Titel:
Aufenthaltserlaubnis zu sonstigen Beschäftigungszwecken
Normenketten:
AufenthG § 19c Abs. 1
AufenthG a.F. § 17 (idF bis zum 1.3.2020)
BeschV § 9
Leitsätze:
1. Eine nach § 17 AufenthG aF erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung eröffnet nicht die Möglichkeit einer anschließenden zustimmungsfreien Beschäftigung iSv § 19c Abs. 1 AufenthG iVm § 9 BeschV. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die hohen formellen Anforderungen an die Erlaubnis eines Wechsels des Aufenthaltszwecks werden werden nicht erfüllt, wenn lediglich Nebenbestimmungen zur Aufenthaltserlaubnis geändert werden, ohne dass die Ausländerbehörde die angegebene Rechtsgrundlage für den Aufenthaltstitel ändert. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis zu sonstigen Beschäftigungszwecken, Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung, zustimmungsfreie Beschäftigung, Arbeitsmarktzulassung, Wechsel des Aufenthaltszwecks, Änderung der Nebenbestimmungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 04.05.2021 – M 10 K 19.6155
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2740
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerin, eine georgische Staatsangehörige, verfolgt mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung ihre in erster Instanz erfolglose Klage, mit der sie die Verpflichtung der Beklagten begehrte, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, weiter.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.
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Solche Zweifel bestünden dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 19c AufenthG (sonstige Beschäftigungszwecke) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.8.2018 – 1 C 22.17 – BVerwGE 163, 1 – juris Rn. 19 ff.) verneint, weil die angestrebte Beschäftigung der Klägerin nicht zustimmungsfrei im Sinne von § 9 BeschV oder einer zwischenstaatlichen Vereinbarung sei. § 9 BeschV setze über seinen Wortlaut hinaus voraus, dass zuvor bereits eine Aufenthaltserlaubnis mit einer ausdrücklichen Arbeitsmarktzulassung erteilt worden sei. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall, weil lediglich zunächst – jeweils ohne Marktzulassungsprüfung – eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 17 AufenthG (in der bis zum 31.7.2017 gültigen Fassung) zur betrieblichen Ausbildung erteilt worden sei. Etwas Anderes ergebe sich auch aus dem Umstand nicht, dass die Auflagen im Zusatzblatt zur Aufenthaltserlaubnis am 24. November 2016 aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen dergestalt abgeändert worden seien, dass der Klägerin eine „unselbständige Tätigkeit“ gestattet worden sei. Die Klägerin habe nicht allein deshalb darauf vertrauen dürfen, dass ihr eine die Arbeitsmarktprüfung umfassende, uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit erteilt worden sei.
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Die Klägerin macht geltend, § 9 BeschV in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe einem Zweckwechsel von einem Aufenthalt zur Ausbildung zu einem Aufenthalt zur Beschäftigung nicht entgegen. Abgesehen davon habe in der Auflagenänderung am 24. November 2016 auch eine Änderung der Erteilungsgrundlage für die Aufenthaltserlaubnis gelegen. Damit sei davon auszugehen, dass der Klägerin an diesem Tag eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG erteilt worden sei, sodass § 9 BeschV einer Verlängerung nicht entgegenstehe.
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Damit zeigt die Klägerin keine ernstlichen Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz, hier also der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. stRspr des BVerwG, z.B. U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 9; U.v. 26.5.2020 – 1 C 12.19 – juris Rn. 20). Zu diesem Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nach § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 9 BeschV nicht vor.
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Nach § 19c Abs. 1 AufentG kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung (BeschV) oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann. Nach dem (in Ermangelung einer entsprechenden zwischenstaatlichen Vereinbarung mit Georgien allein in Frage kommenden) § 9 Abs. 1 BeschV bedarf die Ausübung einer Beschäftigung bei Ausländerinnen und Ausländern, die eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt haben (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV) oder sich seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV) nicht der Zustimmung der Arbeitsagentur. Auf die Beschäftigungszeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschV werden nicht angerechnet Zeiten von Beschäftigungen, die vor dem Zeitpunkt liegen, an dem die Ausländerin oder der Ausländer unter Aufgabe ihres oder seines gewöhnlichen Aufenthaltes ausgereist war (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 BeschV), einer nach dem Aufenthaltsgesetz oder dieser Verordnung zeitlich begrenzten Beschäftigung (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 BeschV) und einer Beschäftigung, für die die Ausländerin oder der Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung von der Zustimmungspflicht für eine Beschäftigung befreit war (§ 9 Abs. 2 Nr. 3 BeschV).
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Zunächst eröffnet die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung nach § 17 AufenthG a.F. nicht die Möglichkeit einer anschließenden zustimmungsfreien Beschäftigung im Sinne von § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 9 BeschV, da es sich nur um eine Aufenthaltserlaubnis für eine zeitlich begrenzte Beschäftigung im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 2 BeschV handelt (Breidenbach in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.7.2021, § 9 BeschV Rn. 6).
