Titel:
Abschiebung mit Vorkehrungen zur Begegnung einer Suizidgefahr
Normenketten:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 2c
AsylG § 42
Leitsatz:
Für die Beurteilung einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne ist allein der Zeitraum bis zur Übergabe des Betroffenen an die Behörden des Zielstaats in den Blick zu nehmen; die in ärztlichen Stellungnahmen geschilderte Gefahr, „im Falle eines Abbruchs der Behandlung“ sei „mit einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen“ und „mit Sicherheit davon auszugehen, dass es unverzüglich [im Fall eines Behandlungsabbruchs] zu einer psychischen Dekompensation mit Suizid kommen wird“, genügt dafür nicht. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reisefähigkeit, Suizidgefahr, Abschiebung, Reiseunfähigkeit, qualifiziertes Attest, Behandlungsabbruch, inlandsbezogenes Abschiebungshindernis
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 17.10.2022 – W 7 E 22.1516
Fundstellen:
InfAuslR 2023, 182
LSK 2023, 2756
BeckRS 2023, 2756
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2022 in den Nrn. I und II geändert und der Antrag des Antragstellers auf Verpflichtung des Antragsgegners, bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels jegliche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn einzustellen und zu unterlassen sowie ihm eine Duldung für dieses Verfahren zu erteilen, mit den Maßgaben abgelehnt,
- dass im Falle einer Abschiebung des Antragstellers während des gesamten Abschiebevorgangs eine Sicherheitsbegleitung und eine ärztliche Begleitung sichergestellt sind,
- dass eine Übergabe des Antragstellers im Herkunftsland an einen vorab über die Krankheitsgeschichte des Antragstellers informierten Arzt erfolgt,
- dass das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba über eine ggf. erforderliche Behandlung des Antragstellers und dessen Ankunft im Herkunftsland frühzeitig informiert wird,
- dass der Arzt, an den der Antragsteller übergeben wird, von der Vorabinformation des Hospitals Kenntnis erlangt, und,
- dass der Antragsteller mit der für ihn notwendigen Medikation für einen Zeitraum von einem Monat ausgestattet wird.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
2
Der Antragsgegner wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2022, mit dem er im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, den am 24. März 2002 geborenen, am 15. Juni 2018 mit einem schwedischen Schengen-Visum in das Bundesgebiet eingereisten, zunächst als Minderjährigen in Obhut genommenen, nach Erreichen seiner Volljährigkeit im Asylverfahren erfolglosen (die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz wurden mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.6.2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; ablehnender verwaltungsgerichtlicher Eilbeschluss vom 16.7.2020; Klageabweisung als offensichtlich unbegründet mit verwaltungsgerichtlichem Urteil vom 14.1.2021), im Anschluss bis zur Vorlage eines bis zum 2.6.2027 gültigen nigerianischen Reisepasses wegen fehlender Reisepapiere geduldeten und auch im – unter Vorlage des Attestes vom 12. Oktober 2022 und unter Hinweis auf die drastische Verschlechterung des psychischen Zustands des Antragstellers und die stark verschlimmerte Situation in Nigeria betriebenen – Asylfolgeverfahren erfolglosen (den Asylfolgeantrag als unzulässig und den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 29.6.2020 bezüglich der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ablehnender Bescheid des Bundesamtes vom 14.10.2022; ablehnender verwaltungsgerichtlicher Eilbeschluss vom 17.10.2022 <W 8 E 22.30724>) Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, vorläufig bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den am 24. Juni 2022 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG nicht abzuschieben.
3
Das Verwaltungsgericht führt in seinem Beschluss zur Begründung aus, im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehende Abschiebung des Antragstellers sei ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zudem habe der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG glaubhaft gemacht. Der Abschiebung des Antragstellers ständen vorliegend rechtliche Gründe entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob dem Antragsteller nach Vorlage des ärztlichen Attests vom 12. Oktober 2022 ein Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund einer etwaigen Vereitelung des Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25a Abs. 1 AufenthG zustehe. Jedenfalls stehe der Abschiebung des Antragstellers ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aufgrund bestehender Reiseunfähigkeit zu. Der Antragsteller habe zur Begründung seines Duldungsbegehrens nunmehr ein fachärztliches Attest des Medizinischen Diagnostik- und Therapiezentrums W. vom 12. Oktober 2022 vorgelegt, in welchem ihm Reiseunfähigkeit bescheinigt werde. Angesichts der ausführlichen, substantiierten und nachvollziehbaren Darstellung des vorliegenden Krankheitsbildes im Attest jedenfalls in Bezug auf die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig in einer schweren Episode (F33.2), folge das Gericht der Einschätzung, dass der Antragsteller derzeit reiseunfähig sei. Offenbleiben könne dabei, ob tatsächlich eine vollständige Transportfähigkeit (hinsichtlich aller Transportmittel und auch unter der Voraussetzung der ärztlichen Begleitung) anzunehmen sei. Nach der Überzeugung des Gerichts lägen jedenfalls eine die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – hindernde erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) vor, weil die fachärztlich festgestellte Erkrankung sich durch die Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Suizidgefahr) und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden könnte. Eine Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamts bestehe für die Frage, ob ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aufgrund bestehender Reiseunfähigkeit vorliege, nicht, da eine solche nur in Bezug auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse anzunehmen sei (vgl. § 42 Satz 1 AsylG).
