Inhalt

AG Landau, Beschluss v. 31.05.2023 – 003 F 88/23
Titel:

Genehmigung zeitlich gestaffelter geschlossener Unterbringung

Normenketten:
BGB § 1631b Abs. 1
SGB VIII § 79
Leitsätze:
1. Zur Vorbereitung und Stabilisierung eines Jugendlichen in einer Jugendhilfeeinrichtung kann neben dieser Unterbringung zusätzlich eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik gem. § 1631b BGB genehmigt werden. (Rn. 38)
2. Die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1631b BGB hängt nicht davon ab, ob ein Platz in einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung vorhanden ist. Es ist Aufgabe der Kommune nach § 79 Abs. 1 SGB VIII eine geeignete Einrichtung zu schaffen, wenn es ihr nicht gelingt, einen Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung freier Träger zu erlangen. (Rn. 34 – 35)
3. Eine Unterbringung nach § 1631b BGB ist auch bei sog. chronischer Gefährdung möglich und nicht nur bei offensichtlich akuter Gefährdung (offengelassen in BGH, JAmt 2013, 45). (Rn. 47)
Schlagworte:
Unterbringung, Kind, psychiatrische Klinik, geschlossenes Heim
Fundstellen:
NJOZ 2023, 1487
BeckRS 2023, 27201
LSK 2023, 27201

Tenor

1. Die Unterbringung der Betroffenen S.W., geboren am …2007, in einer geschlossenen Einrichtung der Jugendhilfe wird bis längstens 31.05.2024 familiengerichtlich genehmigt.
2. Bis zur Ermöglichung der unter Ziff. 1) genehmigten Unterbringung durch das Finden oder Schaffen einer geeigneten Einrichtung wird die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik bis längstens 31.05.2024 familiengerichtlich genehmigt.
3. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wird angeordnet.
4. Der Verfahrenswert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
5. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Verfahrens wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
1
Die Betroffene S.W. wurde am …2007 geboren. Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet. Das Sorgerecht liegt allein bei der Kindsmutter G.W. Frau G.W. wird in der Betreuung der Betroffenen stark von ihren eigenen Eltern unterstützt.
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Bereits als Kleinkind soll S. auffällig gewesen sein. Seit Januar 2019 wurde die Mutter von der sozialpädagogischen Familienhilfe unterstützt. S. wurde dennoch zunehmend gewalttätig und delinquent. Auch auf Grund mangelnder Reflexionsmöglichkeiten durch S. entschied sich die Kindsmutter zur Fremdunterbringung.
3
S. wurde ab dem 07.09.2019 in der Einrichtung „B.“ untergebracht. Hier handelte es sich um eine heilpädagogische Wohngruppe der Einrichtung … S. besuchte damals das Sonderpädagogische Förderzentrum B.. Auch während dieser Zeit zeigte das Kind manipulatives, beleidigendes und respektloses Verhalten. Nach deutlichen Verschlechterungen der Situation kam es zu ersten Unterbringungen in der Jugendpsychiatrie im Bezirkskrankenhaus L. vom 12.07.2020 bis 14.07.2020. Die Genehmigung erfolgte durch das vormals zuständige Amtsgericht Freyung.
4
Nach Fluchtereignissen kam es zur Notwendigkeit einer 1:1 Betreuung, was dazu führte, dass die bisherige Einrichtung nicht mehr tauglich war. S. kam am 24.09.2020 zur Fachpflegestelle von Frau D.. In dieser Erziehungsstelle nahm die Entwicklung bis etwa Juli 2021 eine positivere Entwicklung. Dann zeigte das Mädchen gegenüber Tieren der Erziehungsstelle aggressives Verhalten und distanzierte sich vom Familienleben. Bis Januar 2022 spitzte sich die Situation durch sehr auffälliges, aggressives und provokantes Verhalten seitens des Kindes zu. Vom 03.01.2022 bis 11.01.2022 erfolgte eine erneute Aufnahme im Bezirkskrankenhaus L., genehmigt durch das Amtsgericht Freyung (3 F 97/22). Nach erneuten Wohnversuchen in der Pflegestelle verbesserte sich das Verhalten von S. nicht und wiederum kam es zu einem erneuten Klinikaufenthalt. Die Maßnahme in der Erziehungsstelle musste beendet werden. Nach einem körperlichen Übergriff auf die Pflegemutter und deren Tochter verbrachte S. dann mehrere Monate (März bis Juli 2022) in der Jugendpsychiatrie in L. (3 F 228/22). S. zeigte sich während der Unterbringung mehrmals akut selbst- und fremdgefährdend, wurde mehrmals dort fixiert. Zahlreiche Time Out-Maßnahmen folgten.
5
Das zuständige Kreisjugendamt D. teilte mit, dass bereits dort trotz enormen Aufwandes keine geeignete Jugendhilfeeinrichtung gefunden werden konnte. Aufgrund der Annäherung zur Mutter konnte sie am 14.07.2022 dorthin entlassen werden. Zugleich erfolgter die Installation einer sozialpädagogischen Familienhilfe. In dieser Phase konnte letztmals auch eine Beschulung der Betroffenen durchgeführt werden. Dennoch kam es zu weiteren zahlreichen Vorfällen. Nunmehr zog S. zu den Großeltern.