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Der Hinweis der Klägerin, dass ihr bereits aufgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug eine Erwerbstätigkeit gestattet gewesen sei, verfängt ebenfalls nicht, weil es sich auch bei einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug in Ermangelung einer ausdrücklichen Arbeitsmarktzulassung nicht um eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 19c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 9 BeschV handelt (BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 22/17 – BVerwGE 163, 1 – juris Rn. 19 ff.; BayVGH, B.v. 5.8.2021 – 19 ZB 21.1143 – juris Rn. 11).
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Das Verwaltungsgericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass allein die Änderung der Auflagen zur Aufenthaltserlaubnis der Klägerin nicht zu der Annahme führt, dass der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2017 gültigen Fassung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erteilt worden wäre.
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Aufenthaltserlaubnisse werden für einen bestimmten Aufenthaltszweck erteilt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Das Aufenthaltsrecht folgt dabei einer strikten Differenzierung nach Aufenthaltszwecken (Dienelt in Bergmann/Dienelt, AufenthG, 14. Aufl. 2022, § 7 Rn. 6); es gilt das Trennungsprinzip (stRspr seit BVerwG, U.v. 4.9.2007 – 1 C 43.06 – BVerwGE 129, 226 – juris Leitsatz 3). Der Aufenthaltszweck ist für eine Vielzahl ausländerrechtlicher Regelungen von ausschlaggebender Bedeutung. Deshalb sind im elektronischen Aufenthaltstitel nach § 78 Abs. 1 Satz 3 Nr. 8 AufenthG zwingend die „Art des Aufenthaltstitels oder Aufenthaltsrechts und dessen Rechtsgrundlage“ auszuweisen. Entsprechendes gilt auch für den „Vordruck für Aufenthaltstitel in Ausnahmefällen, Ausweisersatz und Bescheinigungen“ (§ 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Aus alledem folgt, dass für Entscheidungen über einen Wechsel des Aufenthaltszwecks aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hohe formelle Anforderungen zu stellen sind.
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Gemessen daran wurde der Klägerin zu keinem Zeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG a.F. erteilt. Auf der ihr am 6. September 2016 zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis war – entsprechend ihrem Antrag und der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit – als Rechtsgrundlage ausdrücklich „§ 17 Abs. 1 AufenthG“, vermerkt (s. Bl. 337 der Behördenakte). Dieser Hinweis auf den Aufenthaltszweck wurde auch später nicht geändert. Die dargestellten hohen formellen Anforderungen an die Erlaubnis eines Zweckwechsels werden jedoch nicht erfüllt, wenn – wie vorliegend – lediglich Nebenbestimmungen zur Aufenthaltserlaubnis geändert werden, ohne dass die Ausländerbehörde die im Aufenthaltstitel angegebene Rechtsgrundlage für den Aufenthaltstitel ändert. Der Klägerin ist zuzugeben, dass auf diese Weise Nebenstimmungen entstehen können, die mit dem eigentlichen Aufenthaltszweck offensichtlich nicht zu vereinbaren sind. Dies führt aber zur Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung und nicht zur formellen Legalisierung eines anderen Aufenthaltszwecks. Vertrauensschutzgesichtspunkte führen insofern zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin unter den gegebenen Umständen allenfalls darauf vertrauen durfte, dass ihr aufgrund der Nebenbestimmung während der Gültigkeit der ihr erteilten Aufenthaltserlaubnis eine Erwerbstätigkeit gestattet war. Angesichts des fortbestehenden Hinweises auf § 17 AufenthG a.F. als Rechtsgrundlage für diese Aufenthaltserlaubnis konnte ein weitergehendes schützenswertes Vertrauen im Hinblick auf zukünftige Aufenthaltslaubnisse gar nicht erst entstehen.
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Unabhängig von alledem scheidet ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 i.V.m. § 9 BeschV mittlerweile auch deshalb aus, weil die Klägerin bereits am 27. Juni 2021 das Bundesgebiet verlassen hat und nunmehr wieder in Georgien lebt. Ihre Vorbeschäftigungszeiten sind aufgrund der dauerhaften Ausreise nunmehr auch nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 BeschV nicht mehr berücksichtigungsfähig. Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Ausreise nur auf Druck der Beklagten erfolgt sei und sie weiterhin Beiträge für eine deutsche Krankenkasse und die deutsche Rentenversicherung entrichte, ändert dies nichts daran, dass die Klägerin offensichtlich ihren Lebensmittelpunkt unter Aufgabe ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach Georgien verlegt und daher „dauerhaft“ im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 BeschV ausgereist ist.
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Ein (ohnehin erst nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist im Schriftsatz vom 15.11.2021 geltend gemachter) Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG scheidet in Ermangelung einer Duldung bzw. substantiieren Darlegung eines Duldungsgrundes nach der Ausreise ebenfalls aus. Auch die mit Schriftsatz vom 30. Januar 2023 aufgestellte Forderung, sie im Rahmen von § 104c AufenthG so zu stellen, als hätte sie das Bundesgebiet nie verlassen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die von § 104c AufenthG geforderte Duldung liegt (und lag) im Falle der Klägerin nicht vor.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).