Titel:
Versagung einer Ausbildungsduldung wegen bevorstehender aufenthaltsbeendender Maßnahmen
Normenketten:
AufenthG § 60c
AsylG § 43
VwGO § 166
Leitsätze:
1. Nach dem Eintritt der Bewilligungsreife zu Lasten des Klägers bzw. der Klägerin eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage werden bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht berücksichtigt (BVerfG BeckRS 2018, 21945). (Rn. 11) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Der Ausschlussgrund des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung iSv § 60c Abs. 2 Nr. 5d AufenthG soll Fälle aus dem Anwendungsbereich eines Anspruchs auf Erteilung einer Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung des Betroffenen bereits konkret vorbereitet wird (VGH München BeckRS 2018, 3047). Er erfordert hingegen nicht, dass die Abschiebung selbst bereits terminiert ist oder zeitlich unmittelbar bevorsteht (VGH München BeckRS 2019, 10611). (Rn. 14 – 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. § 60c Abs. 2 Nr. 5d AufenthG erfasst auch vorbereitende Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen (VGH München BeckRS 2019, 1663). Hierunter fällt auch die Erstellung eines Rücknahmeersuchens im Rahmen des Asylverfahrens. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Der Umstand, dass die Abschiebung infolge der Minderjährigkeit der Betroffenen und des Fehlens einer vollziehbaren Ausreispflicht aller Familienmitglieder erst nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs erfolgen könnte, stellt ein lediglich vorübergehendes Vollzugshindernis dar, das der Annahme eines hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der Aufenthaltsbeendigung nicht entgegensteht. Nur vorübergehend wirkende Umstände, die die Aufenthaltsbeendigung zwar verzögern, sie jedoch nicht in einen zeitlich nicht mehr überschaubaren, ungewissen Rahmen verlagern, können die Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht beseitigen (VGH München BeckRS 2019, 1663). (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Antragstellung für eine Ausbildungsduldung kann auf die Übersendung eines nicht ausgefüllten und nicht unterschriebenen Musterausbildungsvertrags nicht zurückgegriffen werden. Dieser ist weder rechtsverbindlich noch zur Konkretisierung des Ausbildungsverhältnisses geeignet. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Beschwerde, Versagung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung, Ausbildungsduldung, Antragstellung, Ausschlussgrund, Bevorstehen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, Rückübernahmeersuchen, Identitätsklärung, syrische Staatsangehörige, Abschiebung, anderweitige Schutzgewähr, Übernahmeersuchen, Bulgarien, Minderjährigkeit, Familienasyl, Prozesskostenhilfe, Bewilligungsreife
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 12.11.2020 – AN 5 K 20.1622
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2753
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung und Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren 19 C 20.2914 wird abgelehnt.
Gründe
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1. Die Beschwerde der Klägerin gemäß § 146 Abs. 1 VwGO gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung ist zulässig, aber unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren nicht gegeben sind.
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Die Klägerin, nach eigenen Angaben am 15. Januar 2003 geboren und syrische Staatsangehörige, im Jahr 2014 mit ihren Eltern und drei jüngeren Geschwistern aus Bulgarien in das Bundesgebiet eingereist, ist seit dem 12. Juli 2017 vollziehbar ausreisepflichtig (Asylantrag mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – BAMF – vom 8.1.2015 gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der Gewährung internationalen Schutzes in Bulgarien als unzulässig abgelehnt, Abschiebungsandrohung nach Bulgarien, Aufhebung der Abschiebungsandrohung