6
Im Oktober 2022, Dezember 2022 (3 F 407/22), Januar 2023 (3 F 3/23) und Februar 2023 (3 F 63/23) wurde S. in das Bezirkskrankenhaus L. eingewiesen und die Unterbringung jeweils familiengerichtlich genehmigt. U.a. kam es in dieser Zeit zu einem massiven Suizidversuch. Dazwischen kam es auch zu freiwilligen Aufenthalten auf der geschützt geführten Jugendlichenstation.
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Zuletzt erfolgte ein längerer Aufenthalt vom 09.02.2023 bis 19.04.2023 (3 F 151/23), erneut auch veranlasst durch einen Suizidversuch durch Tabletteneinnahme. Da abzusehen war, dass die Behandlung der Betroffenen einen längeren Zeitraum erfordern würde, wurde durch das Gericht in Abstimmung mit den Ärzten der Jugendpsychiatrie ein jugendpsychiatrisches Sachverständigengutachten bei Frau D.D., Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie und -psychotgherapie in Auftrag gegeben. Trotz des mit Datum vom 05.04.2023 erstellten Gutachtens wurde die Betroffene am 19.04.2023 aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen, obwohl das Gutachten von einer weiteren massiven Eigen- und Fremdgefährdung ausgeht. Danach befand sich S. kurzzeitig weitere zweimal im Klinikum zur Krisenintervention. Auch beim Anhörungstermin vom 25.05.2023 konnte die Betroffene nicht erscheinen, da sie zur Krisenintervention gem. BayPsychKHG im Klinikum war. Es folgte eine erneute familiengerichtliche Genehmigung (3 F 208/23) bis 09.06.2023. Genehmigt wurden nach vorliegendem ärztlichen Zeugnis auch weitere freiheitsentziehende Maßnahmen (Fixierung, time-out-Raum und Einsperrungen). Dennoch wurde das Kind bereits am 27.05.2023 wieder entlassen.
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Am 29.05.2023 kam es zu einer erneuten umfangreichen Tabletteneinahme durch die Betroffene. Es folgte ein Krankenhausaufenthalt und seit dem 31.05.2023 befindet sich S. wieder in der Jugendpsychiatrie des Bezirkskrankenhauses L.. Unter dem Aktenzeichen 3 F 219/23 liegt ein erneuter Antrag auf Genehmigung einer Unterbringung für 14 Tage vor.
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Die jeweiligen richterlichen Genehmigungen erfolgten, da S. mehrfach und rezidivierend aufgrund suizidaler Krisen mit teilweise ernstzunehmenden Suizidversuchen und gravierenden Selbstverletzungen und aufgrund fehlender Distanzierung von akuter Eigengefährdung bei nicht bestehender Behandlungseinsicht nicht in der Obhut ihrer offenen Familienhilfeeinrichtung, Pflegestelle, Mutter oder Großmutter verbleiben konnte.
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Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die genannten Verfahrensakten, die dort enthaltenen ärztlichen Zeugnisse, das Gutachten vom 05.04.2023 und den Bericht des Kreisjugendamtes D. vom 22.05.2023 zu den vorliegenden Hilfemaßnahmen sowie dem Hilfeplan vom 23.5.23 Bezug genommen.
II.
11
Zur aktuellen Situation ist auszuführen, dass sich die Betroffene bei ihren Großeltern befindet, soweit sie nicht im Bezirkskrankenhaus aufgenommen ist. Die Großeltern haben ebenso wie die Mutter aber bereits mehrfach angekündigt, dass sie sich zur weiteren Betreuung des Kindes auf Dauer nicht mehr in der Lage sehen. Nach Mitteilung des Jugendamtes vom 01.06.2023 besteht nunmehr keine Aufnahmebereitschaft mehr. Als Inobhutnahmemöglichkeit stünde allenfalls ein Platz in der Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zur Verfügung, der aufgrund seiner Ausstattung nicht geeignet erscheint, der Jugendlichen ausreichend Schutz zu geben. Dort könnten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln derzeit auch wohl keine weiteren Suizidversuche verhindert werden.
12
Die Betroffene wird medikamentös behandelt. Die bestehende Familienhilfe wurde aktuell erweitert, auch um die Großeltern und die Mutter zu entlasten. Trotz intensiver Suche gelang es dem Kreisjugendamt bisher nicht, eine geeignete Jugendhilfeeinrichtung zu finden. Die Suche wird fortgesetzt.
III.
13
Nach Ansicht der Ärzte des Bezirkskrankenhauses L. sind die Voraussetzungen des § 1631b BGB bei den jeweiligen Entlassungen nicht mehr gegeben, weil eine „erhebliche Gefährdung“ nach der erfolgten „Stabilisierung“ mehr vorliegen würde. Das Klinikum gibt an, weiterhin bei auftretenden Krisen zur kurzfristigen Aufnahme bereit zu sein. Die erhebliche und nicht anders abwendbare Gefährdung sei bei akuter Selbst- und Fremdgefährdung gegeben. Ende jedoch diese akute Situation, gäbe es keine Notwendigkeit zur geschlossenen Unterbringung in der Jugendpsychiatrie. Ergäbe sich im Krisensetting eine akute Selbst- und Fremdgefährdung würde eine Überprüfung und Einschätzung der Absprachefähigkeit jeweils nach BayPsychKHG erfolgen. Im Bezirksklinikum wird die Auffassung vertreten, dass ein länger als unbedingt notwendig gegen den Willen der Betroffenen Aufenthalt auf der geschützten Station nicht dem Kindeswohl entspricht. Dies würde sich therapieschädigend auswirken und die Gefahr einer Hospitalisierung S.s, besonders auch im Hinblick auf die zugrundeliegende Bindungsproblematik, mit sich bringen.