4
Die in der Beschwerdebegründung angeführten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdegericht grundsätzlich zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
5
Zur Begründung der Beschwerde führt der Antragsgegner aus, rechtlichen Bedenken begegne die Entscheidung bereits insoweit, als das Verwaltungsgericht die vorläufige Verpflichtung bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgesprochen habe. Der Antragsteller habe mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 im erstinstanzlichen Verfahren den Antrag gestellt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum Abschluss der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels jegliche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn einzustellen und zu unterlassen sowie ihm eine Duldung für dieses Verfahren zu erteilen. Dieser Antrag sei nach seinem Wortlaut und angesichts der Tatsache, dass er von einer Rechtsanwältin formuliert worden sei, so zu verstehen, dass die Aussetzung von Abschiebungsmaßnahmen bis zu einer behördlichen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt werde. Der entsprechende Antrag sei am 24. Juni 2022 gestellt worden, eine Entscheidung darüber sei bis heute noch nicht erfolgt. Mit seiner Verpflichtung, den Antragsteller bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Antrag nicht abzuschieben, gehe das Verwaltungsgericht daher entgegen § 88 VwGO, der auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Geltung beanspruche, über das Antragsbegehren in unzulässiger Weise hinaus. Dies sei auch insofern problematisch, als sich aus der Begründung des Antrags vom 14. Oktober 2022 eindeutig ergebe, dass dieser (nachdem ein erster Eilrechtsschutzantrag erst kurz zuvor am 6. Oktober 2022 abgelehnt worden sei) allein im Hinblick auf die unter Vorlage des neuen Attests vom 12. Oktober 2022 behauptete Reiseunfähigkeit gestellt worden sei. Die Verpflichtung zur vorläufigen Aussetzung der Abschiebung bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Erteilungsantrag wegen der Reiseunfähigkeit – die regelmäßig nur ein vorübergehendes Abschiebungshindernis darstelle – hätte zur Folge, dass der Antragsteller unter Umständen länger zu dulden wäre als seine Reiseunfähigkeit überhaupt andauere. Angesichts der im vorangegangenen Eilverfahren vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach kein Erteilungsanspruch bestehe, sei durchaus mit einer längeren Dauer bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Erteilungsantrag zu rechnen. Die erstinstanzliche Entscheidung begegne aber darüber hinaus in erster Linie insofern Zweifeln an ihrer Richtigkeit, als das Verwaltungsgericht nach Vorlage des ärztlichen Attests vom 12. Oktober 2022 angenommen habe, der Antragsteller sei reiseunfähig und könne sich deshalb auf ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sei ein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden, da die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) durch die im Antragsverfahren vorgelegte fachärztliche Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 nicht widerlegt worden sei. Ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 seien über die Erhebung eines psychopathologischen Befundes die Diagnosen „rezidivierende depressive Störung, ggw. schwere Episode (ICD-10: F33.2)“ und „posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10): F 43.1)“ sowie nebenbefundlich eine „Migräne mit Aura (ICD-10: G43.0)“ gestellt worden. In der ärztlichen Stellungnahme werde ausgeführt, infolge der posttraumatischen Belastungsstörung imponiere wiederholtes Erleben des Traumas. Der Antragsteller habe gegenüber den behandelnden Personen berichtet, die traumatischen Ereignisse innerhalb der letzten Monate intensiv wiedererlebt und auslösende Situationen zunehmend gemieden zu haben. Laut den behandelnden Personen sei der Antragsteller teilweise unfähig, einige wichtige Teile der traumatisierenden Erfahrung zu erinnern und er berichte über Symptome, die für eine deutlich erhöhte psychische Sensitivität sprächen, v.a. Ein- und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz und erhöhte Schreckhaftigkeit. Außerdem habe der Antragsteller gegenüber den behandelnden Personen von beträchtlichen negativen Veränderungen seiner Stimmungslage berichtet. Nachdem sich die langjährige depressive Erkrankung im laufenden Kalenderjahr infolge einer hoffnungsvollen Bleibeperspektive erfreulich entwickelt habe, sei es – ausweislich der Stellungnahme – mit dem Entzug der Duldung vor ca. drei Wochen zu einer erheblichen Verschlechterung mit einer bedenklichen Zunahme suizidaler Absichten gekommen. Laut den behandelnden Personen sei der Antragsteller emotional völlig instabil und zeige erhebliche selbstgefährdende Handlungen und suizidale Gedanken. Im Fall eines Abbruchs der Behandlung sei mit einer gravierenden Gesundheitsverschlechterung zu rechnen. Es sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass es unverzüglich zu einer psychischen Dekompensation mit Suizid kommen werde, sodass insofern Reiseunfähigkeit bestehe. Diese fachärztlichen Ausführungen seien nicht geeignet, das ernsthafte Risiko einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers durch den Vorgang der Abschiebung zu validieren. Werde das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt (hier die Ermordung der Eltern des Antragstellers im Jahr 2015 – nach den Angaben des Antragstellers im Asylverfahren allerdings 2016 – und die länger anhaltenden gewaltsame Misshandlung durch die Tante) und würden die Symptome erst längere Zeit nach ihrer Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so sei in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden sei. An einer solchen Erklärung fehle