Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 30.03.2023 – AN 6 K 16.02144
Titel:

Kostenerstattung bei Gewährung von Vollzeitpflege nach örtlicher Zuständigkeit

Normenketten:
SGB VIII § 33, § 86 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6, § 86d, § 89a, § 89c, § 89e
SGB I § 30 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Dem für den Einrichtungsort zuständigen Träger ist auch bei Inanspruchnahme auf Erstattung durch den nach § 86 Abs. 6 SGB VIII leistungszuständig gewordenen Träger ein Erstattungsanspruch nach § 89e SGB VIII – zumindest im Rahmen des Durchgriffs von § 89a Abs. 2 SGB VIII – zuzuordnen. (Rn. 80) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gesetz sieht für den wegen vorläufiger Verpflichtung zum Tätigwerden leistenden örtlichen Träger eine „Durchgriffserstattung“ gegenüber dem Träger, gegen den der nach § 89c Abs. 1 S. 2 SGB VIII erstattungspflichtige Träger des Einrichtungsortes einen Kostenerstattungsanspruch hat, nicht vor. (Rn. 93) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerstattung bei Gewährung von Vollzeitpflege, Verpflichtung nach § 89c SGB VIII, Verpflichtung nach § 89a i.V.m. § 89e SGB VIII, zur Frage der Durchgriffserstattung, sog. Einrichtungsakte bei § 89e SGB VIII, zur örtlichen Zuständigkeit für die Leistungsgewährung gemäß dem gewöhnlichen Aufenthalt, Kostenerstattung, Vollzeitpflege, Durchgriff, Einrichtungsort, gewöhnlicher Aufenthalt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27291

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum vom 15. Juli 2017 bis 30. September 2018 für die Vollzeitpflege von … aufgewendeten Kosten in Höhe von 11.183,79 EUR zu erstatten zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, nicht jedoch vor Fälligkeit der jeweiligen Erstattungsansprüche.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 16/27 und die Beklagte zu 11/27 zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen  Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
Die Vollstreckung durch die Beklagte kann der Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung gegen dieses Urteil wird insoweit zugelassen, als die Beklagte gemäß Nummer 1 verurteilt worden ist.

Tatbestand

1
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger, der Landkreis …, von der Beklagten, der Stadt …, (zuletzt) die Erstattung der auf insgesamt 27.315,95 EUR bezifferten Kosten für im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 30. September 2018 geleistete Jugendhilfe in Form von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII in einer Pflegestelle im Landkreis … für den am … 2012 geborenen …, dazu noch Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit. … ist der Sohn von Frau …, die auch die elterliche Sorge im streitgegenständlichen Zeitraum innehatte; eine festgestellte Vaterschaft ist nicht ersichtlich.
2
Zum Rechtsstreit beigeladen sind der Landkreis … (Beigeladener zu 1)), der Bezirk … (Beigeladener zu 2)) und der Bezirk … (Beigeladener zu 3)).
3
Gemäß einer E-Mail des Kreisjugendamtes … vom 22. Oktober 2014 an einen Mitarbeiter des ASD des Jugendamtes der Stadt … war … durch eine telefonische Mitteilung des Jugendamtes des Landkreises … vom 20. Oktober 2014 in den Blick des Kreisjugendamtes … geraten. Demgemäß hatte die für die Hilfeplanung des Halbbruders … beim Kreisjugendamt … zuständige Sachbearbeiterin mitgeteilt, dass sich bei einem Hilfeplangespräch am 16. Oktober 2014 herausgestellt habe, dass die Mutter von …, Frau …, seit 14 Tagen stationär in der … in … (Landkreis …) behandelt werde und unter vollumfängliche Betreuung gestellt worden sei. … habe seit März 2014 mit seinen Eltern, … und …, unter der Anschrift …, …, gewohnt. Frau … sei allein sorgeberechtigt. Der Mietvertrag laufe auf …; Frau … sei dort nur mit als wohnhaft aufgeführt worden. Gemeldet gewesen seien Frau … und … in der …, … (Landkreis …). Die Sachbearbeiterin des Kreisjugendamtes … habe sich an das Kreisjugendamt … gewandt, weil man im Hilfeplangespräch von der behandelnden Therapeutin in der Klinik erfahren habe, dass laut der Kindsmutter … sich bei seiner Urgroßmutter väterlicherseits, Frau …, wohnhaft …, … aufhalte und von dieser vorübergehend betreut werde. Man habe die Befürchtung, dass die 75-jährige Urgroßmutter, die durch gesundheitliche Probleme körperlich stark eingeschränkt sei, mit der Betreuung und der Versorgung des Jungen überfordert sei. Daraufhin habe am gleichen Tag im Rahmen des Schutzauftrages ein unangekündigter Hausbesuch des Kreisjugendamtes … bei Frau … stattgefunden. Es habe jedoch erst am darauffolgenden Tag jemand angetroffen werden können. Beim Kreisjugendamt … sei man übereingekommen, dass Frau … dauerhaft mit der Betreuung und der Versorgung von … überfordert sei, jedoch für kurze Zeit sich um ihren Urenkel kümmern könne. Dazu habe sie sich auch bereit erklärt. Die Mutter von … und deren Betreuerin seien über den Vorgang informiert worden. Die Mutter habe bereits gegenüber der Betreuerin erklärt gehabt, dass sie für ihren Sohn einen Dauerpflegeplatz wünsche. Ihre Behandlung werde sich über ein bis zwei Jahre hinziehen, weil sie nach Stabilisierung in der Klinik in eine Langzeittherapie – stationär – wechseln wolle. Frau …, die Betreuerin der Mutter, sei darauf hingewiesen worden, dass sie einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung stellen müsse und dafür, durch den tatsächlichen Aufenthalt von Frau … begründet, das Jugendamt der Stadt … zuständig sei.
4
Im Protokoll zur Meldung einer Kindeswohlgefährdung ist zum Erstkontakt mit Frau … am 21. Oktober 2014 u.a. auch deren Angabe vermerkt, sie sei derzeit damit beschäftigt, die Wohnung in … aufzulösen.
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In Antwort auf die E-Mail des Kreisjugendamtes … dankte der Mitarbeiter des ASD des Jugendamtes der Stadt … mit E-Mail vom 23. Oktober 2014 für den Bericht und bot ein Telefonat zur Klärung der Zuständigkeit an. … sei in … nicht gemeldet und wenn er sich tatsächlich in der … in … aufhalte, gehe er davon aus, dass das Kreisjugendamt … für den Vorgang zuständig sei.
6
Mit E-Mail-Schreiben ebenfalls vom 23. Oktober 2014 erwiderte das Kreisjugendamt …, dass in der Hilfesache … nicht die melderechtliche Erfassung des Kindes, sondern der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern bzw. der sorgeberechtigten Mutter maßgeblich sei, der ja seit März 2014 zweifellos im Stadtbezirk … gewesen sei. Das Fehlen der behördlichen Meldung von Frau … und … bedeute nicht, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet worden sei. Sie hätten Frau … auch diesbezüglich um eine schriftliche Erklärung gebeten, die beigefügt werde. Raum für eine Zuständigkeit des Kreisjugendamtes … werde nicht gesehen, es werde um Tätigwerden des Jugendamtes der Stadt … gebeten.
7
Beigefügt war in Ablichtung eine unter dem Datum des 23. Oktober 2014 handschriftlich abgegebene Erklärung von Frau … Darin erklärt diese, dass sie, wohnhaft …, …, derzeit Aufenthalt in der …, sich von März 2014 bis zu ihrer Einweisung Anfang Oktober bei der o.g. Adresse aufgehalten habe.
8
Bei ihr habe auch ihr Sohn … gewohnt. Sie habe die Absicht, auch weiterhin in … und Umgebung wohnen zu bleiben. Sie hätte gerne die Wohnung in der … beibehalten, sei aber krankheitsbedingt nicht in der Lage.
9
Am 7. November 2014 stellte Frau … als Betreuerin für Frau … (als vorläufige Betreuerin für alle Angelegenheiten incl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post durch Beschluss des Amtsgerichts … vom 10.10.2014 bestellt) beim Jugendamt der Stadt …, dort eingegangen am 10. November 2014, „formlos ab sofort“ Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege für den Sohn …, derzeit wohnhaft bei Frau … in … In der Folgezeit ermittelte das Jugendamt der Stadt …, dass für … nach den derzeitigen Einträgen des Sorgeregisters keine gemeinsame elterliche Sorge besteht und dass Frau … seit 1. Mai 2012 und … seit Geburt in … gemeldet sind und dass … von Juli 2010 bis Juli 2011 auch in … gemeldet gewesen ist.
10
Am 1. Dezember 2014 kam die Mutter … aus der … in eine psychiatrische Übergangseinrichtung des AWO Kreisverbandes … in der …, …, wo sie ab diesem Zeitpunkt auch amtlich gemeldet war.
11
Laut einer internen E-Mail des Jugendamtes der Stadt … vom 12. Februar 2015 wurde dort der Vorgang (wieder) aufgegriffen. Laut einer weiteren internen E-Mail vom 16. Februar 2015 kam die Abteilung Wirtschaftliche Hilfe des Jugendamtes der Stadt … zu dem Ergebnis, dass die Antragsunterlagen an das Landratsamt … gesandt werden sollten, weil die dortige Zuständigkeit für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung gegeben sei. Die Mutter habe wohl bis Anfang Oktober 2014 in … gewohnt, seitdem sei sie in der Klinik in … Die … Wohnung (wohl angemietet vom nicht anerkannten Vater) sei wohl von Frau … aufgelöst worden. Es gebe also keinen Bezugspunkt mehr nach … Laut der Erklärung der Mutter vom 23. Oktober 2014 habe diese wohl die Absicht, sich nach dem Klinikaufenthalt im Raum … niederzulassen. Die Wohnung sei aufgelöst und auf Grund der Aussage, dass im Raum … eine Wohnung gesucht werden solle, sei eindeutig davon auszugehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt in … aufgegeben worden sei.
12
Gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII richte sich demnach die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor Hilfebeginn, der unbestritten in … sein dürfte.
13
Mit Schreiben vom 10. März 2015 übermittelte das Jugendamt der Stadt … dem Kreisjugendamt … den Antrag vom 7. November 2014 auf Hilfe zur Erziehung, weil die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 4 SGB VIII beim dortigen Landratsamt liege. Die Kindsmutter sei schon Anfang Oktober 2014 in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen untergebracht worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe das Kind schon in … gelebt. Zudem habe die Urgroßmutter Frau … erklärt, dass … sich „die ganze Zeit“ bei ihr aufgehalten habe, weil die Mutter die Versorgung und Erziehung des Kleinkindes nicht habe sicherstellen können.
14
Die Betreuerin der Mutter … teilte dem Kreisjugendamt … mit Schreiben vom 23. März 2015 auf dortige Nachfrage nach einem Nachweis über ihre Bestellung zusammen mit diesem Nachweis mit, dass der Stand der Dinge mittlerweile der sei, dass … nun doch bei Frau … bleibe.
15
Laut einem Aktenvermerk des Kreisjugendamtes … vom 26. März 2015 wurde dort davon ausgegangen, dass die Betreuerin auf Grund ihrer Aufgabenkreise (gemäß Betreuerausweis vom 23.12.2014: Aufenthaltsbestimmung, Entgegennahme und Erledigen der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten und Sozialleistungsträgern, Wohnungsangelegenheiten) zwar für die Kindsmutter Vertretungsvollmacht gegenüber Behörden etc. habe, allerdings nicht für das Kind. Hier sei nach wie vor die Mutter allein sorgeberechtigt und somit im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII auch im Hinblick auf eine Erziehungshilfe nach § 33 SGB VIII antragsberechtigt. Auf Grund dieses Umstands und der im hiesigen Amt bereits getroffenen Einschätzung, dass die derzeit das Kind betreuende Urgroßmutter Frau … schon altersbedingt nicht als Pflegemutter in Frage komme, solle zeitnah ein Kontakt mit der Kindsmutter unter Einbeziehung deren Betreuerin vereinbart werden. Dabei solle geklärt werden, ob die Kindsmutter nach wie vor damit einverstanden sei, wenn für … eine geeignete Pflegestelle im Großraum … gesucht werde. Bei einer geeigneten Pflegestelle wäre dann auf Grund eines Hilfeantrags der Kindsmutter auch eine Jugendhilfegewährung in Form von Vollzeitpflege für … möglich. Außerdem könnten regelmäßig Kontakte des Kindes mit seiner Mutter ortsnah organisiert werden.
16
Mit Schreiben vom 27. März 2015 an das Kreisjugendamt … beantragte die Kindsmutter … für ihren Sohn … Vollzeitpflege. Die Pflegeeltern sollten es ihr ermöglichen, … regelmäßig zu sehen, im Bedarfsfall auch zum jetzigen Wohnort bringen zu können. Da … bis zu ihrem Klinikaufenthalt letzten Sommer hauptsächlich bei ihr gewesen sei, plane sie auch, ihn wieder zu sich zu nehmen, sobald ihre gesundheitliche Verfassung dies wieder zulasse. Aktuell benötige sie noch therapeutische Unterstützung und sei deshalb vollstationär in einer Übergangseinrichtung untergebracht; Kontakte bzw. Bewerbungsverfahren bei Einrichtungen in Wohnortnähe ihrer Mutter und des zweiten Sohnes liefen bereits.
17
Mit Schreiben vom 1. April 2015 wandte sich das Kreisjugendamt … an das Jugendamt der Stadt … mit der Ankündigung, dass es, sofern dort nicht die örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes der Stadt … anerkannt werde, gemäß § 86d SGB VIII seiner Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden nachkommen werde, und mit dem Hinweis auf den Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89c SGB VIII. Nachdem beide Eltern – der Vater bis zu seiner Inhaftierung und die Mutter bis zu ihrer stationären Krankenhausbehandlung Anfang Oktober 2014 – ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Stadt … gehabt hätten, könnten sie die Einschätzung des Jugendamtes der Stadt … nicht nachvollziehen, dass das Kreisjugendamt … gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII für den Antrag örtlich zuständig sei. Sowohl aus einem am 21. Oktober 2014 mit Frau … geführten Telefonat als auch aus einer schriftlichen Erklärung der Kindsmutter zu ihren Aufenthaltsverhältnissen vom 23. Oktober 2014 sei ersichtlich, dass sich die Kindsmutter bis zum Beginn ihres Krankenhausaufenthaltes zusammen mit ihrem Sohn nicht nur vorübergehend im Bereich der Stadt … aufgehalten habe, sondern dort gelebt habe.
18
Unter dem Datum des 18. Mai 2015 gab Herr …, derzeit JVA …, gegenüber dem Kreisjugendamt … die handschriftliche Erklärung ab, dass er von ca. Anfang März bis 1. Oktober 2014 (Inhaftierung) mit Frau … und Sohn … in der … in … gewohnt habe.
19
Zum 15. Juni 2015 zog die Mutter … in das … in … (Landkreis …), einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII, um, wo sie ab diesem Zeitpunkt auch amtlich gemeldet war.
20
Für die Unterbringung in dieser Einrichtung bewilligte der Bezirk … mit Bescheid vom 16. Juli 2015 für die Zeit vom 15. Juni 2015 bis 30. Juni 2016 Frau … Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt.
21
Nachdem das Kreisjugendamt … für … im Haushalt eines Ehepaares in … im Landkreis … eine geeignete Pflegestelle gefunden hatte, gewährte es mit Bescheid vom 23. Juli 2015 Frau … ab 15. Juli 2015 für deren Sohn Erziehungshilfe in Form von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII. Eine dem Wohl von … entsprechende Erziehung sei derzeit nicht gewährleistet, weil eine kurzfristige Aufnahme in den mütterlichen Haushalt auf Grund ihrer derzeitigen persönlichen Verhältnisse nicht möglich sei und ein weiterer Verbleib bei der Urgroßmutter auf Grund deren starker körperlicher Einschränkungen und gesundheitlichen Probleme nicht mehr möglich sei. Es liege somit eine defizitäre Erziehungssituation für … vor, die eine erzieherische Unterstützung erfordere. Auf Grund ihres Hilfsantrages und der daraus mit ihr durchgeführten gemeinsamen Klärung des Sachverhaltes halte das Kreisjugendamt … die Unterbringung des Sohnes in einer Pflegestelle für geeignet und notwendig. Nachdem das Jugendamt der Stadt … seine örtliche Zuständigkeit ablehne, sei das Kreisjugendamt … gemäß § 86d SGB VIII zum vorläufigen Tätigwerden verpflichtet. Die sachliche Zuständigkeit ergebe sich aus § 85 SGB VIII.
22
Der Bescheid vom 23. Juli 2015 wurde der Betreuerin von Frau … übersandt. Außerdem wurde er mit Schreiben vom gleichen Tag in Abdruck dem Jugendamt der Stadt … zur Kenntnis gegeben und diesem gegenüber gemäß § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für die Zeit ab 15. Juli 2015 Kostenerstattung geltend gemacht. Gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hätten beide Elternteile bei Beginn der Hilfe (15.7.2015) verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, so dass der örtliche Träger zuständig sei, in dessen Bereich der personenberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Nachdem die Mutter von … allein sorgeberechtigt sei, richte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt von Frau … Da die Unterbringung gemäß § 89e SGB VIII in der … und ab 1. Dezember 2014 in der Übergangseinrichtung … kostenrechtlich geschützt sein dürfte, sei der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter von … vor Aufnahme in die Ersteinrichtung Anfang Oktober 2014 maßgeblich.
23
Mit Schreiben vom 17. August 2015 teilte das Kreisjugendamt … dem Jugendamt der Stadt … ergänzend mit, dass sich die Mutter von … seit dem 15. Juni 2015 im …, Wohnheim für Menschen mit einer psychischen Erkrankung, in … befinde. Nachdem auch der aktuelle Aufenthalt von Frau … nach § 89e SGB VIII kostenerstattungsrechtlich geschützt sei, verbleibe es bei der Bitte um schriftliche Kostenzusage und um Mitteilung, wann die Hilfegewährung von dort als örtlich zuständiger Jugendhilfeträger übernommen werden könne.
24
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 bat das Jugendamt der Stadt … neben Zusendung des aktuellen Entwicklungsberichts bzw. der Hilfeplanfortschreibung um weitere Sachverhaltsklärung. Das Kreisjugendamt … erwähne in sämtlichen vorliegenden Unterlagen Herrn … als Kindsvater und gehe auch von einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII aus. Nach der aktuellen Geburtsurkunde von … sei allerdings bislang keine Vaterschaft festgestellt worden. Für die Feststellung der örtlichen Zuständigkeit seien die Aufenthaltsverhältnisse von Herrn … deshalb nicht relevant. Maßgeblicher Elternteil sei gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Mutter. Die Wohnung in … sei im Oktober 2014 aufgelöst worden. Bezugspunkte der Mutter nach … seien nicht festzustellen. Weder sie noch der vermeintliche Kindsvater seien in … gemeldet gewesen. Es sei ab dem Wegzug aus … davon auszugehen, dass die Mutter keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr gehabt habe. In diesen Fällen ergebe sich die örtliche Zuständigkeit dann aus § 86 Abs. 4 SGB VIII und richte sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt/tatsächlichen Aufenthalt des Kindes, ansonsten aus dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter. Ausschlaggebend sei immer der tatsächliche Hilfebeginn. Nach aktuellem Kenntnisstand lebe Frau … seit 15. Juni 2015 in … in einer Einrichtung. Hier sei durchaus die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts möglich, dies sei jedoch im Einzelfall zu prüfen und entscheidend für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 SGB VIII. Kostenerstattungsansprüche seien in den §§ 89 SGB VIII ff. geregelt und gesondert von den Zuständigkeitsregelungen zu prüfen. Eine Grundlage für einen Zuständigkeitswechsel nach … werde nicht gesehen. Entweder richte sich die Zuständigkeit nach dem Aufenthalt des Kindes vor Beginn der Leistung (das dürfte in … gewesen sein) oder nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter (wenn vorhanden, dann wohl in …, Landkreis …). Eine Fallübernahme werde deshalb abgelehnt. Ein Kostenerstattungsanspruch des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers gegenüber der Stadt … bestünde nur, wenn sich Frau … ab dem Wegzug aus … ununterbrochen in Einrichtungen aufgehalten hätte, die dem Schutz der Einrichtungsorte gemäß § 89e SGB VIII unterliegen. Falls dem so sei, werde gebeten, diese Aufenthalte lückenlos mitzuteilen und entsprechend die Schutzwürdigkeit nachzuweisen. Außerdem werde um Mitteilung gebeten, wo … sich vor Hilfebeginn am 15. Juli 2015 aufgehalten habe und ob die Unterbringung in der Pflegefamilie den Beginn der Jugendhilfemaßnahme darstelle oder vorher schon Hilfe zur Erziehung in einem anderen Setting geleistet worden sei.
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Mit Schreiben vom 18. November 2015 antwortete das Landratsamt …, dass es richtig sei, dass Herr … bis zum heutigen Tag seine Vaterschaft nicht anerkannt habe. Es werde die Auffassung geteilt, dass infolgedessen nach § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die Kindsmutter maßgeblicher Elternteil für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit sei. … sei am 15. Juli 2015, dem Beginn der Hilfe, in einer Vollzeitpflegestelle des Kreisjugendamtes … untergebracht worden, seit diesem Zeitpunkt werde für das Kind Erziehungshilfe in Form von Vollzeitpflege gewährt. Zum Zeitpunkt des Jugendhilfebeginns habe sich die Mutter von … im …, Wohnheim für Menschen mit einer psychischen Erkrankung, in … befunden. Grundsätzlich könne Frau … einen gewöhnlichen Aufenthalt in … begründet haben, allerdings komme hier § 89e SGB VIII zum Tragen, so dass zu prüfen sei, wo die Mutter von … vor Aufnahme ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Vollständigkeitshalber werde angeführt, dass die Kosten der Unterbringung in …, wie auch in der Übergangseinrichtung …, der Bezirk … im Rahmen seiner Leistungsgewährung gemäß § 53, 54 SGB XII übernehme. Vor Aufnahme ins … habe sich Frau … vom 1. Dezember 2014 bis 15. Juni 2015 in der Übergangseinrichtung … des AWO-Kreisverbandes … befunden. Auch hier sei § 89e SGB VIII anzuwenden. Der Aufnahme in der Übergangseinrichtung … sei seit Anfang Oktober 2014 eine stationäre Krankenhausbehandlung vorgeschaltet gewesen. Die Kindsmutter habe sich in der … in … befunden. Auch dieser Unterbringungsort falle unter den Schutz des § 89e SGB VIII. Vor ihrer stationären Unterbringung habe Frau … zusammen mit ihrem Lebenspartner, Herrn …, und ihrem Sohn … in … in der … gewohnt, was die schriftlichen Erklärungen von Frau … und Herrn … und Ausführungen der Betreuerin von Frau … vom 2. September 2015 bestätigten. Die nicht erfolgte melderechtliche Erfassung von Frau … und Herrn … in … habe hier für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit nur eine untergeordnete Bedeutung. Herr … sei durch Haftbefehl gesucht worden und habe insoweit kein Interesse gehabt, eine Anmeldung vorzunehmen. Frau … habe sich somit seit der Wohnungsauflösung in … ununterbrochen in nach § 89e SGB VIII geschützten Einrichtungen aufgehalten, so dass das Jugendamt der Stadt … gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII für die Erziehungshilfe von … örtlich zuständig sei.
26
Bis zur Übernahme der Hilfegewährung bestehe gemäß § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII ein Kostenerstattungsanspruch des Kreisjugendamtes … Beigefügt war eine Aktennotiz über ein Telefongespräch mit Frau …, der Betreuerin von Frau …, am 2. Dezember 2015. Gemäß diesem Vermerk gab die Betreuerin an, dass die Kindsmutter 2014 über keinerlei eigenes Einkommen verfügt habe. Der damalige Lebensgefährte habe möglicherweise ALG-II erhalten. Aktuell erhalte sie vom Bezirk … ein monatliches Taschengeld. Frau … sei nach wie vor in … gemeldet, aber tatsächlicher Aufenthalt sei … Mit Schreiben vom 12. Mai 2016 an das Kreisjugendamt … verwies das Jugendamt der Stadt … auf sein Schreiben vom 6. Oktober 2014 sowie darauf, dass die Kindsmutter bereits vor dem Hilfebeginn am 15. Juli 2015 in … in einer Einrichtung gelebt habe. Unterbringungen in Wohnheimen für Menschen mit psychischen Erkrankungen seien in der Regel auf Dauer ausgelegt und als zukunftsoffen anzusehen, so dass es sich nach ihrer Einschätzung um einen gewöhnlichen Aufenthalt handele. Folglich sei nach § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit des Kreisjugendamtes … gegeben (unabhängig davon, ob es sich um einen geschützten Einrichtungsort handele). Bezugspunkte zu … seien nicht ersichtlich. Die Äußerung vom 23. Oktober 2014, in … oder Umgebung wohnen zu wollen, könne sicher nicht als Argumentationsgrundlage für einen gewöhnlichen Aufenthalt in … herangezogen werden. Vielmehr befinde sich der Lebensmittelpunkt der Mutter im … Eventuelle Kostenerstattungsansprüche des Landkreises … seien in § 89c Abs. 1 SGB VIII geregelt und richteten sich gegebenenfalls an das Jugendamt, das nach § 86 SGB VIII für die Hilfe zuständig sei. Dieser Anspruch habe Vorrang vor eventuellen Ansprüchen nach § 89e SGB VIII. Dem örtlich zuständigen Jugendamt bleibe es dann unbenommen – nach Abwicklung der Kostenerstattung nach § 89c SGB VIII – mögliche Kostenerstattungsansprüche gemäß § 89e SGB VIII geltend zu machen. Eine Durchgriffsmöglichkeit sehe das Gesetz hier nicht vor.
27
Mit Schreiben vom 17. Mai 2016 bat das Kreisjugendamt … den Bezirk … um Einschätzung, ob die Unterbringung von Frau … im … auf Dauer angelegt sei und somit als zukunftsoffen anzusehen sei oder ob insbesondere bereits bei Unterbringungsbeginn von einer befristeten Maßnahme ausgegangen habe werden können.
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Der Bezirk … antwortete mit Schreiben vom 20. Mai 2016, dass die Kostenzusage zunächst für ein Jahr erfolgt sei und jetzt ab 1. Juli 2016 nochmals um ein Jahr verlängert worden sei. Die Maßnahme sei zukunftsoffen. Es könne nicht eingeschätzt werden, ob die Verselbständigung und Beendigung des jetzigen Aufenthaltes in einem Jahr oder erst nach mehreren Jahren erfolgen werde. Vor den Aufenthalten in … und in der … habe Frau … nach Aussage ihrer Betreuerin vom November 2014 mit ihrem Freund und ihrem Sohn in … gelebt. Der Freund sei dann in die JVA eingewiesen worden. Da sich Frau … seit 3. Oktober 2014 durchgehend in stationären Einrichtungen aufhalte, sei der gewöhnliche Aufenthalt in … nach Aktenlage aufgegeben worden.
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Mit Schreiben jeweils vom 29. Juli 2016 machte das Kreisjugendamt … sowohl gegenüber dem Bezirk … (unter Hinweis auf § 89 SGB VIII) als auch gegenüber dem Landkreis … (unter Hinweis auf § 89c SGB VIII) Kostenerstattung für die Gewährung von Vollzeitpflege an … seit dem 15. Juli 2015 geltend, obwohl derzeit eine Klage gegen die Stadt … vorbereitet werde.
30
Mit Schreiben vom 2. August 2016 teilte der Bezirk … dem Kläger mit, dass er Kostenerstattung ablehne. Sofern gemäß § 86 SGB VIII der tatsächliche Aufenthalt für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich sei, seien die Kosten, die ein örtlicher Träger aufgewendet hat, gemäß § 89 SGB VIII von dem örtlichen Träger zu erstatten, zu dessen Bereich der örtliche Träger gehört. Da die Jugendhilfekosten vom Landratsamt … gewährt würden, sei der Bezirk … der zuständige überörtliche Träger und der … Mittelfranken örtlich nicht zuständig.
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Daraufhin machte das Kreisjugendamt … mit Schreiben vom 30. September 2016 auch gegenüber dem Bezirk … Kostenerstattung gemäß § 89 SGB VIII geltend, soweit sich tatsächlich eine Erstattungsverpflichtung des Bezirks … ergebe.
32
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2016, bei Gericht eingegangen am 4. November 2016, erhob der Landkreis … Klage gegen die Stadt … mit dem (damaligen) Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Hilfegewährung (für …) gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in eigener örtlicher Zuständigkeit zu übernehmen und dem Kläger sämtliche Kosten, die er seit dem 15. Juli 2015 aufgewendet hat, nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu erstatten.
33
Die Beklagte sei ab 15. Juli 2015 zur Kostenerstattung gemäß § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII und zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Fallübernahme in eigener örtlicher Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII verpflichtet. Seit 15. Juli 2015 bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung seien Erstattungsforderungen von 12.014,75 EUR aufgelaufen und es entstünden derzeit monatliche Kosten von 733,00 EUR, die die Erstattungsforderung laufend erhöhten. Zur Begründung verwies der Kläger auf den einschlägigen vorherigen Schriftwechsel und ergänzte noch, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I der gewöhnliche Aufenthalt durch einen zukunftsoffenen Verbleib „bis auf Weiteres“ gekennzeichnet sei, der sich im Rahmen einer Prognose auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme abzeichnen müsse. Ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt sei nicht erforderlich, „es genüge vielmehr, dass der Betreffende an dem Ort oder in dem Gebiet tatsächlich seinen Aufenthalt genommen hat und sich dort bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat“. Lege man für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts den Zeitpunkt des tatsächlichen Hilfebeginns (15.7.2015) zu Grunde, so sei festzuhalten, dass sich Frau … zu diesem Zeitpunkt in der Einrichtung … in … aufgehalten habe. Retrospektiv zum Zeitpunkt der dortigen Aufenthaltsnahme betrachtet, sei von einer zeitlich begrenzten Maßnahme der Eingliederungshilfe (Kostenzusage des Bezirks … für zunächst ein Jahr) auszugehen; aktuell sei die Maßnahme jedoch um ein weiteres Jahr verlängert worden. Gehe man angesichts dieses Sachverhaltes und entgegen der von Frau … deutlich geäußerten Absicht, wieder in den Stadtbereich … zurückkehren zu wollen, davon aus, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Stadt … verloren habe und dieser damit in der Einrichtung in … (Landkreis …) begründet worden sei, so sei gemäß § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII der örtliche Träger zur Erstattung der Kosten verpflichtet, in dessen Bereich die Person vor Aufnahme in einer Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Nach Ansicht des Klägers profitiere nicht nur der zuständige Jugendhilfeträger des …, sondern auch der der Übergangseinrichtung … (diene der Betreuung) und der der … (diene der Behandlung) vom Schutz der Einrichtungsorte nach § 89e SGB VIII, denn unter bestimmten Voraussetzungen könne auch auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in einer vorangegangenen (ersten) Einrichtung bzw. anderen Familie oder sonstigen Wohnform abgestellt werden (sogenannte Einrichtungskette). Es komme damit entscheidend darauf an, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt von Frau … am 2. Oktober 2014 vor Beginn der stationären Krankenhausbehandlung befunden habe. Dieser habe sich unzweifelhaft im Bereich der Beklagten befunden und sei erst durch die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung und der fast gleichzeitig erfolgten Festnahme und Inhaftierung von Herrn … aufgelöst worden.
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Außerdem beantragte der Kläger die Beiladung des Landkreises … und des Bezirks …; alternativ – wovon der Kläger derzeit nicht ausgehe – könnte eine Zuständigkeit anderer Stellen in Frage kommen.
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Mit Schreiben vom 30. Januar 2017 verzichtete die Beklagte auf mündliche Verhandlung und beantragte
Klageabweisung.
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Zur Begründung verwies sie unter Bezugnahme auf den vorgerichtlichen Schriftwechsel zunächst darauf, dass eine Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter in … in der fraglichen Zeit lediglich möglich erscheine, jedoch nicht hinreichend ausermittelt und belegt sei. Insbesondere stelle sich die Frage, ob mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass die Mutter ab Wegzug aus … und vor Aufnahme in … nicht einen gewöhnlichen Aufenthalt an einem anderen Ort hatte. In ihrer unpräzisen und eher oberflächlichen Erklärung vom 23. Oktober 2014, die wohl auf Druck und Initiative des Klägers zur Klärung der Zuständigkeitsfragen erst drei Wochen später verfasst worden sei, erkläre die Mutter lediglich, weiterhin in … und Umgebung wohnen zu wollen. Insoweit erstrecke sich ihr subjektiver Wille gerade nicht nur konkret auf den Bereich der Beklagten, sondern eben auf den gesamten Großraum, so dass jedenfalls nicht von einer Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts in …, so er je bestanden habe, ausgegangen werden könne. Da ein gewöhnlicher Aufenthalt jeweils ex ante und nicht ex post zu beurteilen sei und auch dem subjektiven Willen, sich „bis auf Weiteres“ an einem Ort aufhalten zu wollen, besondere Bedeutung zukomme, sei es durchaus möglich, dass der letzte für § 89e SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt an einem anderen Ort begründet worden sei. Zudem verkenne die Klägerin grundsätzlich, dass die Norm des § 89e SGB VIII, so sie denn vorliegen würde, im Bereich der Minderjährigenhilfe (Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII) lediglich eine Erstattungsnorm, aber keine Zuständigkeitsnorm darstelle. Eine Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII könne sich nur nach dem aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter, wohl in …, richten.
37
Weiter bleibe zu prüfen, ob die entsprechende Nahtlosigkeit geschützter Einrichtungen gegeben bzw. hinreichend belegt sei. Soweit die Mutter im fraglichen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe bzw. dieser nicht feststellbar gewesen sei, habe sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII gerichtet, so dass der gewöhnliche Aufenthalt bzw. tatsächliche Aufenthalt … vor Beginn der Leistung am 15. Juli 2015 für die Zuständigkeit maßgeblich wäre. Dieser sei aber vor Leistungsbeginn der Hilfe zur Erziehung auch nicht im Bereich der Beklagten, sondern in … gewesen. Soweit insoweit nur ein tatsächlicher Aufenthalt maßgeblich sein sollte, ergäbe sich gegebenenfalls ein Erstattungsanspruch gemäß § 89 SGB VIII gegenüber dem Bezirk als überörtlichem Sozialhilfeträger. § 89e SGB VIII wäre aber schon deshalb (jedenfalls nicht für eine Erstattungspflicht der Beklagten) nicht relevant, weil dann nicht der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter (gegebenenfalls in einer geschützten Einrichtung) für die Zuständigkeit maßgeblich wäre, sondern der des Kindes vor Beginn der Leistung im Juli 2015 (also wohl in …). Soweit man eine Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter am 15. Juli 2015 feststellen wollte, sei dieser wohl bekanntermaßen ab 15. Juni 2015 in … gegeben gewesen. Soweit man also den zuständigen Träger, das Kreisjugendamt …, nicht vorher konkret und erfolglos um Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf Hilfsgewährung nach § 33 SGB VIII gebeten haben sollte, lägen wohl auch die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Vorleistung gemäß § 86d SGB VIII nicht vor. Lediglich die Beklagte als erkennbar unzuständige Trägerin zum Handeln aufzufordern, die maximal erstattungspflichtig habe sein können, jedoch nicht den mit hoher Wahrscheinlichkeit Zuständigen, sei keine hinreichende Grundlage für das Vorliegen einer Notwendigkeit einer rechtmäßigen Vorleistung gemäß § 86d SGB VIII. Auch dieser Aspekt könnte einer Erstattungsverpflichtung der Beklagten entgegenstehen. Soweit man bei einer Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 4 SGB VIII wiederum kostenerstattungsrechtlich auf § 89e SGB VIII käme, wäre zu prüfen, ob nicht die Aufnahme durch die Großmutter einer Anwendung des § 89e SGB VIII entgegenstünde, weil diese zwar zur Aufnahme ihres Enkelkindes konkret bereit gewesen sei, nicht aber zur Aufnahme „irgendeines Pflegekindes“, so dass die Voraussetzungen „einer auswahloffenen Pflegefamilie“ im Sinne des § 89e SGB VIII nicht vorlägen. Fraglich sei auch, ob der Bescheid über die Gewährung der Hilfe gemäß § 33 SGB VIII vom 23. Juli 2015 hinreichend bestimmt und daher rechtmäßig gewesen sei, weil dieser nicht den konkreten Ort der Pflegestelle beinhaltet habe. Gemäß einem Urteil des VG Ansbach vom 18. Juni 2015 könne wohl bereits dieser Umstand einer rechtmäßigen Hilfeerbringung entgegenstehen und daher wohl den Erstattungsanspruch gemäß § 89f SGB VIII gefährden.
38
Mit Beschlüssen vom 17. Februar 2017 hat das erkennende Gericht sowohl den Landkreis … als auch den Bezirk … gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beigeladen.
39
Der Bezirk … verzichtete mit Schriftsatz vom 4. April 2017 auf mündliche Verhandlung und verwies in der Sache darauf, dass sowohl dem Antrag auf Gewährung von Hilfe für Frau … vom 18. November 2014 als auch der Erklärung für den Sozialhilfeträger vom 24. November 2014, jeweils unterschrieben von der gesetzlichen Betreuerin der Kindsmutter, die Angabe zu entnehmen sei, dass Frau … ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in den zwei Monaten vor Aufnahme in der … (am 1., 2. oder 3.10.2014) in …, …, gehabt habe (vgl. Anlage). Sofern das Gericht feststelle, dass sich die Hilfegewährung durch den Kläger auf Grund eines fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts aus dem tatsächlichen Aufenthalt des Kindes … in … ergebe, könne nach § 89 SGB VIII der überörtliche Träger zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet sein. Im vorliegenden Fall wäre der Bezirk … der örtlich zuständige überörtliche Träger für den Landkreis …, weshalb dessen Beiladung beantragt werde.
40
Die Beklagte erklärte dazu mit Schreiben vom 25. April 2017, dass die Aufenthaltsverhältnisse der Mutter vor Einzug in … weiterhin als nicht hinreichend geklärt angesehen würden. Den Aussagen und den Unterschriften der Betreuerin – nicht der Mutter selbst – vom 18. und 24. November 2014 (also 6-7 Wochen nach Aufnahme in …) könne kein Beweiswert zukommen. Von interessierter Seite vorformulierte Erklärungen, die die Mutter oder die Betreuerin lediglich unterschreiben sollten, seien nicht geeignet, die dem konkreten Sachverhalt innewohnenden Zweifelsfragen auszuräumen, insbesondere wenn sie keine Details enthielten. Am Anfang der Klärung eines maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts müsste die offen formulierte Frage an die Mutter stehen, an welchen Orten sie sich in den letzten 4 Wochen vor Aufnahme in … konkret und unter welchen Umständen jeweils aufgehalten habe und was konkret nach der Inhaftierung des Wohnungsgebers am 1. Oktober 2014 bis zur Aufnahme in … geschehen sei. Im Übrigen seien in der Klageerwiderung bereits zahlreiche weitere Aspekte angeführt worden, die unabhängig davon einer Erstattungspflicht entgegenstehen könnten.
41
In der Folgezeit hat sich das Gericht zunächst vergeblich um Aktenübermittlung und Stellungnahme von Seiten des beigeladenen Landkreises … bemüht.
42
Nachdem die dortigen Akten Ende 2020 eingegangen waren, ergab sich daraus, dass die Kindsmutter … nach einem weiteren Aufenthalt (mit gemeldetem Wohnsitz) vom 10. April 2017 bis 1. Oktober 2018 in einer Wohngruppe des … in … (ebenfalls Landkreis …) in eine Privatwohnung in … (ebenfalls Landkreis …) umgezogen war, wo sie dann ebenfalls amtlich gemeldet war.
43
Gestützt auf diesen Umstand hatte der Kläger mit Schreiben vom 5. Februar 2019 gegenüber dem Landkreis … Kostenerstattung für die Zeit ab 1. Oktober 2018 geltend gemacht: Beim Wohnsitz der Kindsmutter handele es sich um keine kostenerstattungsrechtlich geschützte Einrichtung mehr, sodass der Landkreis … ab dem Zeitpunkt des Zuzugs kostenerstattungspflichtig werde. Aufgrund der Unterbringungsdauer von … von bereits über zwei Jahren und des dauerhaften perspektivischen Verbleibs bei den Pflegeeltern sei der Kläger gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich für die Hilfegewährung weiterhin zuständig.
44
Dem Begehren nach Kostenerstattung ab 1. Oktober 2018 hatte das Landratsamt … schließlich gemäß § 89a Abs. 3 SGB VIII entsprochen.
45
Mit Schreiben vom 4. November 2020 änderte der Kläger seinen Klageantrag in der Sache dahingehend,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger sämtliche im Zeitraum von 15. Juli 2015 bis 30. September 2018 aufgewendeten Kosten zu erstatten, nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz, und führte dazu im Wesentlichen aus: Nachdem die für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit maßgebliche Kindsmutter ab 1. Oktober 2018 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis … begründet habe, könne der strittige Erstattungszeitraum insoweit zeitlich befristet werden. Eine Übernahme des Hilfefalles durch die Beklagte sei aus diesem Grund auch nicht mehr erforderlich. Die Erstattungsforderung erhöhe sich damit für den strittigen Erstattungszeitraum auf insgesamt 27.315,95 EUR zuzüglich der noch zu berechnenden Zinsen.
46
Außerdem erklärte sich der Kläger mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
47
Der beigeladene Landkreis … führte mit Schreiben vom 12. Januar 2021 unter Beifügung eines Aktenvermerkes über ein am 8. Januar 2021 geführtes Telefonat mit der Betreuerin der Kindsmutter (für die Einzelheiten dieses Vermerks wird auf Blatt 81 der Gerichtsakte verwiesen) zum Klageverfahren im Wesentlichen aus:
48
Den Ausführungen der Betreuerin zufolge habe die Kindsmutter vor Aufnahme in die … nach deren Angaben gegenüber der Betreuerin vor der Aufnahme in die Klinik – Aufnahmetag 3. Oktober 2014 – in … gewohnt. Nähere Erkenntnisse habe die Betreuerin aus eigener Wahrnehmung nicht, weil die gesetzliche Betreuung erst ab 13. Oktober 2014 eingerichtet worden sei. Aus einem Schreiben des Bezirks … vom 20. Mai 2016 ergebe sich, dass die Kindsmutter „mit ihrem Freund und ihrem Sohn in …“ gewohnt habe, was als Indiz für einen gewöhnlichen Aufenthalt in … aufgrund des dort offenbar bestehenden Lebensmittelpunktes gewertet werden könne. Es seien mehrere Einrichtungswechsel erfolgt. Ausgehend vom Schreiben des Bezirks … habe die Kindsmutter allerdings in der Einrichtung … in … offenbar einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Zwar sei die Kostenzusage des Bezirks … zunächst nur für ein Jahr erfolgt, was auf einen befristeten Aufenthalt hindeute; spätestens nach der Verlängerung der Kostenzusage um nochmals ein Jahr habe der Bezirk die Maßnahme im … als zukunftsoffen angesehen. Solange die Kindsmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dieser Einrichtung begründet habe, bestehe die Kostenerstattungsverpflichtung der Beklagten aufgrund § 89e SGB VIII, weil die Aufenthalte in den stationären Einrichtungen nach Aktenlage nahtlos aufeinander erfolgt seien.
49
Mit späterem Schreiben vom 23. März 2021 verzichtete der Landkreis … sodann noch auf mündliche Verhandlung.
50
Der beigeladene Bezirk … ergänzte seine Stellungnahme mit Schreiben vom 28. Januar 2021 hinsichtlich der genauen Aufenthalte der Kindsmutter. Der für die Gewährung der Eingliederungshilfe ab 1. Dezember 2014 nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII ausschlaggebende gewöhnliche Aufenthalt der Kindsmutter habe entsprechend der vorliegenden Antragsunterlagen in … gelegen. Sie habe sich vom 3. Oktober bis 1. Dezember 2014 in der … aufgehalten. Vom 1. Dezember 2014 bis 15. Juni 2015 habe sie in der soziotherapeutischen Einrichtung der AWO … in … stationäre Eingliederungshilfe erhalten. Am 15. Juni 2015 sei sie in die stationäre Einrichtung der Eingliederungshilfe des … in … gewechselt, wo sie sich bis 10. April 2017 aufgehalten habe. Am 10. April 2017 sei sie in eine Wohngemeinschaft des betreuten Wohnens des … in … eingezogen und habe dort Eingliederungshilfe in Form von ambulant betreutem Wohnen erhalten. Am 1. Oktober 2018 sei sie in eine eigene Wohnung in … umgezogen, in der sie seither lebe. Sie beziehe weiterhin ambulante Eingliederungshilfe.
51
In einer stationären Einrichtung könne dem Grunde nach kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden, sodass die Kindsmutter mit dem Umzug in die ambulante Wohngemeinschaft am 10. April 2017 aus Sicht des Bezirks … einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt im Landkreis … begründet habe. Der Antrag des Klägers auf Kostenerstattung nach § 89 SGB VIII sei von ihnen abgelehnt worden, weil der Bezirk … für den Landkreis … örtlich nicht zuständig sei.
52
Mit Beschluss vom 3. Februar 2021 hat das Gericht noch den Bezirk … gemäß § 65 Abs. 1 VwGO zum Verfahren beigeladen.
53
Dieser verzichtete mit Schreiben vom 9. März 2021 auf mündliche Verhandlung und führte zur Sache aus, dass nach ihrer Ansicht die Kindsmutter in …, …, ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis zur Aufnahme in die … am 3. Oktober 2014 begründet gehabt habe. Wie der Kläger in seiner Klage geschildert habe, sei das Kind als Notlösung aufgrund der Klinikaufnahme der Kindsmutter und der nahezu zeitgleichen Inhaftierung des Gefährten und Wohnungsinhabers zur Großmutter in den Landkreis … gebracht worden. Nach mehrfachem erfolglosem Schriftverkehr mit der Beklagten habe im Bereich der Stadt … keine Pflegestelle gefunden werden können, weiter sei offensichtlich keine Äußerung zur örtlichen Zuständigkeit erfolgt. Der Kläger habe sich aufgrund der ungeklärten Zuständigkeit genötigt gesehen, vorläufig gemäß § 86d SGB VIII tätig zu werden. Die Kosten hierzu seien vom örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII begründet werde. Demgemäß könne eine Rechtsgrundlage zur Erstattung der Kosten nach § 89 SGB VIII durch den Bezirk … nicht gesehen werden.
54
Die Beklagte nahm abschließend dahingehend Stellung, dass wohl vor allem der maßgebliche Aufenthalt der Mutter vor Aufnahme in … am 2. oder 3. Oktober 2014 fraglich sei; hier sei seitens des seinerzeit fallführenden Jugendamts nicht in ausreichendem und zumutbarem Maß ermittelt worden. Das für eine Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts durchaus gewichtige Indiz der seinerzeitigen Anmeldung der Mutter in … (und nicht in …) sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Selbst wenn man eine – Wochen später, am 23. Oktober 2014 aufgenommene – Erklärung der Mutter für ebenso gewichtig halte, sei in dieser Erklärung eben gerade nicht auf diese Meldeverhältnisse eingegangen und gegebenenfalls plausibel erklärt worden, warum diese nicht zutreffen sollten. Des Weiteren habe sich der Wille der Mutter zum Aufenthalt auf … und Umgebung bezogen. Auch dieser Aspekt sei nicht hinreichend aufgeklärt und andere Aufenthalte aktiv abgefragt worden. Ob sich die Mutter von wann bis wann in …, … oder anderen Orten in der Umgebung aufgehalten habe und ob diese Aufenthalte jeweils die Qualität eines gewöhnlichen oder nur eines tatsächlichen Aufenthalts gehabt hätten, sei nicht aktiv aufgeklärt worden. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, alle zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und insbesondere den Versuch zu unternehmen, konkret im Raum stehende Zweifel auszuräumen; insoweit könnte in seinem Verhalten eine „Beweisvereitelung“ liegen, sodass die nunmehr wohl bestehende Unaufgeklärtheit zu seinen Lasten gehen müsste. Die Stellungnahme der Betreuerin beziehe sich lediglich auf Aussagen der Mutter und sei am 8. Januar 2021 lediglich aus der Erinnerung rekonstruiert worden.
55
Erst am 4. November 2020 sei der Klageantrag abgeändert und nicht mehr Fallübernahme durch die Beklagte beantragt worden, weil seit Oktober 2018 ein gewöhnlicher Aufenthalt der Mutter in … bestehe. Dies impliziere, dass der Kläger bis dahin weiterhin die bloße Erstattungsvorschrift des § 89e SGB VIII als Zuständigkeitsvorschrift und Grundlage für eine Fallübernahme ansehe. Als Rechtsgrundlage sei im Klageantrag ausschließlich § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII angeführt worden (im Text auch § 89c SGB VIII), was auch in der Klageänderung nicht geändert oder ergänzt worden sei. Der Aufenthalt der Mutter sei aber wohl seit Oktober 2014 jedenfalls in …, …, …, … und … gewesen, also samt und sonders nicht in … Dennoch habe man scheinbar jahrelang gemeint, bis zum Auszug aus einer Kette wohl geschützter Einrichtungen außerhalb … eine örtliche Zuständigkeit der Beklagten zu sehen. Im Übrigen wäre für die Frage der Zuständigkeit auch § 86 Abs. 6 SGB VIII zu berücksichtigen (in der Folge gegebenenfalls § 89a SGB VIII?). … habe seit Ende 2014 offenkundig nicht zuständig, sondern maximal erstattungspflichtig sein können. Es werde auch nochmals darauf verwiesen, dass die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Vorleistung gemäß § 86d SGB VIII wohl gar nicht vorgelegen hätten, weil man sich vorher wohl nur an ein offenkundig örtlich unzuständiges Jugendamt gewandt habe.
56
Soweit sich der Kläger auf § 89 c SGB VIII stütze, richte sich dieser gegen einen (örtlich und sachlich) Zuständigen, der dann gegebenenfalls nach Erstattung an den „Vor- bzw. Weiterleistungspflichtigen“ im späteren Verlauf seinerseits einen Anspruch gemäß § 89e SGB VIII gegen einen dritten Träger geltend machen möge (Dreiecksverhältnis). Ein erstattungsrechtlicher Durchgriff sei wohl – insbesondere auch angesichts der angeführten Rechtsgrundlage § 89c SGB VIII – nicht einschlägig. Es frage sich, ob überhaupt Anträge auf Fallübernahme und Kostenerstattung aufgrund örtlicher Zuständigkeit an die Jugendämter der Aufenthalte der Mutter gestellt worden seien, was doch wohl auch Voraussetzung für einen erstattungsrechtlichen Durchgriff wäre. Gemäß § 89c SGB VIII habe der Kläger seit Ende 2014 nur einen Anspruch gegen die Jugendämter der jeweiligen Aufenthaltsorte der Mutter oder gegebenenfalls das Jugendamt des Aufenthalts des Kindes vor Beginn der Leistung (falls Mutter zeitweise oder gänzlich ohne gewöhnlichen Aufenthalt) haben können.
57
Zusammenfassend sehe die Beklagte eine Erstattungsverpflichtung gegebenenfalls als unangemessen und unzumutbar an.
58
Der Bezirk … wiederholte nochmals, dass sich die Kindsmutter zum Zeitpunkt des Beginns der Jugendhilfe in der stationären Einrichtung … in … aufgehalten und dort stationäre Eingliederungshilfe erhalten habe. Gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII könne dem Grunde nach kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt in einer stationären Einrichtung begründet werden, weil stationäre Einrichtungen davon ausgenommen worden seien. Im Sinne der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII bestehe daher der gewöhnliche Aufenthalt der Kindsmutter bis 9. April 2017 im Stadtgebiet … und ab 10. April 2017 durch den Umzug ins betreute Wohnen im Gebiet des Landkreises … Voraussetzung für die tatsächliche Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 30 SGB I sei, dass der bisherige gewöhnliche Aufenthalt aufgegeben worden sei und beim Aufenthalt in der Einrichtung von „bis auf weiteres“ ausgegangen werden könne, wobei auch auf den vorliegenden Willensmoment abzustellen sei. Der letzte bekannte gewöhnliche Aufenthalt der Kindsmutter sei in … in der Wohnung des Partners gewesen, wo sie sich bis zur Aufnahme im … am 3. Oktober 2014 aufgehalten habe. Dieser gewöhnliche Aufenthalt sei offenkundig aufgegeben worden. Im Abschlussbericht der stationären Einrichtung AWO … in … werde beschrieben, dass sich die Kindsmutter in der Gegend um … ansiedeln wolle, um den Kontakt zu ihren Söhnen wieder zu ermöglichen. Der Bescheid vom 16. Juli 2015 für die Gewährung der Eingliederungshilfe sei für ein Jahr vom 15. Juni 2015 bis 30. Juni 2016 befristet worden, jedoch sei diese Befristung mit der Möglichkeit einer Verlängerung unter Vorlage eines neuen Entwicklungsberichtes zum Ende des Bewilligungszeitraums erfolgt, sodass durchaus die Aussicht bestanden habe, dass die Maßnahme auch tatsächlich habe verlängert werden können. Damit seien eindeutige Hinweise für eine Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts der Kindsmutter in der stationären Einrichtung … in … im Landkreis … gegeben. Jedoch sei dieser gewöhnliche Aufenthalt gemäß § 89e SGB VIII geschützt und es werde der örtliche Träger, in dessen Bereich die Person vor der Aufnahme in eine Einrichtung den gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, zur Erstattung der Kosten verpflichtet. Da sich die Kindsmutter zuvor in verschiedenen Einrichtungen aufgehalten habe, liege eine Einrichtungskette vor, wobei auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in der ersten Einrichtung abzustellen sei, der sich im Bereich der Stadt … befunden habe. Dies bleibe bis zur Begründung eines neuen nicht mehr geschützten gewöhnlichen Aufenthalts bestehen, was mit dem Umzug von der stationären Einrichtung … in … in die ambulante Wohngemeinschaft am 10. April 2017 erfolgt sei. Sofern kein gewöhnlicher Aufenthalt der Kindsmutter in der stationären Einrichtung … zu Beginn der Jugendhilfe festgestellt werden sollte, richte sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes vor Leistungsbeginn gemäß § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Ob das Kind einen gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt in … habe, könne aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht festgestellt werden. Eine Kostenerstattungspflicht für den Bezirk … ergebe sich nicht.
59
Auf entsprechende gerichtliche Anfrage teilte der Kläger schließlich mit Schreiben vom 24. Februar 2023 noch mit, dass auf den Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 14. Juli 2017 ein Jugendhilfeaufwand von insgesamt 16.132,16 EUR entfalle, während in der Zeit vom 15. Juli 2017 bis 30. September 2018 Kosten in Höhe von 11.183,79 EUR entstanden seien.
60
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten der Beklagten, des Beigeladenen zu 1) und des Beigeladenen zu 2) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

61
Gemäß dem erklärten Einverständnis der Beteiligten kann im vorliegenden Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
62
I. Die hier zur Entscheidung stehende Klage – in der maßgeblichen, durch den Schriftsatz des Klägers vom 4. November 2020 modifizierten Form –, mit der der Kläger (lediglich) noch Kostenerstattung für die geleistete Hilfe in Form der Unterbringung von … in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII, eingegrenzt auf den im Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 30. September 2018 insgesamt dafür angefallenen Betrag in Höhe von 27.315,95 EUR, sowie Verzinsung in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit begehrt, ist zwar zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
63
Dem Kläger steht gegen die Beklagte lediglich für den Zeitraum vom 15. Juli 2017 bis 30. September 2018 die beanspruchte Kostenerstattung – in der auf diesen Zeitraum entfallenden Höhe von 11.183,79 EUR – gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 i.V.m. § 89e Satz 1 SGB VIII nebst Verzinsung nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB analog zu. Für den vorhergehenden Zeitraum greift die Klage gegen die Beklagte dagegen nicht durch, weder unmittelbar aus § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII noch nach dieser Vorschrift etwaig i.V.m. § 89a Abs. 2 SGB VIII (i.V.m. § 89e SGB VIII) analog.
64
1. Soweit der Klage stattzugeben ist, beruht dies gemäß den genannten Vorschriften darauf, dass ab dem 15. Juli 2017 die (örtliche) Zuständigkeit für die Gewährung der Vollzeitpflege von … in der Dauerpflegestelle vom Beigeladenen zu 1), dem Landkreis …, gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII auf den Kläger gewechselt hat (dazu nachfolgend a)), dass für die in diesem Rahmen vom Kläger aufgewendeten Kosten die grundsätzliche Erstattungspflicht des Beigeladenen zu 1) nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII eintritt (dazu nachfolgend b)), dass aber zugleich der Beigeladene zu 1) selbst einen Kostenerstattungsanspruch aufgrund von § 89e Satz 1 SGB VIII gegen die Beklagte als örtlicher Träger hatte oder gehabt hätte, weshalb der Kostenerstattungsdurchgriff auf die Beklagte gemäß § 89a Abs. 2 SGB VIII erfolgt (dazu nachfolgend c)). Insoweit besteht auch der mit der Klage geltend gemachte Verzinsungsanspruch (dazu nachfolgend d)).
65
a) Gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII ist oder wird abweichend von den Absätzen 1 bis 5 des § 86 SGB VIII dann, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist, der örtliche Träger für die Leistungsgewährung zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
66
Im vorliegenden Fall sind am 15. Juli 2017 diese Voraussetzungen eingetreten, weil (dies unstreitig) … dann zwei Jahre im Haushalt der pflegenden Eheleute in … im klägerischen Landkreis untergebracht war und perspektivisch – was sich dann auch tatsächlich bestätigt hat – sein dauerhafter Verbleib in dieser Pflegestelle zu erwarten war und weil dazu sogleich näher zuvor der Beigeladene zu 1) nach § 86 Abs. 1 SGB VIII örtlich zuständig war.
67
Denn es ist für die örtliche Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII auf den gewöhnlichen Aufenthalt von Frau …, die Mutter von …, für welchen eine Vaterschaft weder anerkannt noch gerichtlich festgestellt ist, abzustellen und dieser gewöhnliche Aufenthalt befand sich im Landkreis … und mithin im Bereich des Beigeladenen zu 1) als örtlicher Träger.
68
In Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, dass für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Sinne an § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I (wonach jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort und in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt) angeknüpft werden kann, sodass eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 86 SGB VIII an dem Ort oder in dem Gebiet hat, an oder in dem sie sich bis auf weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hat; maßgebend ist insoweit nicht (allein) der innere Wille des Betroffenen, es ist vielmehr auf Grundlage der tatsächlichen Verhältnisse eine Prognose zu treffen (vgl. beispielhaft BVerwG v. 25.3.2010 – 5 C 12.09 – juris; BayVGH v. 23. 1. 2012 – 12 BV 11.1080 – juris).
69
Dementsprechend hatte die Mutter von … bereits vor Beginn der Leistung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im … in …, einem Wohnheim für Menschen mit psychischer Erkrankung, einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe. Nach erfolgter Auflösung der gemeinsamen Wohnung mit Herrn … in … und den Aufenthalten in der … vom 3. Oktober bis 1. Dezember 2014 und unmittelbar anschließend in einem Übergangswohnheim war Frau … nämlich dort am 15. Juni 2015 eingezogen, ihr war dort nach Auskunft des für diese Leistungsgewährung zuständigen Bezirks … und bestätigt durch dessen Bescheid vom 16. Juli 2015, mit dem ihr in dieser vollstationären Einrichtung für die Zeit vom 15. Juni 2015 bis 30. Juni 2016 Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt wurde, zunächst für ein Jahr und insgesamt zukunftsoffen eine Unterbringungsmaßnahme gewährt worden, wobei sie dort in … auch – was ein zusätzliches Indiz darstellt – für die gesamte Aufenthaltszeit, die sich tatsächlich weiter bis zum 10. April 2017 verlängerte, wohnsitzmäßig amtlich gemeldet war. Zugleich fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass Frau … zum damaligen Zeitpunkt irgendeinen anderen Anknüpfungspunkt für ihre Lebensbeziehungen, geschweige denn deren Mittelpunkt, hatte.
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Am gewöhnlichen Aufenthalt der Kindsmutter im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zu 1) änderte sich auch nichts dadurch, dass Frau … bis zur Erlangung hinreichender Selbständigkeit (die dann schließlich erst zum 1.10.2018 eintrat) am 10. April 2017 innerhalb der Strukturen des … in eine Wohngemeinschaft des betreuten Wohnens des … in … einzog, nachdem … (wo Frau … wiederum wohnsitzmäßig amtlich gemeldet war) ebenfalls im Landkreis … liegt.
71
Folglich war der Beigeladene zu 1) gemäß § 86 SGB VIII für die ab 15. Juli 2015 erfolgte Leistungsgewährung nach § 33 SGB VIII durch Unterbringung von … in Vollzeitpflege bis auf weiteres örtlich zuständig (während den Kläger lediglich die Verpflichtung zum vorläufigen Tätigwerden nach § 86d SGB VIII aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts von … in seinem Zuständigkeitsbereich traf).
72
Erst zum 15. Juli 2017 erfolgte gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit.
73
b) Mithin ist dem Kläger grundsätzlich bei Heranziehung der für diese Konstellation einschlägigen Kostenerstattungsnorm des § 89a SGB VIII nach dessen Absatz 1 ab diesem Zeitpunkt der Beigeladene zu 1) erstattungspflichtig.
74
Denn § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestimmt, dass Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre.
75
c) Jedoch bestimmt dazu § 89a Abs. 2 SGB VIII als Ausnahmevorschrift, dass dann, wenn der nach Absatz 1 kostenerstattungspflichtig werdende örtliche Träger während der Gewährung einer Leistung selbst einen Kostenerstattungsanspruch gegen einen anderen örtlichen oder den überörtlichen Träger hat oder hätte, dieser Träger abweichend von Absatz 1 dem nunmehr nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Träger kostenerstattungspflichtig bleibt oder wird.
76
Diese Regelung gewährt zur Vermeidung einer sog. „Kettenerstattung“ ausnahmsweise einen Durchgriffsanspruch auf der Erstattungsebene (vgl. etwa Loos in Wiesner, SGB VIII Jugendhilfe, 5. Aufl. 2015, Rn. 8 zu § 89a).
77
Diese Konstellation liegt für den hier maßgeblichen Zeitraum ab 15. Juli 2017 und bis zum 30. September 2018 vor, nachdem der gemäß Absatz 1 wegen seiner Zuständigkeit vor Ablauf des Zwei-Jahres-Zeitraums grundsätzlich erstattungspflichtige Beigeladene zu 1) seinerseits unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Einrichtungsorte einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte aus § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hätte, sodass Verpflichteter der Kostenerstattung gegenüber dem Kläger nach § 89a SGB VIII wegen der Kosten der fortdauernden Vollzeitpflege letztlich die Beklagte ist.
78
§ 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sieht Folgendes vor: Richtet sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern, eines Elternteils, des Kindes oder des Jugendlichen (dazu hier nachfolgend aa)) und ist dieser in einer Einrichtung, einer anderen Familie oder sonstigen Wohnform begründet worden, die der Erziehung, Pflege, Betreuung, Behandlung oder dem Strafvollzug dient (dazu nachfolgend bb)), ist der örtliche Träger zur Erstattung der Kosten verpflichtet, in dessen Bereich die Person vor der Aufnahme in eine Einrichtung, eine andere Familie oder sonstige Wohnform den gewöhnlichen Aufenthalt hatte (dazu nachfolgend cc)).
79
Diese Regelung kommt hier zum Tragen:
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aa) Wie bereits oben dargelegt (vgl. 1. a)), richtete sich die örtliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers für die Leistung in Form der Vollzeitpflege von … nach dem gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils des Kindes, nämlich der Mutter. Diese Leistungszuständigkeit – und nicht etwa die nachgelagerte Leistungszuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII – ist angesichts des Zweckes von § 89e SGB VIII (umfassender Schutz der Einrichtungsorte auf der Erstattungsebene) und der Regelungen in § 89a Abs. 2 SGB VIII („während der Gewährung einer Leistung“) sowie in § 89a Abs. 3 SGB VIII (Ausblendung der Leistungszuständigkeit aus § 86 Abs. 6 SGB VIII im Rahmen des § 89a SGB VIII) auch in der hier gegebenen Konstellation maßgeblich (ansonsten erschiene nach dem Sinn und Zweck des § 89e SGB VIII hier das zum gleichen Ergebnis führende Abstellen (auch) auf eine durch den gewöhnlichen Aufenthalt begründete Erstattungszuständigkeit bei der Anwendung von § 89e SGB VIII geboten; vgl. insgesamt dazu näher noch und überzeugend insbesondere BeckOGK/Schweigler SGB VIII, § 89e Rn. 7, mit weiteren Nachweisen, u.a. auch dem Verweis auf BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 12 ZB 14.1839 – juris; vgl. auch schon BayVGH, U. v. 18.7.2007 – 12 B 06.955 –, m.w.N.).
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bb) Der maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt der Mutter im Landkreis … in den Strukturen des … wurde zunächst in einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe, dem Wohnheim für Menschen mit psychischer Erkrankung in … und sodann in einer sonstigen Wohnform, der Wohngemeinschaft des betreuten Wohnens in …, begründet, die beide jeweils der Betreuung im Rahmen der Eingliederungshilfe und damit einem Zweck i.S. des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dienen.
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cc) Auf der Rechtsfolgenseite des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist die Beklagte der kostenerstattungspflichtige Träger, weil die Kindsmutter in deren Bereich vor der Aufnahme in eine Einrichtung, eine andere Familie oder sonstige Wohnform den gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
83
In der Rechtsprechung und Literatur ist diesbezüglich anerkannt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 12 ZB 14.1839 – juris, Rn.16, 23, und B.v. 23.1.2012 – 12 BV 11.1080 –, jeweils m.w.N.; BeckOGK/Schweigler SGB VIII, § 89e Rn. 16), dass sich an eine erste Aufnahme in eine Einrichtung etc. im Sinne des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII im Rahmen einer sogenannten „Einrichtungskette“ weitere Aufenthalte in derartigen Einrichtungen etc. anschließen können, ohne dass dies die Erstattungsverpflichtung tangieren würde, wobei bei einem solchen Wechsel der Aufenthalte eine ununterbrochene Kette zwischen den jeweiligen Einrichtungen etc. bestehen muss. Eine solche Einrichtungskette ist hier aber in der Abfolge der Aufenthalte in der … vom 3. Oktober bis 1. Dezember 2014, in der psychiatrischen Übergangseinrichtung des AWO Kreisverbandes … vom 1. Dezember 2014 bis 15. Juni 2015 und im … vom 15. Juni 2015 bis 30. September 2018 gegeben, nachdem die Mutter von … jeweils unmittelbar ohne zeitlichen Verzug von einer Einrichtung in die andere bzw. zuletzt in die sonstige Wohnform gewechselt ist und es sich bei sämtlichen Aufenthaltsorten um Einrichtungen oder eine sonstige Wohnform im Sinne des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII handelt (die … als der Behandlung dienende, die psychiatrische Übergangseinrichtung als der Betreuung dienende Einrichtung; zu den Aufenthalten in … und … s. bereits oben 1 c) bb)). Ob Frau … dort in diesen Einrichtungen jeweils auch stets ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte (was (nur) hinsichtlich der … zweifelhaft sein könnte), kann dahinstehen, weil das Gesetz darauf nicht abstellt, da andernfalls der Schutz der Einrichtungsorte nicht lückenlos gesichert werden kann; entscheidend bleibt allein nach Wortlaut („vor der Aufnahme in eine Einrichtung, eine andere Familie oder sonstige Wohnform“) und Zweck des § 89e Abs. 1 SGB VIII, dass die Kette nicht unterbrochen wurde (so schon BayVGH v. 18.3. 2004 – 12 B 99.1085 – JAmt 2012, 272; wiederholt in BayVGH v. 30.1.2017 – 12 ZB 14.1839 – juris; OVG Berlin-Brandenburg v. 6.9.2012 – OVG 6 N 80.11 – juris; VG Ansbach v. 10.2.2011 – AN 14 K 10. 00755 – juris; Eschelbach in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII 9. Aufl. 2022, § 89e Rn. 7; Kern in Schellhorn u.a., SGB VIII 5. Aufl. 2017, § 89 e Rn. 10).
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Allerdings setzt die Anwendung des § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII des Weiteren voraus, dass der gewöhnliche Aufenthalt der maßgebenden Person, hier der Mutter von …, vor der Aufnahme auch (unmittelbar) bis zur Aufnahme in die (erste) Einrichtung fortbestanden haben muss (vgl. etwa BVerwG v. 29.9.2010 – 5 C 21.09 – juris). Aber auch dies liegt hier entgegen der Auffassung der Beklagten vor hinsichtlich des dortigen Aufenthalts von Frau … in der …, wo die Mutter von … bei der gebotenen ex-ante Betrachtung gemäß den bereits oben dargestellten Grundsätzen ihren gewöhnlichen Aufenthalt wenn nicht schon ab März 2014, aber jedenfalls ab Sommer 2014 bis unmittelbar zur Aufnahme in die … hatte. Dafür sprechen überzeugend und in der Zusammenschau zweifelsfrei die Angaben der beteiligten Personen.
85
So hat insbesondere Frau … nicht nur lt. Vermerk des Klägers (s. Bl. 47 der beigezogenen Akte der Beklagten) am 21. Oktober 2014 telefonisch erklärt, sie sei zwar in … nach wie vor gemeldet, sie habe sich tatsächlich aber seit März diesen Jahres zusammen mit … (der auch den Mietvertrag unterschrieben habe, sie sei nur als Mitbewohnerin dort aufgeführt worden) und dem gemeinsamen Sohn … in der …, … aufgehalten, sondern Frau … hat dann gerade auch in ihrer zeitnah am 23. Oktober 2014 selbst handschriftlich – also nicht von interessierter dritter Seite vorformuliert – in der … abgegebenen Erklärung (Bl. 27 der Akte des Klägers) ausgeführt, dass sie, wohnhaft …, …, sich von März 2014 bis zu ihrer Einweisung Anfang Oktober bei der genannten Adresse aufgehalten habe zusammen mit ihrem Sohn …; sie hätte auch gerne die Wohnung dort beibehalten, sei aber krankheitsbedingt nicht in der Lage dazu. Dies wird bestätigt durch die Angaben der gesetzlichen Betreuerin von Frau … von November 2014 im Antrag auf Hilfsgewährung für Frau … und in der zugehörigen Erklärung an den Bezirk …, dass Frau … ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt in den zwei Monaten vor Aufnahme in der … (am 1., 2. oder 3.10.2014) in …, …, gehabt habe; in die gleiche Richtung weist ebenfalls die in einem Vermerk des Klägers festgehaltene telefonische Aussage der Betreuerin vom 2. Dezember 2015, wonach die Kindsmutter (…) 2014 über keinerlei eigenes Einkommen verfügt habe, der damalige Lebensgefährte möglicherweise ALG-II erhalten habe, und dass Frau … nach wie vor in … gemeldet sei, aber tatsächlicher Aufenthalt sei … Nichts anderes hat die damalige Betreuerin von Frau … auch nochmals gegenüber dem Landkreis … gemäß dem dortigen Vermerk am 8. Januar 2021 telefonisch ausgeführt, wonach laut der Betreuerin die Kindsmutter nach deren Angaben gegenüber der Betreuerin vor der Aufnahme in die Klinik – Aufnahmetag 3. Oktober 2014 – in … gewohnt habe; nähere Erkenntnisse habe sie aus eigener Wahrnehmung nicht. Des Weiteren hat zugleich der damalige Lebensgefährte von Frau …, Herr …, unter dem Datum des 18. Mai 2015 handschriftlich erklärt, dass er von ca. Anfang März bis 1. Oktober 2014 (Datum seiner Inhaftierung) mit Frau … und … in der … in … gewohnt habe. Schließlich ist, ohne dass es darauf noch ankäme, indiziell noch anzuführen, dass Frau …, die Großmutter von …, im Oktober 2014 angegeben hatte, sie löse die Wohnung in … auf, wobei ihr eine Freundin von Frau … aus …, die von Frau … darum gebeten worden sei, dabei helfe (vgl. Bl. 47 der beigezogenen Akte der Beklagten).
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Angesichts all dessen ist der von Beklagtenseite hervorgehobene Umstand, dass Frau … auch zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme in die … noch in … im Bereich des Klägers wohnsitzmäßig amtlich gemeldet gewesen ist, letztlich ohne Belang für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts vor Aufnahme in die … Er vermag zwar eventuell Zweifel daran zu wecken, ob Frau … bereits unmittelbar nach Einzug in die Wohnung in … dort schon ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte, verliert seine Bedeutung hier aber völlig angesichts der Dauer des kontinuierlichen Aufenthalts der Kindsmutter dort zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten und ihrem Sohn … und angesichts ihrer Aussage vom Oktober 2014, sie hätte gerne die Wohnung dort behalten, sei aber krankheitsbedingt nicht in der Lage dazu. Irgendwelche Anhaltspunkte für ein noch bestehendes Aufklärungsbedürfnis hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts von Frau … unmittelbar vor der Aufnahme in die … lassen sich insgesamt dabei auch nicht erkennen.
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d) Soweit dem Kläger dementsprechend Kostenerstattung – in Höhe von 11.183,79 EUR – zuzusprechen ist, besteht gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB analog grundsätzlich zugleich ein Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (vgl. etwa BVerwG v. 23.1.2014 – 5 C 8.13 – NVwZ 2014, 1979ff, 1981). In diesem Sinne ist unter Annahme eines offensichtlichen Schreibversehens auch der Klageantrag, in dem von „Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz“ (Hervorhebung durch das Gericht) die Rede ist, auszulegen, da allgemeinkundig schon seit längerem der Basiszinssatz ins Negative gefallen war und ein fünfprozentiger Zuschlag bei einem negativen Basiszinssatz offensichtlich unsinnig wäre.
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Angesichts dessen, dass der Kläger schon mit dem am 4. November 2016 bei Gericht eingegangenen (und dadurch gem. § 90 Satz 1 VwGO rechtshängig gewordenen) Klageantrag vom 26. Oktober 2016 fortlaufende Kostenerstattung geltend gemacht hat, so dass Rechtshängigkeit bereits vor Fälligkeit eingetreten ist, ist gemäß § 291 Satz 1 Halbsatz 2 BGB analog hier der Beginn der Verzinsung allerdings erst mit Fälligkeit der jeweiligen (monatlichen) Kostenerstattungsansprüche anzusetzen.
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2. Demgegenüber dringt der Kläger mit seiner Klage gegen die Beklagte für den Zeitraum vom 15. Juli 2015 bis 14. Juli 2017, für den er mangels Leistungszuständigkeit aus § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht direkt auf § 89a SGB VIII zurückgreifen kann, nicht durch. Für diesen Zeitraum kommt wegen der damaligen Hilfeleistung aufgrund von § 86d SGB VIII (vorläufiges Tätigwerden aufgrund tatsächlichen Aufenthalts des Kindes …, weil die örtliche Zuständigkeit nicht feststeht oder der zuständige örtliche Träger nicht tätig wird) ernsthaft lediglich ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in Frage, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen und der auch nicht mit § 89a Abs. 2 VwGO analog ergänzt werden kann.
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a) Gemäß § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86b SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86a und 86b SGB VIII begründet wird.
91
Dies – örtlich zuständiger Träger nach § 86 SGB VIII – ist hier jedoch nicht die Beklagte, sondern der Beigeladene zu 1), der Landkreis …, wie bereits oben unter 1. b) in den Ausführungen zur örtlichen Zuständigkeit für die Gewährung der Hilfeleistung nach § 33 SGB VIII in Form von Vollzeitpflege für das Kind … herausgearbeitet worden ist. Eindeutig war bereits zu Leistungsbeginn im Juli 2015 der frühere gewöhnliche Aufenthalt der Kindsmutter in … schon durch die Auflösung der dortigen Wohnung aufgegeben und dann auch der neue gewöhnliche Aufenthalt im … in … im Bereich des Beigeladenen zu 1) begründet gewesen.
92
Auf dieser Ebene der (örtlichen) Zuständigkeitsbestimmung für die Leistungsgewährung greift entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht der Schutz der Einrichtungsorte nach § 89e SGB VIII; diese Vorschrift normiert ausdrücklich lediglich eine Erstattungspflicht, keinen Eintritt in eine Leistungspflicht.
93
b) Aber auch auf der Erstattungsebene kann sich der Kläger hier im Rahmen des § 89c SGB VIII nicht etwa im Ergebnis doch auf den Schutz der Einrichtungsorte nach § 89e SGB VIII berufen, obwohl für diesen Zeitraum die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs des Beigeladenen zu 1) gegen die Beklagte aus § 89e SGB VIII (vgl. dazu schon oben unter 1. c)) sogar zweifelsfrei vorliegen dürften. Denn dem Kläger selbst steht ein Anspruch nach § 89e SGB VIII nicht zu und anders als in der unter 1. erörterten Konstellation über § 86 Abs. 6 und § 89a SGB VIII sieht das Gesetz für den wegen vorläufiger Verpflichtung zum Tätigwerden leistenden örtlichen Träger (hier den Kläger) eine entsprechende „Durchgriffserstattung“ gegenüber dem Träger, gegen den der nach § 89c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII erstattungspflichtige Träger des Einrichtungsortes (hier der Beigeladene zu 1)) dann einen Kostenerstattungsanspruch hat (hier gegen die Beklagte nach § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII), nicht vor. Insoweit greift die Kammer nachvollziehbare Überlegungen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil v. 25.3.2010 – 5 C 12.09 – juris, dort Rn. 19ff., auf (vgl. auch BayVGH v. 21.5.2010 – 12 BV 09.1973 – juris, Rn. 46).
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So kann sich der Kläger nicht etwa für seinen Kostenerstattungsanspruch selbst auf § 89e SGB VIII berufen; diese Regelung ist für ihn weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Der Kläger ist nicht als örtlich für eine Einrichtung zuständiger Träger tätig geworden und seine Situation als wegen tatsächlichen Aufenthalts eines Kindes zum Tätigwerden Verpflichteter ist nicht mit der Situation eines für den Ort einer Einrichtung zuständigen Trägers vergleichbar; der für die damalige örtliche Leistungsverpflichtung maßgebliche – notfallmäßige, auf Weitergabe angelegte – Aufenthalt von … bei Frau … aufgrund ihrer von den Beteiligten angenommenen Eigenschaft als Urgroßmutter ist nicht vergleichbar einem Pflegeaufenthalt in einer Einrichtung.
95
Aber auch ein Erstattungsanspruch des Klägers aus einer § 89c Abs. 1 SGB VIII ergänzenden, analogen Anwendung von § 89a Abs. 2 SGB VIII besteht nicht. § 89a Abs. 2 SGB VIII enthält als Ausnahmevorschrift eine Sonderregelung, wodurch dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen Träger statt des zunächst erstattungspflichtigen Jugendhilfeträgers unter Verkürzung der Erstattungskette ein dritter Jugendhilfeträger, den seinerseits gegenüber dem zunächst zur Kostenerstattung verpflichteten Träger eine Erstattungspflicht trifft, direkt erstattungspflichtig wird (siehe dazu oben unter 1.). Der Erstattungsanspruch über § 89a Abs. 2 SGB VIII steht unmittelbar nur dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Träger zu. Sowohl an der für eine analoge Anwendung erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlagen als auch an einer entsprechenden planwidrigen Regelungslücke fehlt es hier. Zum einen, was die Vergleichbarkeit der Interessenlagen anbelangt, betrifft die Durchgriffserstattung in § 89a Abs. 2 SGB VIII maßgeblich die Ortszuständigkeit für eine – nach zunächst schon zweijährigem Verbleib – auf Dauer angelegte Pflegesituation, während es bei § 86d SGB VIII um eine vorläufige Verpflichtung aufgrund tatsächlichen Aufenthalts geht (selbst im vorliegenden Fall, bei dem der tatsächliche Aufenthalt aus einer Art Pflegesituation herrührt, sollte diese baldmöglichst beendet werden). Zum anderen ist darüber hinaus festzuhalten, dass der Ausnahmecharakter der Durchgriffserstattung nach § 89a Abs. 2 SGB VIII einer erweiternden bzw. entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift durchgreifend entgegensteht. Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn ein Erstattungsdurchgriff ein allgemeines Prinzip des jugendhilferechtlichen Erstattungsrechts wäre, das aus anderen Regelungen im Wege einer Einzel- oder Gesamtanalogie hergeleitet werden könnte. Für eine Zielsetzung des § 89a Abs. 2 SGB VIII, auch über den Schutz von Pflegestellenorten hinaus Erstattungsketten zu verhindern, aber finden sich weder im Gesetzeswortlaut noch in den Gesetzesmaterialien zum 1. SGB VIII-Änderungsgesetz, mit dem die Vorschrift eingeführt wurde, Anhaltspunkte (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 34), und ebenso wenig ergeben sich Anknüpfungspunkte aus dem SGB VIII gar für eine Gesamtanalogie.
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II. Nachdem der Kläger mithin hinsichtlich seiner Hauptforderung (Kostenerstattung) in der ausgesprochenen Weise teilweise obsiegt und teilweise unterliegt, sind die Verfahrenskosten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO im Verhältnis von 16/27 zulasten des Klägers und 11/27 zulasten der Beklagten zu teilen. Nachdem die Beigeladenen zur Klage keine Anträge gestellt haben, scheidet einerseits deren Kostenbelastung aus, ist ihnen aber andererseits mangels dies erfordernder Billigkeit auch keine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO zuzusprechen.
97
Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO (betr. die Vollstreckbarkeit für den Kläger) bzw. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO (betr. die Vollstreckbarkeit für die Beklagte).
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Die Berufung gegen dieses Urteil war insoweit, als dem Kläger für den Zeitraum vom 15. Juli 2017 bis 30. September 2018 Kostenerstattung zugesprochen worden ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine höchstrichterliche Klärung der insoweit entscheidungserheblichen (s.o. unter 1. c) aa)), in der Kommentarliteratur umstrittenen Frage, ob dem für den Einrichtungsort zuständigen Träger auch bei Inanspruchnahme auf Erstattung durch den nach § 86 Abs. 6 SGB VIII leistungszuständig gewordenen Träger ein Erstattungsanspruch nach § 89e SGB VIII – zumindest im Rahmen von § 89a Abs. 2 SGB VIII – zuzuordnen ist, steht, soweit hier ersichtlich, noch aus.
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Demgegenüber erachtet die Kammer die für die Klageabweisung im Übrigen erhebliche Frage einer Durchgriffserstattung bei § 89c SGB VIII durch bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt (s. oben 2. b)).