IV.
14
Gemäß §§ 167 Abs. 1 S. 2 und 3, 158 FamFG ist ein Verfahrensbeistand bestellt worden. Dieser war bereits in zahlreichen Genehmigungsverfahren bzgl. S. tätig und kennt die Betroffene aus diesen Verfahren. In der Anhörung vom 25.05.2023 sieht er ebenso wie alle übrigen Verfahrensbeteiligten die Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung. In Kenntnis der konkreten Situation, dass derzeit keine Jugendhilfeeinrichtung gefunden werden kann, gibt er an, dass aktuell die geeignete Einrichtung für S. die Psychiatrie sei. V.
15
Auch die Vertreterinnen des Jugendamtes, incl. der Leiterin, wurden angehört. Es wurden mehrere Berichte gefertigt und in der mündlichen Anhörung vom 25.5.23 wurde nochmals klargestellt, dass eine geschlossene Unterbringung zwingend erforderlich ist. Man habe jedoch trotz beträchtlichen personellen und zeitlichen Aufwands bisher keine geeignete Jugendhilfeeinrichtung finden können. Aufgrund Kapazitätsproblemen und auch aufgrund der Eigen- und Fremdgefährdung werde S. von allen bisher angesprochenen Einrichtungen abgelehnt. Unter Kindeswohlgesichtspunkten müsste der Betroffenen der für sie notwendige Rahmen für ihre Entwicklung und der notwendige Schutz gewährt werden. Aufgrund der derzeitigen Situation sei dieser Schutz aktuell nur in der Jugendpsychiatrie zu finden, solange bis eine Jugendhilfeeinrichtung gefunden werde. Die dafür benötige Dauer könne nicht abgeschätzt werden. Das Bemühen um eine intensive Einzelmaßnahme in Griechenland habe nicht zum Erfolg geführt.
VI.
16
Die allein erziehungsberechtigte Mutter G.W. stellte am 25.05.23 zu Protokoll des Gerichts den Antrag auf langfristige Unterbringung. Sie bekundete in diesem Zusammenhang, dass aus ihrer Sicht aktuelle die Jugendpsychiatrie die geeignete Einrichtung sei, zumindest bis eine geeignete Jugendhilfeeinrichtung gefunden werde.
VII.
17
Die Betroffene S.W. wurde persönlich angehört. Sie gibt an, nicht weiter im Bezirkskrankenhaus bleiben zu wollen. Sie wolle zurück zur Oma. Notfalls würde sie auch in eine geschlossene Jugendhilfeeinrichtung gehen. Sie gibt an gesund zu sein. Weiterhin berichtet sie aber erneut von Suizidabsichten.
VIII.
18
Die Sachverständige Frau D. ist als Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie und – pschotherapie ausreichend qualifiziert i.S.v. § 167 Abs. 6 S. 1 FamFG. Gem. § 321 Abs. 1 S. 2 FamFG hat die Sachverständige die Betroffene persönlich untersucht und befragt. Frau Dr. D. wurde vom Gericht bestellt und hat der Betroffenen den Zweck der Untersuchung eröffnet (vgl. BeckOGK/Kerscher, 1.5.2023, BGB § 1631b Rn. 64 m.w.N.). Das Gutachten wurden den Verfahrensbeteiligten, insb. dem Verfahrensbeistand und der verfahrensfähigen Betroffenen mit Gelegenheit zur Stellungnahme übermittelt, § 37 Abs. 2 FamFG.
19
Das Gutachten ist so abgefasst, dass das erkennende Gericht das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin überprüft werden konnte. Fehler, Lücken, Angriffspunkte oder Unstimmigkeiten enthält das Gutachten nicht. Das Gericht ist überzeugt von der Richtigkeit der von der Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen. Das Gutachten hat die Notwendigkeit der mit einer Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung sowie die klinische Behandlungsbedürftigkeit aus fachlicher Sicht festgestellt.
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Das Gericht entnimmt dies aus der von der Sachverständigen erfolgen Ausführungen, die nachfolgend auszugsweise wie folgt wiedergegeben werden:
„… ist aus gutachterlicher Sicht die weitere geschützte Unterbringung in einer entsprechenden therapeutischen Einrichtung, die fakultativ auch einen engen, geschützten Rahmen anbieten kann, unbedingt notwendig“.
„Es ist davon Auszugehen, dass auch diese Entwicklung durch eine geschlossene Unterbringung zu verhindern ist. Nachdem sämtliche ambulante sowie offen geführte stationäre Maßnahmen, auch im Rahmen der Jugendhilfe, ausgeschöpft sind, ist aus gutachterlicher Sicht die weitere geschützte Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung der Jugendhilfe unbedingt notwendig.“
„Als gutachterliche Sicht besteht gegenwärtig keine Alternative zu einer geschlossenen Unterbringung von S. in einer entsprechenden Jugendhilfemaßnahme.“
„aufgrund der Notwendigkeit eines engen Settings, dass nur im geschlossenen Rahmen einer geeigneten Jugendhilfeeinrichtung garantiert werden kann, sollte S. für mindestens ein Jahr dort untergebracht werden, …“
„Sollte aufgrund der derzeit bestehenden langen Wartezeiten auf einen geschützten Wohngruppenplatz eine Unterbringung in einer entsprechenden Einrichtung nicht ad hoc möglich sein, wird vorübergehend dringend eine erneute intensive sozialpädagogische Einzelmaßnahme empfohlen.
„Eine engmaschige weiterführende Kinder und jugendpsychiatrische Betreuung sowie eine psychotherapeutische Behandlung sind dringend notwendig. Eine längerfristige stationäre psychiatrische Klinikbehandlung sollte aufgrund der bereits bestehenden Hospitalisierungtendenz vermieden werden und bei Bedarf nur noch kurze Aufenthalte zur Krisenintervention bei einer akuten Gefährdung erfolgen.“
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Zusammenfassend hat die Gutachterin ausgeführt:
„Aus gutachterlicher Sicht ist die Notwendigkeit einer Unterbringung von S.W. gemäß § 1631b BGB gegeben. Die Gründe hierfür sind die Abwendung von weiteren Fremd- und Selbstverletzungen sowie die Notwendigkeit eines strukturierten pädagogischen Settings durch konstante, professionelle Fachkräfte, um vorliegende defizitäre Bindungs- und Beziehungsproblematiken zu korrigieren und auch langfristig mittels Gewährleistung und Schaffung von Lebensperspektiven unter anderem durch Ermöglichung eines regelmäßigen Schulbesuchs eine weitere Persönlichkeit Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.“
 …
“Zumindest ist davon auszugehen, dass es zu keinen weiteren gesundheitlichen Gefährdungen sowie delinguenten Entgleisungen im Rahmen einer geschützt geführten unter Einrichtung kommen kann und wird.“
„Es besteht ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden, da der vorläufige Unterbringungsbeschluss endet, S. somit von der geschützten Station entlassen wird und aufgrund des bislang gezeigten Verhaltens dringend davon auszugehen ist, dass es erneut zu Eskalationen im familiären Umfeld kommen würde und S. aufgrund fehlender Copingstrategien, wie auch Unwillen, alternative Handlungsstrategien anzuwenden, erneut sich selbst sowie andere gefährden wird.“
„Alternative Möglichkeiten einer offenen oder ambulanten Behandlung oder sonstigen Hilfen sind das gutachterliche Sicht im gegenwärtigen Zustand nicht ausreichend.“
„Ein weiterer Verbleib auf der geschützt geführten Jugendlichenstation wird das therapeutisch und fachärztlicher Sicht aufgrund bereits deutlich erkennbare Hospitalisierungtendenzen als nicht sinnvoll erachtet.“
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„Bei unterlassener Unterbringung in einer entsprechend geschützt geführten Jugendlichen Einrichtung besteht vordergründig das Risiko, dass S. sich aufgrund ihrer bisher gezeigten Verhaltensweisen erneut gefährdet.“
„Das Ausmaß der bisherigen Selbstverletzungen und die zunehmende Tendenz der körperlichen Gewalt müssen befürchten lassen, dass es S. im Einzelfall auch gelingen könnte, sich durch ihre Selbstverletzung einen schwerwiegenden bleibenden Schaden zuzufügen oder sich sogar zu suizidieren oder andere Menschen einen bleibenden körperlichen wie seelischen Schaden zuzufügen.“
„Als Alternative – auch nur für den Fall, dass kein entsprechender Platz in einer geschlossenen geführten Einrichtung gefunden werden kann – wird lediglich die Möglichkeit einer intensiven sozialpädagogischen Einzelmaßnahme gesehen, die jedoch ebenso zeitweise den engsten vorstellbaren pädagogischen Rahmen zum Schutz von S. bieten sollte.“
IX.
23
Die Genehmigung der Unterbringungsmaßnahme beruht auf § 1631b Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 151 Nr. 6, 167 Abs. 1, 312 ff FamFG. Danach ist eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung eines Kindes nur zulässig, solange sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Es liegt ein Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung durch die gesetzlichen Vertreter vor.
24
Nach dem Gutachten von D., Fachärztin für Kinder und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie vom 05.04.2023 leidet die Betroffene an einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen, vermutlich auf dem Boden einer seit dem Kindesalter bestehenden reaktiven Bindungsstörung. Zudem lasse sich aktuell schwerpunktmäßig eine dissoziale Entwicklung beobachten, sodass differentialdiagnostisch bzw. perspektivisch in den diagnostischen Überlegungen der dringende Verdacht auf eine deutliche Persönlichkeitsfehlentwicklung/ Entwicklung einer dissozialen/antisozialen Persönlichkeitsstörung zu erwägen ist.
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Es besteht die akute Gefahr, dass die Betroffene sich selbst tötet, sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt und anderen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Hier ist auf die Ausführungen der Sachverständigen zu verweisen, denen sich das Gericht nach sorgfältiger Prüfung vollumfänglich anschließt.
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Zu ihrem Wohl ist es notwendig, dass die Betroffene zum Zwecke der Diagnostik und Heilbehandlung geschlossen untergebracht wird.
27
Die Heilbehandlung kann ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden. Die Gutachterin führt unwidersprochen aus, dass alternative Möglichkeiten einer offenen oder ambulanten Behandlung oder sonstige Hilfen im gegenwärtigen Zustand nicht ausreichend sind. Diese Auffassung teilt das Gericht vollumfänglich und entspricht der Meinung aller Verfahrensbeteiligten, inbs. auch der Fachstellen. Das Gericht hat sich mit dem aktuellen Hilfeplan befasst, der für die Jugendliche erstellt wurde. Alle Maßnahmen wurden betrachtet. Dennoch erscheint dieser Versuch einer Stabilisierung von S. gescheitert zu sein. Gerade die Entwicklung der letzten Wochen zeigt, dass ambulante Maßnahmen nicht mehr ausreichen. Allein nach der Anhörung der Beteiligten und der Betroffenen kam es zu einer massiven Eigengefährdung.
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Für die notwendigen ärztlichen Maßnahmen ist laut dem Gutachten, dem sich das Gericht auch diesbezüglich anschließt, voraussichtlich die festgesetzte Unterbringungsdauer erforderlich, wobei die vorzeitige Entlassung aus der geschlossenen Einrichtung möglich ist.
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Die Betroffene, die gesetzlichen Vertreter, das zuständige Jugendamt und der Verfahrensbeistand wurden angehört. Das Gericht schließt sich dem ärztlichen Befund auch aufgrund der persönlichen Anhörung der Betroffenen an. Dem Wunsch der Jugendlichen, zur Großmutter zurückkehren zu wollen, kann ihr nicht mehr erfüllt werden. Die erziehungsberechtigte Mutter ist trotz Unterstützung der Großmutter nicht mehr in der Lage, die Betreuung von S. zu übernehmen und auszuschließen, dass weiterhin Eigen- und Fremdgefährdungen ausgeschlossen werden. Der Kindeswille war aber auch dahingehend zu verstehen, dass S. notfalls auch mit einer geschlossenen Unterbringung einverstanden ist.
X.
30
Das Gericht ist sich dessen bewusst, dass nach der Rechtsprechung im Genehmigungsbeschluss nach § 1631b BGB eindeutig klargestellt werden muss, ob die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder aber in einem geschlossenen Heim der Jugendhilfe genehmigt wird (BVerfG, NJW 2007, 3560; BayObLG, FamRZ 1992, 105ff; OLG Saarbrücken, FamRZ 2021, 684). Neben den Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie kommen Einrichtungen der Jugendhilfe in Betracht, bei denen die Möglichkeit einer Unterbringung nach § 1631b besteht (BeckOGK/Kerscher, 1.1.2023, BGB § 1631b Rn. 11). Nur so wird der unterschiedlichen Ausrichtung dieser beiden alternativen Arten der geschlossenen Unterbringung – deren Erforderlichkeit aus Kindeswohlgründen der Familienrichter bei seiner Genehmigungsentscheidung zu prüfen hat (§§ 1631b, 1697a BGB) – Rechnung getragen (BVerfG; NJW 2007, 3560, beck-online).
31
Nach den Ausführungen der Gutachterin erfordert die Beachtung des Kindeswohls, dass die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung erfolgt, nicht in der Jugendpsychiatrie.
32
Die Beteiligten wurden dazu gehört. Der Verfahrensbeistand, die Vertreterinnen des Jugendamtes und die Mutter erklären, dass nach ihrer Auffassung wegen der Selbst- und Fremdgefährdung die Jugendpsychiatrie zum aktuellen Zeitpunkt die geeignete Einrichtung wäre.
33
Das Gericht verkennt hier nicht, dass diese Auffassungen letztlich davon getragen werden, dass aktuell keine geeignete Jugendhilfeeinrichtung zur Verfügung steht.
34
Dem Gericht ist klar, dass das Jugendamt seit sehr langer Zeit alles tut, um einen geeigneten Platz oder eine Intensivmaßnahme zu finden und die latenten Gefahren in dieser Zeit durch Familienhilfemaßnahmen in sehr großen Umgang ausgleicht. Dennoch geht das bürgerliche Gesetzbuch davon aus, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe seine Pflichtaufgaben erfüllt und für besonders schwierige Fälle, die private Träger ablehnen, Vorsorge trifft. Von dieser gesetzlichen Pflicht entbindet die Kommune auch nicht der Hinweis auf den unbestritten vorhandenen Fachkräftemangel oder andere vergleichbare Schwierigkeiten (vgl. zuletzt VG Gera, BeckRS 2023, 1959 mit weiteren zahlreichen Nachweisen). Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob Einrichtungen zur Verfügung stehen und/oder ob es dem politischen Willen entspricht, auch für höchst auffällige Kinder und Jugendliche die notwendigen Einrichtungen vorzuhalten und dafür alle notwendigen Mittel einzusetzen. Dies ist Sache der Verwaltung, die in § 79 SGB VIII genannte objektive Rechtsverpflichtung durchzusetzen, nicht des nach § 1631b BGB berufenen Familiengerichts. U.u. mag der Jugendhilfeausschuss hier Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten erlangen (Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 9. A., § 79 SGB VIII RN 7 m.w.N.) und die Schaffung solcher Plätze erzwingen. Das entscheidende Gericht hat darauf keinen Einfluss und muss zunächst für seine Entscheidung davon ausgehen, dass ein solcher Platz vorhanden ist oder zeitnah durch den Träger der Jugendhilfe geschaffen wird.