es vorliegend. Der Antragsteller sei im Jahr 2018 über Schweden nach Deutschland eingereist. Nach Schweden sei er mit einem Visum gekommen, um dort bei einem Fußball-Probetraining teilzunehmen, was er ausweislich seiner Angaben im Asylverfahren als persönliche Chance gesehen habe. Als er das Training in Stockholm verpasst habe, sei er – ohne zu wissen, wohin er fahre – mit dem Zug nach Frankfurt gefahren, weil er nicht nach Nigeria habe zurückkehren wollen. Obwohl ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 die psychische Erkrankung des Antragstellers bereits vor der Flucht im Herkunftsland begonnen habe und eine langjährige depressive Erkrankung bestehe, sei diese erstmals mit fachärztlicher Stellungnahme vom 19. Mai 2021 bescheinigt und eine sozialpsychiatrische Behandlung laut Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 erst am 19. April 2021 und damit in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens im Januar 2021 begonnen worden. Im Asylverfahren habe der Antragsteller zwar von der Ermordung seiner Eltern und der schlechten Behandlung durch seine Tante berichtet, weder sei aber die Ausreise deswegen erfolgt noch habe er im Verlauf des Asylverfahrens irgendwelche psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen geltend gemacht und habe von keinerlei bestehenden Traumata oder dem Wunsch nach einer psychotherapeutischen Behandlung berichtet. Ein solcher Bedarf sei offenbar auch während der Zeit seiner Inobhutnahme nicht gesehen worden. Eine Erklärung dafür, insbesondere wieso und aufgrund welcher Erkenntnisse von einer langjährig und schon im Heimatland bestehenden psychischen Erkrankung des Antragstellers ausgegangen werde, bleibe die ärztliche Stellungnahme schuldig. Abgesehen davon, dass die Annahme des traumatisierenden Erlebnisses offenbar allein auf den Schilderungen des Antragstellers beruhe und die behandelnde Ärztin offenbar infolge dessen davon ausgegangen sei, der Antragsteller sei deswegen aus Nigeria geflohen (was indes nicht den im Asylverfahren von ihm selbst geschilderten Tatsachen entspreche), werde eine sich angesichts dieser zeitlichen Zusammenhänge aufdrängende Instrumentalisierung von Krankheitssymptomen weder in der ärztlichen Stellungnahme noch vom Verwaltungsgericht erwogen. Dies gelte insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass noch in dem vorangegangenen Eilverfahren eine mögliche Reiseunfähigkeit von Antragstellerseite nicht thematisiert worden sei und erst nachdem in dem Beschluss vom 6. Oktober 2022 die in der Akte befindliche ärztliche Stellungnahme vom 19. Mai 2021 als nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügend angesehen worden sei, offenbar unverzüglich die neue Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 angefordert und erstellt worden sei, in der aber noch nicht einmal erwähnt werde, ob und wann die letzte Untersuchung bzw. der letzte Therapietermin stattgefunden habe. Eine kunstgerechte Traumadiagnose ergebe sich aus der ärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 daher nicht. Insofern werde auch auf den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Oktober 2022, wonach es an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung der behandelnden Ärztin mit den Angaben des Antragstellers fehle, verwiesen. Auch wenn das Verwaltungsgericht – möglicherweise wegen eigener Zweifel an der Validität der Diagnose einer PTBS – das Attest vom 12. Oktober 2022 „jedenfalls“ in Bezug auf die aufgeführte Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung als den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechend angesehen habe, schlügen die Zweifel an dem ärztlichen Attest betreffend die PTBS auch auf die Diagnose der rezidivierenden depressiven Störung durch, da die sich aus den diagnostizierten Erkrankungen ergebenden Folgen, die sich nach ärztlicher oder therapeutischer Beurteilung der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergäben, zusammengefasst dargestellt und die gestellten Diagnosen nicht getrennt fachlich-medizinisch beurteilt würden und auch eine gesonderte Therapie nicht erkennbar sei. Aus der ärztlichen Stellungnahme sei daher nicht ersichtlich, welcher Behandlungsbedarf und welche Folgen sich aus der diagnostizierten depressiven Episode (in Absehung von den traumatischen Ereignissen und der PTBS) ergäben. Anders als vom Verwaltungsgericht dargestellt, erscheine die Diagnose der depressiven Störung daher mit der PTBS verwoben und könne im Hinblick auf die Reisefähigkeit nicht getrennt von dieser betrachtet werden. Auch sei in der ärztlichen Stellungnahme insofern von einem komplexen Störungsbild die Rede, das einen multimodalen Behandlungsansatz vorsehe. Bei derart komplexen Störungsbildern sei – laut ärztlicher Stellungnahme – eine kombinierte Behandlung mithilfe geeigneter Psychopharmaka und einer psychotherapeutischen Behandlung dringend indiziert und in diesem Sinne sei eine antidepressive Behandlung eingeleitet worden und hätten psychotherapeutische Behandlungstermine stattgefunden. Insofern sei allerdings zu konstatieren, dass die Frequenz der psychotherapeutischen Beratungsgespräche mit einem Abstand von 4-6 Wochen angegeben werde und die medikamentöse Behandlung mit Lasea erfolge. Dabei handle es sich um ein rezeptfrei in der Apotheke erhältliches Arzneimittel aus der Gruppe der sog. pflanzlichen Psychopharmaka, das gegen innere Unruhe, Angstgefühle und daraus resultierende Schlafstörungen helfe. Ausweislich der ärztlichen Stellungnahme vom 19. Mai 2021 sei (seit 19.4.2021) eine schlafanstoßende Medikation mit Lasea erfolgt, erst in der Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 werde eine antidepressive Medikation mit Lasea beschrieben. Dies lasse sich