durch Urteil des VG Ansbach vom 10.3.2016 – AN 11 K 15.50011 – unter Klageabweisung im Übrigen, mit Ergänzungsbescheid des BAMF vom 11.4.2017 Nichtfeststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG und erneute Abschiebungsandrohung nach Bulgarien, Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit unanfechtbarem Beschluss des VG Ansbach vom 12.7.2017 – AN 11 S 17.50743 – abgelehnt, Antrag auf Abänderung dieses Beschlusses mit Beschluss vom 4.3.2021 – AN 11 S 20.50303 – abgelehnt, Klage gegen den Bescheid vom 11.4.2017 noch anhängig – AN 11 K 17.50744). Mit Schreiben vom 24. November 2014 (Bl. 95 der Behördenakte) bestätigten die bulgarischen Behörden auf Anfrage des BAMF die Rückübernahme der Klägerin und ihrer Familienangehörigen. Die Klägerin ist seit 8. März 2018 im Besitz von Duldungen. Am 19. März 2020 übersandte die S.-Apotheke in V. der seinerzeit für die Klägerin zuständigen Ausländerbehörde einen (nicht ausgefüllten und nicht unterschriebenen) Muster-Ausbildungsvertrag für pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte „zur Vorlage/Genehmigung“ (Bl. 83 ff. der Behördenakte). Im Betreff des Begleitschreibens der Apotheke ist die Klägerin genannt, als Ausbildungsbeginn wird der 1. September 2020 festgelegt. Am 11. Mai 2020 ersuchte die Ausländerbehörde die bulgarischen Behörden (erneut) um Rückübernahme der Klägerin und ihrer Familienangehörigen auf der Grundlage des Rückübernahmeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bulgarien (Bl. 93 der Behördenakte). Mit Schreiben vom selben Tag wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die beantragte Genehmigung der Berufsausbildung derzeit wegen der Anfrage bei den bulgarischen Behörden nach dem Fortbestehen des gewährten internationalen Schutzes nicht erteilt werden könne (Bl. 91 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 13. Mai 2020 bestätigten die bulgarischen Behörden ihre Rückübernahmebereitschaft für die Klägerin und ihre Familienangehörigen (Bl. 102 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 27. Mai 2020 teilte die S.-Apotheke in V. der Klägerin mit, dass sie zum 1. September 2020 zur Ausbildung zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten eingestellt werde (Bl. 18 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 8. Juni 2020 teilte die Ausländerbehörde der Klägerin (erneut) mit, dass über die beantragte Genehmigung der Berufsausbildung nicht abschließend entschieden werden könne, da die Zuständigkeit wegen des in Bulgarien bestehenden internationalen Schutzes auf die Zentrale Ausländerbehörde bei der Regierung von Mittelfranken – ZAB – übergegangen sei (Bl. 103 der Behördenakte). Mit Schreiben vom 12. August 2020 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin bei der ZAB eine Erlaubnis zur Berufsausbildung und verwies auf die anhängige Klage gegen den Bescheid des BAMF vom 6. April 2018, mit welchem der Asylantrag des am 12. März 2015 im Bundesgebiet nachgeborenen Bruders der Klägerin abgelehnt und diesem die Abschiebung nach Bulgarien angedroht worden war (Bl. 114 ff. der Behördenakte). Am 20. August 2020 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Untätigkeitsklage erheben (Az.: AN 5 K 20.01622) und einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO mit dem Ziel der vorläufigen Erteilung der Ausbildungserlaubnis (Az.: AN 5 E 20.01621) sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für beide Verfahren beantragen. Mit Bescheid vom 20. August 2020 lehnte die ZAB die Erteilung einer Duldung gemäß § 60c AufenthG sowie die Erlaubnis der Beschäftigung zur Berufsausbildung bei der S.-Apotheke als pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte ab (Bl. 59 ff. der VG-Akte). Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Klage- und Antragsverfahren mit Beschluss vom 12. November 2020 abgelehnt.
3
Hiergegen wendet sich (hier bezogen auf das Klageverfahren) die Beschwerde.
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Zur Begründung ihrer Beschwerde lässt die Klägerin ausführen, bereits die fehlende Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter mache die Komplexität und die Schwierigkeit des Streitstoffes deutlich. Eine Abschiebung des Bruders der Klägerin und damit der gesamten Familie scheide derzeit vor dem Hintergrund des Art. 6 GG aus. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin wegen der Asylantragstellung im Alter von elf Jahren zusammen mit den Eltern von der Regelung des § 26 Abs. 3 und 5 AsylG profitieren und den subsidiären Schutz erhalten könne. Auf das beigefügte Urteil des Verwaltungsgerichts Münster (U.v. 29.10.2020 – 8 K 3507/16.A) werde Bezug genommen. Insofern würde es dem Zweck der Ausbildungsduldung zuwiderlaufen, deren Erteilung im Falle einer rechtswidrig eingeleiteten Abschiebung zu versagen, wenn im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung eine Ausreisepflicht nicht einmal durchsetzbar sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts lägen die Erteilungsvoraussetzungen vor. Insbesondere gehe das Verwaltungsgericht mit der Annahme fehl, bei Beantragung der Ausbildungsduldung hätten konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorgestanden. Der Gesetzgeber habe bei der Anspruchseinschränkung nur rechtmäßige Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinn gehabt. Zwar sei zu einem früheren Zeitpunkt das Obsiegen des Bruders der Klägerin im Klageverfahren noch nicht offensichtlich gewesen, wohl aber die aufschiebende Wirkung seiner Klage und damit die Unmöglichkeit der Abschiebung auch der Klägerin. Eine andere Betrachtungsweise würde zu Wertungswidersprüchen führen, zumal die Rechtsprechung im Hinblick auf ein Beschäftigungsverbot bei Handlungen zur Verhinderung der Aufenthaltsbeendigung ein kausales Verhalten des Betroffenen verlange. Anderenfalls könnte die Ausländerbehörde – entgegen dem gesetzgeberischen Willen – durch die Planung aufenthaltsbeendender Maßnahmen während des Asylklageverfahrens unabhängig von dessen Ausgang die Erteilung einer Ausbildungsduldung willkürlich verhindern. Letztlich sei auch die Identität geklärt, das Gericht sei insofern dem Vortrag der Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten.
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Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2021 wurde unter Verweis auf einen (in Abschrift beigefügten) Schriftsatz im noch anhängigen asylgerichtlichen Verfahren der Klägerin weiter vorgetragen, die Klägerin habe außergerichtlich einen Aufenthaltstitel sowie einen Reiseausweis für Ausländer beantragt. Es sei einem politisch Verfolgten grundsätzlich nicht zuzumuten, während des Asylverfahrens an den Verfolgerstaat heranzutreten, da er damit zumindest teilweise von seinem Asylvorbringen abrücke (m.V.a. verschiedene Kommentierungen sowie Gerichtsentscheidungen zum AsylG). Für bereits in der EU anerkannte Flüchtlinge könne nichts Anderes gelten, sodass der Beklagte den Titel zusammen mit dem Reiseausweis zu erteilen haben werde. Des Weiteren wurde ein Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 13. Mai 2020 (Az.: 10 K 2052/19.A) vorgelegt.
6
Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2021 wurde vorgetragen, die Klägerin begehre „als Minus zur Ausbildungsduldung“ die Erteilung einer sonstigen Duldung bis zum Abschluss des asylrechtlichen Klageverfahrens, welches für den 19. Januar 2023 terminiert sei, bzw. bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG bzw. einer entsprechenden Zusicherung.
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Des Weiteren wurde mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 vorgetragen, ein Ausschlussgrund nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (wohl gemeint: i.d.F. des Integrationsgesetzes vom 31.7.2016 – BGBl I, 1939) setze voraus, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstünden, wobei solche Vorbereitungsmaßnahmen nicht nur pro forma eingeleitet werden dürften. Letzteres sei der Fall, wenn der Ausländerbehörde bekannt oder für sie erkennbar sei, dass trotz erfolgter Einleitung abschiebungsvorbereitender Maßnahmen eine Abschiebung nicht realistisch zu erwarten sei, etwa weil die bereits beantragte Ausstellung des Passes oder anderer Heimreisedokumente seitens der Behörden des Herkunftslandes erfahrungsgemäß besonders lange Zeit in Anspruch nehme. Entsprechendes gelte im vorliegenden Fall, was sich schon aus der zeitlichen Differenz zwischen 2017 und dem gegenwärtigen Zeitpunkt ergebe. Des Weiteren verwiesen verschiedene ministerielle Erlasse aus anderen Bundesländern (wurde im Einzelnen dargelegt) darauf, dass ein Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren allein nicht ausreichend sei, um die Ausbildungsduldung zu versagen. Im vorliegenden Fall sei eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art. 