Inhalt

VG München, Beschluss v. 25.09.2023 – M 5 K 23.3654
Titel:

Prozesskostenhilfebewilligung nach Klagerücknahme

Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3, § 166
ZPO § 114
Leitsätze:
1. Ausnahmsweise kann Prozesskostenhilfe auch nach Abschluss eines Verfahrens dann (rückwirkend) bewilligt werden, wenn der Antrag bereits während des Verfahrens gestellt und alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan wurde. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme ein. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstellungsbeschluss nach Klagerücknahme mit nachträglicher Bewilligung von PKH (teilweise), Prozesskostenhilfe, Einstellungsbeschluss, Klagerücknahme, nachträgliche Bewilligung, Entscheidungsreife
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27021

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Klägerin wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung insoweit bewilligt, als sie sich gegen die Entscheidung über die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes vom ... Juli 2023 richtet (Ziffer 1 der Klageschrift). Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe

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1. Die Klagepartei hat ihre Klage mit der am 18. August 2023 zur Niederschrift gegebenen Erklärung zurückgenommen. Gemäß § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO ist daher das Verfahren mit der Kostenfolge nach § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen (Tenor Ziffer 1). Soweit die Klägerin am 21. August 2023 erklärt hat, die Klage nur hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 zurücknehmen zu wollen, war die Klage zu diesem Zeitpunkt nicht mehr rechtshängig, da die wirksame Klagerücknahme die Rechtshängigkeit ex tunc beseitigt hat (§ 173 VwGO iVm § 269 Abs. 3 S. 1 Zivilprozessordnung – ZPO). Damit wird dem bisherigen Verfahren der Gegenstand entzogen.
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2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes – GKG. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,- Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Bei objektiver Klagehäufung werden in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet (§ 39 Abs. 1 GKG i. V. m. mit Ziffer 1.1.1 des Streitwertkatalogs 2004, NVwZ 2004, 1327 = DVBl. 2004, 1525 = VBlBW 2004, 467). Eine solche Zusammenrechnung nach § 39 Abs. 1 GKG unterbleibt aber, wenn die Anträge keine selbstständige Bedeutung haben, sondern das gleiche Interesse betreffen und somit von einer ideellen Identität auszugehen ist (vgl. in diesem Zusammenhang BayVGH, B.v. 10.1.2008 – 10 C 07.1383 – juris; OVG NW, B.v. 15.11.2007 – 19 E 220/07 – juris). Gemessen daran enthalten die Klageanträge zu 1 (5.000,- €) und zu 2 (5.000,- €) eine selbständige Bedeutung. Es ist nicht erkennbar, dass dem Klageantrag zu 3 ein über den Klageantrag zu 1 hinausgehendes Begehren zu entnehmen wäre, sodass sich dieser nicht streitwerterhöhend auswirkt.
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3. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe demnach regelmäßig voraussetzt, dass die Rechtsverfolgung noch „beabsichtigt“ i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, scheidet sie grundsätzlich aus, wenn das Hauptsacheverfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits durch Vergleich, Klagerücknahme oder beiderseitige Erledigungserklärungen beendet ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 9 C 17.760 – juris). Ausnahmsweise kann Prozesskostenhilfe auch nach Abschluss eines Verfahrens dann (rückwirkend) bewilligt werden, wenn der Antrag bereits während des Verfahrens gestellt und alles Erforderliche für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe getan wurde (vgl. VGH BW, B.v. 17.11.2017 – 3 S 2331/17 – juris; BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 9 C 17.760 – juris). Voraussetzung für die ausnahmsweise rückwirkende Bewilligung ist demnach, dass der jeweilige Antragsteller unter Vorlage der vorgeschriebenen und sonst erforderlichen Unterlagen einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt hat und sich damit neben den Erfolgsaussichten auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zweifelsfrei – ohne ergänzende Erklärungen – beurteilen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 9 C 17.760 – juris), dass also der Prozesskostenhilfeantrag vor Eintritt des erledigenden Ereignisses entscheidungsreif war (vgl. VGH BW, B.v. 17.11.2017 – 3 S 2331/17 – juris). Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ein (vgl. BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39.07 u.a. – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 10.1.2016 – 10 C 15.724 – juris Rn. 14).
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Vorliegend war der Prozesskostenhilfeantrag im Zeitpunkt der Klagerücknahme am 18. August 2023 entscheidungsreif, da die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vorgelegt wurde und die Gegenseite Zeit zur Stellungnahme hatte. Die Klägerin war auch bedürftig. Dem zulässigen Antrag war jedoch nur teilweise, hinsichtlich der Ziffer 1 des Klageantrags, stattzugeben, da nur dahingehend hinreichend Aussicht auf Erfolg bestand und die Rechtsverfolgung diesbezüglich nicht mutwillig war.
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Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass für die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) besteht bzw. diese im Zeitpunkt der Bewilligungsreife bestand. Dies war aber nur hinsichtlich der Entscheidung über die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes vom ... Juli 2023 der Fall (Ziffer 1 der Klageschrift). Aus dem Bescheid vom ... Juli 2023 ergibt sich nicht, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 der Zulassungs- und Ausbildungsordnung für das Lehramt an Grundschulen und das Lehramt an Mittelschulen in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1992 (GVBl. S. 454) – ZALGM in Bezug auf die Krankheitsdauer gewahrt sind. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 ZALGM kann bestimmt werden, dass der Ausbildungsabschnitt ganz oder teilweise zu wiederholen ist, wenn in einem Ausbildungsabschnitt der Urlaub, der nicht unter § 26 fällt, oder Krankheiten eines Lehramtsanwärters oder einer Lehramtsanwärterin insgesamt den Zeitraum von acht Wochen übersteigen. Aus dem Bescheid vom … Juli 2023 ist der Zeitraum der Krankheitstage nicht zu entnehmen. In den Akten ist lediglich der Vortrag der Klägerin enthalten, wonach diese (genau) acht Wochen krank gewesen sei. Nach Aktenlage ist es daher möglich, dass die Krankheitszeit der Klägerin acht Wochen nicht überstiegen hat. Zudem besteht auch deshalb hinreichende Erfolgsaussicht, da im Bescheid vom ... Juli 2023 eine Ermessensausübung in Bezug auf die Frage, ob der Ausbildungsabschnitt ganz oder teilweise zu wiederholen ist, nicht erkennbar ist und im Gerichtsverfahren lediglich eine Ergänzung von Ermessenserwägungen möglich ist (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). Es kann nicht nachvollzogen werden, ob die Entscheidung über die Verlängerung des Vorbereitungsdienstes um ein Jahr verhältnismäßig war.
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Im Übrigen besteht nach summarischer Prüfung keine hinreichende Erfolgsaussicht. Denn für ein Leistungsbegehren, die Gleichstellung der Klägerin mit anderen Seminarteilnehmern im Rahmen der Zielvereinbarung zu erreichen, mithin alle Seminarteilnehmer zu verpflichten, eine solche Zielvereinbarung zu unterschreiben, ist keine Rechtsgrundlage im materiellen Recht erkennbar. Bei der Zielvereinbarung handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, für die eine hinreichende Tatsachengrundlage erforderlich ist. Eine generelle Anwendung der Zielvereinbarung auf alle Seminarteilnehmer scheidet vor diesem Hintergrund aus.
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4. Einer Kostenentscheidung hinsichtlich Ziffer IV. bedarf es nicht, weil das Bewilligungsverfahren gerichtsgebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).