mit der andererseits als schwerwiegend charakterisierten Erkrankung, der dringenden Therapieerforderlichkeit und der lt. Stellungnahme bedeutsamen Zunahme des Suizidrisikos im Fall des Behandlungsabbruchs nur schwer in Einklang bringen und erwecke eher den Anschein einer nur niederschwelligen Behandlungsbedürftigkeit. In diesem Zusammenhang falle auch auf, dass dem Antragsteller bescheinigt werde, durch die komplexe Symptomatik in seiner Lebensführung besonders stark eingeschränkt zu sein und unter seiner psychiatrischen Erkrankung in beträchtlichem Maß zu leiden, während auf der anderen Seite ein Empfehlungsschreiben des Sportvereins H. vom 29. Mai 2022 vorgelegt worden sei, nach dem der Antragsteller durch seine unbeschwerte und lockere Art die Mannschaft bereichere, noch mehr als bisher in die Betreuung von Kindern und Jugendlichen eintreten und eine eigene Jugendmannschaft übernehmen wolle und der Antragsteller zudem plane, eine Ausbildung zum Sozialpfleger zu machen. Auch im Rahmen der am 12.Oktober 2022 eingereichten Petition zum Bayerischen Landtag sei die Rede davon, dass der Antragsteller aktiv Fußball spiele, sich im Verein ehrenamtlich engagiere, einen großen Freundeskreis habe und dass ihm seine Ausbildung große Freude mache, er beim Lernen ambitioniert sei und bisher gute Noten erhalten habe. In Anbetracht der obenstehenden Erwägungen habe sich das Verwaltungsgericht mit der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 nicht hinreichend auseinandergesetzt und diese zu Unrecht als den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügend angesehen und die Reiseunfähigkeit des Antragstellers angenommen, indem es nach inhaltlicher Wiedergabe der Stellungnahme zur Begründung seiner Entscheidung lediglich ausgeführt habe, es lägen zur Überzeugung des Gerichts „jedenfalls eine die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – hindernde erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) vor, weil die fachärztlich festgestellte Erkrankung sich durch die Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Suizidgefahr)“. Es fehlten auch jegliche Erwägungen sowohl der behandelnden Ärztin in der Stellungnahme vom 12. Oktober 2022, als auch des Verwaltungsgerichts in der angegriffenen Entscheidung zu möglichen Sicherungs- und Begleitmaßnahmen, mit deren Hilfe einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands während des Abschiebungsvorgangs und nach Ankunft im Zielstaat begegnet werden könnte. Die Negierung einer Reisefähigkeit in der ärztlichen Bescheinigung vom 12. Oktober 2022, da wegen des hohen Suizidrisikos eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretende Verschlechterung des Krankheitszustands zu erwarten sei, wenn die Behandlung abgebrochen werde, sei ohne nähere Ausführungen zur möglicher Medikation oder Sicherungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Intention, besondere Anforderungen an die Validität ärztlicher Bescheinigungen gerade bei behaupteter Suizidgefahr zu stellen, ungeeignet, die Annahme einer fehlenden Reisefähigkeit im weiteren Sinne zu begründen. Auch das Verwaltungsgericht habe dazu keine weiteren Ausführungen gemacht, obwohl der Antragsgegner mit Schreiben vom 17. Oktober 2022 ausdrücklich mitgeteilt habe, dass die für den 18. Oktober 2022 geplante Abschiebung des Antragstellers nach Nigeria im Rahmen einer Sammelrückführung stattfinde und der Flug von München nach Lagos sowohl von Beamten der Bundespolizei als auch von ärztlichem Personal begleitet werde, sodass es während des Transports nicht zu suizidalen Handlungen kommen könne. Da die Sammelrückführung bei den nigerianischen Behörden angekündigt sei, könne der Antragsteller dort in Empfang genommen und weiter gegebenenfalls weiter betreut werden. Mit diesem Vorbringen habe sich das Verwaltungsgericht indes in keiner Weise auseinandergesetzt und sei – ohne dies zu begründen oder näher zu erläutern – pauschal zu Unrecht davon ausgegangen, dass es keine Vorkehrungen gäbe, die eine Suizidgefahr während des Abschiebevorgangs und unmittelbar bei Eintreffen im Heimatland ausschließen oder mindern könnten. Abweichend von der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei indes nicht ersichtlich, inwieweit sich durch den Abschiebevorgang ein ernsthaftes Risiko einer lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterung ergeben könnte, dem nicht durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen wie medizinische Begleitung, Medikamentenbevorratung etc. begegnet werden könnte. Soweit es um die Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach der Rückkehr des Antragstellers nach Nigeria gehe, wenn der Stress des reinen Abschiebevorgangs, die „Reise“ abgeschlossen sei, selbst wenn ihm Medikamente mitgegeben würden, handle es sich insoweit um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, das der Beurteilung durch Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht wegen der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG entzogen sei (vgl. hierzu den Beschluss des VG Würzburg im Asylfolgeverfahren des Antragstellers vom 17.10.2022: das Gericht sei dort ebenfalls davon ausgegangen, dass es sich bei der ärztlichen Stellungnahme vom 12.10.2022 nicht um eine die Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG erfüllende qualifizierte ärztliche Bescheinigung handle und es an einer qualifizierten ärztlichen Aussage zu einem eventuell vorliegenden zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis fehle). Bei der konkludent auch geltend gemachten psychischen Belastung aufgrund des Lebens im Heimatland handle es sich um aus der Situation im Zielstaat resultierende Umstände, nicht jedoch um inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis.