6 GG noch nicht einmal rechtlich möglich gewesen. Dies gelte erst recht im Hinblick auf die bevorstehende Schutzgewährung zugunsten des jüngsten Bruders der Klägerin und die in der Konsequenz folgende Schutzgewährung für die Klägerin nach § 26 Abs. 3, 5 AsylG (wurde weiter ausgeführt). Des Weiteren müssten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bereits zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung der Ausbildungsduldung vorliegen, um als Ausschlussgrund herangezogen werden zu können. Sofern die Ausländerbehörde erst nach einem solchen Antrag konkrete Abschiebungsmaßnahmen einleite, stünden diese der Erteilung der Duldung nicht entgegen. Im Fall der Klägerin sei die Ausreisepflicht im Zeitpunkt der Antragstellung konkret wegen deren Minderjährigkeit nicht durchsetzbar gewesen. Dieser Rechtsauffassung hätten sich sowohl das Bundesministerium des Inneren als auch die Bundesländer angeschlossen. Für die Antragstellung genüge die Vorlage eines Antrags unter Mitteilung des konkreten Ausbildungsverhältnisses (m.V.a. VGH BW, B.v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16). Hier habe sogar der Ausbildungsvertrag vor der Durchsetzbarkeit der Ausreiseverpflichtung vorgelegen. Ein Beschäftigungsverbot gemäß § 60a Abs. 6 AufenthG bestehe nicht, zumal der Europäische Gerichtshof – EuGH – klargestellt habe, dass bei Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechte-Charta im Falle der Abschiebung nach Bulgarien ein Recht auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bestehe, da der Drittstaat keinen Schutz biete (mit Verweis auf EuGH, Rs. C-540/17 und C-541/17). Auch ein Beschäftigungsverbot gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor, da selbst ein Fehlverhalten in der Vergangenheit kein gesetzliches Arbeitsverbot zur Folge habe, wenn dieses Fehlverhalten inzwischen korrigiert worden sei. Gründe für die Ablehnung der Beschäftigungserlaubnis lägen nicht vor. Da die Beschaffung eines syrischen Passes aufgrund der Flüchtlingsanerkennung unzumutbar sei, könnten der Klägerin von vornherein unmögliche Mitwirkungshandlungen nicht entgegengehalten werden. Die Klägerin habe alle Dokumente, welche sie in zumutbarer Weise erlangen könne, vorgelegt.
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Diese Rügen greifen nicht durch.
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1.1 Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg liegt stets dann vor, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung spricht. Bei der dabei vom Gericht anzustellenden vorläufigen Prüfung dürfen im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 166 Rn. 8 m.w.N.).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilli-gungs- und Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme oder Abgabe einer Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 19.3.2018 – 10 C 17.2591 – juris) ein. Nach diesen Maßgaben trat die Bewilligungsreife nicht vor dem 18. September 2020 ein (das ausgefüllte und von der Klägerin unterschriebene Formular der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemäß § 117 ZPO ist auf diesen Tag datiert; der Zeitpunkt des Eingangs beim Verwaltungsgericht lässt sich anhand der Gerichtsakte nicht nachvollziehen; noch unter dem 23.9.2020 kündigte der Klägerbevollmächtigte die Vorlage der PKH-Unterlagen an).
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Gemessen daran hat das Verwaltungsgericht die Prozesskostenhilfebewilligung zu Recht versagt, denn die Rechtsverfolgung bietet im maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Erfolgsaussicht. Die Klage war im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife unbegründet. Auf die zwischenzeitlich eingetretene Erledigung (mit Schriftsatz vom 7.6.2022 hat die Klägerin auf Anfrage des Senats mitteilen lassen, dass sie die am 1.9.2020 aufgenommene Ausbildung wegen Strafandrohung habe beenden müssen, dass sie derzeit eine Ausbildungsduldung nicht weiter begehre und dass geklärt werde, ob sie die Ausbildung „im Obsiegensfalle“ wieder aufnehmen könne) und die daraus resultierende Unzulässigkeit der Verpflichtungsklage (eine Umstellung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht erfolgt, vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2014 – 4 C 33.13 – juris; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 113 Rn. 108 ff. m.V.a. BVerwG, U.v. 31.5.1979 – 1 WB 202.77) kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an, weil nach dem Eintritt der Bewilligungsreife eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu Lasten der Klägerin bei der Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung nicht berücksichtigt werden (vgl. Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 166 Rn. 121 m.V.a. BVerfG, B.v. 22.8.2018 – 2 BvR 2647/17 – juris Rn. 15; B.v. 4.10.2017 – 2 BvR 496/17 – juris Rn. 14).
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Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 AufenthG, weil dem der Ausschlussgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG entgegensteht.
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Nach dem durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung vom 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1021) mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in das Aufenthaltsgesetz eingefügten § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (i.d.F. v. 1.3.2020) ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist, (insbesondere) eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf aufnimmt und die Ausschlussgründe des § 60c Abs. 2 AufenthG nicht vorliegen. Dahinstehen kann, ob sich die Klägerin – die im Zeitpunkt der Bewilligungsreife im Besitz einer Duldung war – noch auf die (mit Ablauf des 2.10.2020 außer Kraft getretene) Übergangsregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG berufen kann, da der Erteilung einer Ausbildungsduldung bereits zum Antragszeitpunkt der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG entgegengestanden hat.
14
Nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorstehen. Mit der Voraussetzung des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung sollen die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird (BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 17). Ist die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung absehbar, soll der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090 S. 25). Es ist insoweit nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber an diesem Rangverhältnis mit der Neufassung der Regeln für die Ausbildungsduldung (vgl. BT-Drs. 19/8286, S. 15 f.) etwas ändern wollte (OVG RhPf, B.v. 2.11.2020 – 7 B 11114/20 – juris Rn. 13). Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen insbesondere bevor, wenn eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit veranlasst wurde (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 a) AufenthG), der Ausländer einen Antrag zur Förderung mit staatlichen Mitteln einer freiwilligen Ausreise gestellt hat (§ 60c Abs. 2 Nr.5 b) AufenthG), die Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung eingeleitet wurde (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 c) AufenthG) oder vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung des Ausländers eingeleitet wurden, es sei denn, es ist von vornherein absehbar, dass diese nicht zum Erfolg führen (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG).
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Das „Bevorstehen“ konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne dieser Bestimmung erfordert hingegen nicht, dass die Abschiebungsmaßnahme selbst bereits terminiert ist oder zeitlich unmittelbar bevorsteht (BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 19 CE 17.2102 – juris Rn. 8; B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 30.8.2018 – 13 ME 298/18 – juris Rn. 13). Vielmehr stehen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung gemäß § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG u.a. bereits dann bevor, wenn vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung des Ausländers eingeleitet wurden, es sei denn, es ist von vornherein absehbar, dass diese nicht zum Erfolg führen. Dies erfasst auch vorbereitende Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 19 CE 18.1725 – juris Rn. 16). Darunter fällt auch – wie hier – die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 19 CE 18.1725 – juris Rn. 16; Nds.OVG, B.v. 9.12.2016 – 8 ME 184/16, juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. § 60c Abs. 2 Nr. 5 e AufenthG und die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/9090, S. 26, zum vergleichbaren Fall eines Überstellungsverfahrens nach der Dublin-III-V). Vorliegend lagen solche Vorbereitungsmaßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vor, weil der Beklagte am 11. Mai 2020 die Republik Bulgarien (die der Klägerin einen internationalen Schutzstatus verliehen und mit Schreiben vom 24.11.2014 gegenüber der Bundespolizei bereits deren Rückübernahme erklärt hatte) auf der Grundlage des Rückübernahmeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bulgarien vom 1. Februar 2006 (in Kraft seit 1.5.2006, vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/migration/rueckkehrfluechtlinge.pdf? blob=publicationFile& v=3, abgerufen am 30.1.2023) um Rückübernahme der Klägerin ersucht hat, worauf die bulgarischen Behörden am 13. Mai 2020 ihre Rückübernahmebereitschaft (erneut) bestätigt haben.
