Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 05.04.2023 – 15 U 6218/22
Titel:

Vermögensbetreuungspflicht von Rechtsanwälten und Steuerberatern

Normenkette:
StGB § 266
Leitsätze:
1. Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind gegenüber ihren Mandanten bei vermögensrechtlichen Mandaten vermögensbetreuungspflichtig, insbesondere hinsichtlich der Verwendung eingegangener Gelder. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Entgegennahme von Geldern im Auftrag des Mandanten zur Weiterleitung an Dritte oder die Entgegennahme von Geldern im Rahmen eines bestehenden Mandatsverhältnisses, die für den Mandanten bestimmt sind, begründet die Vermögensbetreuungspflicht im Sinne eines Treuhandverhältnisses. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Nichttransferieren von Geldern auf ein Anderkonto, die unterlassene Verwendung vom Mandanten erhaltener Gelder entsprechend der Zweckbestimmung des Mandanten oder die Verwendung von Mandantengeldern für eigene Zwecke stellen Verletzungen der Vermögensbetreuungspflicht dar. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untreue, Treubruchstatbestand, Vermögensbetreuungspflicht, Treuhandverhältnis, Mandantengelder, Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 23.09.2022 – 6 O 1649/22 (2)
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2023, 399
AnwBl 2023, 556
BeckRS 2023, 27180
LSK 2023, 27180

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23.09.2022, Az. 6 O 1649/22 (2), gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Berufungen der Arrestbeklagten zu 1 und zu 2 richten sich gegen Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23.09.2022, Az.: 6 O 1649/22 (2), das den Arrestbefehl des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2022 gegen die Arrestbeklagten bestätigt hat. Die Arrestklägerin macht gegen die Arrestbeklagten als Gesamtschuldner Schadensersatzansprüche aus deliktischer Haftung in Höhe von 595.178,02 € geltend. Die Arrestklägerin überwies im Rahmen eines bestehenden Steuermandats mit dem Arrestbeklagten zu 1, das überwiegend von der Arrestbeklagten zu 2 als Mitarbeiterin des Arrestbeklagten zu 1 bearbeitet wurde, in den Jahren 2018 – 2021 Umsatzsteuervorauszahlungen und Lohnsteuerzahlungen in der im Ersturteil im Einzelnen aufgeführten Höhe auf das Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1. Es handelte sich dabei um zweckgebundene Gelder zur Weiterleitung an die Finanzverwaltung für die Begleichung der jeweils fälligen Umsatzsteuer- und Lohnsteuerverbindlichkeiten der Arrestklägerin. Die Arrestklägerin führt aus, dass zwischen 2018 und Januar 2021 ein Betrag in Höhe von mindestens 595.178,02 € abredewidrig bewusst nicht an die Finanzverwaltung weitergeleitet worden sei, sondern von den Arrestbeklagten für sich selbst vereinnahmt worden sei. Die Arrestklägerin macht gegen die Arrestbeklagten insoweit einen auf die Veruntreuung der Gelder gestützten Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB geltend. Die Arrestklägerin stützt ihren Antrag auf Anordnung des Arrestes darauf, dass der Arrestgrund durch die Untreuetat indiziert sei. Zudem bestehe der Verdacht, dass die Arrestbeklagten die Vollstreckung vereiteln oder wesentlich erschweren würden, da sie jede Auskunft zur Verwendung und zum Verbleib der Treuhandgelder verweigern würden. Die Arrestbeklagten weisen die erhobenen Vorwürfe zurück. Sie machen insbesondere geltend, dass die behauptete zweckwidrige Mittelverwendung nicht glaubhaft gemacht sei und nicht zutreffe. Ferner fehle es an einem Arrestgrund.
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Mit Arrestbefehl vom 01.08.2022 ordnete das Landgericht Traunstein auf die Antragsschrift der Arrestklägerin vom 26.07.2022 wegen einer geltend gemachten Schadensersatzforderung der Klägerin in Höhe von 595.178,02 € sowie einer Kostenpauschale von 22.583,50 € den dinglichen Arrest jeweils in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Arrestbeklagten zu 1 und der Arrestbeklagten zu 2 als Gesamtschuldner an sowie weiterhin in das bewegliche und unbewegliche gemeinschaftliche Vermögen der Arrestbeklagten als Gesamtschuldner an. In Vollziehung des Arrests wurden die Konten des Arrestbeklagten zu 1 und der Arrestbeklagten zu 2 bei der Sparkasse R. … bis zu einem Höchstbetrag von 617.761,52 € gepfändet und die Arrestbeklagten angewiesen, sich jeder Verfügung über die gepfändeten Forderungen zu enthalten. Ein entsprechendes Leistungsverbot gegenüber der Sparkasse R. … wurde angeordnet. Weiterhin wurde u.a. bestimmt, dass durch Hinterlegung eines Betrags in Höhe von 617.761,52 € die Vollziehung dieses Arrests gehemmt wird und dass die Arrestbeklagten (Schuldner) berechtigt werden, die Aufhebung des vollzogenen Arrests zu beantragen. Mit Schriftsätzen vom 11.08.2022 bzw. 12.08.2022 haben die Arrestbeklagten jeweils Widerspruch gegen den Arrestbefehl eingelegt. Mit Urteil vom 23.09.2022, Az.: 6 O 1649/22 (2), auf das zu den Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht Traunstein den Arrestbefehl vom 01.08.2022 bestätigt. Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Ersturteils und gemäß §§ 313 Abs. 2 S. 2, 540 ZPO auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen verwiesen.
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Die Berufungen der Arrestbeklagten zu 1 und zu 2 richten sich gegen die Bestätigung des Arrestbefehls des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2022, Az.: 6 O 1649/22 (2). Sie begehren mit ihren Berufungen jeweils die Abänderung des Endurteils vom 23.09.2022 dahingehend, dass der Arrestbefehl vom 01.08.2022 sowie die in Vollzug des Arrestes vom 01.08.2022 ausgesprochenen Arrestpfändungen aufgehoben werden und der Antrag der Arrestklägerin auf Erlass eines dinglichen Arrests zurückgewiesen wird. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungen Bezug genommen.
II.
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Die Prüfung der Berufungen durch den Senat zeigt weder auf, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde liegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die zulässigen Berufungen der Arrestbeklagten gegen die erstinstanzliche Bestätigung der angeordneten Arreste und Pfändungsanordnungen vom 01.08.2022 ist nach derzeitiger Würdigung des Senats unbegründet.
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1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, kann der Senat vorliegend nicht erkennen, insbesondere keine Verfahrensfehler wegen einer unzutreffenden oder unvollständigen Beweiswürdigung des Erstgerichts.
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2. Das Landgericht hat den Arrestanspruch gemäß § 916 Abs. 1 ZPO beanstandungsfrei auf einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB gestützt und die Voraussetzungen für die seitens der Arrestklägerin geltend gemachten Veruntreuung zweckgebundener Mandantengelder rechtsfehlerfrei als hinreichend glaubhaft gemacht bewertet. Der Senat schließt sich insoweit zunächst den Gründen des angegriffenen Ersturteils an. Die Gründe stehen im Einklang mit den seitens der Arrestklägerin vorgelegten Mitteln der Glaubhaftmachung unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivortrags.
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2.1. An die im Rahmen des Sicherungsverfahrens nach § 294 ZPO ausreichende Glaubhaftmachung dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Es ist insbesondere kein voller Beweis zu erbringen. Für die Glaubhaftmachung einer Behauptung genügt es, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (BGH, NJW-RR 2007, 776; OLG München Endurteil v. 25.11.2021 – 8 U 6389/21, BeckRS 2021, 41094 Rn.16). Gemessen an diesem Maßstab liegt eine ausreichende Glaubhaftmachung vor. Der Senat erachtet es als überwiegend wahrscheinlich, dass beide Arrestbeklagte sich wegen der Veruntreuung von Mandantengeldern gegenüber der Arrestklägerin in Höhe des erstinstanzlich angeordneten Arrestes in der Hauptsache von 595.178,02 € schadensersatzpflichtig gemacht haben.
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2.2. Der Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft oder aufgrund eines sonstigen Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, einen Nachteil zufügt (BeckOK StGB/Wittig StGB § 266 Rn. 36). Die im Innenverhältnis zwischen Täter und Treugeber vorausgesetzte Vermögensbetreuungspflicht entspricht in ihren Entstehungsvoraussetzungen und ihrem Pflichteninhalt als Sonderpflicht zum Schutz des Vermögens des Treugebers einer Garantenpflicht (BGH, NStZ 2022, 109; BeckOK StGB/Wittig StGB § 266 Rn. 41). Ein Treubruch liegt vor, wenn der Täter durch ein Verhalten im übernommenen Aufgabenkreis sein internes rechtliches Dürfen überschreitet und damit seine Vermögensbetreuungspflicht verletzt (Graf/Jäger/Wittig/Waßmer StGB § 266 Rn. 108). Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind gegenüber ihren Mandanten bei vermögensrechtlichen Mandaten vermögensbetreuungspflichtig, insbesondere hinsichtlich der Verwendung eingegangener Gelder (BGH, NJW 1961, 931 (932); BGH, NJW 1983, 461; BGH NJW 1985, 2523; KG, NJW 2007, 3366; BeckOK StGB/Wittig StGB § 266 Rn. 46.4). Die Entgegennahme von Geldern im Auftrag des Mandanten zur Weiterleitung an Dritte oder die Entgegennahme von Geldern im Rahmen eines bestehenden Mandatsverhältnisses, die für den Mandanten bestimmt sind, begründet die Vermögensbetreuungspflicht im Sinne eines Treuhandverhältnisses. Dies ergibt sich überdies aus den berufsrechtlichen Regelungen. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 BORA ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, eingegangene Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und dafür Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang entsprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht (BGH, Beschluss vom 26.11.2019 – 2 StR 588/18, NJW 2020, 1689 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 29.01.2015 – 1 StR 587/14; NJW 2015, 1190 Rn. 17). Unterlässt er dies, ist das Tatbestandsmerkmal der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht in objektiver Hinsicht verwirklicht. Das Nichttransferieren von Geldern auf ein Anderkonto, die unterlassene Verwendung vom Mandanten erhaltener Gelder entsprechend der Zweckbestimmung des Mandanten oder die Verwendung von Mandantengeldern für eigene Zwecke stellen Verletzungen der Vermögensbetreuungspflicht dar (Graf/Jäger/Wittig/Waßmer StGB § 266 Rn. 112, 113 m.w.N.). Davon zu unterscheiden, ist die daran anknüpfende Frage, ob der Treubruch einen Vermögensnachteil gemäß § 266 Abs. 1 StGB verursacht hat (BGH a.a.O. und s.u.).
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2.3. Das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht der Arrestbeklagten entsprechend den vorgenannten Maßstäben ist seitens der Arrestklägerin hinreichend glaubhaft gemacht worden. Zunächst ist zu sehen, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass zwischen dem Arrestbeklagten zu 1 und der Arrestklägerin ein Steuerberatungsmandat als Dauermandat bestand, gemäß dem der Arrestbeklagte zu 1 die Ermittlung der Umsatzsteuer sowie der Lohnsteuer für die Mandantin übernahm und sich um die ordnungsgemäße Meldung und Abführung der fälligen Umsatzsteuer sowie Lohnsteuer an die Finanzbehörde zu kümmern hatte. Weiterhin ist durch die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Arrestklägerin vom 25.07.2022 (AS 2) glaubhaft gemacht worden, dass die jeweiligen Zahllasten für die monatlich fälligen Umsatzsteuer- und Lohnsteuerverbindlichkeiten bzw. Steuervoranmeldungen von der Arrestbeklagten zu 2, der Mitarbeiterin und Ehefrau des Arrestbeklagten zu 1, ermittelt und an die Arrestklägerin telefonisch mitgeteilt wurden, worauf die Arrestklägerin die genannten Beträge im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich auf das Konto des Arrestbeklagten zu 1 überwies. Es ist ferner hinreichend glaubhaft gemacht, dass mit beiden Arrestbeklagten verabredet war, dass die zweckgebunden überwiesenen Gelder entsprechend den berechneten sowie der Arrestklägerin mitgeteilten Steuerlasten an die Finanzverwaltung weitergeleitet werden sollten. Dabei war die Ansprechpartnerin für die Arrestklägerin in der Kanzlei des Arrestbeklagten zu 1 im Rahmen des bestehenden Mandats die Arrestbeklagte zu 2, die die Ermittlung der abzuführenden Beträge übernahm und diese an die Arrestklägerin zur Überweisung auf das Kanzleikonto mitteilte. Dies wird überdies belegt durch die tatsächlich geübte Praxis, die die neue Steuerberaterin der Arrestklägerin, StB A. L., anhand der Geschäftsunterlagen der Arrestklägerin feststellen konnte, was diese auch eidesstattlich versichert hat (AS 14). Weiterhin haben die Arrestbeklagten diese Vorgehensweise nicht bestritten. Auch aus den eidesstattlichen Versicherungen der beiden Arrestbeklagten, jeweils vom 11.08.2022, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Strittig ist zwischen den Parteien, ob die überwiesenen Beträge vollständig und ordnungsgemäß zweckentsprechend verwendet wurden. Vor diesem Hintergrund war zunächst der Arrestbeklagte zu 1 als Berufsträger und Verpflichteter aus dem Steuerberatungsmandat vermögensbetreuungspflichtig hinsichtlich der auf seinem Kanzleikonto eingehenden Gelder der Arrestklägerin, die zur Weiterleitung an das Finanzamt zur Begleichung der ermittelten, jeweiligen Steuerlast bestimmt waren. Auf wessen Vorschlag die Handhabung der Bezahlung der ermittelten Steuerlasten durch Abwicklung über das Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1 erfolgte, ist für die Begründung der Vermögensbetreuungspflicht unerheblich. Tatsächlich ergibt sich aus den Gesamtumständen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit, dass mit der Arrestbeklagten zu 2 eine Abrede für diese Handhabung erfolgte und mit dem Arrestbeklagten zu 1 zumindest eine konkludente Abrede.
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2.4. Daher kann nicht nachvollzogen werden, inwiefern eine Vermögensbetreuungspflicht des Arrestbeklagten zu 1 ausscheiden soll, wie die Berufungsbegründung des Arrestbeklagten zu 1 meint. Der Arrestbeklagte zu 1 hat ausdrücklich ausgeführt, dass er seit mindestens 2011 für die Arrestklägerin monatlich die Finanzbuch- und Lohnbuchhaltung sowie die Jahresabschlüsse mit zugehörigen Steuererklärungen erstellt habe. Das Bestehen eines diesbezüglich umfassenden Steuerberatungsmandats mit der Arrestklägerin ist daher unstrittig. Es ist wenig glaubhaft, dass der Arrestbeklagte zu 1 als Berufsträger und aus dem dargestellten Mandat persönlich Verpflichteter keinerlei Kenntnis über die dargestellte Handhabung der Abführung der ermittelten Steuerlasten durch Überweisung auf sein Kanzleikonto zur Weiterleitung an das Finanzamt für die Tilgung der Steuerschulden der Arrestklägerin gehabt haben will. Es erscheint fernliegend, dass dem Arrestbeklagten zu 1 die regelmäßigen (monatlichen) Einzahlungen mit Zweckbestimmung in beträchtlicher Höhe auf sein Kanzleikonto entgangen sein sollen und er die durchgeführte Handhabung nicht zumindest stillschweigend gebilligt hat, was für eine konkludente Abrede genügt. Es erscheint auch fernliegend, dass er über die Bearbeitung in seiner Kanzlei, auch wenn diese weitgehend durch die Arrestbeklagte zu 2 übernommen wurde, sowie die Handhabung der Zahlungsabwicklung über sein Kanzleikonto als Berufsträger (RA) keine Kenntnis gehabt haben will, zumal er nach seinem Vortrag ausführt, dass er die Finanzbuch- und Lohnbuchhaltung sowie die Jahresabschlüsse mit den zugehörigen Steuererklärungen erstellte, was er auch eidesstattlich versichert hat.
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2.5. Da die Handhabung zur Ermittlung der Steuerlast und die Abführung der Steuer nach der Darstellung der Arrestbeklagten durch die Arrestbeklagte zu 2 eigenverantwortlich erledigt wurde, diese insbesondere die abzuführenden Beträge ermittelte und an die Arrestklägerin mitteilte, damit diese auf das Kanzleikonto überwiesen wurden, ist vorliegend zudem eine Vermögensbetreuungspflicht der Arrestbeklagten zu 2 hinreichend glaubhaft gemacht, auch wenn diese nur Mitarbeiterin des Arrestbeklagten zu 1 gewesen sein mag und nicht Berufsträgerin ist. Im Übrigen kommt bei fehlender eigener Vermögensbetreuungspflicht vorliegend eine Beihilfehandlung der Arrestbeklagten zu 2 in Betracht, die aufgrund der letztlich unstreitigen Abwicklung der Entgegennahme und Weiterleitung der abzuführenden Steuerbeträge weitgehend durch die Arrestbeklagte zu 2 ebenso hinreichend glaubhaft gemacht ist.
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2.6. Die Treuepflichtverletzung durch die nicht vollständige, zweckentsprechende Verwendung der auf dem Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1 eingegangenen Gelder ist seitens der Arrestklägerin ebenfalls ausreichend glaubhaft gemacht worden. Anhand der zur Glaubhaftmachung vorgelegten Beweismittel, besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass in den Jahren 2018 – Januar 2021 deutlich höhere Umsatzsteuer- und Lohnsteuerbeträge seitens der Arrestbeklagten zu 2 an die Arrestklägerin mitgeteilt, angefordert und auf das Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1 mit Zweckbestimmung zur Weiterleitung an das Finanzamt überwiesen wurden, als dann im Anschluss tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wurden. Die mit Zweckbestimmung für die Steuertilgung überwiesenen Beträge überstiegen in den Jahren 2018 – Januar 2021 die an das Finanzamt weitergeleiteten Beträge um die im Ersturteil im Einzelnen aufgelisteten Differenzbeträge. Die unterlassene Weiterleitung entsprechend der Zweckbestimmung ohne nachvollziehbare Darlegung der Verwendung und des Verbleibs der Differenzbeträge stellt eine Treuepflichtverletzung dar.
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2.6.1. Der Sachverhalt ist durch die eidesstattliche Versicherung der neuen Steuerberaterin A. L. vom 25.07.2022 (AS 14), die von der Steuerberaterin L. gefertigten Aufstellungen und Berechnungen in Excel-Tabellen (AS 15 bis AS 17), die auszugsweise vorgelegten Buchungsbelege (AS 6 bis AS 13) sowie die auszugsweise vorgelegten Anfrageergebnisse aus der Abfrage der Steuerberaterin beim Finanzamt (AS 18, AS 19) hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die Glaubhaftmachung wird zusätzlich gestützt durch die eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der Arrestklägerin vom 25.07.2022 (AS 2), vom 28.07.2022 (AS 21) und vom 24.08.2022 (AS 24). Aus der eidesstattlichen Versicherung der Steuerberaterin L. geht hervor, dass diese für die Steuerjahre 2018 – 2020 sowie für Januar 2021 jeweils durch Einsichtnahme in die Bankkontoauszüge der Arrestklägerin festgestellt hat, welche Geldbeträge vom Konto der Arrestklägerin auf das Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1 für Umsatzsteuervorauszahlungen und Lohnsteuerzahlungen überwiesen wurden. Die durch Addition ermittelten Gesamtabflüsse für das jeweilige Steuerjahr 2018 – 2020 sowie für den Januar 2021 hat die Steuerberaterin L. mit den Sollstellungen des Finanzamts, den an das Finanzamt geleisteten Zahlungen und den offenen Steuerforderungen abgeglichen, und zwar anhand der von der Finanzverwaltung übertragenen Steuerdaten der Arrestklägerin, die von der neuen Steuerberaterin der Arrestklägerin über einen speziellen elektronischen Zugang abgefragt werden konnten. Anhand dieses Abgleichs hat die Steuerberaterin, wie in ihrer eidesstattlichen Versicherung im Einzelnen nachvollziehbar betragsmäßig dargestellt, für die einzelnen Steuerjahre 2018 – 2020 sowie den Januar 2021 die Differenz zwischen den auf das Kanzleikonto A. erfolgten Überweisungen der Arrestklägerin und den tatsächlich an die Finanzämter weitergeleiteten Gelder ermittelt. Hieraus ergeben sich die detailliert aufgezeigten Beträge, wie sie das Erstgericht festgestellt hat, und ein Gesamtdifferenzbetrag in Höhe von 595.178,02 € an Überzahlungen. Es handelt sich hierbei um den Gesamtbetrag in der Hauptsache, wegen dessen der Arrest durch das Landgericht angeordnet wurde. Die Steuerberaterin L. hat das dargelegte Rechenwerk eidesstattlich versichert und zur Untermauerung zudem für die einzelnen Steuerjahre von ihr erstellte Excel-Tabellen beigelegt, die die monatlichen Überweisungen, sowie die aus diesen Überweisungen entnommenen Weiterleitungen an das Finanzamt aufzeigen und die Überzahlung angeben. Dabei wurde berücksichtigt, dass Steuerschulden in erheblichem Umfang nicht durch die weitergeleiteten Geldbeträge getilgt wurden, sondern seitens der Finanzverwaltung immer wieder Umbuchungen bzw. Pfändungen zur Tilgung der offenen Steuerschulden herangezogen wurden. Dem Zahlenwerk der Steuerberaterin L. lässt sich, wie von ihr eidesstattlich versichert, plausibel entnehmen, dass die auf das Kanzleikonto des Arrestbeklagten zu 1 auf Anforderung der Arrestbeklagten zu 2 eingegangenen Geldbeträge die seitens der Kanzlei angemeldeten bzw. erklärten Steuern überstiegen, dass weiterhin, soweit die von der Kanzlei des Arrestbeklagten zu 1 weitergeleiteten Zahlungen nicht ausreichend waren, um Steuerforderungen der Finanzverwaltung zu bedienen, die Restforderungen des Fiskus anderweitig getilgt wurden, insbesondere durch interne Umbuchungen des Finanzamts (Steuererstattungen aus anderen Zeiträumen) und durch Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden gegen die Arrestklägerin.
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2.6.2. Dieses Ergebnis wird weiterhin gestützt durch die eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der Arrestklägerin (AS 2, AS 21 und AS 24), wonach es sich bei den betreffenden Überweisungen ausschließlich um zweckgebundene Gelder zur Tilgung fälliger Umsatzsteuer- und Lohnsteuerverbindlichkeiten handelte und auch nach dem Verwendungszweck der Überweisungsträger diese eindeutige Zweckbestimmung gegeben war, wohingegen Honorarzahlungen nicht bezweckt waren.
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2.6.3. Die Ausführungen des Arrestbeklagten zu 1 zu den vereinnahmten und weitergeleiteten Geldbeträgen in der Berufungsbegründung (dort Seite 3) sind nicht geeignet, die seitens der Arrestklägerin glaubhaft gemachten Überzahlungsbeträge, die entgegen der Zweckbestimmung nicht an die Finanzverwaltung weitergeleitet wurden, infrage zu stellen. Es handelt sich diesbezüglich um Pauschalbehauptungen des Arrestbeklagten zu 1, wobei auch unter Zugrundelegung der von ihm angeführten Zahlen erhebliche Fehlbeträge gegeben sind (Summe der angegebenen Differenzbeträge: 445.688,06 €), die nicht an die Finanzverwaltung weitergeleitet wurden. Soweit der Arrestbeklagte zu 1 sich darauf beruft und eidesstattlich pauschal versichert, von dem gesamten Sachverhalt erst durch Zustellung des Arrestbefehls Kenntnis erlangt zu haben, ist dies vor dem Hintergrund der glaubhaft gemachten erheblichen Differenzbeträge zwischen Gutschriften auf dem Kanzleikonto und der an die Finanzverwaltung weitergeleiteten Geldbeträge nicht nachvollziehbar. Es ist wenig glaubhaft, dass dem Arrestkläger das auffallende Missverhältnis zwischen den erhaltenen Überweisungen und den weitergeleiteten Geldern, das sich kontinuierlich über einen mehrjährigen Zeitraum erstreckte, nicht aufgefallen sein will, zumal er andererseits eidesstattlich versichert hat, die Finanz- und Lohnbuchhaltung sowie die Jahresabschlüsse mit den zugehörigen Steuererklärungen für die Arrestklägerin erstellt zu haben, sodass er Kenntnis der jeweiligen Steuerverbindlichkeiten der Arrestklägerin hatte. Es ist auch wenig glaubhaft, dass der Arrestbeklagte zu 1 als Rechtsanwalt keinerlei Prüfungen hinsichtlich der erheblichen Zahlungseingänge seitens der Arrestklägerin über einen mehrjährigen Zeitraum vorgenommen haben will, zumal es sich bei dem Kanzleikonto, auf das die streitgegenständlichen Überweisungen erfolgten, um ein Konto handelte, das nicht als Anderkonto geführt wurde.
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2.6.4. Die Arrestbeklagte zu 2 zeigt in ihrer Berufungsbegründung ebenfalls keinerlei Umstände auf, die geeignet wären, die seitens der neuen Steuerberaterin der Arrestklägerin eidesstattlich versicherten und mit einem konkreten Zahlenwerk unterlegten Differenzbeträge zwischen Zahlungseingängen mit der Zweckbestimmung der Tilgung von Steuerverbindlichkeiten auf dem Kanzleikonto und den an die Finanzverwaltung weitergeleiteten Geldbeträge infrage zu stellen. Wie das Erstgericht zutreffend dargelegt hat, ist die pauschale und lapidare Behauptung der Arrestbeklagten zu 2, dass alle angeforderten Geldbeträge zweckentsprechend zur Steuertilgung verwandt worden seien, nicht geeignet, die detaillierten Berechnungen der neuen Steuerberaterin, die mit Unterlagen belegt wurden, infrage zu stellen. Auch der Verweis der Arrestbeklagten zu 2 auf den Schriftsatz der Arrestklägerin vom 08.09.2022 im Hauptsacheverfahren (hier Anlage B 6) führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch im Hauptsacheverfahren legt die Arrestklägerin zugrunde, dass insgesamt ein Mehrbetrag von 595.178,02 € auf dem Kanzleikonto einging, der nicht entsprechend der Zweckbestimmung an die Finanzbehörden weitergeleitet wurde. Die Aufteilung des Leistungsantrags in einen Teilbetrag von 446.649,06 € und 148.528,96 € resultiert daraus, dass seitens des Finanzamts St. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von 148.528,96 € gegen die Arrestklägerin besteht, sodass die Arrestklägerin im Hauptsacheverfahren die Zahlung direkt an den Dritten, das Finanzamt St., fordert. Die Arrestbeklagte zu 2 verkennt in Bezug auf den hier glaubhaft gemachten Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht, dass der arrestbefangene Differenzbetrag daraus resultiert, dass die angeforderten und auf dem Kanzleikonto vereinnahmten Gelder in Höhe von 595.178,02 € nicht zweckentsprechend verwendet wurden, indem die Beträge weder an das Finanzamt zur Tilgung der Steuerlasten weitergeleitet wurden noch – im Falle überhöhter Anforderungen – an die Arrestklägerin zurückerstattet wurden. Soweit die Arrestbeklagte zu 2 darauf abstellt, dass dem arrestierten Betrag kein entsprechender exakter Betrag einer noch offenen Steuerschuld gegenüberstehe, resultiert dies klar ersichtlich daraus, dass offene Steuerschulden, die nicht aus den weitergeleiteten Geldbeträgen bedient wurden, seitens der Finanzbehörden vielfach durch Umbuchungen und teilweise auch durch Vollstreckungsmaßnahmen getilgt wurden. Daher geht auch der Verweis der Arrestbeklagten zu 2 darauf fehl, dass bei der Arrestklägerin schon längst Hausdurchsuchungen oder Beschlagnahmen erfolgt sein müssten, wenn in Höhe von 595.178,02 € noch Steuern bestehen würden. Maßnahmen der Steuerfahndung waren schon deshalb nicht zu erwarten, da es vorliegend unstreitig nicht darum geht, dass Steuern leichtfertig oder vorsätzlich falsch erklärt wurden, sondern darum, dass offene Steuerforderungen teilweise nicht beglichen wurden. Insoweit kommen nicht steuerstrafrechtliche Maßnahmen, sondern Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts in Betracht, die im Übrigen auch erfolgt sind, wie sich aus der Antragstellung der Arrestklägerin im Hauptsacheverfahren gerade ergibt. Im Übrigen zeigt die eidesstattliche Versicherung der neuen Steuerberaterin der Arrestklägerin nachvollziehbar auf, dass Steuerschulden in erheblicher Höhe, die nicht aus den zweckgebundenen Überweisungen der Arrestklägerin auf das Kanzleikonto – mangels zweckentsprechender Weiterleitung durch die Arrestbeklagten – bedient wurden, obwohl entsprechende Beträge auf dem Kanzleikonto einbezahlt worden waren, seitens der Finanzverwaltung durch andere Maßnahmen, wie Umbuchungen oder Vollstreckungsmaßnahmen erfüllt wurden.
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2.6.5. Soweit die Arrestbeklagten hinsichtlich der Glaubhaftmachung der Erfüllung des Untreuetatbestandes gemäß § 266 StGB einwenden, dass sie nicht über fremdes Vermögen verfügt hätten und es an einer qualifizierten Pflichtenstellung fehle, geht dies fehl. Die Entgegennahme von Geldern im Auftrag des Mandanten zur Weiterleitung an Dritte oder die Entgegennahme von Geldern im Rahmen eines bestehenden Mandatsverhältnisses, die für den Mandanten bestimmt sind, begründet die Vermögensbetreuungspflicht im Sinne eines Treuhandverhältnisses. Die Pflichtwidrigkeit (Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des Untreuetatbestandes) liegt in der unterlassenen, zweckentsprechenden Verwendung (hier der Differenzbeträge zwischen Einzahlungen und Weiterleitungen an die Finanzbehörden). Der Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB kann dadurch erfüllt werden, dass der Rechtsanwalt pflichtwidrig dem Mandanten oder einem Dritten zustehende Gelder nicht weiterleitet, sondern auf seinem Geschäftskonto belässt, soweit hierdurch dem Mandanten ein Vermögensnachteil zugefügt wird. Für den Mandanten oder einen von diesem bestimmten Empfänger eingehende Gelder hat er unverzüglich zu übermitteln oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und dafür besorgt zu sein, dass ein dem Geldeingang entsprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht (BGH, NJW 2015, 1190 Rn. 17, 19), wobei der vom BGH letztgenannte Umstand die Frage des Schadens betrifft (s.u.). Durch die eidesstattlichen Versicherungen der neuen Steuerberaterin sowie des Geschäftsführers der Arrestklägerin ist jedenfalls hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Vermögensbetreuungspflichten verletzt wurden, da die unverzügliche Weiterleitung an die Finanzbehörden in Höhe der Differenzbeträge unterblieb, die Arrestbeklagten ferner die Arrestklägerin hinsichtlich der fortlaufend in erheblicher Höhe nicht an die Finanzverwaltung weitergeleiteten Geldbeträge nicht unterrichteten sowie zur Verwendung der Differenzbeträge keinerlei Rechnung legten, was u.a. zur Folge hatte, dass die Finanzbehörden Steuerschulden der Arrestklägerin in erheblicher Höhe durch Umbuchungen (Rückerstattungsbeträge aus anderen Steuerzeiträumen) und Vollstreckungsmaßnahmen ausglichen. Zum Verbleib und der Verwendung der zweckwidrig nicht weitergeleiteten Differenzbeträge fehlt jegliche nachvollziehbare Darstellung der Arrestbeklagten.
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2.7. Die Arrestklägerin hat weiterhin hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr aufgrund der pflichtwidrig nicht zweckentsprechend verwendeten Differenzbeträge in Höhe von insgesamt 595.178,02 € ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB in entsprechender Höhe entstanden ist.
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2.7.1. Durch die Verletzung der Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeldern muss ein Nachteil begründet werden. Maßgeblich ist, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die Gelder zwar nicht auf Dauer für sich behalten will, aber ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten wird oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem (unabwendbaren und unausgleichbaren) Zugriff von Gläubigern offenstehen (BGH, NJW 2020, 1689 Rn. 13 m.w.N.).
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2.7.2. Die Gesamtumstände ergeben vorliegend eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass in der unterlassenen Weiterleitung der Differenzbeträge die Absicht lag, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten oder zumindest entsprechende Beträge nicht jederzeit für die berechtigte Arrestklägerin bereitgehalten wurden und zur Rückzahlung zur Verfügung standen. Dafür spricht zunächst, dass die unterbliebene, unverzügliche Weiterleitung an die Finanzbehörden über einen längeren Zeitraum, fortlaufend sowie kontinuierlich in erheblicher Höhe erfolgte und die Arrestklägerin diesbezüglich zu keinem Zeitpunkt informiert wurde. Die Arrestbeklagten haben der Arrestklägerin trotz vielfacher Aufforderung keine Auskünfte über den Verbleib und die Verwendung der Differenzbeträge erteilt, wie der Geschäftsführer der Arrestklägerin eidesstattlich am 25.07.2022 versichert hat (AS 2). Die Arrestbeklagten haben auch nicht vorgetragen, bis zum Beginn des Arrestverfahrens hinsichtlich der nicht weitergeleiteten Geldbeträge irgendwelche Informationen an die Arrestklägerin übermittelt zu haben; vielmehr wurde der streitgegenständliche Sachverhalt offensichtlich vollständig verschwiegen. In der Zusammenschau mit der Höhe und Zeitdauer der zweckwidrig unterbliebenen Weiterleitung spricht dies dafür, dass keine Absicht bestand, nicht weitergeleitete Geldbeträge an die Arrestklägerin zurückzubezahlen; zumindest spricht dies dafür, dass entsprechende Geldbeträge nicht jederzeit zur Rückzahlung zur Verfügung standen. Hinzu kommt, dass die streitgegenständlichen Geldbeträge nicht auf einem Anderkonto eingingen, sondern auf einem allgemeinen Kanzleikonto, und die nicht weitergeleiteten Differenzbeträge seitens der Arrestbeklagten nicht auf ein Anderkonto separiert wurden. Dabei wurden über dieses Kanzleikonto auch Fremdgelder anderer Mandanten sowie Zahlungsverkehr der Kanzlei abgewickelt, sodass eine Vermischung eintrat. Vor diesem Grund sind auch die seitens der Arrestbeklagten zu 2 vorgelegten Kontoauszüge zu dem Kanzleikonto (B 1 bis B 5) nicht geeignet die hinreichende Glaubhaftmachung des Schadenseintritts infrage zu stellen, da schon die Kontostände zum jeweiligen Monatsende betreffend den streitgegenständlichen Zeitraum für eine vollständige Rückzahlung nicht ausreichend waren und weiterhin aufgrund der abgedeckten Einzelinformationen und allein des Kontostands zu Monatsende die Mittelherkunft der Kontostände zum Monatsende in keiner Weise ersichtlich ist, sodass nicht erkennbar ist, dass die aufgezeigten stichtagsbezogenen Kontoguthaben zur Rückzahlung an die Arrestklägerin zur freien Verfügung standen.
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2.8. Die Arrestbeklagten können sich vorliegend auch nicht auf eine schadensaufhebende bzw. schadensmindernde Kompensation durch die erstmals im Arrestverfahren behaupteten Honoraransprüche in Höhe von insgesamt 452.307,66 € für den Leistungszeitraum von 2015 – 2021, mit denen aufgerechnet werde, berufen.
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2.8.1. Ein Vermögensnachteil tritt nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung nicht ein, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet. Hat der Täter einen Geldanspruch gegen das von ihm verwaltete Vermögen, so fehlt es an einem Schaden, wenn er über das Vermögen in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt. Honoraransprüche eines Rechtsanwalts können im Zusammenhang mit der zweckwidrigen Verwendung von Mandantengeldern grundsätzlich einen Nachteil ausschließen, wenn die Verwendung der Mandantengelder nicht mit dem Vorsatz rechtswidriger Bereicherung erfolgt, sondern dem Zweck dient, bestehende Honoraransprüche zu befriedigen. In Fällen der vorliegenden Art ist Voraussetzung einer nachteilsausgleichenden Kompensation jedenfalls, dass ein Vermögenszuwachs aufseiten des Treugebers zu verzeichnen ist, weil er durch die Untreuehandlung von einer Verbindlichkeit befreit wird. Dafür ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Honoraranspruch entstanden ist, der Höhe nach feststeht und beziffert werden kann. Ansonsten fehlt es schon an einer möglicherweise in Betracht kommenden Aufrechnungslage. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn sich der Rechtsanwalt nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Nichtauskehrung der dem Mandanten zustehenden Gelder, sondern irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt darauf beruft, ihm hätten dem Auszahlungsbetrag entsprechende Gelder als Honorar für erbrachte Leistungen zugestanden. In diesem Fall fehlt es an der erforderlichen Verknüpfung von Honorarforderung und Einbehalt des Fremdgelds (BGH, NJW 2020, 1689 Rn. 23).
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2.8.2. Letzteres ist hier der Fall. Die Arrestbeklagten haben sich hinsichtlich der nicht an die Finanzbehörden weitergeleiteten, zweckbestimmten Fremdgelder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der unterlassenen Weiterleitung und der überdies unterbliebenen Rückzahlung an die Mandanten auf bestehende und aufzurechnende Honorarforderungen berufen. Vielmehr haben die Arrestbeklagten der Arrestklägerin trotz vielfacher Aufforderung vor Einleitung des Arrestverfahrens keine Auskünfte über den Verbleib und die Verwendung der Differenzbeträge betreffend die hier streitgegenständlichen Jahre 2018 – 2020 sowie Januar 2021 erteilt und auch keine aufrechenbaren Honoraransprüche behauptet. Die behaupteten Honoraransprüche, die zur Rechtfertigung der Einbehalte im Arrestverfahren angeführt werden, wurden erstmals im Laufe des Arrestverfahrens mit Schreiben des Arrestbeklagten zu 1 vom 11.08.2022 geltend gemacht und zur Aufrechnung gestellt (Vortrag des Arrestbeklagten zu 1 mit Widerspruch vom 12.08.2022), mithin mit erheblichem zeitlichen Abstand und erst nach Aufdeckung der Differenzen zwischen Überweisungen und an die Finanzbehörden weitergeleiteten Beträgen durch die neue Steuerberaterin der Arrestklägerin anhand der verfügbaren Buchhaltungsunterlagen und Steuerdaten (s.o.). Die vorgelegten Kostenrechnungen zu den behaupteten Honoraransprüchen datieren allesamt vom 15.05.2022, mithin ebenfalls erhebliche Zeit nach dem hier streitgegenständlichen Zeitraum pflichtwidrig einbehaltener Geldbeträge.
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2.8.3. Im Übrigen wird die Schadenskompensation unabhängig von dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Zusammenhangs vorliegend durch ein gesetzliches Aufrechnungsverbot gehindert. Betroffen ist vorliegend nicht ein Geldbetrag, der von Dritten zur Weiterleitung an den Mandanten auf dem Kanzleikonto einging. Vielmehr geht es vorliegend um Geldbeträge, die von der Mandantin an den Rechtsanwalt zur zweckgebundenen Weiterleitung (hier an die Steuerbehörden) bestimmt war. Hier gilt ein noch strengerer Maßstab für die Pflichten des Rechtsanwalts. Nach § 4 Abs. 3 BORA darf der Rechtsanwalt eigene Forderungen nicht mit Geldern verrechnen, die an ihn zweckgebunden für einen anderen als den Mandanten gezahlt worden sind. Das gilt auch dann, wenn die Zahlung durch den Mandanten selbst erfolgt. Eine solche Zweckbindung liegt z.B. vor, wenn der Mandant dem Anwalt einen Gerichtskostenvorschuss, eine Sicherheitsleistung zum Zwecke der Abwendung der Zwangsvollstreckung oder dergleichen zahlt, oder wie hier Zahlungen zur Weiterleitung an die Finanzbehörden zum Zwecke der Begleichung von Steuerschulden auf das Kanzleikonto geleistet werden (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 1 Rn. 215, 216; Kleine-Cosack BRAO § 43 a Rn. 273, 474; Weyland/Träger BRAO § 43a Rn. 95).
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3. Der Arrestgrund ist ebenfalls gegeben. Er ist durch das Vorbringen der Arrestklägerin glaubhaft gemacht.
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3.1. Der Arrestgrund wird durch das bisherige Verhalten der Arrestbeklagten indiziert. Es besteht regelmäßig ein Arrestgrund, wenn das dem Arrestanspruch zugrundeliegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet (BGH Beschluss vom 24.3.1983 – III ZR 116/82, BeckRS 1983, 31069812; OLG München Endurteil v. 25.11.2021 – 8 U 6389/21, BeckRS 2021, 41094; OLG München Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 4456/21, BeckRS 2021, 29074; OLG München Endurteil v. 27.9.2021 – 3 U 3242/21, BeckRS 2021, 28915; Zöller/Vollkommer ZPO § 917 Rn. 6; Musielak/Voit ZPO § 917 Rn. 3). Hat sich der Antragsgegner eines Vermögensdeliktes zulasten der Antragsteller strafbar gemacht, ist die Annahme gerechtfertigt, der Antragsgegner werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder erschweren (OLG München a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 07.01.2010 – 23 W 1/10, MMR 2010, 376).
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3.2. Wie zum Arrestanspruch dargelegt, ist es hinreichend wahrscheinlich, dass beide Arrestbeklagte sich wegen der Veruntreuung von Mandantengeldern gegenüber der Arrestklägerin in Höhe von 595.178,02 € gemäß § 823 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig gemacht haben, und zwar in Mittäterschaft gemäß §§ 266 Abs. 1 Var. 2, 25 Abs. 2 StGB, jedenfalls aber der Arrestbeklagte zu 1 als Täter gemäß §§ 25 Abs. 1 StGB und die Arrestbeklagte zu 2 als Gehilfin gemäß § 27 StGB (s.o.).
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3.3. Zudem kann die Verschleierung der Vermögenslage des Schuldners durch diesen selbst einen Arrestgrund bilden. Dies gilt insbesondere im Falle der Verweigerung von Auskünften über den Verbleib von Geldern bei der Treuhandstellung, wenn aus der Auskunftsverweigerung auf eine Verschleierung geschlossen werden kann (MüKoZPO § 917 Rn. 8 m.w.N.). Die Verschleierung des Verbleibs sowie der Verwendung der von der Arrestklägerin mit Zweckbindung auf das Kanzleikonto überwiesenen und nicht an die Finanzverwaltung weitergeleiteten Geldbeträge ist aufgrund des Verhaltens der beiden Arrestbeklagten hinreichend wahrscheinlich. Denn sie haben der Arrestklägerin trotz wiederholter Aufforderung keine Auskünfte über den Verbleib und die Verwendung der entsprechenden Beträge erteilt, wie der Geschäftsführer der Arrestklägerin eidesstattlich am 25.07.2022 versichert hat (AS 2).
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3.4. Die vom Arrestbeklagten zur 1 in der Berufungsbegründung angeführte Darlegung zur Mittelverwendung führt zu keinem anderen Ergebnis, da schon nach seiner eigenen Darlegung Restbeträge in Höhe von 445.688,06 € nicht an die Finanzbehörden abgeführt wurden, ohne dass der Arrestbeklagte zu 1 Angaben zum Verbleib der Geldbeträge macht. Die erklärte Verrechnung mit Honoraransprüchen ist unbehilflich, da die Aufrechnung bereits unzulässig ist und im Übrigen zu einer Schadenskompensation nicht geeignet (s.o.). Die geltend gemachte Aufrechnung mit behaupteten Gegenansprüchen ist im Übrigen nicht geeignet, den Verbleib der nicht weitergeleiteten Geldbeträge aufzuklären und demgemäß auch nicht geeignet, die sich aus der hinreichend wahrscheinlichen Straftat der Untreue begründete Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung eines Titels ohne die Verhängung des Arrestes zu begegnen. Auch aus den Ausführungen der Arrestbeklagten zu 2 geben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte, die die Besorgnis der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Vollstreckung ohne die Verhängung des Arrestes ausräumen könnten. Der Verweis auf das nicht mehr bestehende Mandatsverhältnis geht fehl, da der Arrest nach §§ 916, 917 BGB nicht bezweckt, neue Straftaten zu verhindern, sondern die Zielrichtung verfolgt, die Gefahr zu beseitigen, dass das aus den vereinnahmten und nicht zweckentsprechend verwendeten Geldern noch vorhandene Vermögen dem Vollstreckungszugriff der Arrestklägerin durch Verschleierungshandlungen entzogen wird bzw. der Vollstreckungszugriff erschwert wird. Es gibt von beiden Arrestbeklagten keine tragfähige und belastbare Darlegung über die Verwendung der Differenzbeträge. Vielmehr haben beide Arrestbeklagte vor Einleitung des Arrestverfahrens eine Aufklärung gänzlich verweigert und im Arrestverfahren außer Pauschalbehauptungen keine nachvollziehbaren Angaben zum Verbleib der nicht weitergeleiteten, aber auch nicht an die Arrestklägerin zurückbezahlten Geldbeträge gemacht, die mit der eindeutigen Zweckbestimmung zur Weiterleitung an die Finanzbehörden zur Tilgung der Steuerlasten überwiesen wurden.
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3.5. Der Hinweis der beiden Arrestbeklagten, dass sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Traunstein am 13.09.2022 der Arrestklägerin die Stellung einer grundpfandrechtlichen Sicherheit in Höhe von 300.000 € angeboten hätten, führt bei Berücksichtigung der Gesamtumstände und des bisherigen Verhaltens der beiden Arrestbeklagten zu keinem anderen Ergebnis. Der Arrestgrund entfällt nur bei anderweitigen, gleichwertigen Sicherheiten. Allein das Angebot einer solchen Sicherheit genügt nicht. Der angebotene Geldbetrag würde im Übrigen nicht die Höhe des seitens der Arrestklägerin glaubhaft gemachten Schadensbetrages abdecken. Aufgrund des aufgezeigten bisherigen Verhaltens der Arrestbeklagten besteht ohne Vorleistung der Arrestbeklagten hinsichtlich einer anderweitigen, gleichwertigen Sicherheit anstelle der Arrestanordnung keine ausreichende Grundlage, die die Besorgnis der Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung beseitigen könnte.
III.
31
Da die Berufung hiernach keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
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Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 200.000,00 € festzusetzen.