6
Die Rügen greifen durch.
7
Der Senat vermag der Auffassung des Verwaltungsgerichts, es liege eine die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – hindernde erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) vor, weil die fachärztlich festgestellte Erkrankung sich durch die Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Suizidgefahr) und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden könnte, auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren (insbesondere dem Ergänzungsgutachten vom 21.11.2022) nicht zu folgen.
8
Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist u.a. dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn; vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 13). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote.
9
Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 13).
10
Selbst bei Annahme einer – wie hier – nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer behaupteten Reiseunfähigkeit und einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).
11
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390 –) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Legt der Ausländer ärztliche Fachberichte vor, sind diese zum Beweis für ein Abschiebungshindernis nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben, wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – 11 S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zu den prognostizierten Folgerungen kommt und welche Tatsachen dieser Einschätzung zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7). Eine ärztliche Bescheinigung ist mithin nur dann i.S.v. § 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG als qualifiziert anzusehen und zur Glaubhaftmachung geeignet, wenn sie von der Ausländerbehörde in groben Zügen nachvollzogen werden kann. Erschließen sich die Gründe für die Reiseunfähigkeit des Ausländers nicht schon aus der Diagnose oder sonstigen Feststellungen in der ärztlichen Bescheinigung von selbst, muss das zur Glaubhaftmachung hierzu vorgelegte ärztliche Attest eine nachvollziehbare Begründung enthalten. Dies gilt vor allem bei diagnostizierten psychischen Erkrankungen oder Störungen, wenn das ärztliche Attest die Reiseunfähigkeit nur behauptet, aber nicht begründet, da die Reisefähigkeit in der Regel durch begleitende Maßnahmen (Verabreichung von Medikamenten, polizeiliche oder ärztliche Begleitung des gesamten Abschiebevorgangs, Übergabe an medizinisches Personal im Herkunftsland) sichergestellt werden kann (vgl. SächsOVG, B.v. 22.8.2019 – 3 B 394/18 – juris Rn. 12 f.).
12
Der Zweck der gesetzlichen Vermutung nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird in der Gesetzbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18 ff.) folgendermaßen umschrieben: „Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oft werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind (…). Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben nach Satz 1 (die Gesetzesbegründung bezieht sich hier auf § 60 Abs. 7 AufenthG) darstellen (…). Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert (…). Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren.“
13
Wenngleich die Einschätzung einer Erkrankung oder deren Beeinträchtigung durch den Abschiebungsvorgang nach dem Willen des Gesetzgebers der fachlichen Beurteilung von approbierten Ärzten vorbehalten sein soll, obliegt die Entscheidung über die Unmöglichkeit einer Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit den Ausländerbehörden und Gerichten. Dies macht es erforderlich, dass ein Gutachten nur dann im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG als qualifiziert anzusehen und zur Glaubhaftmachung geeignet ist, wenn es von der Ausländerbehörde in groben Zügen nachvollzogen werden kann. Erschließen sich die Gründe für die Reiseunfähigkeit des Ausländers nicht schon aus der Diagnose oder sonstigen Feststellungen im ärztlichen Attest von selbst, muss das zur Glaubhaftmachung hierzu vorgelegte Attest eine nachvollziehbare Begründung enthalten.
14
Ausgehend davon liegt eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung aufgrund einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers nicht vor.
15
Zwar wurde in der im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme des Medizinischen Diagnostik- und Therapiezentrums W. vom 12. Oktober 2022 (unterzeichnet von der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. med. J.H. und dem Diplom-Psychologen D.S.) eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers (wegen des hohen Suizidrisikos) angenommen. Es wird darin u.a. ausgeführt, dass die beim Antragsteller vorliegende Symptomatik die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD10 F43.1) sowie einer rezidivierend depressiven Störung, ggw. schwere Episode (ICD10 F33.2) erfülle. Infolge der posttraumatischen Belastungsstörung imponiere wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks), Albträumen oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die dem traumatischen Erlebnis ähneln oder mit ihm im Zusammenhang stehen. Der Antragsteller berichte, die traumatischen Ereignisse innerhalb der letzten Monate intensiv wiedererlebt und auslösende Situationen zunehmend gemieden zu haben. Weiterhin falle die teilweise Unfähigkeit auf, einige wichtige Teile der traumatisierenden Erfahrung zu erinnern. Es würden zudem anhaltende Symptome berichtet, die für eine deutlich erhöhte psychische Sensitivität und Erregung sprächen (sog. Hyperarousal). Hierbei seien im konkreten Fall v.a. Ein- und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz und erhöhte Schreckhaftigkeit zu nennen. Der Antragsteller berichte außerdem von beträchtlichen negativen Veränderungen seiner Stimmungslage. Nachdem sich die langjährige depressive Erkrankung im laufenden Kalenderjahr infolge einer hoffnungsvollen Bleibeperspektive erfreulich entwickelt hätte, sei es mit dem Entzug der Duldung vor ca. drei Wochen zu einer erheblichen Verschlechterung gekommen. Symptomatisch fielen in diesem Zusammenhang eine zunehmende Freudlosigkeit, anhaltende Trauer mit kognitiver Perseveration (Grübelneigung), Antriebsmut, Interessenverlust, Hoffnungslosigkeit und eine bedenkliche Zunahme suizidaler Absichten auf. Der Antragsteller sei durch die komplexe Symptomatik in seiner Lebensführung besonders stark eingeschränkt und leide in beträchtlichem Maße unter seiner psychiatrischen Erkrankung. Vor dem Hintergrund einer vulnerablen Persönlichkeit und der häufigen Erfahrung, dass wesentliche Grundbedürfnisse nicht auf zuverlässige Weise befriedigt werden könnten, lasse sich v.a. in mehreren traumatisierenden Erlebnissen eine Ursache für die Entstehung der Erkrankung finden. Hierbei sei insbesondere die Ermordung beider Elternteile 2015 durch nigerianische Terroristen und anhaltende gewaltsame Misshandlung durch die Tante, von der der Antragsteller nach dem Tod der Eltern betreut worden sei, zu nennen. Gemäß der Leitlinien der WHO sei bei derart komplexen Störungsbildern eine kombinierte Behandlung mithilfe geeigneter Psychopharmaka und einer psychotherapeutischen Begleitung dringend indiziert. In diesem Sinne sei eine antidepressive Behandlung zur emotionalen Stabilisierung eingeleitet worden. Des Weiteren hätten psychotherapeutische Behandlungstermine stattgefunden, bei denen psychoedukativ und verhaltenstherapeutisch an der Symptomatik und dem zugrundeliegenden Bedingungsgefüge gearbeitet worden sei. Eine alleinig medikamentöse Behandlung gemäß den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation gelte als obsolet. Es sei von einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes auszugehen, sollten die psychotherapeutische Behandlung und die beraterischen Interventionen der Lebensumwelt ausgesetzt werden. Im konkreten Fall sei unter anderem von einer bedeutsamen Zunahme panikartiger Ängste, gravierenden Schlafstörungen, einer Zunahme körperlicher Beschwerden, der Gefahr von unkontrolliertem Substanzmissbrauch und letztlich von suizidalen Handlungen des Antragstellers auszugehen. Seit dem Entzug der Duldung vor drei Wochen sei der Antragsteller emotional völlig instabil und zeige erhebliche selbstgefährdende Handlungen und suizidale Gedanken. Ein stabiles psychosoziales Umfeld im Herkunftsland, in das der Antragsteller zurückkehren könnte, bestehe aufgrund fehlender verlässlicher Kontakte nicht. Im Falle eines Abbruchs der Behandlung sei aufgrund der Komplexität mit vulnerabler Persönlichkeit, Bestehen mehrerer psychischer Diagnosen und hohem Verzweiflungsgrad mit einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen. Des Weiteren vereine der Antragsteller zahlreiche Faktoren, bei denen eine bedeutsame Zunahme des Suizidrisikos nachgewiesen sei. Hierzu gehörten der Umstand der akuten Perspektivlosigkeit, die fehlende soziale Unterstützung, das männliche Geschlecht, der hohe familiäre Verzweiflungsgrad, die öffentliche Ankündigung von Suizidgedanken und wiederkehrende Suizidversuche. Es sei im konkreten Fall daher mit Sicherheit davon auszugehen, dass es unverzüglich zu einer psychischen Dekompensation mit Suizid kommen werde. Insofern bestehe Reiseunfähigkeit, da wegen des hohen Suizidrisikos eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretende Verschlechterung des Krankheitszustandes zu erwarten sei. Nur eine zeitnahe Intervention aus Medikation, Langzeit-Psychotherapie und stabilem sozialen Umfeld könne den Gesundheitszustand verbessern. Aufgrund des chronischen Verlaufs der psychischen Erkrankung, die bereits vor der Flucht im Herkunftsland begonnen habe, sei von einem schweren Behandlungsverlauf auszugehen. Eine Chronifizierung sei bereits eingetreten. Es könnten daher keine verlässlichen Aussagen über die Dauer der Behandlung getroffen werden. Diese sei insbesondere davon abhängig, wie viel Sicherheit, Stabilität und Perspektive ein Patient in seinem derzeitigen Lebensalltag erlebe. Jedoch seien Behandlungsdauern bei derart gravierenden Störungsbildern von unter drei Jahren nach dem letzten Erkrankungsgipfel äußerst selten erfolgversprechend. Trotz der derzeit noch gravierenden Beeinträchtigungen sei bei konsequenter Fortsetzung der jetzigen multimodalen Therapie die Prognose vor dem Hintergrund der mustergültigen Integrationsambitionen des Antragstellers als besonders günstig einzuschätzen.
16
Auch nach erneuter und intensiver Reflektion über die Diagnosestellung, die sich daraus ergebenden therapeutischen Implikationen und die entsprechenden juristischen Auswirkungen gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG wiederholte das medizinische Diagnostik- und Therapiezentrum W. im als Reaktion auf die Ausführungen des Antragsgegners im Rahmen der Beschwerdebegründung erstellten und mit Schriftsatz vom 25. November 2022 vorgelegten Ergänzungsgutachten vom 21. November 2022 (unterschrieben vom Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. med. K.-U. O., dem Diplom-Psychologen D.S. und U.B. in Vertretung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. med. J.H.) nachdrücklich die Ausführungen in der Stellungnahme vom 12. Oktober 2022. Darin wird u.a. ausgeführt, im Fall des Antragstellers seien alle erforderlichen diagnostischen Methoden gemäß der Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) kunstgerecht angewendet worden. Die vorliegende Symptomatik erfülle dabei die entsprechenden Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD10 F43.1) sowie einer rezidivierend depressiven Störung, ggw. schwere Episode (ICD10 F33.2). Das Erscheinungsbild psychischer Erkrankungen werde zumeist durch kompensatorische Bestrebungen verformt. Menschen seien nicht einzig und alleine psychisch krank, sondern sie griffen auch in Lebenskrisen auf Ressourcen zurück, die ihnen dabei helfen könnten, die Symptomschwere zu modulieren. Brächen diese Kompensationsstrategien jedoch weg, so werde die psychische Erkrankung in Gänze sichtbar (sog. Dekompensation). Häufiger als vielfach angenommen trete im Mittel bei ca. 25% der PTBS-Fälle das Vollbild der Posttraumatischen Belastungsstörung erst nach mehr als 6 Monaten auf. Verläufe, bei denen sich die Symptomatik sogar erst nach mehreren Jahren voll entfalte, seien nach aktueller Forschungslage ebenfalls nicht selten. Zudem gelte es zu beachten, dass nach Auftreten der Symptomatik und der Inanspruchnahme erster Hilfsangebote bis zur gesicherten Diagnosestellung häufig weitere Zeit verstreiche, in der die Kriterien zwar längst erfüllt seien, die entsprechende Diagnose aber eben noch nicht aktenkundig sei. Eine fundierte Diagnosestellung verzögere sich häufig durch störungsimmanente Erschwernisse. In diesem Zusammenhang seien zu nennen, dass aus Scham- und Schuldgefühlen sowie (unbewusster) Vermeidung Symptome nicht im Zusammenhang mit zurückliegenden Traumatisierungen genannt würden. Zudem werde auf Schwierigkeiten hingewiesen, sich als hilfsbedürftig zu definieren. Häufig bestehe zudem ein Anspruch, das Trauma aus eigener Kraft zu bewältigen. Im Fall des Antragstellers liege genau aus diesen genannten Gründen ein beträchtliches Zeitfenster zwischen dem tatsächlichen Erkrankungsbeginn, der lange vor dem ersten Termin im sozialpsychiatrischen Zentrum liege, und dem Beginn der fachkundigen Behandlung. Seit Behandlungsbeginn am 19. April 2021 hätten beim Antragsteller insgesamt 20 sozialpsychiatrische Behandlungstermine stattgefunden. Es seien dabei verhaltenstherapeutische Strategien zur emotionalen Stabilisierung und zur Affektregulation angeleitet worden (z.B. Entspannungstraining, Strategien zum Stressmanagement usw.), die zukünftig einer weiteren Vertiefung und Generalisierung bedürften. Zudem sei über aktivierende Maßnahmen die Selbstwirksamkeitserwartung des Antragstellers fokussiert worden. Schließlich seien Elemente aus der kognitiven Therapie (kognitive Umstrukturierung usw.) eingesetzt worden, um die depressive Erwartungshaltung und Abwertungsneigung des Antragstellers zu bearbeiten. Darüber hinaus habe bis Oktober 2022 eine medikamentöse Behandlung mit Lasea stattgefunden. Während der Zeit, in der der Antragsteller positive Resonanz infolge seiner hohen Integrationsambitionen erfahren habe und ein Verbleib in Deutschland für ihn möglich erschienen sei, habe der Antragsteller mithilfe günstiger und geeigneter Kompensationsstrategien (s.o.) ein phasenweise gut stabilisiertes Befinden aufweisen können. Mit Ankündigung der zum 18. Oktober 2022 drohenden Abschiebung nach Nigeria sei es zu einer raptusartigen Dekompensation gekommen, in deren Folge das Behandlungsregime neu zu bewerten gewesen sei. Am 16. Oktober 2022 habe sich der Antragsteller notfallmäßig bei der örtlichen psychiatrischen Klinik (Zentrum für seelische Gesundheit im K.-L.-Haus, W.) vorgestellt und sei dort akutpsychiatrisch für zwei Nächte einbehalten und mit Lorazepam behandelt worden. In Anschluss sei eine antidepressive Medikation mit Valdoxan (Agomelatonin, 0-0- 25mg) angesetzt worden, die der Antragsteller seither einnehme. Zudem seien die psychotherapeutischen Bemühungen intensiviert und wöchentliche Termine vereinbart worden.
17
Aus der fachärztlichen Stellungnahme vom 12. Oktober 2022 und dem Ergänzungsgutachten vom 21. November 2022 ergeben sich – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – aber ausreichende Anhaltspunkte für eine nicht nur vorübergehende rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise des Antragstellers aus gesundheitlichen Gründen betreffend seine Reisefähigkeit nicht.
18
Unabhängig von der Frage, ob die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen die Anforderungen, die § 60a Abs. 2c AufenthG an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung stellt, erfüllen, vermag der Senat – selbst unter Annahme einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung – der verwaltungsgerichtlichen Auffassung, es liege jedenfalls eine die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – hindernde erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) vor, weil die fachärztlich festgestellte Erkrankung sich durch die Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (Suizidgefahr) und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden könnte, nicht zu folgen. Der Senat vermag insoweit jedenfalls nicht zu erkennen, dass die in den ärztlichen Stellungnahmen geschilderte Gefahr, „im Falle eines Abbruchs der Behandlung“ sei „mit einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen“ und im konkreten Fall sei „mit Sicherheit davon auszugehen, dass es unverzüglich [im Fall eines Behandlungsabbruchs] zu einer psychischen Dekompensation mit Suizid kommen wird“ (vgl. die fachärztliche Stellungnahme vom 12.10.2022), nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden könnte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung einer hier allein geltend gemachten Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne allein der Zeitraum bis zur Übergabe des Antragstellers an die Behörden des Zielstaats in den Blick zu nehmen ist. Die Prüfung der Frage, ob aufgrund der ärztlichen Stellungnahmen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegt (vgl. hierzu die obigen Ausführungen zur Abgrenzung zum inlandsbezogenen Abschiebungshindernis), obliegt nicht dem Antragsgegner, da es sich insoweit um zielstaatsbezogene Erwägungen handelt. Zu einer inhaltlichen Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist der Antragsgegner nicht berechtigt. Er bleibt gemäß § 42 Satz 1 AsylG an die negativen Feststellungen hierzu in den Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gebunden (BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 15 f.). Folglich kann auch der erkennende Senat keine Aussagen hinsichtlich eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses treffen.
19
Eine konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Rückführung (bis zur Übergabe an die Behörden des Zielstaats) wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, vermag der Senat jedenfalls unter der Berücksichtigung der von ihm im Tenor ausgesprochenen Maßgaben (Sicherheitsbegleitung und ärztliche Begleitung während des Abschiebungsvorgangs; Übergabe im Herkunftsland an einen – vorab über den Antragsteller informierten – Arzt; Ausstattung des Antragstellers mit der für ihn notwendigen Medikation für einen Zeitraum von einem Monat) nicht zu erkennen. Die ärztlichen Stellungnahmen setzen sich mit möglichen Sicherheitsvorkehrungen zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren im Rahmen des Abschiebungsvorgangs nicht auseinander. Die Verweise auf Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit einer Aufenthaltsbeendigung und einem Behandlungsabbruch zielen inhaltlich erkennbar auf die langfristigen Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsland (so sind auch die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers im Schriftsatz vom 25.11.2022 zu verstehen: „Das Attest führt eindeutig auf, weshalb eine Behandlung in Nigeria nicht möglich ist, da es an einem stabilen psychosozialen Umfeld und der Möglichkeit einer Langzeit-Psychotherapie im Herkunftsland fehle. Das verordnete Medikament Valdoxan, ist in Nigeria nicht verfügbar, da es nur in Europa und den USA erhältlich ist. Es wird eindeutig auf die Folgen des Abbruchs der Behandlung hingewiesen. Diese gerade auch langfristigen Folgen würden zudem auch nicht durch eine vorübergehende ärztliche Begleitung beim Flug zureichend begegnet werden.“), verfehlen aber die streitgegenständliche Frage eines inländischen Abschiebungshindernisses wegen Reiseunfähigkeit des Antragstellers.
20
Der Senat ist der Auffassung, dass durch die angeordnete Sicherheitsbegleitung und ärztliche Begleitung während des Abschiebevorgangs eine Suizidgefahr bis zum – im vorliegenden Verfahren maßgeblichen – Zeitpunkt der Übergabe des Antragstellers an die Behörden des Herkunftslandes (in dem die deutschen Behörden die Einwirkungsmöglichkeit auf den Antragsteller verlieren) wirksam ausgeschlossen werden kann. Zudem wird durch die Maßgabe, den Antragsteller im Herkunftsland nur an einen – vorab informierten – Arzt zu übergeben, sichergestellt, dass eine Suizidgefahr unmittelbar nach der Ankunft im Herkunftsland ausgeschlossen und eine Begutachtung und unmittelbare Behandlung des Antragstellers erfolgt. Angesichts des nur summarischen Charakters des vorliegenden Verfahrens hält der Senat zudem die im Tenor ausgesprochene Maßgabe, den Antragsteller mit der für ihn erforderlichen Medikation für einen Mindestzeitraum von einem Monat auszustatten, für erforderlich. Der Übergangszeitraum von einem Monat wird für ausreichend erachtet, den Anschluss einer möglicherweise erforderlichen (ambulanten) Weiterbehandlung des Antragstellers im Heimatland zu gewährleisten (soweit nicht der den Antragsteller in Empfang nehmende Arzt – möglicherweise um einer Suizidgefahr wirksam zu begegnen – eine – grundsätzlich im Herkunftsland mögliche <vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria vom 24.11.2022, Stand Oktober 2022 S. 19 f.> – stationäre Behandlung für erforderlich hält, weshalb eine frühzeitige Vorabinformation des in Lagos befindlichen Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba über eine ggf. erforderliche Behandlung des Antragstellers und dessen Ankunft im Herkunftsland für erforderlich gehalten wird).
21
Werden die angeordneten Maßnahmen ergriffen, bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte (insbesondere nicht aus den vorgelegten ärztlichen Attesten) dafür, dass einer (möglicherweise bestehenden) Gefahr einer Selbstschädigung während des Abschiebevorgangs nicht wirksam begegnet werden kann. Daher ist unter diesen Voraussetzungen auch nicht von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis auszugehen (mangels anderer geltend gemachter Duldungsgründe liegen somit auch die Voraussetzungen des § 25a AufenthG nicht vor).
22
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
23
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).