ließe, um rückwirkend für die Zeit des Asylverfahrens eine gerechte Lastenverteilung zwischen Klägerin und öffentlicher Hand ermöglichen zu können (vgl. insoweit bei Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft BVerwG, U.v. 13.2.2014, a.a.O., juris Rn. 17).
18
Da vorliegend – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – keine Anhaltspunkte für einen atypischen Ausnahmefall bestehen, durfte der Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid die Klägerin ohne weitere Ermessenserwägungen zur Kostenerstattung in Anspruch nehmen, die auch die geleisteten Aufwendungen für die Versorgung im Krankheitsfall umfasst. Dass mit einer Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die nach ihrem Wortlaut ausdrücklich auch Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall („z.B. Arztbesuch, Medikamente, Krankenhausaufenthalt“) umfasst, ein schwer abschätzbares Haftungsrisiko eingegangen wird, ist einer Verpflichtungserklärung immanent (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.1998, a.a.O., juris Rn. 50). Wird für einen Begünstigten eine Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG abgegeben, und nimmt dieser nach Einreise im Bundesgebiet und nachfolgender Asylantragstellung Mittel zur Krankenversorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch, so verwirklicht sich das mit der Verpflichtungserklärung eingegangene typische Haftungsrisiko. Unabhängig davon wurde der Klägerin aber auch auf Antrag Ratenzahlung oder Stundung angeboten, was diese mit Ratenzahlungen in Höhe von 60,- EUR/Monat ab September 2021 auch angenommen hat.
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Soweit die Klägerin rügt, dass die Ausländerbehörde die Einkommensprüfung nur für den Besuchszweck vornimmt und nicht für einen dauerhaften Aufenthalt und die Klägerin deshalb davon ausgehen durfte, dass sie nur während des Zeitraumes von insgesamt sechs Monaten pro Jahr hafte, kann dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
20
Wie bereits ausgeführt, hat die zuständige Ausländerbehörde die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin als nachgewiesen erachtet. Wie bereits ausgeführt, ist vorliegend von einer hinreichenden Bonitätsprüfung der Klägerin im Rahmen der Annahme der Verpflichtungserklärung und dem Vorliegen eines Regelfalls auszugehen. Eine umfassende Bonitätsprüfung, die über die Angaben des Verpflichtungsgebers hinausreicht, wird durch Erwägungen der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit nicht gefordert (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 3/2020, § 68 AufenthG Rn. 47). Bei einem NettoMonatseinkommen von ca. 1.600,- EUR (Verpflichtungserklärung vom 5. Februar 2013) bzw. 1.500,- EUR (Verpflichtungserklärung vom 6. Juni 2014), ersichtlich keinen weiteren Unterhaltsverpflichtungen der Klägerin und der Erstreckung der Verpflichtungserklärung auf nur eine eingeladene Person erscheint das Ergebnis der vorgenommenen Bonitätsprüfung nicht als fehlerhaft. Insbesondere überschreitet das angegebene Nettoeinkommen der Klägerin auch die Pfändungsfreigrenzen nach den §§ 850 ff. ZPO (Behördenakte Bl. 210).
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Soweit die Klägerin rügt, dass die Hinauszögerung bei der Umverteilung der Mutter der Klägerin zu ihr nach K. dazu geführt hätte, dass sie nun mit dem Betrag von ca. 15.000,- EUR in Anspruch genommen werde und dieser Umstand dem Beklagten ebenfalls bekannt gewesen sei und in seiner Entscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, kann auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Ausweislich der beigezogenen Behördenakte wurde erstmalig mit Schreiben vom 20. März 2017, eingegangen beim Landratsamt W. am 25. April 2017, von der Klägerin ein „Versetzungsantrag“ nach K. für ihre Mutter gestellt (Behördenakte Bl. 99). Am 23. Juni 2017 wurden dann von der Klägerin für ihre Mutter und am 3. Juli 2017 von der Mutter der Klägerin jeweils korrekte länderübergreifende Umverteilungsanträge gestellt (Behördenakte Bl. 87 f.). Da jedoch die mit dem streitgegenständlichen Bescheid zurückgeforderten Asylbewerberleistungen sich nur auf den Zeitraum vom 7. Januar 2015 bis zum 5. Juni 2017 beziehen, ist eine „Hinauszögerung“ bei der Umverteilung, die nun zu einer Inanspruchnahme mit einem Betrag von ca. 15.000,- EUR führen würde, nicht im Ansatz zu erkennen. Vielmehr endet der Zeitraum für die geltend gemachte Inanspruchnahme, bevor überhaupt erst ein korrekter länderübergreifender Umverteilungsantrag gestellt worden war. Daher ist eine „Hinauszögerung“ bei der Umverteilung nicht zu erkennen; eine Berücksichtigung bei der Entscheidung des Beklagten über die Rückforderung scheidet daher aus.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es im Hinblick auf § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG nicht.
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).