Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.02.2023 – 6 ZB 22.2655
Titel:

Versetzung eines Posthauptsekretärs in den vorzeitigen Ruhestand

Normenketten:
BBG § 44 Abs. 1 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124 a Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Der Begriff der Dienstunfähigkeit in § 44 BBG ist amtsbezogen. Maßstab für die Beurteilung der Dienst(un)fähigkeit ist daher nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn, sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit stellt daher (allein) darauf ab, ob der Beamte die Aufgaben eines seinem Statusamt zugeordneten Dienstpostens erfüllen kann. Nicht maßgebend ist dagegen, ob der Beamte (noch) die Aufgaben des von ihm zuletzt wahrgenommenen konkreten Dienstposten erledigen kann. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer auf eine einzige mögliche Tätigkeit begrenzten Beschäftigungsmöglichkeit drängt sich die Annahme einer dauernden Dienstunfähigkeit iSv § 44 Abs. 1 S. 1 BBG auf. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beamter, Dienstposten, Berufung, Zulassungsantrag, Statusamt, Zulassungsgrund, Zustimmung, Versetzung, Ruhestand, Dienstunfähigkeit, ärztliches Gutachen, gesundheitliche Gründe, Suchpflicht, Zusteller, Amtsbezogenheit, Überforderung, Unterwertigkeit, Substantiierung, Morbus Crohn, Zeitdruck, Resilienz
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 26.10.2022 – M 21b K 20.3205
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2748