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Des Weiteren liegt auch ein hinreichender sachlicher und zeitlicher Zusammenhang dieser Vorbereitungsmaßnahmen mit der Aufenthaltsbeendigung der Klägerin vor. Der Umstand, dass die Abschiebung wegen der Minderjährigkeit der Klägerin (zu diesem Zeitpunkt) und des Fehlens einer vollziehbaren Ausreisepflicht aller Familienmitglieder (wegen Aufhebung des Dublin-Bescheides vom 6.4.2018 hinsichtlich des im Bundesgebiet nachgeborenen Bruders der Klägerin durch das VG Ansbach mit Urteil vom 11.11.2020 – AN 11 K 18.50404 – rechtskräftig seit 19.12.2020) erst nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres im Januar 2021 erfolgen konnte, stellt ein lediglich vorübergehendes Vollzugshindernis dar, welches der Annahme eines hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der Aufenthaltsbeendigung nicht entgegensteht. Nur vorübergehend wirkende Umstände, welche die Aufenthaltsbeendigung zwar verzögern, sie jedoch nicht in einen zeitlich nicht mehr überschaubaren, ungewissen Rahmen verlagern, können die Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht beseitigen (BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 19 CE 18.1725 – juris Rn. 24). Auch aus § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG folgt keine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung der Klägerin. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG ermächtigt die Ausländerbehörde, die Abschiebung eines Ausländers vorübergehend auszusetzen, um die gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen (vgl. Pietzsch in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Ed., Stand 1.1.2022, AsylG § 43 Rn. 6 m.V.a. BT-Drs. 12/2062, 34). Die Aussetzung der Abschiebung zur Ermöglichung einer gemeinsamen Ausreise der Familienangehörigen liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, ein Rechtsanspruch besteht mithin nicht (vgl. Pietzsch in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Ed., Stand 1.1.2022, AsylG § 43 Rn. 10). Ob der Klägerin (deren Asylantrag wegen der Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde und die aufgrund der Ablehnung ihres Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage seit 12.7.2017 vollziehbar ausreisepflichtig ist) – wie von ihr vorgetragen – ein Anspruch auf Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus im Wege des Familienschutzes (§ 26 AsylG) zusteht, wird ggf. im asylgerichtlichen Verfahren zu klären sein. Die Ausländerbehörde ist gemäß § 6 Satz 1 AsylG an die asylrechtliche Entscheidung gebunden.
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Die oben genannten konkreten Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung lagen auch im Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin auf Ausbildungsduldung vor. Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (BayVGH, B.v. 17.2.2022 – 10 C 22.273 – juris Rn. 22; B.v. 28.9.2020 – 10 CE 20.2081 – juris Rn. 7; 28.2.2020 – 10 C 20.32 – juris Rn. 16; B.v. 30.1.2019 – 19 CE 18.1725 – juris Rn. 18; B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 4; B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris; Breidenbach in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Ed., Stand 1.7.2021, AufenthG § 60c Rn. 29; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 60c Rn. 46). Aus der von der Klägerin genannten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW, B.v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16 – juris) folgt nichts Anderes. Soweit dort ausgeführt wird, dass der Wortlaut des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (a.F.) nicht zu dem Verständnis zwinge, die Ausbildung müsse bereits tatsächlich in der Weise begonnen sein, dass die Betroffenen sich an ihrem Ausbildungsplatz eingefunden haben, sondern dass auch der Abschluss des Ausbildungsvertrags sich begrifflich hierunter fassen lasse, dass darüber hinaus die Intention des Gesetzes, mit der speziellen Ausbildungsduldung geduldeten Ausländern im geordneten Rahmen eine neue Perspektive zu eröffnen und zudem der Wirtschaft zusätzliche Fachkräfte zukommen zu lassen (m.V.a. Kluth in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 15.8.2016, AufenthG § 60a Rn. 26), gegen eine restriktive Auslegung spreche und dass es ausgehend davon genügen dürfte, dass (nur) ein Ausbildungsvertrag vorliegt (VGH BW, B.v. 13.10.2016 – 11 S 1991/16 – juris Rn. 15), steht dies der Rechtsauffassung des Senats, dass maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen ist, nicht entgegen.
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Danach kann vorliegend hinsichtlich des Zeitpunktes der Antragstellung nicht auf die Übersendung eines (nicht ausgefüllten und nicht unterschriebenen) Musterausbildungsvertrags für pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte, der nicht rechtsverbindlich und nicht zur Konkretisierung des Ausbildungsverhältnisses geeignet ist (vgl. § 60c Abs. 3 Satz 3 AufenthG), durch die S.-Apotheke V. am 19. März 2020 an die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde abgestellt werden. Ob im Folgezeitraum die für eine wirksame Antragstellung erforderliche Konkretisierung bereits mit der am 27. Mai 2020 übersandten Einstellungszusage für die Klägerin zum 1. September 2020 oder erst durch den am 12. August 2020 durch den Bevollmächtigten der Klägerin gestellten Antrag auf Beschäftigungserlaubnis für die Ausbildung zur pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten bei der S.-Apotheke V. oder gar erst durch Vorlage des Ausbildungsvertrags vom 26. August 2020 bei dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 7. September 2020 und der Zustellung dieses Schriftsatzes an den Beklagten erfolgte, kann dahinstehen. Denn der Antragsgegner hat bereits am 11. Mai 2020 nach der fortbestehenden Bereitschaft der bulgarischen Behörden zur Rückübernahme der Klägerin angefragt, woraufhin diese mit Schreiben vom 13. Mai 2020 der Rückübernahme zugestimmt haben (Bl. 102 der Behördenakte). Des Weiteren wurde der Klägerin mit Schreiben der (seinerzeit zuständigen) Ausländerbehörde vom 11. Mai 2020 mitgeteilt, dass aufgrund der laufenden Anfrage nach dem Fortbestehen des in Bulgarien zuerkannten internationalen Schutzes die beantragte Genehmigung zur Aufnahme der Berufsausbildung derzeit nicht erteilt werden könne, weshalb schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin dahingehend, dass sie die Ausbildung werde aufnehmen können, nicht entstehen konnte.
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Offenbleiben kann, ob außerdem der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 a) AufenthG vorliegt. Danach wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn bei Einreise in das Bundesgebiet bis zum 31. Dezember 2016 die Identität nicht bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung geklärt ist. Die Frist gilt als gewahrt, wenn der Ausländer innerhalb der genannten Frist alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, ohne dass der Ausländer dies zu vertreten hat. Der zwingende Versagungsgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG rechtfertigt sich daraus, dass die Ausbildungsduldung perspektivisch die Grundlage für den Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis ist. Die Identität kann in Fällen, in denen kein Pass oder anderes Identitätsdokument mit Lichtbild vorliegt, auch durch andere geeignete Mittel nachgewiesen werden. So sind amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten, geeignet, die die Möglichkeit der Identifizierung bieten, wie beispielsweise ein Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild. Können diese nicht beschafft werden, so können auch geeignete amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis in Betracht kommen, wie beispielsweise eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Meldebescheinigung, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen, wenn sie geeignet sind, auf ihrer Basis Pass- oder Passersatzpapiere zu beschaffen. Dies gilt auch für elektronisch abgelegte Identitätsdokumente mit Lichtbild. Im Übrigen gelten die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze zur Beweisführung zur Klärung der Identität (vgl. BT-Drs. 19/8286 S. 15).
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Die Klägerin hat kein amtliches Dokument aus dem Herkunftsstaat vorgelegt, welches aufgrund biometrischer Merkmale und Angaben zur Person zur Identifizierung geeignet ist. Ob die vorgelegten Dokumente aus dem Herkunftsstaat der Klägerin (Familienbuch, Personalausweise der Eltern) – entgegen der Auffassung des Beklagten – geeignet sind, den Nachweis der Identität zu führen, wäre gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren zu prüfen, wobei die Beweiskraft der vorgelegten Dokumente als ausländische öffentliche Urkunden nach § 438 ZPO i.V.m. § 98 VwGO zu beurteilen ist (vgl. dazu BVerfG, B.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 15.7.1986 – 9 C 8.86 – juris Rn. 25). Offen bleiben kann im vorliegenden Verfahren auch, ob die Klägerin innerhalb der in § 60c Abs. 2 Nr. 3 a) AufenthG genannten Frist alle erforderlichen und ihr zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat.
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Ob die Erweiterung des Klagebegehrens um den (sinngemäß gestellten) Hilfsantrag auf Erteilung einer Duldung nach einer anderen Rechtsgrundlage (im Schriftsatz vom 8.1.2021) nach Maßgabe des § 91 VwGO im Beschwerdeverfahren zulässig ist, kann dahingestellt bleiben (vgl. dazu Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 91 Rn. 92; Kaufmann in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.1.2020, § 146 Rn. 1 m.w.N.). Jedenfalls ist mit dem Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin – wie ausgeführt – kein Duldungsgrund nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK ersichtlich. Dass die Klägerin bereits die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubniserteilung nach § 25a AufenthG erfüllte und zu deren Aufrechterhaltung während des laufenden Erteilungsverfahrens einer sog. Verfahrensduldung bedürfte, wurde nicht dargelegt (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2022 – 19 CE 22.1815 – juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen ist der Beklagte gemäß § 42 Satz 1 AsylG an die Beurteilung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (in Bezug auf Bulgarien als Abschiebezielstaat) vorliegen, gebunden. Eine Abschiebung in das Herkunftsland der Klägerin steht nicht im Raum, da diese im Bescheid des BAMF vom 8. Januar 2015 (in der Fassung des Bescheides vom 11.4.2017) ausdrücklich nach § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen wurde.
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1.2 Der Klägerin ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeit des Rechtsstreits Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Zwar hat ein Rechtsschutzbegehren in aller Regel dann hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (Zimmermann-Kreher in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.10.2022, VwGO § 166 Rn. 24 m.V.a. BVerfG NJW-RR 2004, 1153; NJW 1991, 413). Prozesskostenhilfe braucht daher nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als „schwierig“ erscheint. Schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können, dürfen dagegen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“ werden; dem Beteiligten darf nicht die Möglichkeit genommen werden, im Hauptsacheverfahren durch vertiefte Darstellung des eigenen Rechtsstandpunkts auf die Meinungsbildung des Gerichts Einfluss zu nehmen (vgl. Zimmermann-Kreher in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.10.2022, VwGO § 166 Rn. 24 m.V.a. BVerfG NJW 2003, 1857; FuR 2004, 400).
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Gemessen daran wirft das Klagebegehren keine besonders schwierigen Rechtsfragen auf. Insofern hat die Klägerin schon nicht dargelegt, dass und aus welchen Gründen die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten bereitet bzw. weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. zur Darlegung der besonderen rechtlichen Schwierigkeit i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO: Roth in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.7.2022, § 124a Rn. 75 m.V.a. VGH Kassel BeckRS 2013, 52718; OVG Lüneburg NJW 2011, 3673/3674; OVG Münster NVwZ 1998, 306/307; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 124a Rn. 101). Vielmehr lassen die maßgeblichen Rechtsfragen des vorliegenden Verfahrens sich im Wege der Subsumtion des Sachverhaltes unter die maßgeblichen Vorschriften des AufenthG in deren Auslegung durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung sowie die Kommentarliteratur ohne Weiteres beantworten. Soweit die Klägerin vortragen lässt, die besondere Schwierigkeit der Streitsache zeige sich in dem Umstand, dass die Kammer den Rechtsstreit nicht dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen habe, geht dieser Einwand fehl. Eine Entscheidung der Kammer anstelle des Einzelrichters indiziert nicht die besondere rechtliche Schwierigkeit der Streitsache. Die Kammer des Verwaltungsgerichts war unbeschadet der Voraussetzungen für die Einzelrichterübertragung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht daran gehindert, über den Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung und Anwaltsbeiordnung in der Kammerbesetzung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO zu entscheiden. Denn selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO für eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter verbliebe der Kammer ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Entscheidung, ob von der Übertragungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird (vgl. im Einzelnen Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 6 Rn. 18; Gersdorf in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.10.2019, § 6 Rn. 33 ff.; Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 6 Rn. 29 ff.).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil das Prozesskostenhilfeverfahren selbst keine „Prozessführung“ im Sinne des § 114 ZPO darstellt, so dass hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann. Dies gilt auch für das hierauf bezogene Beschwerdeverfahren (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 9.10.2013 – OVG 10 S 54.12, 10 M 51.12 – juris Rn. 7). Im Übrigen bietet die Rechtsverfolgung, wie dargelegt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).