35
Es ist demnach aus Sicht des Gerichts unabdingbar, dass die Kommune hier zeitnah tätig wird, eine Jugendhilfeeinrichtung zu schaffen. Der Versuch, bundesweit eine solche Einrichtung zu finden, muss derzeit als gescheitert angesehen werden. Wenn aber keine Einrichtung in der Lage oder bereit ist, die Betroffene aufzunehmen, muss die zuständige Kommune selbst eine derartige Einrichtung zeitnah schaffen. Einrichtungen privater Träger haben anders als etwa kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtungen keinen Versorgungsauftrag, der sie verpflichten würde, ein bestimmtes Kind oder einen bestimmten Jugendlichen aufzunehmen. Es besteht demnach keine rechtliche Möglichkeit, die Aufnahme eines bestimmten Kindes oder eines bestimmten Jugendlichen in einer Einrichtung durchzusetzen (DIJuF-Rechtsgutachten 19.07.2013, JAmt 2013, 573). Daher bleibt der öffentliche Träger der Jugendhilfe in der Gesamtverantwortung für die sachgerechte und am Kindeswohl orientierte Ausführung des Kinder- und Jugendhilferechts (§ 79 Abs. 1 SGB VIIII), vgl. VG Gera, BeckRS 2023, 1959 RN 45. Somit ist es beim Scheitern aller anderen Möglichkeiten – wie im vorliegenden Fall der Betroffenen geschehen – Aufgabe der Kommune selbst eine geeignete Einrichtung zu schaffen. § 79 Abs. 1 SGB VIII benennt die zentrale Verantwortung der gesamten öffentlichen Jugendhilfe dafür, dass die für die Erbringung der Leistungen und die Wahrnehmung der erforderlichen Infrastruktur zur Verfügung steht (Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Auflage 2022, § 79 RN 6). Wenn dieser objektiven Rechtsverpflichtung auch kein subjektiver Anspruch gegenübersteht (Münder/Meysen/Trenczek, RN 7ff) ist dennoch der öffentliche Träger zur Leistung verpflichtet, was letztendlich doch bedeutet, selbst eine Einrichtung zu schaffen, sicherlich auch in Form kommunaler Zusammenarbeit. Gerichtsbekannt treten in Bayern und in der gesamten Bundesrepublik vermehrt Fälle auf, dass keine geeigneten Einrichtungen privater Träger für extrem auffällige Kinder und Jugendliche vorhanden sind. Die in den Medien als Systembrecher bezeichneten Betroffenen können trotz bestehender Genehmigungen von Unterbringungen nicht untergebracht werden. Gerade dies zeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht und die Unterbringungsgenehmigung nicht deswegen entfallen kann, weil es über lange Zeit versäumt wurde, geeignete Einrichtungen zu schaffen.
36
Somit ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Gutachterin die Unterbringung in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung anzuordnen. Die beschriebenen Gefährdungen der Unterbringung in einer jugendpsychiatrischen Klinik erfordern es, dass zeitnah eine Einrichtung gefunden oder geschaffen wird, die dem Kindeswohl entsprechend in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung erfolgt. Gerade die deutlich erkennbaren Hospitalisierungstendenzen lassen aus therapeutischer und fachärztlicher Sicht einen weiteren Verbleib auf der geschützt geführten Jugendlichenstation des Bezirksklinikums L. als nicht sinnvoll erscheinen. Diesen Ausführungen der Gutachterin schließt sich das Gericht zunächst an und sieht die öffentlichen Träger der Jugendhilfe in der Pflicht, eine geeignete Einrichtung zu finden oder zu schaffen.
XI.
37
Aus Sicht des Gerichts muss diese Einrichtung im Beschluss auch nicht konkret bezeichnet werden. Nur die Art der Unterbringung (geschlossene Einrichtung der Jugendhilfe oder Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, vgl. BVerfG, NJW 2007, 3560) muss konkretisiert werden, nicht die konkrete Einrichtung oder der Ort der Einrichtung (OLG Koblenz, FamRZ 2015, 2069). Letztlich bestimmt dies der gesetzliche Vertreter im Rahmen des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Dies ermöglicht z.B. auch den Wechsel der Einrichtung, sollte dies durch den Therapieverlauf veranlasst sein. Im Übrigen ist zwischen allen Beteiligten unstrittig, dass eine konkrete Bestimmung derzeit schon rein faktisch nicht möglich ist. Weiterhin ist bekannt, dass bei der Suche von Einrichtungen oftmals bereits eine Genehmigung der Unterbringung gefordert wird, um eine Aufnahme zu ermöglichen. Würde man fordern, die Einrichtung schon im Beschluss zu benennen, würde dies die Aussicht auf Aufnahme in geeigneten Einrichtungen deutlich verringern.
XII.
