Titel:
Anordnung der aufschiebenden Wirkung bzgl. Baugenehmigung für Neubau mit Abstandsflächenübernahme
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a
BauGB § 212a
BayBO Art. 6 Abs. 2, Art. 66 Abs. 3 S. 1
ErbbauRG § 11 Abs. 1
GG Art. 14
Leitsatz:
Die Erstreckung von Abstandsflächen auf benachbarte Grundstücksflächen, welche mit einem Erbbaurecht belastet sind, beinhaltet einen erheblichen Grundrechtseingriff in das Recht des Erbbauberechtigten mit der Folge, dass auch aus diesem Grund grundsätzlich eine Zustimmung des Erbbauberechtigten zur Übernahme von Abstandsflächen erforderlich ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarantrag gegen Baugenehmigung, Abstandsflächen, Abstandsflächenübernahme, Eilverfahren, Nachbarantrag, Erbbaurecht, Baurecht, Bauordnungsrecht, Nachbargrundstück, Abstandsflächensatzung, Abstandsfläche, Vorhabengrundstück, Nichtüberbaubarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27011
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. M 9 K 23.2683) der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamts M. vom 25. Januar 2023 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt als Nachbarin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung des Landratsamts M. (im Folgenden: Landratsamt) vom 25. Januar 2023 für den Neubau eines Forschungsgebäudes mit Büro und Labornutzung auf dem Grundstück Fl.Nr. …, Gemarkung G. bei M. (Anschrift: …-str. 12, G. … bei M., im Folgenden Baugrundstück).
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Die Antragstellerin ist Erbbauberechtigte des Grundstücks Fl.Nr. …3, Gemarkung G. bei München (Anschrift: …-str. 14, … G. bei München), das östlich an das Baugrundstück angrenzt. Dieses Grundstück steht im Eigentum des Freistaat Bayerns. Mit notariell beglaubigtem Erbbaupachtvertrag vom 5. Dezember 1979 (Urk. R. Nr. B …) wurde ein Erbbaurecht an dem Grundstück zugunsten der Antragstellerin bestellt. Das Erbbaurecht wurde am 25. Juni 1981 in das Grundbuch eingetragen. Auf die von der Antragstellerin vorgelegte notarielle Urkunde, Urk. R. Nr. B …, und den Auszug des Grundbuchs von G. …, Band … Bl. …, wird Bezug genommen.
3
Sowohl das Baugrundstück als auch das Grundstück der Antragstellerin befinden sich im Geltungsbereich der Abstandsflächensatzung für den Bereich des Forschungs- und Hochschulgeländes der Stadt G. … bei München vom 26. Februar 2015 (im Folgenden: Abstandsflächensatzung).
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Unter dem 22. April 2021 beantragte die Beigeladene unter dem Betreff Neubau eines Forschungsgebäudes mit Büro und Labornutzung die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Gebäudes der Gebäudeklasse 4 auf dem (ungeteilten) Baugrundstück. Wegen der Einzelheiten wird auf die genehmigten Bauvorlagen Bezug genommen. Die Stadt G. … bei München hat ihr Einvernehmen erteilt.
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Der Freistaat Bayern hat als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … mit Erklärung vom 25. August 2022 eine Abstandsflächenübernahme erklärt (Bl. 151 f. der vorgelegten Behördenakten – BA). Die Erklärung über die Zustimmung gemäß Art. 6 Abs. 2 BayBO zur Abstandsflächenübernahme ist von der Antragstellerin nicht unterschrieben.
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Mit Bescheid des Landratsamts vom 25. Januar 2023 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung für das o.g. Vorhaben erteilt. Von der Garagen- und Stellplatzverordnung wurde wegen der Reduzierung der erforderlichen Stellplätze auf 16 Stellplätze eine Abweichung erteilt. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde der Antragstellerin am 5. Mai 2023 zugestellt (Bl. 232 BA).
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Die Antragstellerin ließ hiergegen mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 31. Mai 2023, beim Verwaltungsgericht eingegangen am selben Tag, Klage erheben (Az. M 9 K 23.2683), über die noch nicht entscheiden wurde.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 12. Juli 2023 ließ die Antragstellerin beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Bescheid vom 25. Januar 2023 anzuordnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Baugenehmigung aufgrund eines Verstoßes gegen das Abstandsflächenrecht als rechtswidrig erweise. Das Vorhaben halte die nach § 2 Abs. 1 der Abstandsflächensatzung vorgegebene Abstandsfläche von 0,4 H nicht ein. Auf das Grundstück Fl.Nr. … würden Abstandsflächen mit einer Tiefe von 3,64 m geworfen. Eine Abweichung diesbezüglich sei weder erteilt worden noch wäre diese zulässig. Es sei auch nicht wirksam in die Übernahme der Abstandsflächen vom verfügungsbefugten Nachbarn eingewilligt worden. Zwar sei eine Zustimmung des Freistaats Bayern als Grundstückseigentümer erfolgt, allerdings sei die Antragstellerin als Erbbauberechtigte der Nachbar. Die Bestellung des Erbbaurechts führe weiter dazu, dass der Eigentümer eines Grundstücks jedenfalls nicht allein verfügungsbefugt sei. Die Antragstellerin als Erbbauberechtigte sei Nachbar im bauordnungsrechtlichen Sinn, da sie insoweit die Position des Grundstückseigentümers einnehme. Der Erbbauberechtigte verdränge den Eigentümer im Baugenehmigungsverfahren aus seiner verfahrensrechtlichen Position. Dies gelte ebenso im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 Var. 3 BayBO. Ferner sei der Abstandsflächenübernahme nicht wirksam zugestimmt worden, da der Eigentümer nicht verfügungsbefugt gewesen sei und die verfügungsbefugte Erbbauberechtigte nicht ihre Zustimmung erklärt habe. Da eine Abstandsflächenübernahme Verfügungscharakter besitze, setze die Wirksamkeit der Zustimmung eine entsprechende Verfügungsbefugnis voraus. Unerheblich sei insoweit der Rechtsinhalt des Erbbaurechts. Dies zeige sich nicht zuletzt darin, dass das Abstandsflächenrecht grundstücksbezogen sei und auf die dingliche Berechtigung abhebe. Durch den Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht werde die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
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Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 20. Juli 2023 die Behördenakten vorgelegt.
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Der Bevollmächtigte der Beigeladenen hat mit Schreiben vom 4. August 2023 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Verletzung der abstandsflächenrechtlichen Anforderungen nicht vorliege. Das Vorhaben halte unter Berücksichtigung der erklärten Abstandsflächenübernahme des Eigentümers des Grundstücks Fl.Nr. … die erforderlichen Abstandsflächen von 0,4 H ein. Eine zusätzliche Abstandsflächenübernahme der Antragstellerin sei nicht erforderlich. Eine alleinige Abstandsflächenübernahme des Erbbauberechtigten könne aufgrund der nur noch relativ kurzen Laufzeit des Erbbaurechts nicht in Betracht kommen. Die Befugnis der Beigeladenen zum Nachweis der Abstandsflächen ergebe sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO. Vorliegend sei es rechtlich und tatsächlich gesichert, dass die Antragstellerin aufgrund ihres Erbbaurechts keine Berechtigung habe, am westlichen Rand des Grundstücks Fl.Nr. … den fraglichen Streifen mit einer Tiefe von 3,64m zu überbauen und diesen Streifen auch nicht zum Nachweis der eigenen Abstandsflächen für die Kraft des Erbbaurechts einzig mögliche Bebauung zu nutzen. Das Erbbaurecht beziehe sich ausschließlich auf das vorhandene Bestandsgebäude; nur dieses Bestandsgebäude entspreche den in der notariellen Urkunde in Bezug genommenen Plänen. Die Erstellung weiterer Bauwerke sei der Antragstellerin ausdrücklich untersagt. Damit sei in Bezug auf das Erbbaurecht auf die maßgebliche Dauer die Nichtbebaubarkeit des fraglichen Streifens rechtlich gesichert. Ebenso sei gesichert, dass es nicht zu einer Überlappung der Abstandsflächen kommen könne, da vor der östlichen Außenwand der Antragstellerin eine Fläche mit einer Tiefe von 4 m verbliebe, die zum Nachweis der Abstandsfläche von 3,91 m ausreiche. Eine Überlappung könne auch nicht durch künftige Bautätigkeiten der Antragstellerin eintreten, da dieser kein Recht dazu zustehe.
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Mit Schriftsätzen des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 11. August 2023 und 24. August 2023 wurde die Antragsbegründung im Wesentlichen dahingehend ergänzt, dass das Zustimmungserfordernis des Erbbauberechtigten unabhängig von der Laufzeit bestehe. Eine zeitliche Einschränkung sei in Art. 66 Abs. 3 Satz 1 BayBO nicht vorgesehen. Überdies handele es sich bei einer Restlaufzeit von 18 Jahren um eine erhebliche Zeitspanne. Die Nichtbebaubarkeit der Fläche auf dem Grundstück Fl.Nr. … sei auch nicht gesichert, da eine Sicherung auf unabsehbare Zeit erforderlich sei. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs komme es für eine ausreichende Sicherung der Nichtüberbaubarkeit entscheidend auf eine Rechtsposition an, über die die Grundstückseigentümer nicht disponieren könnten. Der Erbbaurechtsvertrag schließe eine weitere Bebauung nicht aus, vielmehr seien nach Ziff. B.II.2.b) des Vertrages die Durchführung von Bauvorhaben auf dem Erbbaurechtsgelände sowie spätere wesentliche Änderungen des Gebäudes schlicht von der Zustimmung des Grundstückseigentümers abhängig. Auf die Schriftsätze wird im Übrigen Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 17. August 2023 führte der Bevollmächtigte der Beigeladenen im Wesentlichen weiter aus, dass es für die Dauerhaftigkeit der rechtlichen Sicherung der Nichtbebaubarkeit nur auf die Dauer des Erbbaurechts selbst ankomme, da der Erbbauberechtigten nach Beendigung des Erbbaurechts jegliche Berechtigung zur Verfügung über das Grundstück fehle. Über die Regelung nach Ziff. B.II.2.b) könne keine Erweiterung des Erbbaurechts erfolgen. Der Antragstellerin stehe keine Befugnis zu, das Grundstück Fl.Nr. … mit weiteren baulichen Anlagen zu bebauen. Demzufolge bedürfe es auch zur Sicherung der Nichtüberbaubarkeit keiner beschränkten persönlichen Dienstbarkeit am Erbbaurecht der Antragstellerin. Ebenso sei ausgeschlossen, dass der Antragstellerin künftig durch Änderung des Erbbauvertrages das Recht eingeräumt werden könnte, den fraglichen Grundstücksstreifen auf Grundstück Fl.Nr. … zu nutzen, da dem die vom Grundstückseigentümer erklärte Abstandsflächenübernahme als Verfügung über das Grundstück gesichert im Wege stehe. Auf den Schriftsatz wird im Übrigen Bezug genommen.
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Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 22. August 2023 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Abstandsfläche durch die Übernahmeerklärung der Grundstückseigentümerin der Fl. Nr. … wirksam auf das Nachbargrundstück verlagert werde. Die Zustimmung der Antragstellerin sei nicht erforderlich. Auf den Schriftsatz wird im Übrigen Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren, Az. M 9 K 23.2683, und auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen Bezug genommen.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 9 K 23.2683) gegen die Baugenehmigung vom 25. Januar 2023 hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist. Denn die Klage in der Hauptsache wird voraussichtlich Erfolg haben, da die streitgegenständliche Baugenehmigung nach summarischer Prüfung die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften des Art. 6 BayBO und damit eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende und zugunsten der Antragstellerin drittschützende Vorschrift verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Der zulässige Antrag ist begründet.
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I. Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eines Dritten, hier des Nachbarn, die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessungsentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Hauptsache als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei.
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Zu berücksichtigen ist, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden, subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m. w. N). Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (sog. Schutznormtheorie, vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 42 Rn. 89 ff.).
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II. Gemessen hieran ergibt die im Antragsverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche summarische Prüfung anhand der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten samt Plänen, dass die Klage der Antragstellerin voraussichtlich Erfolg haben wird, weil die angefochtene Baugenehmigung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Vorhaben hält die erforderlichen Abstandsflächen zum östlich gelegenen Grundstück der Antragstellerin nicht ein, was diese auch rügen kann.
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1. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten, wobei die Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst liegen müssen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Eine Abstandsfläche ist nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Abstandsflächen dürfen sich ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden, oder wenn der Nachbar gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich zustimmt (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO).
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1.1 Die Abstandsflächen liegen hier nicht entsprechend Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Vorhabengrundstück selbst. Denn die Tiefe der Abstandsfläche beträgt nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO i.V.m. § 2 Abs. 1 Abstandsflächensatzung 6,64 m. Auf dem Vorhabengrundstück selbst besteht zur östlichen Grundstückgrenze ein Abstand von nur etwa 3 m.
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1.2 Das östlich angrenzende Nachbargrundstück darf vorliegend nicht für die Abstandsflächen des streitgegenständlichen Vorhabens in Anspruch genommen werden, da weder eine wirksame Abstandsflächenübernahme noch eine rechtlich oder tatsächlich gesicherte Nichtüberbaubarkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO vorliegt.
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1.2.1 Eine wirksame Abstandsflächenübernahme gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 BayBO zugunsten des streitgegenständlichen Vorhabens liegt nicht vor. Vorliegend hat zwar der Eigentümer des östlich angrenzenden Nachbargrundstücks seine Zustimmung zur Übernahme der Abstandsflächen erklärt, die erforderliche Zustimmung der Antragstellerin als Nachbar fehlt aber.
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Der Antragstellerin wurde gemäß Erbbaupachtvertrag vom 5. Dezember 1979 (Urk. R. Nr. B …) durch den Freistaat B. als Grundstückseigentümer ein Erbbaurecht am Grundstück Fl.Nr. … für 60 Jahre ab Eintragung bestellt. Die Eintragung des Erbbaurechts ins Grundbuch erfolgte am 25. Juni 1981.
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Die Zustimmung zur Übernahme der Abstandsflächen stellt eine Verfügung über das Grundstück dar (vgl. nur Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2023, Art. 6 Rn. 120). Bei der Zustimmung handelt es sich um eine empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung des Nachbarn. Berechtigt zu ihrer Abgabe sind der Eigentümer, Erbbauberechtigte und sonstige dingliche Verfügungsberechtigte nach dem Privatrecht (vgl. Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2023, Art. 6 Rn. 125). Bei einer Mehrheit von Berechtigten bedarf es der Zustimmung aller Berechtigten (vgl. Laser in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 6 Rn. 61).
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Dies deckt sich auch mit dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen: Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 BayBO hat die Zustimmung zur Übernahme von Abstandsflächen durch den Nachbarn zu erfolgen. Der Erbbauberechtigte verdrängt den Eigentümer gemäß Art. 66 Abs. 3 Satz 1 BayBO grundsätzlich aus seiner Position als Nachbar (vgl. VG München, U.v. 17.3.1999 – M 9 K 97.7487 – juris Rn. 26 zu Art. 7 Abs. 5 BayBO a.F.). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff des Nachbarn in Art. 6 BayBO anders als in Art. 66 BayBO regeln wollte, bestehen nicht. Vielmehr unterfällt die Zustimmungserklärung den gleichen Regelungen wie die Nachbarunterschrift nach Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO (vgl. Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2023, Art. 6 Rn. 124). Zudem handelt es sich beim Erbbaurecht gemäß § 11 Abs. 1 Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG) um ein grundstücksgleiches Recht, welches den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG genießt (vgl. Wendt in Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 14 GG Rn. 24; BVerwG, U.v. 29.10.1982- 4 C 51.79 – juris Rn. 22). Die Erstreckung von Abstandsflächen auf benachbarte Grundstücksflächen, welche mit einem Erbbaurecht belastet sind, beinhaltet daher einen erheblichen Grundrechtseingriff in das Recht des Erbbauberechtigten (vgl. zum Grundrechtseingriff durch Erstreckung von Abstandsflächen auf benachbarte Grundstücke etwa BayVGH, B.v. 23.1.2018 – 2 ZB 16.2066 – juris Rn. 7) mit der Folge, dass auch aus diesem Grund grundsätzlich eine Zustimmung des Erbbauberechtigten zur Übernahme von Abstandsflächen erforderlich ist.
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Somit hätte neben dem Eigentümer auch die Antragstellerin als Erbbauberechtigte einer Übernahme der Abstandsflächen zustimmen müssen. Ob es ausreicht, wenn der Erbbauberechtigte alleine zustimmt bzw. die Zustimmung des Eigentümers zusätzlich erforderlich ist, kann vorliegend dahinstehen, da jedenfalls die Zustimmung der Antragstellerin als Erbbauberechtigte fehlt.
35
Es bedarf entgegen der Auffassung der Beigeladen nicht deswegen keiner Zustimmung der Antragstellerin als Erbbauberechtigte zur Übernahme der Abstandsflächen, weil die Laufzeit des für sie bestellten Erbbaurechts ausweislich der Regelungen des Erbbaupachtvertrags vom 5. Dezember 1979 (Urk. R. Nr. B …) nur noch 18 Jahre beträgt. Zum einen handelt es sich bei der ausstehenden Laufzeit, die mehr als ein Viertel der vereinbarten Laufzeit von 60 Jahren beträgt, um keine relativ kurze Zeitspanne, in der die Antragstellerin durch eine Übernahme der Abstandsflächen betroffen wäre. Zum anderen ergibt sich eine solche zeitliche Komponente in Bezug auf die Zustimmung zur Übernahme von Abstandsflächen bzw. eine solche Beschränkung der Verfügungsbefugnis aus dem Erbbaurecht weder aus dem ErbbauRG selbst noch aus Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 BayBO bzw. Art. 66 Abs. 3 Satz 1 BayBO.
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Die Zustimmung der Antragstellerin zur Übernahme der Abstandsflächen ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil es der Antragstellerin gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO, bezogen auf die rechtliche Unmöglichkeit i.V.m. zivilrechtlichen Regelungen, im Rahmen ihres Erbbaurechts rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist, den Bereich der mit dem Erbbaurecht belasteten Fläche, welche von der Abstandsflächenübernahme betroffen ist, zu überbauen, und sie somit von der Abstandsflächenübernahme in ihrem Erbbaurecht nicht betroffen ist. Es müsste hierbei durch die Umstände des Einzelfalls auf Dauer ausgeschlossen sein, dass die den fehlenden Abstandsflächen entsprechenden Flächen auf dem Nachbargrundstück überbaut werden und damit auch keine Überlappung mit von für vorhandene oder rechtlich zulässige Gebäude erforderlichen Abstandsflächen verbunden ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2010 – 2 ZB 10.1216 – juris Rn. 16). Im Hinblick auf den bereits erwähnten erheblichen Grundrechtseingriff in das Erbbaurecht durch eine Erstreckung der Abstandsflächen muss die Unüberbaubaukeit des Grundstücks mit der notwendigen Sicherheit festgeschrieben sein (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2018 – 2 ZB 16.2066 – juris Rn. 7). Gemäß Ziff. B.II.2. des notariell beglaubigten Erbbaupachtvertrags vom 5. Dezember 1979 (Urk. R. Nr. B 1254/1979) ist die Antragstellerin berechtigt und verpflichtet, auf dem Grundstück ein zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendiges, den beigehefteten Plänen entsprechendes Bauwerk auf ihre Kosten zu errichten und ausschließlich für diesen Zweck auf die Dauer des Erbbaurechtes zu nutzen. Die Erstellung weiterer Bauwerke ist nicht gestattet. Die Durchführung von Bauvorhaben auf dem Grundstück sowie spätere wesentliche Änderungen des Gebäudes bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Grundstückseigentümers. Daraus ergibt sich aber nicht, dass es der Antragstellerin vorbehaltlich der Zustimmung des Grundstückseigentümers unmöglich ist, ihr Bestandsgebäude sowohl in die Höhe als auch in die Breite zu erweitern, was unmittelbare Folgen für die von ihr einzuhaltenden Abstandsflächen hätte. Für eine solche Auslegung des Erbbaupachtvertrags spricht, dass nur die Errichtung weiterer Bauwerke nicht gestattet ist, Aussagen zu einer Erweiterung des Bestandgebäudes in dieser Regelung aber nicht getroffen werden. Diese Auslegung widerspricht auch nicht § 2 Nr. 1 ErbbauRG, der für eine wirksame Bestellung des Erbbaurechts zwar eine hinreichend bestimmte Festlegung des zulässigen Bauwerks verlangt, es allerdings auch ermöglicht, die Errichtung weiterer Anlangen neben dem eigentlichen Bauwerk ebenso wie die Veränderung vorhandener Bauwerke und Anlagen von der Zustimmung des Grundstückseigentümers abhängig zu machen (vgl. Maaß in Bauer/Schaub, GBO, 4. Auflage 2018, Allgemeiner Teil, F. Rn. 64; Maaß in Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand: 1.8.2023, § 2 ErbbauRG Rn. 5).
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Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Zustimmung des Grundstückseigentümers zur Übernahme der Abstandsflächen gegenüber dem Antragsgegner eine dauerhafte Nichtzustimmung zu jeder wesentlichen Änderung des Bestandsgebäudes darstellt. Zum einen müsste eine solche Erklärung gegenüber der Antragstellerin erfolgen. Zum anderen würde eine solche Erklärung nur zwischen den Parteien des Erbbauvertrages wirken und hätte damit nicht die wie im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO geforderte dauerhafte Ausschlusswirkung (vgl. Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2023, Art. 6 Rn. 106). Zudem bedarf es vorliegend ausweislich der notariellen Urkunde nur bei wesentlichen Änderungen des Gebäudes einer Zustimmung des Eigentümers. Somit ist nicht ausgeschlossen, dass es zu unwesentlichen Änderungen des Bestandsgebäudes der Antragstellerin kommen könnte, welche dennoch Auswirkungen auf die Abstandsflächen haben können. Darüber hinaus ist anerkannt, dass sich eine Verpflichtung des Grundstückseigentümers ergeben kann, baulichen Veränderungen zuzustimmen, wenn und soweit die Gebäudeveränderungen für diesen zumutbar sind, insbesondere wenn sie sich unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Gebäudes im Rahmen des – bei einer Nutzung über mehrere Jahrzehnte – Üblichen und Normalen halten, und berücksichtigenswerte Interessen des Grundstückseigentümers nicht entgegenstehen (vgl. BayObLG, B.v. 11.12.1986 – Breg 3 Z 113/86 – NJW-RR 1987, 459).
38
1.2.2 Es liegt auch keine rechtlich oder tatsächlich gesicherte Nichtüberbaubarkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO der betreffenden Flächen auf dem östlich angrenzenden Nachbargrundstück vor.
39
Wie oben bereits dargelegt kann die Antragstellerin vorbehaltlich der Zustimmung durch den Grundstückseigentümer das Bestandsgebäude erweitern, so dass ein Fall der rechtlich gesicherten Nichtüberbaubarkeit nicht gegeben ist. Zudem fehlt es entgegen dem Vortrag der Beigeladenen an einer für eine Nichtüberbaubarkeit aus privatrechtlichen Gründen grundsätzlich erforderlichen Grunddienstbarkeit zulasten der Antragstellerin (vgl. Hahn in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2023, Art. 6 Rn. 115; VG München, U.v. 29.2.2016 – M 8 K 15.5673 – juris Rn. 38). Ein Ausnahmefall in Form einer ausnahmsweise genügenden sonstigen dinglichen Sicherung (wie sie sich u.U. beispielsweise aus einem Wegerecht ergeben könnte) ist ebenfalls nicht gegeben. Insbesondere wäre eine – vorliegend ohnehin nicht gegebene – Nichtüberbaubarkeit infolge von Beschränkungen des Erbbaurechts durch den notariell beglaubigten Erbbaupachtvertrag für eine rechtlich gesicherte Nichtüberbaubarkeit gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO nicht ausreichend, da eine entsprechende Beschränkung, anders als die Zustimmungsbedürftigkeit bei Veräußerung, Belastung des Erbbaurechts, nicht ins Grundbuch eingetragen wurde, so dass eine dingliche Wirkung gegenüber Dritten nicht besteht (vgl. § 6 Abs. 1 ErbbauRG, vgl. zur Eintragungsfähigkeit einer Zustimmungsbedürftigkeit von baulichen Veränderungen OLG Saarbrücken, B.v. 12.2.2020 – 5 W 83/19 – BeckRS 2020, 3169). Zusätzlich würde eine etwaige Sicherung der Nichtüberbaubarkeit durch solche Beschränkungen weder zugunsten der Beigeladenen als Eigentümerin, die ihre Abstandsflächen auf die Flächen des Nachbargrundstücks erstrecken will, noch zugunsten des Antragsgegners als Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde wirken, was aber für eine rechtlich gesicherte Nichtüberbaubarkeit erforderlich wäre (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2007 – 2 CS 07.81 – BeckRS 2007, 29356). Letzteres folgt hier auch nicht daraus, dass der Antragsgegner gleichzeitig Eigentümer des Nachbargrundstücks und Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde ist, da der Antragsgegner das Nachbargrundstück veräußern könnte und somit im Hinblick auf die für eine Erstreckung gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO erforderliche Dauerhaftigkeit keine Sicherung der Nichtüberbaubarkeit zugunsten des Trägers der Bauaufsichtsbehörde vorliegt.
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2. Die Erteilung einer Abweichung hinsichtlich der somit entgegen den Regelungen des Art. 6 BayBO auf das Nachbargrundstück fallenden östlichen Abstandsflächen des Vorhabens dürfte ebenfalls nicht in Betracht kommen. Eine solche ist weder beantragt noch wurde sie erteilt, da sowohl die Beigeladene als auch der Antragsgegner von der Prämisse ausgehen, dass das Nachbargrundstück für die Abstandsflächen des Vorhabens in Anspruch genommen werden kann, was – wie gezeigt – aber nicht der Fall ist. Nach summarischer Prüfung bestehen unabhängig davon aber auch erhebliche Bedenken hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO. Wegen der auf dem Vorhabengrundstück verbleibenden Abstandsfläche mit einer Tiefe von etwa 3 m statt den erforderlichen 6,64 m und dem Fehlen von Umständen, die das ausgleichen könnten, ist nicht erkennbar, dass bzw. warum trotzdem eine Abweichung unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein könnte.
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3. Die Antragstellerin kann die Nichteinhaltung von Abstandsflächen rügen, da sie als Erbbaurechtsberechtigte des an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Nachbarin im baurechtlichen Sinne ist (vgl.bereits oben) und die Vorschriften der Bayerischen Bauordnung über die Einhaltung von Abstandsflächen in ihrer Gesamtheit dem Nachbarschutz dienen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 13.12.2004 – 20 CS 04.2915 – juris Rn. 13 m.w.N.).
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Nach alldem wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung angeordnet.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 1 VwGO. Die Beigeladene hat einen Sachantrag gestellt und sich insofern einem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO), das aufgrund des erfolglosen Antrags mit einer Kostenbelastung im tenorierten Umfang berücksichtigt wird. Es entspricht der Billigkeit i.S.d. § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
44
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts.