Titel:
Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung – Eilbedürftige Maßnahmen des Insolvenzgerichts als Ausnahme vom Tätigkeitsverbot des abgelehnten Richters
Normenketten:
InsO § 14 Abs. 1, § 17, § 20 Abs. 1 S. 1
ZPO § 47 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Gläubiger genügt den Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes, wenn Indizien glaubhaft gemacht werden, die einzeln oder in ihrer Häufung nach der allgemeinen Erfahrung den hinreichend sicheren Schluss auf das Vorliegen des Eröffnungsgrundes erlauben. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht schon dann Veranlassung, einen vorläufigen Insolvenzverwalter einzusetzen, wenn der Schuldner die Arbeit des Sachverständigen behindert, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen eines Insolvenzantrags ist die Gläubigerforderung hinreichend glaubhaft gemacht, wenn der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel vorlegt (hier gerichtlicher Vergleich). Einwendungen gegen diesen Titel können im Eröffnungsverfahren grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn sie offenkundig zutreffen. (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ist schon dann erforderlich, wenn sich der Schuldner weigert, die ihn im Eröffnungsverfahren gem. § 20 Abs. 1 S. 1 InsO treffenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in ausreichendem Maße zu erfüllen, sowie ankündigt, Verfügungen über sein Immobilienvermögen vornehmen zu wollen und zu diesem Zweck bereits einen Makler beauftragt (Anschluss an BGH BeckRS 2004, 4196). (Rn. 49 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
5. Im Bereich des Insolvenzrechts sind grundsätzlich alle ihrer Natur nach besonders eilbedürftigen (vorläufigen) Maßnahmen vom einstweiligen Tätigkeitsverbot nach § 47 Abs. 1 ZPO ausgenommen (hier vorläufige Insolvenzverwaltung und weitere Sicherungsmaßnahmen). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzgericht, vorläufige Insolvenzverwaltung, Eröffnungsgrund, Glaubhaftmachung, Gläubigerforderung, gerichtlicher Vergleich, Einwendungen, Prüfung, Verletzung der Mitwirkungspflichten, Richterablehnung, Tätigkeitsverbot, eilbedürftige Maßnahmen
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 02.06.2023 – 1500 IN 466/23
Fundstellen:
ZInsO 2023, 2058
BeckRS 2023, 27362
FDInsR 2024, 927362
LSK 2023, 27362
NZI 2024, 493
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 02.06.2023, Az. 1500 IN 466/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird vorläufig festgesetzt auf 60.000,00 €.
Gründe
1
Der Schuldner wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 06.06.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 02.06.2023, mit welchem die vorläufige Insolvenzverwaltung sowie weitere Sicherungsmaßnahmen angeordnet worden sind.
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Mit Schriftsätzen vom 22.06.2023 und 29.06.2023 hat die Schuldnerseite die sofortige Beschwerde ergänzend begründet.
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Mit Beschluss vom 20.06.2023 hat das Erstgericht dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Es ist Aktenvorlage bei dem Beschwerdegericht verfügt worden.
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Die sofortige Beschwerde des Schuldners erweist sich als zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Der angefochtene Beschluss ist nicht zu beanstanden.
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Die Angriffe der sofortigen Beschwerde vermögen nicht zu überzeugen.
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1. Soweit der Schuldner in seiner sofortigen Beschwerde zunächst beanstandet, dass er die zuständige Richterin mit Schreiben vom 12.05.2023 – mithin vor Erlass der angefochtenen Entscheidung – wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt gehabt habe, ist dies unbehelflich.
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Denn die von der abgelehnten Richterin getroffene Entscheidung war ex ante und ist ex post als eilbedürftig einzustufen. Im Lichte von § 47 Abs. 1 ZPO durfte der Beschluss vom 02.06.2023 daher durchaus noch von der Richterin am Amtsgericht … erlassen werden. Dies gilt sowohl für die darin enthaltene Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung als auch für die dort im Einzelnen getroffenen Sicherungsmaßnahmen.
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In Bezug auf § 47 Abs. 1 ZPO gilt, dass Maßnahmen, welche aufgrund ihrer besonderen Dringlichkeit keinen Aufschub dulden, von dem einstweiligen Tätigkeitsverbot nach § 47 Abs. 1 ZPO ausgenommen sind. Unaufschiebbar sind danach nur solche Handlungen des abgelehnten Richters/der abgelehnten Richterin, welche zur Abwendung wesentlicher Nachteile für eine Prozesspartei dienen oder aus anderen Gründen zwingend erforderlich sind (BeckOK ZPO/Vossler, 48. Ed. 01.03.2023, § 47 ZPO Rn. 4; OLG Celle NJW-RR 1989, 569; Zöller/G. Vollkommer Rn. 3). Eine abschließende Entscheidung darf jedoch in jedem Fall erst nach der Erledigung des Ablehnungsantrags ergehen (BGH NJW-RR 2008, 216; Ghassemi-Tabar/Nober NJW 2013, 3686 [3688]).
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Diesen Anforderungen ist vorliegend durchaus genügt.
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Im Bereich des Insolvenzrechts gilt insoweit, dass grundsätzlich alle ihrer Natur nach besonders eilbedürftigen Maßnahmen vom einstweiligen Tätigkeitsverbot nach § 47 Abs. 1 ZPO ausgenommen sind (Anders/Gehle/Göertz, 81. Aufl. 2023, § 47 ZPO Rn. 8). Dabei ist auch der Einzelfall in den Blick zu nehmen (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 47 ZPO Rn. 5).
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In diesem Zusammenhang findet sich bei der Akte folgender Vermerk der abgelehnten Richterin vom 02.06.2023:
In Kenntnis der mit Schriftsatz vom 12.05.2023 wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgten Ablehnung durch den Schuldner, wird dem Antrag des Insolvenzsachverständigen … in seinem 2. Zwischenbericht vom 11.05.2023 – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen im 3. Zwischenbericht vom 31.05.2023 – auf Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter Zustimmungsvorbehalt entsprochen.
Zwar begründet ein Ableh[n]ungsantrag grundsätzlich bis zur recht[s]kräftigen Entscheidung über den Antrag ein Handlungsverbot des betroffenen Richters. Allerdings darf der abgelehnte Richter nach § 47 Abs. 1 ZPO solche – und nur solche – Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten.
Bei der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter Zustimmungsvorbehalt liegen diese Voraussetzungen vor.
Insolvenzverfahren sind – namentlich in der Eröffnungsphase – eilbedürftig. Im Zweifel dürfen die notwendigen und im Interesse aller Verfahrensbeteiligten gebotenen richterlichen Maßnahmen nicht bis zum Abschluss des Ablehnungsverfahrens zurückgestellt werden (Ganter/Bruns in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage, 2019, § 4 Rn 44).
Unaufschiebbar sind solche Handlungen, die den Gläubigern wesentliche Nachteile ersparen oder bei deren Unterlassung Gefahr im Verzug ist (Pape in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Auflage, 2019, § 4 Rn. 11 m.w.N.). Im Zweifel sind die notwendigen richterlichen Maßnahmen, vor allem Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO, im Interesse aller Insolvenzbeteiligten erforderlich und erlauben keinen Aufschub (Pap[e], a.a.O., m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter Zustimmungsvorbehalt um eine Maßnahme, die keinen Aufschub duldet, § 47 Abs. 1 ZPO. Insoweit werden die Ausführungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen in seinen in diesem Verfahren erstatteten Berichten zugrunde gelegt und darauf Bezug genommen.
Aufgrund der Angaben des Schuldners zu seinem Immobilienvermögen, dem unkooperativen Verhalten des Schuldners bei der Erfüllung seiner Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten, insbesondere der Tatsache, dass er dem Sachverständigen mitgeteilt hat, dass er die Kommunikation einstellt, sowie die Absage der vereinbarten Termine, zuletzt am 10.05.2023 und am 30.05.2023, der Angaben des Schuldners zu laufenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf das Immobilienvermögen und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse für die Verbindlichkeiten des Schuldners, der Bemühungen des Schuldners um eine Veräußerung einer Wohnung sowie aufgrund der fehlenden bzw. widersprüchlichen Angaben des Schuldners dazu, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet und zu seiner Vermögenslage im Übrigen, ist die Anordnung der Sicherungsmaßnahme hier sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig.
Es besteht das erhebliche Risiko, dass einzelne Gläubiger auf noch vorhandene Vermögenswerte des Schuldners zugreifen, zumal der Schuldner in seiner Vermögensauskunft vom 07.03.2023 einzelne unbelastete Fahrzeuge und ein Segelboot angegeben hat. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass der Schuldner selbst sein Vermögen durch Verfügungen schmälert, um einzelne Gläubiger zu befriedigen oder seine Ausgaben zu begleichen. Insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Schuldner bislang keine umfassenden und zum Teil widersprüchliche Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen gemacht hat, gilt es die Interessen der Gläubiger durch Sicherungsmaßnahmen zu schützen. Ein weiteres Zuwarten – insbesondere bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch – ist angesichts dieser Umstände und unter Abwägung der Interessen der am Insolvenzverfahren Beteiligten nicht vertretbar. Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen kann bei dieser Sachlage nicht bis zum Abschluss des Ablehnungsverfahrens zurückgestellt werden.
Auch sind mildere Mittel – wie ein auf bestimmte Vermögensgegenstände beschränkte Verfügungsverbote – insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Vermögenslage des Schuldners bislang mangels Kooperation und widersprüchlicher Angaben nicht aufgeklärt werden konnte, zum Schutz der Interessen der Gläubiger nicht geeignet.
Auch wurde die ausdrückliche und mehrmals im Telefonat am 11.05.2023 wiederholte Zusage des Schuldners, die Forderung des antragstellenden Gläubigers sofort zu begleichen und den Beleg noch am selben Tag bei Gericht einzureichen, vom Schuldner nicht eingehalten. Wie der Insolvenzsachverständige in seinem 3. Zwischenbericht mitgeteilt hat, wurde die Forderung durch den Schuldner auch in der Folgezeit nicht bezahlt.
Dem Antrag des Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlass der Sicherungsmaßnahmen, von deren Anregung der Schuldner bereits am 11.05.2023 Kenntnis erlangt hat, wurde entsprochen.
Allein der Urlaubsabwesenheit in der Zeit vom 11.05.2023 bis 29.05.2023 und dem Ablehnungsgesuch auch gegenüber dem richterlichen Vertreter, ist die Verzögerung der Anordnung der Sicherungsmaßnahmen trotz der bestehenden Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit erst am 02.06.2023 geschuldet.“
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Auch und gerade vor dem Hintergrund dieser Ausführungen besteht aus Sicht des Beschwerdegerichts kein begründeter Zweifel daran, dass der Erlass des angefochtenen Beschlusses vollumfänglich mit § 47 ZPO in Einklang zu bringen ist.
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Sowohl die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung an sich als auch die im angefochtenen Beschluss getroffenen Sicherungsmaßnahmen sind hier unter Berücksichtigung der erstgerichtlich vorgenommenen – und vom Beschwerdegericht nicht zu beanstandenden – Einzelfallbetrachtung als eilbedürftig zu erachten. Eine diesbezügliche Wartepflicht bestand daher nicht.
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Ergänzend wird insoweit Bezug genommen auf die Stellungnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 12.06.2023 (Bl. 372/374 d.A.).
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Nach alledem ist nicht zu beanstanden, dass die Richterin am Amtsgericht … den Beschluss vom 02.06.2023 erlassen hat, obschon sie am 12.05.2023 schuldnerseits wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war. Auf eine etwaige Begründetheit des Ablehnungsantrags kommt es dabei nicht an.
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2. Auch die Angriffe auf die Zulässigkeit des Insolvenzantrags gehen hier fehl.
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Soweit die Beschwerde die Zulässigkeit des Insolvenzantrags damit in Frage stellen will, dass aus ihrer Sicht keine rechtskräftig titulierte Forderung vorliege und eine diesbezügliche hinreichende Glaubhaftmachung nicht gegeben sei, vermag dies nicht zu überzeugen.
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So ist der Gläubigerantrag des Rechtsanwalts … in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der … vom 15.02.2023 durchaus als zulässig zu erachten.
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Für die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen, vgl. § 14 Abs. 1 InsO.
22
Diesen Voraussetzungen ist hier jeweils genügt. Sowohl das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes als auch das Bestehen der Forderung ist jeweils hinreichend glaubhaft gemacht.
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a) In Bezug auf die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes gilt im Wesentlichen das Folgende:
24
Der Gläubiger genügt den Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes, wenn Indizien glaubhaft gemacht werden, die einzeln oder in ihrer Häufung nach der allgemeinen Erfahrung den hinreichend sicheren Schluss auf das Vorliegen des Eröffnungsgrundes erlauben (vgl. BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – IX ZB 256/11, NJW 2013, 2119 Rn. 10). Als ausreichend – indes nicht zwingend erforderlich – wird jedenfalls die Vorlage einer Bescheinigung über einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch erachtet (vgl. BGH, Beschl. v. 12.07.2012 – IX ZB 264/11, BeckRS 2012, 15958 Rn. 9).
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Diesen Anforderungen wird der Eröffnungsantrag vom 15.02.2023 ohne Weiteres gerecht. Denn das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wird dort in diesem Sinne hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar kann freilich allein die Nichterfüllung der Forderung des Gläubigers nicht in jedem Fall zur Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes ausreichen, da sie – wie auch die Beschwerde noch zutreffend sieht – insbesondere bei bestrittenen Forderungen auch auf Zahlungsunwilligkeit beruhen kann.
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Vorliegend hat der Gläubiger zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit jedoch mehrere gewichtige Indizien aufgezeigt, die den tragfähigen Schluss auf das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erlauben.
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Insoweit wurde gläubigerseits zunächst die rechtskräftige Eintragung des Schuldners in das zentrale Schuldnerverzeichnis vorgetragen. Ferner wurden ein Vollstreckungsprotokoll der Hauptgerichtsvollzieherin … vom 23.04.2021 über zwei erfolglose Vollstreckungsversuche bei dem Schuldner (am 09.04.2021 bzw. am 21.04.2021) sowie ein weiteres Vollstreckungsprotokoll der Hauptgerichtsvollzieherin … vom 16.01.2023 über einen erneuten erfolglosen Zwangsvollstreckungsversuch vom selben Tag zur Akte gereicht.
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Trotz entsprechender Ankündigungen hat der Schuldner die antragsgegenständliche Forderung im Übrigen bis heute nicht erfüllt.
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b) Auch die hier inmitten stehende Gläubigerforderung ist vorliegend in hinreichendem Maße glaubhaft gemacht.
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Hierfür ist die Vorlage eines Titels nicht zwingend erforderlich. Die Glaubhaftmachung kann vielmehr grundsätzlich auch in anderer geeigneter Weise erfolgen.
31
Ist die dem Gläubigerantrag zugrundeliegende Forderung aber tituliert, ist die Forderung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn der Gläubiger eine vollstreckbare Urkunde über seine Forderung vorlegt. Auf die Rechtskraft der titulierten Forderung kommt es dabei richtigerweise nicht an. Bei Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde ist der Insolvenzschuldner darauf zu verweisen, seine Einwendungen gegen die titulierte Forderung (oder gegen deren Vollstreckbarkeit) in dem dafür vorgesehenen Verfahren zu verfolgen. Solange die Vollstreckbarkeit nicht auf diese Weise beseitigt ist, braucht das Insolvenzgericht die Einwendungen des Schuldners nicht zu berücksichtigen. Das Insolvenzgericht kann diese Prüfung – von offensichtlichen Fällen abgesehen – nicht vornehmen oder nachholen, da es ihm nicht obliegt, rechtlich oder tatsächlich zweifelhaften Einwänden gegen eine titulierte Forderung nachzugehen. Will der Schuldner die drohende Verfahrenseröffnung vermeiden, muss er dafür sorgen, dass die Zwangsvollstreckung (ggf. gegen Sicherheitsleistung) vorläufig eingestellt wird. Erst im Anschluss daran bildet der Titel keine Grundlage mehr für den Insolvenzantrag (vgl. BGH, Beschl. v. 14.01.2010 – IX ZB 177/09, NZI 2010, 225 Rn. 6 f.; BGH, Beschl. v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, NJW 2008, 1380 Rn. 9).
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In diesem Lichte ist von einer ausreichenden Glaubhaftmachung – entgegen der Beschwerde – durchaus auszugehen.
33
So hat der hiesige antragstellende Gläubiger seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners vom 15.02.2023 eine vollstreckbare Urkunde in Form des vor der 6. Zivilkammer des Landgerichts München I – Az. 6 O 19043/17 geschlossenen Vergleichs beigefügt und vorgetragen, dass die Zahlung der ersten Rate nicht fristgerecht erfolgt sei, weshalb die dem Antrag zugrundeliegende Forderung (letzte Rate) an den Gläubiger zu zahlen sei.
34
Die Einwendungen hinsichtlich einer etwaig fehlenden Fälligkeit der vorgenannten Forderung sind dagegen von dem Schuldner ggf. in dem dafür vorgesehenen Verfahren zu verfolgen, im Insolvenzeröffnungsverfahren aber nicht zu berücksichtigen. Denn das Vorgehen des Schuldners gegen den Prozessvergleich vom 17.10.2019 ist bislang nicht erfolgreich gewesen, insbesondere ist die Vollstreckbarkeit des Vergleichs nicht beseitigt worden. Vielmehr hat das Landgericht München I den Antrag des Schuldners auf Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Prozessvergleich offenbar mit Beschluss vom 18.04.2023 – Az. 6 O 4579/23, zurückgewiesen. Das entsprechende Hauptsacheverfahren hat augenscheinlich bislang keinen Abschluss gefunden. Da die Vollstreckbarkeit der titulierten Forderung damit gerade nicht beseitigt ist, vermögen etwaige Einwendungen des Schuldners mitnichten daran etwas zu ändern, dass die Gläubigerforderung durch die Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde als glaubhaft gemacht anzusehen ist.
35
Das Vorbringen der Beschwerde zu der angeblich fehlenden Fälligkeit der Gläubigerforderung ist – wie auch von dem vorläufigen Insolvenzverwalter in seiner Stellungnahme vom 19.07.2023 richtig ausgeführt – nach alledem schon deshalb nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung in Frage zu stellen, weil die dem Eröffnungsantrag zugrundeliegende Forderung im Insolvenzantragsverfahren in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu prüfen ist. Es ist in der Tat nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts, rechtlich oder tatsächlich zweifelhaften Einwendungen gegen eine titulierte Forderung nachzugehen. Vielmehr hat der Schuldner etwaige Einwendungen gegen eine titulierte Forderung oder deren Vollstreckbarkeit in den jeweils vorgesehenen Verfahren überprüfen zu lassen. Unterlässt er dies, ist die titulierte Forderung als glaubhaft gemacht anzusehen.
36
Das Insolvenzgericht kann diese Prüfung allenfalls in offensichtlichen Fällen nachholen. Ein solcher Fall ist hier aber nicht ersichtlich.
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3. Wie erstgerichtlich zutreffend gesehen und auch vom vorläufigen Insolvenzverwalter in seiner Stellungnahme vom 19.07.2023 richtig ausgeführt, liegt auch kein Fall vor, in dem die Einwendungen des Schuldners offenkundig begründet wären.
38
Nur solche offenkundigen Einwendungen würden das Insolvenzgericht verpflichten, das Bestehen einer fälligen Forderung kritisch zu hinterfragen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, NJW 2008, 1380 Rn. 9; BGH, Beschl. v. 29.06.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588 Rn. 11).
39
Das Vorliegen eines offenkundigen Falles setzt aber in der Tat voraus, dass bezüglich des Durchgreifens der Einwände des Schuldners gegen die titulierte Forderung keine ernsthaften Zweifel bestehen und sich das Nichtbestehen der dem Eröffnungsantrag zugrundeliegenden Forderung geradezu aufdrängt.
40
Dies ist hier auch aus Sicht des Beschwerdegerichts mitnichten der Fall.
41
Dass ein offensichtlicher Fall in diesem Sinne vorliegend nicht in Betracht kommt, zeigen bereits die umfassend und nachvollziehbar begründeten Entscheidungen der 6. Zivilkammer des Landgerichts München I betreffend die Zurückweisung der beantragten Einstellung der Zwangsvollstreckung.
42
Hiergegen wendet sich der Schuldner mit dem Einwand, die Forderung aus dem Prozessvergleich sei nicht fällig, die Verzichtsklausel in Ziffer II S. 2 habe eingegriffen.
43
Dies überzeugt nicht, jedenfalls greifen die diesbezüglichen Einwendung des Schuldners nicht „offenkundig“ durch.
44
So sieht Ziffer II S. 2 des vor dem Landgericht München I – Az. 6 O 19043/17 am 17.10.2019 abgeschlossenen Vergleichs einen Verzicht des Gläubigers auf die letzte Rate in Höhe von 60.000,00 € lediglich für den Fall vor, dass der Schuldner die ersten beiden Raten pünktlich bezahlt hat. Ersichtlich ging es den Parteien des Vergleichs darum, den Vorgang möglichst rasch und ohne weiteren Streit zu beenden, §§ 133, 157 BGB. Der Schuldner wurde daher durch diese Regelung zur vorbehaltlosen Leistung an den Gläubiger verpflichtet. Denn der Vergleich diente augenscheinlich dazu, keinen weiteren Streit über das in Streit stehende Rechtsverhältnis entstehen zu lassen. Es ist davon auszugehen, dass schon ein Vorbehalt, mit dem der Schuldner lediglich dem Verständnis seiner Leistung als Anerkenntnis entgegentreten und die Wirkung des § 814 BGB ausschließen möchte – sich also die Rückforderung des Geleisteten vorbehält – dem Sinn und Zweck der Regelung entgegenstehen würde. Denn der Abschluss des Prozessvergleiches, vor allem aber die Begünstigung des Schuldners durch die getroffene Regelung, bezweckte offenbar gerade, die zwischen den Vergleichsparteien bestehende Streitigkeit rasch und abschließend beizulegen.
45
Diesem durchaus offen ans Tageslicht tretenden Zweck würde es in nachgerade eklatantem Maße widersprechen, wenn es dem Schuldner offenstünde, einen nur unter Vorbehalt geleisteten Vergleichsbetrag wieder zurückzufordern.
46
Abgesehen davon spricht auch der Wortlaut der Regelungen im Prozessvergleich, in denen explizit die „pünktliche“ Zahlung betont wird, sowie die Wertungen der Zahlungsverzugsrichtlinie (RL 2011/7/EU), dafür, dass die von dem Schuldner erst am 12.06.2020 vorgenommene Überweisung nicht „pünktlich“ im Sinne der Ziffer II des gerichtlichen Vergleichs vom 17.10.219 – Az. 6 O 19043/17, erfolgte, weil diese die üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen nicht mehr wahrte.
47
Nach alledem ist keinesfalls erkennbar, dass „offensichtlich“ keine fällige Forderung des antragstellenden Gläubigers vorliege.
48
Das Insolvenzgericht ist daher an das Vorliegen des vollstreckbaren Titels gebunden, ein zulässiger Insolvenzantrag liegt vor.
49
4. Im Übrigen war die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung sowie der weiteren Sicherungsmaßnahmen durch den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts München bereits aufgrund der unzureichenden Kooperationsbereitschaft des Schuldners erforderlich.
50
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht schon dann Veranlassung, einen vorläufigen Insolvenzverwalter einzusetzen, wenn der Schuldner die Arbeit des Sachverständigen behindert, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern (vgl. BGH, Beschl. v. 04.03.2004 – IX ZB 133/03, NJW 2004, 2015, 2017).
51
Dies ist hier der Fall.
52
Der Schuldner weigert sich offenbar bis heute, die ihn im Eröffnungsverfahren gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 InsO treffenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in ausreichendem Maße zu erfüllen.
53
Zudem hatte er nach Mitteilung des vorläufigen Insolvenzverwalters angekündigt, Verfügungen über sein Immobilienvermögen vornehmen zu wollen und zu diesem Zweck bereits einen Makler beauftragt, dessen Unabhängigkeit weiterhin in Frage steht.
54
Ein milderes Mittel als die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ist auch aus Sicht des Beschwerdegerichts – zumal bei intransparenten Vermögensverhältnissen wie hier – zu verneinen.
55
Nach alledem kann der sofortigen Beschwerde des Schuldners hier kein Erfolg beschieden sein.
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Die Kostenfolge beruht auf § 97 ZPO i.V.m. § 4 InsO.
57
Die vorläufige Streitwertfestsetzung fußt auf der Höhe der antragsgegenständlichen Forderung des antragstellenden Gläubigers.