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OLG München, Endurteil v. 26.06.2023 – 19 U 6613/22
Titel:

Wirksamkeit des Widerrufs eines zum Zwecke der Finanzierung eines Fahrzeugkaufs geschlossenen Darlehensvertrags

Normenketten:
BGB § 242, § 294, § 358 Abs. 3, § 488 Abs. 1 S. 2, § 492 Abs. 2
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1, S. 2
ZPO § 256 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei einer Mehrheit von Darlehensnehmern steht jedem von ihnen ein eigenes Widerrufsrecht zu, sofern er selbst den Vertrag als Verbraucher geschlossen hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die VerbrKrRL bestimmt aber keine Mindest-, sondern eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge. (Rn. 36 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Abstrakte Rechtsfragen sind nicht feststellungsfähig iSv § 256 Abs. 1 ZPO. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, Rechtsgutachten zu erstellen. (Rn. 62 – 71) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlehensvertrag, Finanzierung, Fahrzeugkauf, Wertverlust, Widerruf, Gutachtertätigkeit, Tilgung, Feststellung, Rückgewährpflicht, Annahmeverzug
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 04.10.2022 – 28 O 5442/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – XI ZR 140/23
Fundstellen:
WuB 2023, 473
WM 2023, 1871
EWiR 2023, 741
ZIP 2023, 2138
LSK 2023, 27035
BeckRS 2023, 27035

Tenor

I. Auf die Berufungen der Parteien wird das Urteil des Landgerichts München I vom 04.10.2022, Az. 28 O 5442/22, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 954,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.06.2022 nach Herausgabe des Personenkraftwagens Marke BMW, Typ 118d, Fahrzeug-Identifikationsnummer …, nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kläger werden verurteilt, den Personenkraftwagen Marke BMW, Typ 118d, Fahrzeug-Identifikationsnummer …, einschließlich Fahrzeugschlüssel, Zulassungsbescheinigung Teil I und Bord-/Wartungshandbuch an die Beklagte herauszugeben.
4. Es wird festgestellt, dass die Kläger verpflichtet sind, jeglichen Wertverlust des Personenkraftwagens Marke BMW, Typ 118d, mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer …, bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs zu ersetzen, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
II. Die weitergehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.
III. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen – den Klägern nur wegen der Kosten –, die jeweils gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Den Klägern wird wegen der Herausgabe des Personenkraftwagens nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten insoweit durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000 € abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines zwischen ihnen zum Zwecke der Finanzierung eines Fahrzeugkaufs geschlossenen Darlehensvertrags.
2
Am 09.10.2019 schlossen die Kläger mit der Beklagten einen Kreditvertrag über einen Nettodarlehensbetrag von 24.439,29 € und Zinsen von 2.649,41 € (im Folgenden: Darlehensvertrag; s. Anlage K 2). Vereinbart wurde ein effektiver Jahreszins von 2,99 % p.a. Hiermit wurde der Kauf eines als Gebrauchtfahrzeug erworbenen Pkw, Marke BMW, Typ 118d, Fahrzeugidentifikationsnummer … (im Folgenden: Kfz), durch die Kläger bei der … GmbH, … (im Folgenden: Kfz-Verkäuferin), finanziert (s. Anlage K 1). Der Kaufpreis betrug 26.649 €. Die Kläger leisteten eine Anzahlung aus Eigenmitteln von 4.000 €. Das Darlehen wurde zudem zur Finanzierung zweier Versicherungen eingesetzt, einer „Ratenschutzversicherung Tod und AU“ und einer „Shortfall GAP Versicherung“. In der Valuta von 24.439,29 € sind daher insgesamt 1.790,29 € für die Bezahlung der diesbezüglichen Einmalprämien enthalten. Der Nettodarlehensbetrag wurde von der Beklagten direkt an die Kfz-Verkäuferin und die Versicherungsunternehmen ausgekehrt. Das Darlehen war in 59 – jeweils Tilgung und Zins enthaltenden – monatlichen Raten zu je 269,30 € und einer Schlussrate von 11.200 € zurückzuzahlen.
3
Im Darlehensvertrag (Anlage K 2, S. 5) wurde unter der Überschrift „Warnhinweis bei ausbleibenden Zahlungen“ u.a. Folgendes ausgeführt:
„Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr sowie (…) berechnet.“
4
In der dem Kläger ausgehändigten Widerrufsinformation (Anlage K 2, S. 8) finden sich u.a. nachfolgende Angaben:
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angaben von Gründen widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nach Sie alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten haben.“
5
Unter „Widerrufsfolgen“ steht ist neben anderem:
„Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 1,90 Euro zu zahlen.“
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Das Darlehen ist teilweise zurückgeführt, wobei streitig ist, ob die Kläger bislang 41 (so die Beklagtenseite) oder 42 (so die Klageseite) Darlehensraten – mithin insgesamt 11.041,30 € oder 11.310,60 € – an die Beklagte zahlten.
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Mit Schreiben vom 09.02.2022 (Anlage K 3a) widerrief der Kläger zu 1) den Darlehensvertrag, mit Schreiben vom 17.02.2022 (Anlage K 3b) die Klägerin zu 2), was die Beklagte zurückwies (Anlage K 4).
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Die Kläger sind immer noch im Besitz des Kfz.
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Die Kläger begehren im Kern die Rückabwicklung des Darlehensvertrages, da ihre Widerrufe wirksam, insbesondere fristgemäß erfolgt seien. Der Darlehensvertrag enthalte fehlerhafte und unvollständige Pflichtangaben. Sie begehren die Rückzahlung der auf das Darlehen geleisteten, Tilgung und Zinsen enthaltenden Raten von – so von Klageseite behauptet – 11.310,60 € sowie der Anzahlung von 4.000 €, wobei sie sich keinen Wertverlust des Kfz anrechnen lassen.
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Das Landgericht stellte mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, unter Klageabweisung im Übrigen fest, dass die Klagepartei in Folge der Widerrufserklärungen der Kläger aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Darlehensvertrag weder Zins- noch Tilgungsleistungen gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB schulde. Auf die Hilfs-Widerklage der Beklagten hin stellte das Landgericht fest, dass die Kläger verpflichtet sind, jeden über den bezifferten Wertverlust in Höhe von 11.438,92 € hinausgehenden Wertverlust des Kfz sowie jeden weiteren Wertverlust bis zur tatsächlichen Rückgabe des Kfz zu ersetzen, der der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war. Außerdem wurden die Kläger verurteilt, das Kfz einschließlich Fahrzeugschlüssel, Zulassungsbescheinigung Teil I und Bord-/Wartungshandbuch an die Beklagte herauszugeben.