38
Nach den durchgeführten Ermittlungen des Gerichts und den Ausführungen der Jugendhilfe ist derzeit eine geschlossene Jugendhilfeeinrichtung nicht vorhanden. Dies hat das Gericht nicht unberücksichtigt zu lassen und muss dem Kindeswohl entsprechend eine Anordnung treffen, bis eine Einrichtung gefunden oder geschaffen wird. Dies bedeutet nicht, dass die geschlossene Unterbringung alternativ in einer geschlossenen Jugenhilfeeinrichtung oder in einer psychiatrischen Klinik erfolgt. Vielmehr erfolgt die Unterbringung zeitlich gestaffelt entweder in der einen Art der Einrichtung oder in der anderen Art der Einrichtung. Die Notwendigkeit, in der geschlossenen Unterbringung keine Lücken entstehen zu lassen, während derer es zu erwarten ist – wie die Erfahrung gezeigt hat – dass S. sich selbst stark körperlich schädigt, erfordert es, eine gestaffelte Unterbringung zu genehmigen.
39
Daher wurde insoweit die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik genehmigt.
40
1. Im Gutachten wird ausführlich beschrieben, dass bei der Betroffenen eine umfassende Notwendigkeit der kinder- und jugendpsychiatrischen Weiterbehandlung besteht. Demnach ist ein signifikantes Behandlungsbedürfnis gegeben, dem derzeit nur in einer psychiatrischen Klinik nachgekommen werden kann, da aufgrund der nicht anders möglichen geschlossenen Unterbringung die hohe Eigen- und Fremdgefährdung zu verhindern sein wird. Insofern kann keine Rede davon sein, dass eine „Sicherungsverwahrung“ erfolgen soll, da Behandlungsbedarf vorliegt.
41
2. Bei der Betroffenen fanden in letzter Zeit häufig stationäre Kriseninterventionen statt. Die Frequenz nahm deutlich zu. Auch dies zeigt die Behandlungsbedürftigkeit und die Notwendigkeit der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik, zumindest solange bis der Übergang in eine geschlossene Jugendhilfeeinrichtung möglich ist und dann ggf. die Weiterbehandlung durch niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater erfolgen kann.
42
3. Die bereits erwähnte Gefahr der Hospitalisierung muss hier in den Kontext anderer Alternativen gesetzt werden. Die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie besteht nicht mehr. Eine geschlossene Jugendhilfeeinrichtung steht noch nicht zur Verfügung. Bei Nichtunterbringung in einer psychiatrischen Klinik ist absehbar, dass die Betroffene obdachlos wird und ggf. durch die Jugendhilfe in Obhut genommen werden muss. Dies bedeutet die Trennung von der Familie, die beaufsichtigte Verwahrung in ungeeigneten Unterbringungsformen und die Destabilisierung der Jugendlichen. Diese wird dann ohne nachhaltigen Beziehungsaufbau und ohne ihr zugewandt Behandlung weiterhin eigen- und fremdgefährdend sein. Gegenüber den Alternativen haben die Nachteile einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zurückzustehen. Dem Antrag der erziehungsberechtigten Mutter auf Genehmigung der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik ist daher stattzugeben, da sich diese für das Gericht bis zur Findung oder Schaffung einer geeigneten geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung als alternativlos darstellt.
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4. § 1631b BGB geht von einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung aus. Entgegen der Stellungnahmen der Oberärztin stuft das Gericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen im Gutachten der Sachverständigen die Selbst- und Fremdgefährdung als erheblich ein. Die Entwicklung der letzten Tage hat nochmals klar gezeigt, dass allenfalls kurzzeitig von einer Situation ausgegangen werden kann, die nicht unmittelbar eine Selbst- und Fremdgefährdung befürchten lässt. Keineswegs ist zu sehen, dass eine Eigen- und Fremdgefährdung nach nur wenigen Tagen Klinikaufenthalt auszuschließen wäre. Aber erst wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine solche Eigen- und Fremdgefährdung nicht mehr erfolgt, kann die Unterbringungsmaßnahme beendet werden.
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5. Die Gutachterin hat auch zu dem bekannten Problem Stellung genommen, dass kein entsprechender Platz in einer geschlossen geführten Einrichtung der Jugendhilfe gefunden werden kann. Hier wurde nur die Möglichkeit einer intensiven sozialpädagogischen Einzelmaßnahme gesehen, die jedoch ebenso zeitweise den engsten vorstellbaren pädagogischen Rahmen zum Schutz von S. bieten sollte. Diese Einzelmaßnahme ist jedoch ebenso wie die geschlossene Jugendhilfeeinrichtung derzeit nicht durchführbar. Nach Auskunft der Mitarbeiterinnen sind entsprechende Bemühungen gescheitert. Eine intensive sozialpädagogische Einzelmaßnahme in Griechenland kam nicht zustande. Weitere Optionen, wie von der Gutachterin „erwünscht“, stehen derzeit rein faktisch nicht zur Verfügung, so dass auch insofern die geschlossene Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zu genehmigen war. Dem Gericht ist es nicht möglich, Betreuungsformen in die Entscheidung einfließen zu lassen, die es derzeit einfach nicht gibt.
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6. Entgegen im Verfahren geäußerten Auffassungen der Mitarbeiter der psychiatrischen Klinik geht das Gericht auch nicht davon aus, dass § 1631b BGB immer nur eine Unterbringung in einer akuten Eigen- und Fremdgefährdungssituation abdeckt. Die Genehmigung nach § 1631b BGB erfordert eine erhebliche Eigen- oder Fremdgefährdung und ist nicht abhängig von einer aktuellen Krisensituation. Wäre dies der Fall, könnte keine langfristige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik erfolgen, weil eine Krise in der Regel nicht bis zu einem Jahr anhält.
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Hierzu ist zunächst auch auszuführen, dass aus Sicht des Gerichts derzeit immer eine akute Gefährdungssituation vorliegt. Diese wird nicht durch eine kurzzeitige Absprachefähigkeit mit der Betroffenen aufgehoben. Sie entfällt nicht, weil die Jugendliche nach einer Krisenintervention vermeintlich in Freiheit nun nicht mehr für sich oder andere gefährlich ist. Die Entwicklung der letzten Monate, Wochen und Tage hat aus Sicht des Gerichts gezeigt, dass die akute Gefährdung fortwährend vorliegt. Diese fortwährende Gefährdung zu unterbinden, überwiegt die bekannten Nachteile, die durch einen zu langen Klinikaufenthalt entstehen. Eine sicherlich nicht optimale Behandlung ist unter Schutzgesichtspunkten einer gar nicht vorgenommenen Behandlung vorzuziehen.
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Ferner ist eine Unterbringung nach § 1631b BGB auch bei sog. chronischer Gefährdung möglich (offengelassen BGH, JAmt 2013, 45 mit Anmerkung Prof. Dr. B. H.). Wenn Gefährdungen für sich selbst oder Dritte fortwährend gegeben sind, kann nicht in kurzzeitigen Abständen eine Entlassung erfolgen, wenn bereits absehbar ist, dass die Gefährdung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zeitnah wieder auftreten wird. Das Wort „solange“ in § 1631b BGB bedeutet, dass die Gefahr solange abzuwenden ist, solange sie besteht und nicht nur bis eine Akutsituation bereinigt ist. Das Gericht geht davon aus, dass auch nach der durch Krisenintervention bereinigten Akutsituation weiterhin eine erhebliche Eigen- und Fremdgefährdung vorliegt. Dies haben die Ereignisse der letzten Zeit deutlich vor Augen geführt. Demnach ist die Genehmigung der Unterbringung auch langfristig in einer psychiatrischen Klinik möglich und im vorliegenden Fall zwingend notwendig. Die Mutter als Sorgerechtsinhaberin kann die Unterbringung vorzeitig beenden. Eine Aussetzungskompetenz des Gerichts besteht nicht, weil das Gericht lediglich eine Genehmigung erteilt, die Betroffene freiheitsentziehend unterzubringen (Haußleiter/Heidebach, 2. Aufl. 2017, FamFG § 328 Rn. 2). Sollte die vorzeitige Beendigung durch den Erziehungsberechtigten dem Wohl des Kindes zuwiderlaufen und weiterhin Eigen- und Fremdgefährdung vorliegen, sind ihrem Aufenthaltsbestimmungsrecht Grenzen gesetzt (BeckOGK/Kerscher, 1.5.2023, BGB § 1631b Rn. 86). Dies zeigt, dass letztlich nur dann die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik und selbstverständlich auch in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung beendet werden kann, wenn eine Eigen- und Fremdgefährdung nicht mehr vorliegt. Die Bereinigung einer Krisensituation allein dürfte hier nicht ausreichend sein.
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7. Die Genehmigung der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik erfolgt auch, weil dadurch ggf. eine Stabilisierung von S. möglich sein könnte, die es dann ggf. ermöglichen wird, eine geeignete geschlossene Einrichtung der Jugendhilfe zu finden und damit die Möglichkeit geschaffen wird, den Beschluss in Ziffer 1 durchzuführen. Ob diese Stabilisierung durch den Wechsel der psychiatrischen Klinik, andern medikamentösen Behandlungsformen oder auf sonstige Weise erreicht werden kann, unterliegt nicht der Beurteilung durch das Gericht.
XIII.
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Die Dauer der Unterbringung war nach den Ausführungen der Sachverständigen für ein Jahr anzuordnen. Dieser Zeitraum ist erforderlich, damit die Betroffene phasenweise relativ offen geführt werden kann. Um einen, für S. sehr schädlichen, Therapieabbruch bei Frustration zu vermeiden, benötigt sie über mindestens ein Jahr die Möglichkeit, jederzeit wieder geschlossen mir ihr arbeiten zu können. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an. Nach dem bisherigen Verlauf der verschiedenen Unterbringungen und der persönlichen Anhörung der Betroffenen wird eine geringere Zeitspanne nicht dazu führen, den Gesundheitszustand der Betroffenen und ihre Entwicklung positiv zu beeinflussen. Darin liegt das offensichtliche Sicherungsbedürfnis gem. § 167 Abs. 7 FamFG.
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Probeweise Beendigungen zur Förderung des Therapieverlaufs führen ohnehin nicht zum Verbrauch der Genehmigung (Regierungsbegründung zu § 1906 BGB, BT-Drs. 11/4528, 148; → § 328 Rn. 1; Haußleiter/Heidebach, 2. Aufl. 2017, FamFG § 330 Rn. 3). Eine probeweise Beendigung durch ist nach der Rspr. in (vor allem zeitlich) engen Grenzen möglich (KG BeckRS 2005, 30366693; BayObLG BeckRS 2004, 03803; OLG Hamm NJW-RR 2000, 669).
XIV.
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Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses beruht auf §§ 167 Abs. 1, 324 Abs. 2 FamFG.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 42 Abs. 2 und 3 FamGKG.
53
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG.