Titel:
Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“, Polnische Berufsausbildung, Gleichwertigkeit
Normenketten:
MPhG § 2
PhysTh-AprV § 1
Anlage 1 PhysThAprV
Schlagworte:
Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“, Polnische Berufsausbildung, Gleichwertigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 27006
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die im Jahr 1987 geborene Klägerin, eine polnische Staatsangehörige, macht mit ihrer Klage einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ geltend.
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Die Klägerin absolvierte von Oktober 2006 bis Oktober 2011 an der … in … eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Am ... erhielt sie das Abschlussdiplom des Studiums ersten Grades („Licencjat Fizjoterapia“), am ... das Abschlussdiplom des Studiums zweiten Grades („Magister Fizjoterapia“).
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Am 23. März 2018 beantragte die Klägerin bei der Regierung von Oberbayern (Regierung) die Anerkennung ihrer Ausbildung und die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut/in“. Hierzu ließ sie durch den stellvertretenden Geschäftsführer des … München, welcher eine entsprechende Vollmacht vorlegte und mitteilte, dass eine Anstellung der Klägerin beim … München beabsichtigt sei, Unterlagen zu ihrer Ausbildung und ihren bisherigen Beschäftigungsverhältnissen vorlegen. Vorgelegt wurden unter anderem die an der … für Körpererziehung in … erworbenen Abschlussdiplome, eine Bescheinigung der Polnischen Nationalen Physiotherapeutenkammer vom ... über das Recht der Klägerin auf Ausübung des Physiotherapeutenberufs sowie Nachweise über ihre bisherige berufliche Tätigkeit. Bestätigt wurden eine Zusammenarbeit im Rahmen eines Auftragsvertrages über physiotherapeutische Leistungen vom ... bis zum ... bei der Firma … in … (Bescheinigung vom ...*) sowie eine Beschäftigung als Junior-Assistentin beim Institut für Psychiatrie und Neurologie in … seit dem ... (Bescheinigung vom ...*).
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Mit E-Mail vom 1. August 2018 bat die Regierung die Klägerin um Nachreichung von Arbeitszeugnissen mit Beschreibung ihrer Tätigkeiten und Verantwortlichkeit sowie der wöchentlichen Arbeitszeit in Originalsprache und deutscher Sprache als amtlich beglaubigte Kopie bis zum ... Die Klägerin erklärte mit E-Mail vom 2. August 2018, dass es Zwischenzeugnisse in Polen nicht gebe. Ein Arbeitszeugnis, welches im Übrigen eine völlig andere Form habe als ein deutsches Arbeitszeugnis, erhalte man lediglich im Falle des Abschlusses eines Arbeitsvertrags und erst am Tag des Arbeitsabschlusses. Ihr jetziges Arbeitsverhältnis sei jedoch noch nicht beendet. Bei ihrer vorangegangenen Beschäftigung habe es sich nicht um ein Arbeits-, sondern um ein Dienstverhältnis gehandelt. Sie könne jedoch Dokumente nachreichen, die eine Beschreibung der Verantwortlichkeit der Klägerin am Arbeitsplatz sowie ihre wöchentliche Arbeitszeit zum Gegenstand hätten.
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Die Regierung teilte der Klägerin mit E-Mail vom selben Tag mit, dass die beschriebenen Dokumente nicht ausreichen würden. Erforderlich seien qualifizierte Arbeitszeugnisse mit Beschreibung der Tätigkeiten, Verantwortlichkeit sowie der wöchentlichen Arbeitszeit. Da solche Dokumente nach Aussage der Klägerin in Polen nicht ausgestellt würden, werde über den Antrag anhand der bereits vorgelegten Unterlagen abschließend entschieden.
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Die Klägerin ließ daraufhin über ihren vormaligen Bevollmächtigten am 26. Oktober 2018 weitere Unterlagen bei der Regierung nachreichen. Vorgelegt wurden unter anderem eine Bescheinigung der Firma … vom ... über die dort ausgeübte Tätigkeit sowie ein Zeugnis des Instituts für Psychiatrie und Neurologie … vom ... mit einer Auflistung der dortigen täglichen Tätigkeiten der Klägerin.
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Mit Bescheid vom 18. Dezember 2018, an den vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin versandt am 21. Dezember 2018, stellte die Regierung fest, dass die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes der Klägerin mit dem einer nach dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz ausgebildeten Physiotherapeutin nicht gegeben sei und ihr die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut/in“ nicht erteilt werden könne (Nr. 1). Der Klägerin wurde das Wahlrecht zwischen einem Anpassungslehrgang und einer Eignungsprüfung eingeräumt, um die Gleichwertigkeit ihres Studiums mit der deutschen Ausbildung zu Physiotherapeutin nachzuweisen (Nr. 2). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes der Klägerin mit einer nach dem Masseur- und Physiotherapeutengesetz (MPhG) ausgebildeten Physiotherapeutin nicht gegeben sei. Ihr Studium weise wesentliche inhaltliche Abweichungen hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten auf, die eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Physiotherapeutenberufs in Deutschland seien. Die Fächer „Spezielle Krankheitslehre“, „Hygiene“, „Elektro-, Licht-, Strahlentherapie“, „Hydro-, Balneo-, Thermo- und Inhalationstherapie“ sowie „Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten“ würden völlig fehlen bzw. hätten nicht vollständig nachgewiesen werden können. Ob alle in der deutschen Ausbildung zur Physiotherapeutin gelehrten Fachgebiete in der praktischen Ausbildung der Klägerin abgedeckt worden seien, habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, da die Praktika nicht eindeutig medizinischen Fachgebieten hätten zugeordnet werden können. Es seien auch keine Praktika-Einrichtungen angegeben, in denen die Praktika absolviert worden seien. Fehlende oder nur mangelhafte Kenntnisse und Fertigkeiten hinsichtlich der in § 8 MPhG beschriebenen Aufgaben könnten zu einer erheblichen Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Patienten führen. Aus den vorgelegten Arbeitszeugnissen gehe nicht eindeutig hervor, dass die Klägerin alle festgestellten Defizite in ihrer praktischen und theoretischen Ausbildung durch ihre Berufstätigkeit ausgeglichen habe.
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Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 16. Januar 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München durch den von ihren vormaligen Bevollmächtigten Klage erheben lassen. Ein Klageantrag wurde nicht gestellt.
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Zur Begründung der Klage ließ die Klägerin im Wesentlichen vortragen, dass sie entgegen den Feststellungen in dem streitgegenständlichen Bescheid immer noch am Institut für Psychiatrie und Neurologie beschäftigt sei. Außerdem entsprächen die Qualifikationen der Klägerin dem gemäß der RL 2005/36/EG geforderten Niveau. Die Fächer „Elektro, Licht- und Strahlentherapie“ sowie „Hydro-, Balneo-, Thermo- und Inhalationstherapie“ seien in den Fächern „Physikotherapie“ und „Physikalische Medizin“ enthalten. Die Fächer „Spezielle Krankheitslehre“ und „Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten“ seien aus der jeweiligen Anlage zu den Diplomen der Klägerin ersichtlich.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 21. Januar 2019 wurde der vormalige Bevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass bezüglich der Verfahrensbevollmächtigung Bedenken hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 VwGO bestünden.
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Eine in der Behördenakte befindliche hausinterne ärztliche Stellungnahme der Regierung vom ... kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass in den Fächern „Elektro-, Licht- und Strahlentherapie“ sowie „Hydro-, Thermo- und Inhalationstherapie“ die Inhalte vergleichbar zur deutschen Ausbildung vermittelt worden seien und sie über gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Die vorgelegten Fächeraufstellungen der beiden von der Klägerin absolvierten Studiengänge im Bachelorstudiengang enthielten unter anderem die Fachbezeichnung „Physikotherapie“ und im Magisterstudiengang die Fachbezeichnungen „Physikalische Medizin“ und „Balneo- und Klimatherapie“ sowie „Biologische Erneuerung“. Unterlagen über die Lehrinhalte der einzelnen Fächer seien nicht vorgelegt worden. Aus den Fachbezeichnungen alleine könnten die detaillierten Inhalte nicht geschlossen werden. Lediglich der Bereich „Balneotherapie“ scheine erkennbar abgedeckt zu sein. Auch das Arbeitszeugnis über die Tätigkeit als Physiotherapeutin in der Neurologischen Klinik des Instituts für Psychiatrie und Neurologie in … vom ... beschreibe nur den Einsatz in der Physikotherapie ohne weitere Erläuterungen. Im Fach „Spezielle Krankheitslehre“ seien Inhalte der deutschen Ausbildung „Innere Medizin“, „Orthopädie/Traumatologie“, „Chirurgie/Traumatologie“, „Neurologie“, „Psychiatrie“, „Gynäkologie und Geburtshilfe“, „Pädiatrie“, „Dermatologie“, „Geriatrie“, „Rheumatologie“, „Arbeitsmedizin“ sowie „Sportmedizin“. Es sei nicht erkennbar, dass diese Inhalte unter den Fachbezeichnungen „Klinische Diagnostik und Spezialfächer“ gelehrt worden seien. Die Fächer „Allgemeine Physiologie und Neurophysiologie“, „Anstrengungsphysiologie“, „Allgemeine Pathophysiologie“ und „Physiologische Diagnostik“ könnten aus medizinischer Sicht nicht dem Fach „Spezielle Krankheitslehre“ zugeordnet werden. Die in der Klageschrift zum Fach „Methodische Anwendungen der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten“ genannten Fächer seien durch die Regierung bei der Prüfung einbezogen und berücksichtigt worden. Nicht genannt seien in den vorgelegten Fächeraufstellungen die Fachgebiete „Arbeitsmedizin“ und „Sportmedizin“. Gleiches gelte für das Fach „Hygiene“. Nachweise über die Einrichtungen, in denen die Praktika abgeleistet wurden und über die medizinischen Fachgebiete seien ebenfalls nicht vorgelegt worden. Berufspraxis sei lediglich im Fach Neurologie bescheinigt worden.
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Die Regierung von Oberbayern beantragte für den Beklagten mit Schreiben vom 20. Februar 2019 und vom 28. Februar 2019
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Feststellungen in der ärztlichen Stellungnahme vom ... Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 27. April 2020 teilte die Regierung mit, dass nach Rücksprache mit der Klägerin und ihrem vormaligen Bevollmächtigten der Sachverhalt nach Vorlage weiterer aktueller Arbeitszeugnisse einer erneuten Überprüfung mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung unterzogen werde. Eine Terminierung könne daher vorerst unterbleiben.
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Mit weiterem Schreiben vom 16. Dezember 2020 teilte die Regierung mit, dass im Berufszulassungsverfahren ein aktuelles Arbeitszeugnis vom ... nachgereicht worden sei. Nach ärztlicher Auswertung sowie anschließender rechtlicher Beurteilung sei nicht von einem Ausgleich der wesentlichen Unterschiede durch Berufserfahrung auszugehen. Vorgelegt wurden ein Zeugnis von … … vom ..., wonach die Klägerin dort seit ... als Physiotherapeutin beschäftigt ist, sowie eine hausinterne ärztliche Stellungnahme vom ... Hiernach passe die Aufgabenbeschreibung der Klägerin in dem nachgereichten Arbeitszeugnis auf Patienten mit Erkrankungen aus dem Fachgebiet der Neurologie, dem in dem Zeugnis genannten Schwerpunkt der Einrichtung. Aus fachlicher Sicht könnten bei der Klägerin daher im Fachgebiet Neurologie in Theorie und Fachpraxis und in der praktischen Anwendung gleichwertige Kenntnisse angenommen werden. Das Berufsbild der Physiotherapeutin sei neben der Anwendung der Physiotherapie bei Patienten mit neurologischen Krankheitsbildern geprägt von physiotherapeutischer Therapie bei Patienten mit orthopädischen Krankheitsbildern, aber auch bei Patienten der Chirurgie und Traumatologie, der Inneren Medizin und der Gynäkologie und Geburtshilfe mit speziellen Techniken sowie den besonderen Anforderungen der Pädiatrie. Eine Berufserfahrung der Klägerin in diesen Fachbereichen gehe aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. Oktober 2022 wurde der vormalige Bevollmächtigte der Klägerin unter Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 21. Januar 2019 nochmals darauf hingewiesen, dass Zweifel an seiner Vertretungsbefugnis im Sinne des § 67 Abs. 2 VwGO bestünden. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17. Oktober 2022 gegeben sowie mitgeteilt, dass das Gericht andernfalls die Zurückweisung als Prozessbevollmächtigter beabsichtige.
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Mit E-Mail vom 10. Oktober 2022 teilte der vormalige Klägerbevollmächtigte mit, dass dem zugestimmt werde.
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Mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 wurde der von der Klägerin Bevollmächtigte als Prozessbevollmächtigter zurückgewiesen.
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Die Parteien erklärten mit Schreiben vom 30. März und 9. Mai 2023 den Verzicht auf mündliche Verhandlung.
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Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Über den Rechtsstreit kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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II. Die zulässige Klage, welche trotz der Zurückweisung des vormaligen Bevollmächtigten der Klägerin wirksam erhoben wurde (§ 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO) und dahingehend auszulegen ist, dass die Aufhebung des Bescheides der Regierung vom 18. Dezember 2018 begehrt wird sowie deren Verpflichtung, der Klägerin die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ zu erteilen (§ 88 VwGO), ist unbegründet. Der Bescheid der Regierung vom 18. Dezember 2018 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung ihrer in Polen erworbenen Ausbildung als gleichwertig sowie auf die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Physiotherapeutin“ nach § 2 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz – MPhG) i.d.F. d. Bek. v. 26.5.1994 (BGBl. I S. 1084), zuletzt geändert durch Gesetz v. 11.7.2021 (BGBl. I S. 2754), sofern sie weder einen Anpassungslehrgang absolviert noch eine Eignungsprüfung abgelegt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Der Prüfungsmaßstab ergibt sich vorliegend aus § 2 Abs. 3 MPhG, da die Klägerin die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 MPhG für eine Erteilung einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MPhG vorgeschriebene Ausbildung nicht im Bundesgebiet abgeleistet hat, jedoch im Besitz eines Ausbildungsnachweises aus Polen, einem Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes, ist. § 2 Abs. 3 MPhG stellt als Ausfluss der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255/22 v. 30.9.2005 – RL 2005/36/EG) bei Vorliegen einer Ausbildung aus einem anderen Mitgliedsstaat, für die im Inland das Recht der gegenseitigen Anerkennung nach der Richtlinie greift, gegenüber § 2 Abs. 2 MPhG eine Privilegierung dar und gilt vorrangig. Nach § 2 Abs. 3 Satz 5 MPhG haben Antragsteller mit einem derartigen Ausbildungsnachweis einen höchstens dreijährigen Anpassungslehrgang zu absolvieren oder eine Eignungsprüfung abzulegen, wenn die Ausbildung des Antragstellers hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit Fächer oder Bereiche der praktischen Ausbildung umfasst, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die nach diesem Gesetz und nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten vorgeschrieben sind (Nr. 1), oder der Beruf des Physiotherapeuten eine oder mehrere reglementierte Tätigkeiten umfasst, die im Herkunftsstaat des Antragstellers nicht Bestandteil des Berufs sind, der dem des Physiotherapeuten entspricht, und wenn sich die Ausbildung für diese Tätigkeiten auf Fächer oder Bereiche der praktischen Ausbildung nach diesem Gesetz und nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten bezieht, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die von der Ausbildung der Antragsteller abgedeckt sind (Nr. 2). Fächer oder Bereiche der praktischen Ausbildung unterscheiden sich nach § 2 Abs. 3 Satz 6 MPhG wesentlich, wenn die nachgewiesene Ausbildung des Antragstellers wesentliche inhaltliche Abweichungen hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten aufweist, die eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Physiotherapeutenberufs in Deutschland sind. Wesentliche Unterschiede können ganz oder teilweise durch Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeglichen werden, die der Antragsteller im Rahmen seiner tatsächlichen und rechtmäßigen Ausübung des Physiotherapeutenberufs in Voll- oder Teilzeit oder durch lebenslanges Lernen erworben hat, sofern die durch lebenslanges Lernen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten von einer dafür in dem jeweiligen Staat zuständigen Stelle formell als gültig anerkannt wurden; dabei ist nicht entscheidend, in welchem Staat diese Kenntnisse und Fähigkeiten erworben worden sind.
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2. Unter Heranziehung dieses Maßstabs und unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten Ausbildungsnachweise weist die von der Klägerin absolvierte Ausbildung wesentliche Unterschiede zu der in Deutschland geregelten Ausbildung als Physiotherapeutin auf. Die Ausbildung der Klägerin umfasst hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit Fächer und Bereiche der praktischen Ausbildung, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die für die Ausbildung nach dem MPhG und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten vorgeschrieben sind (§ 2 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 MPhG). Die festgestellten wesentlichen Defizite ihres Ausbildungsstandes können auch nicht nach § 2 Abs. 3 Satz 7 MPhG ausgeglichen werden.
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Zwar hat die Klägerin durch die an der Universität … erworbenen Studienabschlüsse in Physiotherapie („Licencjat Fizjoterapia“ und „Magister Fizjoterapia“) Diplome im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 MPhG in Form von Ausbildungsnachweisen gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c RL 2005/36/EG erworben, die das in Art. 11 Buchst. b RL 2005/36/EG genannte Niveau übersteigen. Aus den beiden vorgelegten Diplomen nebst Notenbescheinigung und der Bescheinigung über die abgeleisteten Stunden geht hervor, dass die Klägerin eine Ausbildung erworben hat, die in Polen für den unmittelbaren Zugang zu einem dem Beruf des Physiotherapeuten entsprechenden Beruf genügt.
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Jedoch besteht ein hieraus resultierender Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Erlaubnis nach § 2 Abs. 3 Satz 5 MPhG nicht, da wesentliche Unterschiede zwischen der Ausbildung der Klägerin und der Ausbildung von Physiotherapeuten und -therapeutinnen nach dem MPhG und der konkretisierenden Ausbildung und Prüfungsordnung für Physiotherapeuten (v. 6.12.1994, BGBl. I S. 3786), zul. geändert durch Art. 10 der Verordnung v. 7.6.2023, BGBl. I S. 148 – PhysTh-APrV) bestehen, die nicht vollständig durch etwaige Berufserfahrung der Klägerin ausgeglichen werden konnten.
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Gemäß § 1 Abs. 1 PhysTh-APrV dauert die Ausbildung für Physiotherapeuten in Deutschland drei Jahre und umfasst zum einen mindestens den in der Anlage 1 zur PhysTh-APrV aufgeführten theoretischen und praktischen Unterricht von 2.900 Stunden sowie zum anderen die dort aufgeführte praktische Ausbildung von 1.600 Stunden. Dies entspricht dem Ziel einer möglichst praktisch-orientierten Physiotherapeutenausbildung, das der PhysTh-APrV zu Grunde liegt (vgl. § 1 Abs. 3 PhysTh-AprV).
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a) Die theoretische Ausbildung zur Physiotherapeutin umfasst im Bundesgebiet unter anderem die Fächer „Spezielle Krankheitslehre“, „Hygiene“, „Elektro-, Licht-, Strahlentherapie“, „Hydro-, Balneo-, Thermo- und Inhalationstherapie“ sowie „Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten“, wobei diese Bereiche in Anlage 1 der PhysTh-APrV jeweils näher spezifiziert werden. So beinhalten die Fächer „Spezielle Krankheitslehre“ und „Methodische Anwendung der Physiotherapie in den medizinischen Fachgebieten“ jeweils die Teilbereiche „Arbeitsmedizin“ (5.11 und 20.10) und „Sportmedizin“ (5.12 und 20.11), das Fach „Elektro-, Licht-, Strahlentherapie“ die Teilbereiche „Einführung in die Elektrotherapie, physikalische Grundlagen“ (18.1), „Einführung in die Elektrodiagnostik“ (18.2), „Elektrotherapie mit nieder-, mittel- und hochfrequenten Stromformen, Ultraschallbehandlung“ (18.3), Grundlagen der Lichttherapie“ (18.4) und Grundlagen der Strahlentherapie“ (18.5) und das Fach „Hydro-, Balneo-, Thermo- und Inhalationstherapie“ unter anderem die Teilbereiche „Grundlagen und Anwendungen in der Thermotherapie“ (19.2) sowie „Grundlagen und Anwendungen in der Inhalationstherapie“ (19.3).
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Den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen lässt sich nicht entnehmen, dass ihre polnische Ausbildung diese Bereiche abdeckt. Das Fach „Hygiene“ fehlt in den Studienbescheinigungen der Klägerin vollständig. Den übrigen oben genannten und von der Anlage 1 der PhysTh-APrV geforderten Fächern der deutschen Ausbildung lassen sich die in der jeweiligen Anlage zum Lizenziat und zum Magister genannten Ausbildungsfächer begrifflich nur teilweise zuordnen. Da die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen keine Inhaltsbeschreibungen der gelehrten Fächer enthalten, lassen sie keinen Rückschluss über die konkreten Inhalte der von der Klägerin absolvierten Ausbildung und damit über eine Ausbildung der Klägerin in den oben genannten Bereichen zu.
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b) Dessen ungeachtet weist auch die praktische Ausbildung der Klägerin wesentliche Unterschiede zu der in Deutschland zu fordernden Ausbildung auf. Die jeweilige Anlage zum Lizenziat und zum Magister führt zwar mehrwöchige Berufs- und klinische Praktika der Klägerin auf. Aus den vorgelegten Unterlagen lässt sich jedoch weder entnehmen, bei welchen Einrichtungen diese Praktika im Einzelnen absolviert wurden, noch, welche Bereiche diese Ausbildung umfasst hat. Von daher ist es nicht auszuschließen, dass essenzielle Bereiche der deutschen Ausbildung überhaupt nicht abgedeckt worden sind.
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Die genannten Bereiche sind ihrer Natur nach auch als wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs der Physiotherapeutin anzusehen (§ 2 Abs. 3 Satz 6 MPhG).
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c) Die Klägerin kann diese Unterschiede auch nicht nach § 2 Abs. 3 Satz 7 MPhG durch Kenntnisse und Fähigkeiten ausgleichen, die sie im Rahmen einer etwaigen Berufspraxis als Physiotherapeutin erworben hat. Das von der Klägerin vorgelegte Arbeitszeugnis des Instituts für Psychiatrie und Neurologie vom ... bescheinigt der Klägerin Berufspraxis lediglich im Bereich der Neurologischen Rehabilitation. Den Bescheinigungen der Firma … vom ... und vom ... lässt sich ebenfalls keine berufliche Tätigkeit der Klägerin in den als defizitär eingestuften Bereichen entnehmen. Gleiches gilt für das von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren nachgereichte Arbeitszeugnis von … … vom ... Ein Ausgleich kommt mangels Nachweises einschlägiger Berufspraxis mithin nicht in Betracht.
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II. Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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III. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.