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Dagegen richten sich die mit Schriftsatz vom 10.11.2022 (Bl. 132 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 12.01.2023 (Bl. 187 ff. d.A.) begründete Berufung der Kläger sowie die mit Schriftsatz vom 10.11.2022 (Bl. 135 f. d.A.) eingelegte und mit Schriftsatz vom 24.11.2022 (Bl. 140 ff. d.A.) begründete Berufung der Beklagten.
12
Die Kläger beantragen zuletzt, das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und über die vom Landgericht vorgenommene Feststellung hinaus zu erkennen wie folgt:
„1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 15.041,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit nach Herausgabe des Fahrzeugs BMW 118d 5trg. mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer … nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.501,19 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2022 zu zahlen.
3. Die Hilfs-Widerklage wird abgewiesen.“
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Die Beklagte beantragt insoweit,
die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
14
Die Beklagte beantragt zudem, das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und neben den zugesprochenen Hilfs-Widerklageanträgen
die Klage vollen Umfangs abzuweisen.
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Weiterhin erklärt die Beklagte für den Fall, dass der Senat den Widerruf für wirksam erachten und dem Zahlungsantrag der Kläger ganz oder teilweise zusprechen sollte, die Aufrechnung mit einem Wertersatzanspruch in Höhe von 11.438,92 €.
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Für den Fall, dass der Senat diese Aufrechnung für nicht statthaft erachten sollte, beantragt die Beklagte, das Urteil des Landgerichts abzuändern statt der dort auf die Hilfs-Widerklage hin getroffenen Feststellung zu erkennen wie folgt:
„Es wird festgestellt, dass die Kläger verpflichtet ist, jeglichen Wertverlust des Personenkraftwagens Marke BMW, Typ 118d, mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer …, zu ersetzen, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.“
17
Die Kläger beantragen insoweit,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
18
Ergänzend und wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die klägerische Berufungsbegründung vom 12.01.2023 (Bl. 187 ff. d.A.), die beklagtenseitige Berufungsbegründung vom 24.11.2022 (Bl. 140 ff. d.A.), die klägerische Berufungserwiderung vom 13.03.2023 (Bl. 211 d.A.), die beklagtenseitige Berufungserwiderung vom 27.04.2023 (Bl. 221 ff. d.A.) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien samt Anlagen verwiesen.
19
Am 08.05.2023 fand vor dem Senat eine mündliche Verhandlung statt, wegen deren Inhalts und Verlaufs auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 231 ff. d.A.) Bezug genommen wird.
II.
20
Die verfahrensrechtlich bedenkenfreien und somit zulässigen Rechtsmittel der Parteien haben beide in der Sache teilweise Erfolg.
I. Klage
21
1. Soweit das Landgericht die von den Klägern begehrte Feststellung traf, dass die Klagepartei in Folge der Widerrufserklärungen der Kläger aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Darlehensvertrag weder Zins- noch Tilgungsleistungen gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB schulde, war diese aufzuheben und insoweit die Klage abzuweisen.
22
a) Zwar kann ein wirksamer Widerruf des streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB in der von 21.03.2016 bis 27.05.2022 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug und Versicherungsverträgen (BGH, Beschluss v. 23.06.2020, Az. XI ZR 491/19, Rz. 11; Urteil v. 18.01.2011, Az. XI ZR 356/09, Rz. 19 ff.; Urteil v. 15.12.2009, Az. XI ZR 45/09, Rz. 13) verbundenen Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags nicht verneint werden.
23
aa) Den Klägern stand bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß § 495 Abs. 1 BGB i.V.m. § 491 BGB a.F., § 355 BGB ein Widerrufsrecht zu und die Widerrufsfrist begann nicht zu laufen, bevor die Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhielten.
24
Bei einer Mehrheit von Darlehensnehmern steht jedem von ihnen ein eigenes Widerrufsrecht zu, sofern er selbst den Vertrag als Verbraucher geschlossen hat (BGH, Urteil v. 10.10.2017, Az. XI ZR 555/16, Rz. 20; Urteil v. 11.10.2016, Az. XI ZR 482/15, Rz. 13 ff.).
25
bb) Die Beklagte hat in diesem Fall ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB resultierende Verpflichtung nicht ordnungsgemäß erfüllt, über das nach § 495 Abs. 1 BGB bestehende Widerrufsrecht zu informieren.
26
aaa) Die der Klägerin erteilte Widerrufsinformation ist fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. …)“ (Anlage K 2, S. 8) zwar nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB ist, dies aber im Geltungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (im Folgenden: VerbrKrRL) in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge bei einer richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu verneinen ist (BGH, Urteil v. 14.06.2022, Az. XI ZR 552/20, Rz. 12; Urteil v. 25.01.2022, Az. XI ZR 559/20, Rz. 11; Urteil v. 10.11.2020, Az. XI ZR 426/19, Rz. 14 ff.; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 13 ff.)
27
bbb) Die Beklagte hat zudem ihre aus § 492 Abs. 2 BGB, Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB resultierende Verpflichtung, über Verzugszinssatz und Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß erfüllt. Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der VerbrKrRL erfordert Information über den Verzugszinssatz Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (BGH, Urt. v. 24.05.2022, XI ZR 166/21, Rz. 11; Urt. v. 12.04.2022, XI ZR 179/21, Rz. 11 f.). Die ist hier nicht erfolgt (Anlage K 2, S. 5).
28
b) Aufgrund des wirksamen Widerrufs durch die Kläger hatte die Beklagte einen Anspruch auf die durch die Kläger davor und danach getätigten Tilgungsleistungen und die bezahlten Darlehenszinsen (s. auch Senatsbeschluss v. 04.04.2023, Az. 19 U 1790/22, juris Rz. 54 ff.; zustimmend Herresthal in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, Updatestand: 19.04.2023, Rz. 199.2 ff.). Damit gibt es keine Grundlage für das Begehren der Kläger auf gerichtliche Feststellung, dass sie aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag infolge ihrer erklärten Widerrufe vertraglich weder zur Zahlung von Zinsen noch zur Erbringung von Tilgungsleistungen verpflichtet sind.