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2022 – M 21b K 20.3205 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 43.058,- € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils wären begründet, wenn von dem Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624; BayVGH, B.v. 2.7.2018 – 6 ZB 18.163 – juris Rn. 2). Das ist nicht der Fall.
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Der 1960 geborene Kläger, ein Beamter im Statusamt eines Posthauptsekretärs (BesGr. A 8, mittlerer Dienst) im Dienst des Beklagten, seit Ende 2004 jedoch (mit seiner Zustimmung) unterwertig als Zusteller (BesGr. A 3 bis A 6) eingesetzt, wendet sich gegen seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Er ist seit dem 18. September 2017 durchgehend dienstunfähig erkrankt.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die mit Bescheid vom 24. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2020 verfügte Ruhestandsversetzung des Klägers mit Urteil vom 26. Oktober 2022 abgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger dienstunfähig im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG und nicht anderweitig verwendbar ist. Die Beklagte habe im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung auf der Grundlage der betriebsärztlichen Gutachten vom 12. Dezember 2018 sowie vom 15. November 2019 annehmen dürfen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen (Anpassungsstörung, herabgesetzte Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit, mangelnde Flexibilität und Resilienz) zur Erfüllung seiner Dienstpflichten in seinem statusrechtlichen Amt als Posthauptsekretär (A 8, mittlerer Dienst) dauernd unfähig sei. Die genannten Gutachten seien von der Betriebsärztin Dr. H., Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde, erstellt worden, an deren Neutralität keine Zweifel bestünden. Die Gutachten seien hinreichend detailliert, plausibel und nachvollziehbar und wiesen keine durchgreifenden Mängel oder Widersprüche auf. Sowohl das vorangegangene Gutachten der Betriebsärztin vom 24. August 2018 als auch der Befundbericht des den Kläger behandelnden Facharztes Dr. W. vom 14. Mai 2018, die noch eine Verbesserung des Gesamtleistungsbildes in einigen Monaten prognostiziert hätten, seien insoweit aufgrund der anhaltenden Dienstunfähigkeit in tatsächlicher Hinsicht überholt. Die Beklagte sei auch ihrer Suchpflicht nach einer anderweitigen (auch geringerwertigen) Verwendung des Klägers in ausreichender Weise nachgekommen.
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Der Zulassungsantrag hält den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen könnte und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedürfte.
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a) Ohne Erfolg hält der Zulassungsantrag der gerichtlichen Bewertung entgegen, die Betriebsärztin Dr. H. habe in ihrem Gutachten vom 24. August 2018 klar und deutlich festgestellt, dass noch keine Dienstunfähigkeit des Klägers gegeben und damit auch nicht zu rechnen sei, wenn dieser in seinem gewohnten Umfeld und auf seinem zuletzt ausgeübten Dienstposten als Zusteller am ZSP U. eingesetzt werde. Diesem Einwand liegt ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs der Dienstunfähigkeit zugrunde.
7
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Begriff der Dienstunfähigkeit in § 44 BBG amtsbezogen (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Maßstab für die Beurteilung der Dienst(un) fähigkeit ist daher nicht das von dem Beamten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienst-oder Arbeitsposten, hier: Zusteller im ZSP U.), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn (Statusamt, hier: Posthauptsekretär). Die Feststellung der Dienstunfähigkeit stellt daher (allein) darauf ab, ob der Beamte die Aufgaben eines seinem Statusamt zugeordneten Dienstpostens erfüllen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2004 – 2 C 27.03 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 28.11.2019 – 6 B 19.1570 – juris Rn. 21 m.w.N.). Nicht maßgebend ist dagegen, ob der Beamte (noch) die Aufgaben des von ihm zuletzt wahrgenommenen konkreten Dienstposten erledigen kann.
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Dies zugrunde gelegt spricht auch das Gutachten vom 24. August 2018 für eine Dienstunfähigkeit des Klägers im Sinn von § 44 BBG. Denn die darin enthaltene Aussage, der Kläger sei dienstfähig, bezieht sich erkennbar lediglich auf die seit 2004 ausgeübte Tätigkeit als Zusteller im ZSP U. Die Tätigkeit auf seinem bis zum Beginn seiner seit September 2017 bestehenden Dienstunfähigkeit besetzten konkreten – unterwertigen – Dienstposten ist jedoch für ihn kein amtsangemessener Dienstposten und eine entsprechende Verwendbarkeit für die Frage der Dienstfähigkeit daher nicht ausschlaggebend. Ausdrücklich stellt die Gutachterin dagegen fest, dass ein Einsatz im mittleren Dienst (entspricht dem Statusamt des Klägers) derzeit eine Überforderung des Klägers darstelle und bis auf weiteres nicht möglich sei. Für die Erfüllung der Aufgaben seines Amtes im abstrakt-funktionellen Sinn (amtsangemessene Beschäftigung) mangelt es dem Kläger demnach für unbestimmbare Zeit an der gesundheitlichen Eignung.
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Im Übrigen würde jedenfalls – ungeachtet der Unterwertigkeit des Dienstpostens – eine auf eine einzige mögliche Tätigkeit begrenzte Beschäftigungsmöglichkeit im ZSP U. die Annahme einer dauernden Dienstunfähigkeit im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG aufdrängen (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2021 – 6 CE 21.896 – juris Rn. 14 m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.5.2007 – 4 N 106.05 – juris Rn. 22).
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b) Hinsichtlich der Kritik des Klägers, die in den Gutachten der Betriebsärztin Dr. H. vom 12. Dezember 2018 und vom 15. November 2019 getroffenen Feststellungen seien nicht nachvollziehbar, fehlt es an der erforderlichen Substantiierung.
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c) Der Kläger wendet weiter ein, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das seine Gesundheitsstörungen falsch bewertet habe, sei er (jedenfalls) anderweitig verwendbar im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG. Trotz seiner Morbus-Crohn-Erkrankung könne er jederzeit seinen Dienst als Zusteller am ZSP U. verrichten, da er ganz genau wisse, wo er auf dieser Tour die Möglichkeit für die Benutzung einer privaten Toilette habe; er habe sich diesen Dienstposten entsprechend eingerichtet. Dieser Vortrag führt ebenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
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Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung anzuwendenden Grundsätze ausführlich und nachvollziehbar begründet, dass ein Einsatz des Klägers (auch) auf diesem einen, aus dessen Sicht allein in Frage kommenden konkreten Arbeitsplatz ausgeschlossen ist (unabhängig von der Frage, ob dieser für den Kläger überhaupt zur Verfügung steht). Dabei stellt das Verwaltungsgericht nicht nur auf die Auswirkungen der Morbus-Crohn-Erkrankung ab, sondern kommt vor allem auf der Grundlage der maßgebenden betriebsärztlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass (auch) für die Zustelltätigkeit Fähigkeiten und Eigenschaften erforderlich seien, die der Kläger nach seinem Leistungsprofil nicht aufweise. Nach den ärztlichen Feststellungen im Gutachten vom 12. Dezember 2018 sei taktgebundenes Arbeiten sowie Arbeiten unter Zeitdruck für den Kläger nicht mehr möglich, er könne lediglich leichte Routinetätigkeiten verrichten. Insbesondere wegen des erhöhten Paketverkehrsaufkommens, neuer Produkte, gestiegener Erwartungen der Kunden und erhöhtem Straßenverkehrsaufkommens stelle die Fähigkeit, unter Zeitdruck zu arbeiten, eine wesentliche Anforderung an die Zusteller dar, die keinesfalls nur eine leichte Routinearbeit leisteten. Da der Kläger ausweislich der maßgebenden Gutachten zum maßgeblichen Zeitpunkt nur wenig flexibel, belastbar und resilient gewesen sei, sei er – unabhängig von seiner Morbus-Crohn-Erkrankung – für die vom Kläger begehrte Tätigkeit in der Paketzustellung (in U.) dauernd ungeeignet.
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Mit diesen tragenden Ausführungen setzt sich das Zulassungsvorbringen inhaltlich in keiner Weise auseinander. Er hält der Bewertung durch das Gericht – unter Ausblendung der diesbezüglichen Urteilsgründe – lediglich seine gegenteilige Auffassung entgegen, ohne aber Gesichtspunkte aufzuzeigen, die Zweifel an der erstinstanzlichen Bewertung begründen. Das Zulassungsvorbringen ist schon deshalb nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, der Kläger sei auch nicht anderweitig verwendbar, darzutun. Es erfüllt insoweit nicht die Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 16).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).