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Auf die Rückabwicklung des Verbraucher-Darlehensvertrages zwischen den Parteien – als Vertrag über Finanzdienstleistungen i.S.v. § 312 Abs. 5 S. 1 BGB in der vom 01.07.2018 bis 31.12.2021 geltenden Fassung (BGH, Urteil v. 18.06.2019, Az. XI ZR 768/17, Rz. 54; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 312 Rz. 26) und § 1 Abs. 1a S. 2 KWG in der von 29.03.2019 bis 31.12.2019 geltenden Fassung – finden § 355 Abs. 3 BGB und § 357 a BGB in der vom 21.03.2016 bis 27.05.2022 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.; jetzt wortgleich: § 357 b BGB) Anwendung.
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aa) Nach § 355 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 357 a Abs. 1 a.F. BGB (jetzt: § 357 b Abs. 1 BGB) hatte die Beklagte einen Anspruch darauf, dass die Kläger ihr binnen 30 Tagen ab Widerruf die empfangene Darlehensvaluta zurückgewähren (vgl. z.B. auch Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 b Rz. 2, 4; Stadler in: Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 357 a Rz. 2; Ring in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 357 a Rz. 3; Knops in: beck-online. GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.01.2023, § 357 b Rz. 28; Stürner in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 17. Aufl., § 357 b Rz. 6).
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bb) Gemäß § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. (jetzt: § 357 b Abs. 3 S. 1 BGB) hatten die Kläger für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens der Beklagten den vereinbarten Sollzins zu entrichten (ebenso OLG Braunschweig, Urteil v. 08.07.2020, Az. 11 U 101/19, juris Rz. 119; OLG Stuttgart, Urteil v. 28.05.2019, Az. 6 U 78/18, juris Rz. 53 f.; LG Braunschweig, Urteil v. 03.08.2021, Az. 5 O 4916/19, Rz. 28 [BeckRS 2021, 4291], Stürner in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 17. Aufl., § 357 b Rz. 6). Das ergibt sich aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut.
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Hier sind die Zinsen auch nicht vertraglich für Fall des Widerrufs auf 0 € festgesetzt (s. Anlage K 2, S. 8; dann hätte ein Verzicht der Bank hierauf vorgelegen: BGH, Urteil v. 25.10.22, Az. XI ZR 44/22, Rz. 38 ff.).
33
cc) Wenn der BGH etwa in einem aktuellen Urteil v. 25.10.2022 (XI ZR 44/22, Rz. 33 ff.) dagegen im Falle des wirksamen Widerrufs der auf Abschluss eines Darlehensvertrags aus dem Jahr 2016 gerichteten Willenserklärung einerseits einen Anspruch des Verbrauchers auf Rückgewähr der bis zum Widerruf geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen und der Kaufpreisanzahlung aus § 358 Abs. 4 S. 1 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1 BGB und für die nach Widerruf geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen aus § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB postuliert (Rz. 35), andererseits dann aber aufgrund des Gesetzeswortlauts annimmt, dass der Verbraucher bei Widerruf aus § 358 Abs. 4 S. 1, § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. zur Zahlung der vereinbarten Sollzinsen zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sei (Rz. 37), steht dies in einem aus Sicht des Senats jedenfalls schwer auflösbaren Spannungsverhältnis.
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dd) Dabei ist zunächst schon zu beachten, dass § 358 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. insoweit keine Anwendung finden kann, da sich diese Norm auf die Rückabwicklung des verbundenen Vertrages bezieht – hier des Kfz-Kaufvertrags – und nicht auf die des (primär) widerrufenen Vertrages – hier des Verbraucher-Darlehensvertrages (ebenso Herresthal in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, Updatestand: 19.04.2023, Rz. 199.3).
35
ee) Zu welchen Schwierigkeiten diese divergente höchstrichterliche Rechtsprechung in instanzgerichtlichen Entscheidungen führt, zeigt eindrücklich das Urteil des OLG Saarbrücken vom 04.08.2022 (Az. 4 U 44/21, juris), wenn dort einerseits festgestellt wird, dass der beklagten Bank aus dem mit dem Verbraucher geschlossenen Darlehensvertrag seit Zugang seines Widerrufsschreibens kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung zustand, andererseits – damit denklogisch teils unvereinbar – die Feststellung getroffen wird, dass der Verbraucher verpflichtet ist, an die beklagte Bank den vereinbarten Sollzins für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens zu zahlen.
36
ff) Weiterhin ist im Anwendungsbereich von § 357 a BGB a.F. (jetzt: § 357 b BGB) aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vollharmonisierung durch die Vorgaben der VerbrKrRL und der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (im Folgenden: FernAbsFinDL-RL) bei der Auslegung der Norm für einen Rückgriff auf nationale rücktrittsrechtliche Vorgaben (so auch Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 b Rz. 1) oder Bereicherungsrecht kein Raum.
37
Die Rückabwicklung von dadurch erfassten Kreditverträgen hat ausschließlich nach dem gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Rückgewährregime zu erfolgen.
38
aaa) § 357 a BGB a.F. (jetzt: § 357 b BGB) setzt einerseits Art. 14 Abs. 3 lit. b) VerbrKrRL und andererseits Art. 7 Abs. 5 FernAbsFinDL-RL um (vgl. auch Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 b Rz. 1; Knops in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.08.2022, § 357 b BGB Rz. 7; Müller-Christmann in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 63. Ed., Stand: 01.08.2022, § 357 b Rz. 1; Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 357 b Rz. 3; Stürner in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 17. Aufl., § 357 b Rz. 1).
39
bbb) Die VerbrKrRL bestimmt aber keine Mindest-, sondern eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge.
40
Aus Art. 22 Abs. 1 VerbrKrRL in seiner Auslegung im Licht ihrer Erwägungsgründe 9 und 10 geht hervor, dass diese Richtlinie eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge vorsieht, und, wie sich aus der Überschrift von Art. 22 VerbrKrRL ergibt, zwingenden Charakter hat, was dahin zu verstehen ist, dass es den Mitgliedstaaten in den spezifisch von dieser Harmonisierung erfassten Bereichen nicht gestattet ist, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen (EuGH, Beschluss v. 12.10.2016, Az. C-511/15, C-512/15, juris Rz. 26, Urteil v. 12.07.2012, Az. C-602/10, juris Rz. 38; s. auch Nobbe, WM 2011, 625; Ady/Paetz, WM 2009, 1061 [1062]).
41
Auch die FernAbsFinDL-RL sieht keinen Mindestschutz vor, sondern verfolgt einen abschließenden Harmonisierungsansatz (Leistner/Pothmann, WRP 2003, 815 [823]; Härting/Schirmbacher, CR 2002, 809). Die Mitgliedstaaten sind nur in Ausnahmefällen berechtigt, Vorschriften zu erlassen, die den Verbraucher weitgehender schützen als die Bestimmungen der Richtlinie.
42
ccc) Nach Art. 14 Abs. 3 lit. b) VerbrKrRL zahlt der Verbraucher im Falle der Ausübung seines Widerrufsrechts dem Kreditgeber unverzüglich, spätestens jedoch binnen 30 Kalendertagen nach Absendung der Widerrufserklärung an den Kreditgeber das Darlehen einschließlich der ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Kredits bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens aufgelaufenen Zinsen zurück. Die Zinsen sind auf der Grundlage des vereinbarten Sollzinssatzes zu berechnen.
43
Nach Art. 7 Abs. 5 FernAbsFinDL-RL gibt der Verbraucher im Falle der Ausübung seines Widerrufsrechts unverzüglich und nicht später als binnen 30 Kalendertagen vom Anbieter erhaltene Geldbeträge an den Anbieter zurück. Diese Frist beginnt an dem Tag, an dem der Verbraucher die Mitteilung über den Widerruf abschickt.
44
ddd) Weder der deutsche Gesetzgeber noch die Rechtsprechung dürfen aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vollharmonisierung bei der Anwendung des § 357 a BGB a.F. von diesen Vorgaben der Art. 14 Abs. 3 lit. b) VerbrKrRL und Art. 7 Abs. 5 FernAbsFinDL-RL abweichen.
45
Damit gehört die Verpflichtung des Verbrauchers zur Tilgung und bis dahin zur Zinszahlung nach Widerruf des Darlehensvertrags zu den ausdrücklich geregelten und damit der Vollharmonisierung unterfallenden Gegenständen der beiden Richtlinien. Da diese Verpflichtungen auch für den Fall des Verbunds an keiner Stelle der Richtlinien zurückgenommen oder modifiziert werden, würde es einen Verstoß gegen die Richtlinien darstellen, wollte die nationale Gesetzgebung oder die Judikative die Tilgungs- und Zinszahlungspflicht des Verbrauchers nach Widerruf des Darlehensvertrags ausschließen (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil v. 15.10.2019, Az. 6 U 225/18, juris Rz. 35 f.; Urteil v. 28.05.2019, Az. 6 U 78/18, juris Rz. 55).
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Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 25.10.2005, Az. C-350/03, juris Rz. 103) zur – mittlerweile aufgehobenen – Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Diese Richtlinie verbot es laut EuGH nicht, dass ein Verbraucher, der von seinem Widerrufsrecht nach dieser Richtlinie Gebrauch gemacht hat, die Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zurückzahlen musste, obwohl das Darlehen unmittelbar an den Verkäufer der damit finanzierten Immobilie ausbezahlt wurde. Ebenso wenig verbot es diese Richtlinie, falls nationale Rechtsvorschriften vorsahen, dass der Verbraucher im Fall des Widerrufs eines Realkreditvertrags nicht nur die aufgrund dieses Vertrages erhaltenen Beträge zurückzahlen, sondern dem Darlehensgeber auch noch die marktüblichen Zinsen zahlen musste.
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Da die VerbrKrRL erst nach dieser EuGH-Entscheidung erlassen wurde und dem Richtliniengeber zu unterstellen ist, dass er die einschlägige EuGH-Rechtsprechung dabei kannte, ist für eine Auslegung des § 357 a Abs. 1, Abs. 3 S. 1 BGB a.F., die den Darlehensnehmer von der Pflicht zur Darlehenstilgung und Zinszahlung freistellt, kein Raum.
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eee) Dies bedeutet insbesondere, dass die zur alten Rechtslage vor erstmaliger Einführung des § 357 a BGB a.F. durch Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 27.09.2013 (BGBl. I S. 3642) mit Wirkung zum 13.06.2014 ergangene Rechtsprechung dahingehend, dass der Verbraucher gegen die finanzierende Bank bei Widerruf eines mit einem Kraftfahrzeugkaufvertrag verbundenen Darlehensvertrages nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB einen Anspruch auf Rückerstattung aller aus seinem Vermögen an die Bank erbrachten Leistungen hatte, also der an die Bank erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (s. z.B. BGH, Urteil v. 25.04.2006, Az. XI ZR 193/04, Rz. 12; Urteil v. 10.03.2009, Az. XI ZR 33/08, Rz. 27 m.w.N.), und umgekehrt der Bank gegen den Verbraucher kein Anspruch auf Rückzahlung des Darlehensbetrags zustand (BGH, Urt. v. 01.03.2011, Az. II ZR 297/08, Rz. 18), im Lichte dessen auf danach geschlossenen Kreditverträge keine Anwendung mehr finden kann.
49
In einem solchen Fall hat die Rückführung des Kredits demnach nicht mehr im Verhältnis zwischen dem Kfz-Verkäufer und der Bank zu erfolgen (BGH, Urteil v. 18.01.2011, Az. XI ZR 356/09, Rz. 25), sondern gemäß § 355 Abs. 3 S. 1 BGB i.V.m. § 357 a Abs. 1, Abs. 3 S. 1 a.F. BGB zwischen dem Verbraucher und der Bank direkt.
50
fff) Wollte man angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. stattdessen davon ausgehen, dass der Verbraucher zwar einer Zinszahlungspflicht unterliegt, er über § 357 a Abs. 1 BGB a.F. aber trotzdem die geleistete Tilgung von der Bank zurückverlangen könnte, so würde dies vollends den Gedanken des Verbraucherschutzes ad absurdum führen.
51
Dann wäre die Bank darauf verwiesen, sich die direkt an den Kfz-Verkäufer ausbezahlte Darlehensvaluta von diesem wiederzuholen. Angesichts der Tatsache, dass der Verbraucher nach § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. im Fall des Widerrufs die Entrichtung der vereinbarten Sollzinsen für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der – dann vom Kfz-Verkäufer vorzunehmenden – Rückzahlung des Darlehens schuldet, hätte es der Kfz-Verkäufer durch sein Verhalten in der Hand, wie lange der Verbraucher zur Zinszahlung verpflichtet ist. Im äußersten Fall einer Insolvenz des Kfz-Verkäufers könnte sich diese Verpflichtung gegebenenfalls auf einen unabsehbaren Zeitraum erstrecken.
52
c) Somit ist der gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Klagepartei in Folge der Widerrufserklärungen der Kläger aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Darlehensvertrag weder Zinsnoch Tilgungsleistungen gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB schulde, teils unbegründet, teils unzulässig (s. auch Senatsbeschluss v. 04.04.2023, Az. 19 U 1790/22, juris Rz. 78 ff.; zustimmend Herresthal in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, Updatestand: 19.04.2023, Rz. 199.2 ff.).
53
Damit setzt sich der Senat bewusst in Opposition zur Rechtsprechung des BGH (z.B. Urteil v. 23.05.2023, Az. XI ZR 6/22, Rz. 14 ff.; Urteil v. 21.03.2023, Az. XI ZR 42/22, Rz. 17 ff.; Urteil v. 25.10.2022, Az. XI ZR 44/22, Rz. 23 ff.), der derartige Feststellungsanträge bislang für begründet erachtet.
54
Der Senat stützt seine, von der BGH-Rechtsprechung abweichende Auffassung auf folgende Erwägungen:
55
aa) Soweit sich die beantragte Feststellung auf die Zinszahlungspflicht der Kläger bezieht, fehlt es an der Begründetheit des klägerischen Begehrens.
56
Wie oben ausführlich dargestellt, hatten die Kläger gemäß § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens der Beklagten den vereinbarten Sollzins zu entrichten.
57
Zwar wandelt der wirksame Widerruf des Darlehensvertrags diesen grundsätzlich nach § 355 Abs. 3 S. 1 BGB ex nunc in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis um (Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 355 Rz. 59; Müller-Christmann in: BeckOK BGB, 65. Ed., Stand: 01.08.2022, § 355 Rz. 38; Ring in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 355 Rz. 22; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82 Aufl., § 355 Rz. 4; Mörsdorf in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.06.2022; § 355 BGB Rz. 97; Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 355 Rz. 59; Stadler in: Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 355 Rz. 9).
58
Daher sind gemäß § 355 Abs. 3 S. 1 BGB sowohl die Kläger wie die Beklagte verpflichtet, die jeweils aufgrund des widerrufenen Darlehensvertrags empfangenen Leistungen zurückzugewähren, wobei § 355 Abs. 3 S. 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. (jetzt: § 357 b Abs. 1 BGB) dies dahingehend modifizieren, dass dies spätestens nach 30 Tagen ab Zugang bzw. Abgabe der Widerrufserklärung zu erfolgen hat. Damit folgt die Rückgewährpflicht nicht (mehr) aus § 488 Abs. 1 S. 2 BGB (Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 357 b Rz. 5; Knops in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.01.2023, § 357 b BGB Rz. 8).
59
Diese Rückgewährpflicht gemäß § 355 Abs. 3 S. 1, 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. aus dem durch den Widerruf entstandenen Rückabwicklungsschuldverhältnis bezieht sich indes lediglich auf die Pflicht der Kläger zur Rückzahlung der Darlehensvaluta (vgl. z.B. auch Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 b Rz. 2, 4; Stadler in: Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 357 a Rz. 2; Ring in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 357 a Rz. 3; Knops in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.01.2023, § 357 b Rz. 28).
60
Die Pflicht der Kläger gemäß § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. zur Zinszahlung für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens ergibt sich nicht aus § 355 Abs. 3 S. 1 BGB, sondern steht als unabhängige Verpflichtung daneben (Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 b Rz. 4) und hat mit der Rückabwicklung des Darlehensvertrags im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Ohne diese Sondervorschrift wäre die Beklagte nach dem Grundsatz von § 355 Abs. 3 S. 1, 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. verpflichtet, die von den Klägern gezahlten Zinsen als in diesem Sinne empfangene Leistungen wieder zurückzugewähren. Mit der Bezugnahme auf den „vereinbarten Sollzins“ in § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. wird klargestellt, dass insoweit die primäre Hauptleistungspflicht aus dem ursprünglichen Darlehensvertrag zur Zahlung der dort bestimmten Zinsen nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB für den genannten Zeitraum weiterläuft.
61
Damit erhält § 357 a Abs. 3 S. 1 BGB a.F. den ansonsten widerrufenen Darlehensvertrag partiell weiter aufrecht, weshalb die primäre Leistungspflicht der Kläger aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag zur Zahlung von Zinsen aufgrund der erklärten Widerrufe vom 09. bzw. 17.02.2022 nicht erloschen ist. Die diesbezüglich klägerische begehrte Feststellung ist mithin unbegründet und nicht auszusprechen.
62
b) Soweit sich die beantragte Feststellung auf die Pflicht der Kläger zur Erbringung von Tilgungsleistungen bezieht, ist keine Zulässigkeit des klägerischen Begehrens gegeben.
63
Zunächst ist – wie ausgeführt – richtig, dass die Kläger ab wirksamem Widerruf die Tilgung der dann noch offenen Restvaluta nicht mehr vertraglich nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern gesetzlich aufgrund des entstandenen Rückabwicklungsschuldverhältnisses gemäß § 355 Abs. 3 S. 1, 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. schuldeten.
64
Dem Klageantrag fehlt es insoweit aber an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse. Nach dieser Vorschrift ist eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zulässig, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde.
65
Nicht feststellungsfähig sind abstrakte Rechtsfragen (BGH, Urteil v. 13.12.1984, Az. I ZR 107/82, juris Rz. 15), da es nicht Aufgabe der Gerichte ist, Rechtsgutachten zu erstatten (BAG, Urteil v. 23.04.1997, Az. 5 AZR 727/95, juris Rz. 14; Urteil v. 21.09.1993, Az. 9 AZR 580/90, juris Rz. 18; Urteil v. 08.12.1992, Az. 9 AZR 113/92, juris Rz. 11; Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 256 Rz. 22).
66
Zwar kann im Grundsatz auch Feststellung darüber begehrt werden, wie ein unstreitig zwischen den Parteien bestehendes Schuldverhältnis rechtlich einzuordnen ist (Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 256 Rz. 11, 22; Assmann in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., Stand: 2023, § 256 Rz. 127; s. auch BGH, Urteil v. 16.12.1999, Az. III ZR 89/99, juris Rz. 10) – hier also, dass die klägerische Pflicht zur Kredittilgung nicht als eine darlehensvertragliche einzustufen ist.
67
Bereits das RG (Urteil v. 27.02.1934, Az. II 276/33 [RGZ 144, 54, 56 f.]) verlangte aber für die Zulässigkeit einer derartigen Feststellung, dass aus der rechtlichen Natur des Schuldverhältnisses, dessen Bestehen ein Kläger festgestellt haben will, wesentlich andere Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien erwachsen, als aus der vom Beklagten behaupteten.
68
Jedenfalls besteht ein anerkennenswertes rechtliches Interesse daran nur, falls der Streit zwischen den Parteien durch ein Feststellungsurteil hierüber ausgeräumt und Rechtssicherheit mit der Folge herbeigeführt werden kann, dass weitere Prozesse sich erübrigen (BAG, Urteil v. 20.2.2018, Az. 1 AZR 361/16, Rz. 9; Urteil v. 21.04.2010, Az. 4 AZR 755/08, Rz. 21; Urteil v. 11.12.1997, Az. 8 AZR 729/96, juris Rz. 18; Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 256 Rz. 11, 22).
69
Dies ist hier sämtlich nicht gegeben. Die Verpflichtung der Kläger zur Rückzahlung der noch offenen Valuta aufgrund Darlehensvertrages gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB oder aufgrund Rückabwicklungsschuldverhältnisses nach § 355 Abs. 3 S. 1, 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. unterscheiden sich nur insoweit, als diese in letzterem Fall nicht mehr wie vereinbart ratierlich, sondern – aufgrund des hier wirksamen Widerrufs – sogar binnen 30 Tagen und vollumfänglich zu erfolgen hat. Warum die Kläger an der Feststellung von Ersterem ein rechtlich anerkennenswertes Interesse habe sollten, vermag sich dem Senat daher nicht einmal im Ansatz zu erschließen.
70
Schwerer wiegt aber noch, dass durch die – isolierte – Feststellung, dass die Kläger die Tilgung nicht mehr aufgrund des mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrages schuldet, keinerlei Rechtssicherheit mit der Folge herbeigeführt werden könnte, dass weitere Prozesse sich erübrigten. Dadurch wären die Kläger keinesfalls vor einem Folgeverfahren sicher, in dem die Beklagte die Zahlung der Restvaluta auf gesetzlicher Grundlage gemäß § 355 Abs. 3 S. 1, 2 BGB, § 357 a Abs. 1 BGB a.F. geltend macht. Damit würde nur die Annahme einer bestimmten Anspruchsgrundlage – § 488 Abs. 1 S. 2 BGB – ausgeschlossen. Dies hätte daher keinen nachvollziehbaren Nutzen für die Kläger.
71
Das Gericht würde letztendlich für eine – ihm rechtlich verbotene – Gutachtertätigkeit über die Nichteinschlägigkeit einer konkreten einzelnen Anspruchsgrundlage missbraucht, obwohl eine andere Anspruchsgrundlage der Beklagten nahezu dasselbe zugesteht (sogar noch mehr, s.o.). Die diesbezüglich beantragte Feststellung stellt sich damit als ars gratia artis dar, ohne dass die Kläger selbst im Falle ihres Obsiegens insoweit davon in irgendeiner Form rechtlich profitieren würde.
72
2. Gemäß dem vorstehend Ausgeführten gibt es auch den mittels Leistungsklage geltend gemachten Anspruch der Kläger auf Rückgewähr der bisher getätigten Tilgungsleistungen und bezahlten Darlehenszinsen nicht.
73
3. Bezüglich der begehrten Rückzahlung der direkt an die Kfz-Verkäuferin geleisteten Anzahlung von 4.000 € ist die Berufung in Übereinstimmung mit dem Landgericht jedenfalls derzeit unbegründet, weil die Kläger ihrer Vorleistungspflicht nicht nachgekommen sind:
74
Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. sind auf die Rückabwicklung des verbundenen Vertrags unabhängig von der Vertriebsform § 355 Abs. 3 BGB und, je nach Art des verbundenen Vertrags, die §§ 357 ff. BGB entsprechend anzuwenden. Danach gelten für alle Verträge (unabhängig von der Vertriebsform) § 355 Abs. 3 BGB und ergänzend die Vorschriften entsprechend, die nach der Art des verbundenen Vertrags hypothetisch anwendbar wären, wenn dieser selbst widerrufen worden wäre, ohne dass es darauf ankommt, ob insoweit ein Widerrufsrecht bestanden hat. Dies ist bei einem Vertrag über die Lieferung einer Ware die Vorschrift des § 357 BGB – hier in der vom 13.06.2014 bis 27.05.2022 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.; vgl. hierzu BGH, Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 22; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 22).
75
Aufgrund dessen ist der Darlehensnehmer nach § 358 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. im Hinblick auf die Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs vorleistungspflichtig. Der darlehensgebenden Bank steht nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5, § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. gegenüber dem Darlehensnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis sie das finanzierte Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Darlehensnehmer den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat. Dass die Beklagte angeboten hätte, das Fahrzeug beim Kläger abzuholen (§ 357 Abs. 4 Satz 2 BGB a.F.), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. insg. hierzu BGH, Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 153/21, Rz. 13; Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 154/21, Rz. 12; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 281/21, Rz. 12; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 151/21, Rz. 12; Urteil v. 14.06.2022, Az. XI ZR 552/20, Rz. 17; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 237/21, Rz. 12; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 12; Urteil v. 12.04.2022, Az. XI ZR 179/21, Rz. 14; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 23; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 23; Urteil v. 15.06.2021, Az. XI ZR 376/20, Rz. 18).
76
Die Rückgabepflicht des Darlehensnehmers ist damit mangels anderweitiger Vereinbarung eine Bring- oder Schickschuld, die der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber an dessen Sitz anbieten oder an ihn absenden muss.
77
Die Kläger haben der beklagten Bank das Fahrzeug nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise nach §§ 293 bis 297 BGB angeboten. Dass die Kläger der Beklagten das Fahrzeug an deren Sitz tatsächlich angeboten oder an sie nachweisbar abgesandt haben (§ 294 BGB), haben sie nicht vorgetragen. Ihre wörtlichen Angebote (s. z.B. Anlagen K 3a, K 3b) waren zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten unzureichend, weil diese ihrer Vorleistungspflicht nicht genügt haben.
78
Haben sie die Herausgabe des Fahrzeugs nicht bzw. die Rückgabe des Fahrzeugs – entgegen § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. – nur in Form einer Abholung durch die Beklagte angeboten, was diese jedoch nicht angeboten hat (§ 357 Abs. 4 Satz 2 BGB a.F.), ist dies unzulänglich (BGH, Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 24; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 24). Die Beklagte bietet in der Klageerwiderung vom 13.07.2022 (S. 3 = Bl. 28 d.A.) lediglich die Entgegennahme bei der BMW Niederlassung xx in xx bei Verbringung durch den Kläger dorthin an.
79
Soweit die Kläger meinen, die Beklagte könne sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht stützen, weil sie Wirksamkeit des Widerrufs und Rückgewähranspruch des Klägers bereits dem Grunde nach in Abrede stelle, trifft dies nicht zu (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 153/21, Rz. 13; Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 154/21, Rz. 13; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 281/21, Rz. 13; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 151/21, Rz. 13; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 237/21, Rz. 12; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 13; Urteil v. 12.04.2022, Az. XI ZR 179/21, Rz. 14).
80
Der Anspruch auf Rückzahlung der Anzahlung nach wirksamem Widerruf ist wegen der Vorleistungspflicht des Klägers (§ 358 Abs. 4 S. 1, § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F.) mithin derzeit unbegründet, obwohl er Zahlung „nach Rückgabe“ des Fahrzeugs begehrt, da dies in entsprechender Anwendung des § 322 Abs. 2 BGB voraussetzte, dass die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs im Verzug der Annahme wäre (BGH, Urteil v. 14.06.2022, Az. XI ZR 552/20, Rz. 18; Urteil v. 15.06.2021, Az. XI ZR 376/20, Rz. 22; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 29; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 29).
81
Insoweit steht der Beklagten – was sie bereits mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat (S. 14 = Bl. 39 d.A.) – nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5, § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. gegenüber den vorleistungspflichtigen Klägern ein Leistungsverweigerungsrecht zu (vgl. auch BGH, Urteil v. 10.11.2020, Az. XI ZR 426/19, Rz. 21).
82
4. Allerdings haben die Kläger, was das Landgericht übersieht, einen Anspruch auf teilweise Rückzahlung der – direkt an die Versicherer – bezahlten Versicherungsprämien in Höhe von 954,76 €.
83
a) Zwar sieht der BGH (Beschluss v. 23.06.2020, Az. XI ZR 491/19, Rz. 11; Urteil v. 18.01.2011, Az. XI ZR 356/09, Rz. 19 ff.; Urteil v. 15.12.2009, Az. XI ZR 45/09, Rz. 13) den Darlehensvertrag und damit mitfinanzierte Versicherungen als verbundene Geschäfte an; die Bank tritt gemäß § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F. BGB im Fall des wirksamen Darlehensvertragswiderrufs für die Durchführung der Rückabwicklung derartiger Versicherungsverträge an die Stelle des Versicherers.
84
Die Rückabwicklung der Versicherungsverträge erfolgt aber nicht nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 a.F. BGB, sondern nach den einschlägigen Vorschriften des VVG, da diese den allgemeinen Vorschriften vorgehen (BGH, Urt. v. 15.12.2009, XI ZR 45/09, Rz. 15; zustimmend Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 56 Rz. 580).
85
Mangels Anwendbarkeit des BGB erstreckt sich auch das Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5, § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. keinesfalls auf den Anspruch des Klägers auf (teilweise) Rückzahlung der Versicherungsprämien. Da die Kläger aber selbst ihren Zahlungsanspruch insoweit nur „nach Herausgabe“ des Kfz geltend machen, war dies antragsgemäß auszusprechen, § 308 Abs. 1 ZPO.
86
b) Wie daher im Rahmen der Rückabwicklung mit dem eventuellen Anspruch des Verbrauchers auf Rückgewähr der Versicherungsprämien umzugehen ist, ist in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur indes umstritten.
87
Teilweise wird ein Anspruch des Verbrauchers vollständig verneint (OLG Stuttgart, Urteil v. 21.12.2009, Az. 6 U 110/09, juris Rz. 81; Schürnbrand, BKR 2011, 309 [310]; Mülbert/Wilhelm, WM 2009, 2241 [2245]; wohl ebenso Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 56 Rz. 580). Teilweise wird Rückerstattungsanspruch zumindest in Höhe der auf den Zeitpunkt nach Widerruf entfallenden Prämien zuerkannt (LG Bremen, Urteil v. 27.08.2009, Az. 2 S 374/08, juris Rz 22 ff.; OLG Schleswig, Beschluss v. 17.03.2010, Az. 5 U 2/10, juris Rz. 7).
88
c) Nimmt man den § 9 Abs. 1 S. 1 VVG zugrunde liegenden Rechtsgedanken ernst, so kann der Verbraucher jedenfalls nicht verbrauchten Versicherungsprämien, d.h. deren auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil, zurückverlangen. Hier stellt sich das zusätzliche Problem, dass die Versicherungsprämien nicht monatlich, sondern als Einmalprämien gezahlt wurden. Nach Ansicht des Senats ist daher eine Erstattung pro rata temporis gemessen an der ursprünglich geplanten Laufzeit des Kreditvertrages vorzunehmen.
89
Die Bemessung im hiesigen Fall ist somit wie folgt vorzunehmen:
90
Der Darlehensvertrag, dessen Absicherung die Versicherungen dienen, sollte ab November 2019 für 60 Monate laufen. Im Februar 2022 wurden er und damit auch die verbundenen Versicherungen wirksam widerrufen. Damit wurde der Versicherungsschutz für 28 Monate, mithin 46,66 % der Laufzeit, in Anspruch genommen. Nicht „verbraucht“ wären danach 53,33 % der bezahlten Versicherungsprämien von insgesamt 1.790,29 €, somit ein Betrag von 954,76 €.
91
c) Diesem Rückzahlungsanspruch bezüglich der Versicherungsprämien kann die Beklagte nicht im Wege der Hilfs-Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) ihren Wertersatzanspruch nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 357 Abs. 7 BGB a.F. in Höhe von – behaupteten – 11.438,92 € entgegenhalten.
92
Der Wertersatzanspruch tritt bei der Rückabwicklung des Kaufvertrags – die nach der Senatsrechtsprechung von der Rückabwicklung der Versicherungsverträge streng zu trennen ist – partiell an die Stelle des primären Anspruchs auf Rückgewähr des Kfz aus § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 a.F. BGB. Es handelt sich somit um einen sekundären Anspruch insoweit (Mörsdorf in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, § 657 a BGB Rz. 3; Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 357 a Rz. 1).
93
Daher kann die Beklagte mit dem Wertersatzanspruch erst nach – hier noch nicht erfolgter – Rückgabe des finanzierten Kfz gegen den dann fälligen Anspruch der Kläger aus § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 a.F. BGB auf Rückzahlung der Anzahlung von 4.000 € (bzw. des kompletten Kaufpreises) aufrechnen. Der Wertersatzanspruch surrogiert partiell den Rückgabeanspruch aus dem Kaufvertrag. Es wäre widersinnig, könnte dieser isoliert geltend gemacht werden, ohne dass es ansonsten zu Kaufvertragsrückabwicklung käme.
II. Widerklage
94
1. Soweit die Beklagte per Leistungs-Widerklage die Herausgabe des Kfz samt Schlüsseln und Papieren begehrt, ist dem – in Übereinstimmung mit dem Landgericht – stattzugeben.
95
Der Anspruch ist begründet aufgrund § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 a.F. BGB und wegen der Vorleistungspflicht der Kläger schon fällig.
96
2. Die von der Beklagten für den Fall des rechtlichen Fehlgehens der erklärten Hilfs-Aufrechnung begehrte Feststellung einer Ersatzpflicht der Kläger für den Wertverlust des Kfz, der bis zu dessen tatsächlicher Rückgabe entsteht und auf einen Umgang mit dem Kfz zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war, war auszusprechen.
97
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (Wider-)Klage erhoben werden, wenn der (Wider-)Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
98
Zwar tritt der Anspruch nach § 357 Abs. 7 BGB a.F. – wie dargelegt – erst bei tatsächlicher Rückgabe des Kfz als Sekundäranspruch partiell an die Stelle des primären Anspruchs der Beklagten gegen die Kläger auf Rückgewähr des Kfz aus § 358 Abs. 4 S. 1, 5 a.F., § 355 Abs. 3 S. 1, § 357 Abs. 1 a.F. BGB und kann erst dann (abschließend) beziffert und als teilweises Surrogat des Rückgabeanspruchs mittels Leistungsklage oder im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden.
99
Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt – wie hier der permanente Wertverlust des Kfz – zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung, so ist die Feststellungsklage zulässig, selbst wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (vgl. für noch nicht abgeschlossene Schadensentwicklungen z.B. BGH, Urteil v. 19.04.2016, Az. VI ZR 506/14, Rz. 6 m.w.N.).
III.
100
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 S. 2, § 711 S. 1, 2 i.V.m. § 709 S. 1, 2 ZPO.
IV.
101
1. Die Revision gegen dieses Urteil nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 2. Alt. ZPO.
102
Dieser Zulassungsgrund ist in den Fällen einer Divergenz gegeben, wenn also die Entscheidung des Berufungsgerichts von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des BGH, abweicht und auf dieser Abweichung beruht (BGH, Beschluss v. 27.03.2003, Az. V ZR 291/02, juris Rz. 11; Beschluss v. 04.07.2002, Az. V ZR 75/02, juris Rz. 7; Beschluss v. 25.07.2002, Az. V ZR 118/02, juris Rz. 6).
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Dies ist hier der Fall. Nach Ansicht des Senats ist der Antrag der Kläger auf Feststellung, dass sie in Folge ihrer Widerrufserklärungen aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Darlehensvertrag weder Zins- noch Tilgungsleistungen schuldeten teils unzulässig, teils unbegründet, mithin erfolglos. Dies bisherige BGH-Rechtsprechung stuft derartige Anträge in Fällen wie dem vorliegenden dagegen als begründet ein.
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Dazu kommt die Frage, ob sich das wortlautorientierte, gemeinschaftsrechtsgerichtete Verständnis des Senats von § 357 a Abs. 1, Abs. 3 S. 1 BGB a.F. (jetzt: § 357 b Abs. 1, Abs. 3 S. 1 BGB) mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Tilgungs- und Zinszahlungsverpflichtung des Verbrauchers nach wirksamem Widerruf vereinbaren lässt. Angesichts der nach Senatsansicht diskrepanten Vorgaben im Urteil des BGH v. 25.10.2022 (Az. XI ZR 44/22, Rz. 35 einerseits, Rz. 37 andererseits) erscheint eine revisionsgerichtliche Klarstellung insoweit – mit Blick auf die Schwierigkeiten der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, diesen Vorgaben sinnvoll zu folgen (z.B. OLG Saarbrücken, Urteil v. 04.08.2022, Az. 4 U 44/21, juris) – erstrebenswert.
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Weiterhin ist die Behandlung von Versicherungsprämien nach Widerruf des damit verbundenen Darlehensvertrags, mittels dessen Valuta die Prämien mitfinanziert wurden, in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung – und in der Fachliteratur – umstritten. Zwar ergingen die insoweit zitierten Entscheidungen stets zur alten Rechtslage vor Juni 2014. Es besteht mithin keine Divergenz bezüglich der aktuellen Rechtslage. Gleichwohl könnte eine revisionsgerichtliche Weichenstellung zu dieser Problematik künftig den Instanzgerichten und der Öffentlichkeit als Richtschnur und Orientierung zur Entscheidung in gleichgelagerten Fällen dienen. Immerhin wird auch mit der geplanten Einführung sog. Leitentscheidungen gemäß dem Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eines Gesetzes zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof vom 05.06.2023 die effiziente Erledigung von Massenverfahren durch zügige Klärung zentraler Rechtsfragen durch den BGH selbst in Fällen der Revisionsrücknahme oder der sonstigen Erledigung der Revision angestrebt.
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Schließlich ist die Frage der Entstehung und/oder Fälligkeit von Wertersatzansprüchen der Bank in Fällen, in denen der mit dem widerrufenen Darlehensvertrag verbundene Kaufvertrag mangels Rückgabe des Kfz durch den vorleistungspflichtigen Verbraucher an die Bank (noch) nicht rückabgewickelt wird, höchstrichterlich noch nicht entschieden.
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2. Die Revision ist zum BGH zuzulassen.
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In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des BayObLG oder des BGH für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden; die Entscheidung ist für das gesamte weitere Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend (BGH, Beschluss v. 18.02.2021, Az. III ZR 79/20, Rz. 5).
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Vorliegend ist der BGH und nicht das BayObLG für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision des Klägers zuständig, § 7 Abs. 1 EGZPO i.V.m. § 8 Abs. 2 EGGVG und Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG.