Titel:
Unwirksamer Widerruf eines zum Zwecke der Finanzierung eines Pkw - BMW Typ 330d Touring - geschlossenen Darlehensvertrages
Normenketten:
BGB § 242, § 355
BGB § 492 Abs. 2, § 495 Abs. 1 (idF bis 20.03.2016)
VerbrKrRL Art. 10, Art. 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein „ewiges Widerrufsrecht“ ist mit Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL nicht zu vereinbaren. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die VerbrKrRL bestimmt keine Mindest-, sondern eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht ist § 495 Abs. 1 BGB a. F. (i. V. m. § 491 BGB a. F., § 355 BGB) dahingehend zu verstehen, dass das darin vorgesehene Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann, sobald der Verbraucherkreditvertrag von den Vertragsparteien allseitig vollständig erfüllt worden ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 495 Abs. 1 BGB ist (nach Ansicht des Senats) zwingend richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Käufer des Pkw im Mai 2019 – und damit nach vorheriger kompletter Abwicklung des Darlehensvertrages im Jahr 2018 – rechtlich nicht mehr möglich war. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein „ewiges Widerrufsrecht“ ist mit den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. (Rn. 26 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
6. Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, können nur innerstaatliche Gerichte beurteilen. (Rn. 41 – 50) (redaktioneller Leitsatz)
7. Das Widerrufsrecht zielt darauf ab, ein noch bestehendes Vertragsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft inhaltlich abzuändern. Existiert wegen vollständiger Erfüllung sämtlicher wechselseitiger Forderungen jedoch kein Vertrag mehr, geht die Ausübung des Widerrufsrechts ins Leere, da es nichts umzugestalten gibt. (Rn. 54 – 57) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlehensvertrag, Finanzierung, Widerruf, Widerrufsrecht, richtlinienkonform, Gestaltungsrecht, dilatorisches Leistungsverweigerungsrecht
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 10.11.2022 – 29 O 9381/21
Fundstellen:
MDR 2023, 1394
LSK 2023, 26980
BKR 2023, 762
NJOZ 2023, 1563
BeckRS 2023, 26980
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 10.11.2022 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses und das genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs eines zwischen ihnen zum Zwecke der Finanzierung eines Fahrzeugkaufs geschlossenen Darlehensvertrags.
2
Am 17.04.2015 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Kreditvertrag über einen Nettodarlehensbetrag von 19.362,57 € und Zinsen von 1.152,20 € (im Folgenden: Darlehensvertrag; s. Anlagen DB 1, B 2). Vereinbart wurde ein effektiver Jahreszins von 2,99 % p.a. Hiermit wurde der Kauf eines als Gebrauchtfahrzeug erworbenen Pkw, Marke BMW, Typ 330d Touring, Fahrzeugidentifikationsnummer … (im Folgenden: Kfz), durch den Kläger bei der … GmbH, … (im Folgenden: Kfz-Verkäuferin), finanziert. Der Kaufpreis betrug 43.000 €. Der Kläger leistete eine Anzahlung aus Eigenmitteln von 25.000 €. Das Darlehen wurde zudem zur Finanzierung dreier Versicherungen eingesetzt, einer „Ratenschutzversicherung Tod und AU“, einer „Ratenschutzversicherung AL/SK“ und einer „Shortfall GAP Versicherung“. In der Valuta von 19.362,57 € sind daher insgesamt 1.362,57 € für die Bezahlung der diesbezüglichen Einmalprämien enthalten. Der Nettodarlehensbetrag wurde von der Beklagten direkt an die Kfz-Verkäuferin und die Versicherungsunternehmen ausgekehrt. Das Darlehen war in 35 – jeweils Tilgung und Zins enthaltenden – monatlichen Raten zu je 400 € und einer Schlussrate von 6.514,68 € zurückzuzahlen.
3
Im Darlehensvertrag (Anlagen DB 1, B 2, jeweils S. 1) wurde unter der Überschrift „Ausbleibende Zahlungen“ u.a. Folgendes ausgeführt:
„Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr sowie (…) berechnet.“
4
In der dem Kläger ausgehändigten Widerrufsinformation (Anlage DB 1, S. 3) finden sich u.a. nachfolgende Angaben:
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angaben von Gründen widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nach Sie alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten haben.“
5
Unter „Widerrufsfolgen“ steht neben anderem:
„Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 0,00 Euro zu zahlen.“
6
Das Darlehen wurde am 07.05.2018 vollständig zurückgeführt (s. Anlage DB 5).
7
Mit Telefax vom 15.05.2019 (Anlage DB 2) widerrief der Kläger den Darlehensvertrag, was die Beklagte mit Schreiben vom 23.05.2019 zurückwies (Anlage DB 3).
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Der Kläger ist immer noch im Besitz des Kfz.
9
Der Kläger begehrt im Kern die Rückabwicklung des Darlehensvertrages und der damit verbundenen Verträge, da sein Widerruf wirksam, insbesondere fristgemäß erfolgt sei. Der Darlehensvertrag enthalte fehlerhafte und unvollständige Pflichtangaben. Er begehrt die Rückzahlung der auf das Darlehen geleisteten Tilgung i.H.v. 19.362,57 € inklusive der damit finanzierten Versicherungsprämien, der gezahlten Zinsen von 1.152,20 € sowie der Anzahlung von 25.000 €, wobei er sich keinen bezifferten Wertverlust des Kfz anrechnen lässt.
10
Das Landgericht wies mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage als derzeit unbegründet ab. Die Beklagte könne dem Anspruch des bezüglich der Rückgabe des Kfz vorleistungspflichtigen Klägers das Leistungsverweigerungsrecht nach § 358 Abs. 4 S. 1, 5, § 357 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. entgegenhalten.
11
Dagegen richten sich die mit Schriftsatz vom 14.12.2022 (Bl. 1 f. d. OLG-eAkte) eingelegte und mit Schriftsatz vom 23.02.2023 (Bl. 10 ff. d. OLG-eAkte) begründete Berufung des Klägers.
das Urteil des Landgerichts abzuändern zu erkennen wie folgt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 45.514,77 € abzüglich einer im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen nach Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke BMW, Typ: 330d Touring, FIN: … nebst Schlüsseln und Fahrzeugpapieren.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 03.07.2019 mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 € freizustellen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
14
Die Beklagte beantragt für den Fall, dass der Senat dem Klageantrag zu 1 stattgeben sollte, im Wege der Hilfs-Widerklage zuletzt:
Es wird festgestellt, dass die Klagepartei verpflichtet ist, Wertverlust für den BMW 330d Touring, Fahrgestell-Nr. … bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs zu ersetzen, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
15
Der Kläger beantragt insoweit,
die Hilfs-Widerklage abzuweisen.
16
Ergänzend und wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die klägerische Berufungsbegründung vom 23.02.2023 (Bl. 10 ff. d. OLG-eAkte), die Berufungserwiderung vom 17.04.2023 (Bl. 25 ff. d. OLG-eAkte) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien samt Anlagen verwiesen.
17
Am 26.06.2023 fand vor dem Senat eine mündliche Verhandlung statt, wegen deren Inhalts und Verlaufs auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 59 ff. d. OLG-eAkte) Bezug genommen wird.
18
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
19
1. Zwar stand dem Kläger bei Abschluss des mit einem Kfz-Kaufvertrag und drei Versicherungsverträgen (BGH, Beschluss v. 23.06.2020, Az. XI ZR 491/19, Rz. 11; Urteil v. 18.01.2011, Az. XI ZR 356/09, Rz. 19 ff.; Urteil v. 15.12.2009, Az. XI ZR 45/09, Rz. 13) nach § 358 Abs. 3 BGB in der vom 13.06.2014 bis 20.03.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) verbundenen Darlehensvertrags vom 17.04.2015 (Anlagen DB 1, B 2) gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 491 BGB – beide in der vom 13.06.2014 bis 20.03.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) –, § 355 BGB ein Widerrufsrecht zu und die Widerrufsfrist begann vorliegend nicht zu laufen, da der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB in der vom 13.06.2014 bis 20.03.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise erhielt.
20
Die Beklagte erfüllte ihre aus § 492 Abs. 2 BGB a.F. i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB in der vom 13.06.2014 bis 20.03.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) resultierende Verpflichtung nicht ordnungsgemäß, über das nach § 495 Abs. 1 BGB a.F. bestehende Widerrufsrecht zu informieren.
21
a) Die der Klägerin erteilte Widerrufsinformation ist fehlerhaft, weil die in ihr enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. …)“ (Anlagen DB 1, S. 3) zwar nach den Maßstäben des nationalen Rechts klar und verständlich i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB a.F. ist, dies aber im Geltungsbereich der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (im Folgenden: VerbrKrRL) in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge bei einer richtlinienkonformen Auslegung gleichwohl zu verneinen ist (BGH, Urteil v. 14.06.2022, Az. XI ZR 552/20, Rz. 12; Urteil v. 25.01.2022, Az. XI ZR 559/20, Rz. 11; Urteil v. 10.11.2020, Az. XI ZR 426/19, Rz. 14 ff.; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 13 ff.)
22
b) Die Beklagte hat zudem ihre aus § 492 Abs. 2 BGB a.F., Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB in der vom 11.06.2010 bis 20.03.2016 geltenden Fassung resultierende Verpflichtung, über Verzugszinssatz und Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß erfüllt. Bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen im Anwendungsbereich der VerbrKrRL erfordert die Information über den Verzugszinssatz die Angabe des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden konkreten Prozentsatzes (BGH, Urteil v. 24.05.2022, XI ZR 166/21, Rz. 11; Urteil v. 12.04.2022, XI ZR 179/21, Rz. 11 f.). Dies ist hier nicht erfolgt (Anlagen DB 1, B 2, jeweils S. 1).
23
2. Gleichwohl bestand zum Zeitpunkt der klägerischen Widerrufserklärung am 15.05.2019 (Anlage DB 2) kein Widerrufsrecht des Klägers mehr.
24
§ 495 Abs. 1 BGB a.F. (i.V.m. § 491 BGB a.F., § 355 BGB) ist hier nach Ansicht des Senats zwingend richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Ausübung des dort geregelten Widerrufsrechts durch den Kläger im Mai 2019 – und damit nach vorheriger kompletter Abwicklung des Darlehensvertrages im Jahr 2018 – rechtlich nicht mehr möglich war.
25
a) Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen in den Schlussanträgen der Generalanwälte Gerard Hogan vom 15.07.2021 in den verbundenen Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20 vor dem EuGH (ECLI:EU:C:2021:629; im Folgenden: SA Hogan) und Anthony M. Collins vom 16.02.2023 in den verbundenen Rechtssachen Az. C-38/21, C-47/21 und C-232/21 (ECLI:EU:C:2023:107; im Folgenden: SA Collins), wonach Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL dahin auszulegen ist, dass das darin vorgesehene Widerrufsrecht überhaupt nicht mehr ausgeübt werden kann, sobald der Kreditvertrag von den Vertragsparteien – wie vorliegend – vollständig erfüllt worden ist (SA Hogan Rz. 106, 109 a.E.; SA Collins Rz. 158).
26
Ein „ewiges Widerrufsrecht“ ist danach mit den europarechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren (SA Collins Rz. 147).
27
Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL begründet ein Widerrufs- und kein Rücktrittsrecht und die Vertragserfüllung ist die natürliche Form des Erlöschens vertraglicher Verpflichtungen (SA Hogan Rz. 106; SA Collins Rz. 150).
28
Diese Schlussfolgerung wird durch den 34. Erwägungsgrund der VerbrKrRL bestätigt (SA Hogan Rz. 107; SA Collins Rz. 150), wonach diese Richtlinie ein Widerrufsrecht entsprechend den in der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (im Folgenden: FernFin-RL) vorgesehenen Bedingungen vorsieht. Nach Art. 6 Abs. 2 lit. c) FernFin-RL ist aber das durch sie geschaffene Widerrufsrecht ausgeschlossen bei Verträgen, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten bereits voll erfüllt sind, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt.
29
Weiterhin ist in Blick zu nehmen, dass der Zweck der Informationspflichten in Art. 10 VerbrKrRL darin besteht, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, vom Umfang seiner Rechte und Pflichten bei der Vertragsdurchführung Kenntnis zu nehmen. Diese Verpflichtungen sind daher obsolet, sobald der Vertrag vollständig erfüllt worden ist. Es ist daher zur Erreichung der mit dieser Vorschrift verfolgten Ziele nicht erforderlich, dem Verbraucher die Ausübung seines Widerrufsrechts zu ermöglichen, sobald der Vertrag tatsächlich bereits erfüllt ist (SA Hogan Rz. 108; SA Collins Rz. 150).
30
b) Zwar war nach § 7 Abs. 1 VerbrKrG a.F. im deutschen Verbraucherkreditrecht bereits ab 1991 ein Widerrufsrecht bei Verbraucherkrediten verankert, welches die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit noch nicht vorsah.
31
§ 495 Abs. 1 BGB a.F., der dieses Widerrufsrecht erstmals mit der Schuldrechtsmodernisierung 2002 ins BGB überführte, setzt jedoch Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL um (BT-Drs. 16/11643, S. 83; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 495 Rz. 1; Knops in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.01.2023, § 495 BGB Rz. 11; Möller in: BeckOK BGB, 66. Ed., Stand: 01.05.2023, § 495 Rz. 2; Weber in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 495 Rz. 3; Krämer in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 495 Rz. 1; Pöschke in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 17. Aufl., § 495 Rz. 1 Roth in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Aufl., § 495 BGB Rz. 1).
32
c) Die VerbrKrRL bestimmt aber keine Mindest-, sondern eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge (s. auch Senatsbeschluss v. 04.04.2023, Az. 19 U 1790/22, juris Rz. 65 ff.).
33
Ob eine Maßnahme der Union eine abschließende Regelung beabsichtigt, ist durch Auslegung unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihrer Zielsetzung und ihrer Regelungssystematik zu ermitteln (EuGH, Urteil v. 25.04.2002, Az. C-183/00, Rz. 25 [ECLI:EU:C:2002:255]; Urteil v. 25.04.2002, Az. C-154/00, Rz. 12 [ECLI:EU:C:2002:254]; Urteil v. 25.04.2002, Az. C-52/00, Rz. 16 [ECLI:EU:C:2002:252]).
34
Aus Art. 22 Abs. 1 VerbrKrRL in seiner Auslegung im Licht ihrer Erwägungsgründe 9 und 10 geht hervor, dass diese Richtlinie eine vollständige Harmonisierung der in ihren Geltungsbereich fallenden Kreditverträge vorsieht, und, wie sich aus der Überschrift von Art. 22 VerbrKrRL ergibt, zwingenden Charakter hat, was dahin zu verstehen ist, dass es den Mitgliedstaaten in den spezifisch von dieser Harmonisierung erfassten Bereichen nicht gestattet ist, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen (EuGH, Beschluss v. 12.10.2016, Az. C-511/15, C-512/15, Rz. 26 [ECLI:EU:C:2016:787]; Urteil v. 12.07.2012, Az. C-602/10, Rz. 38 [ECLI:EU:C:2012:443]; s. auch Nobbe, WM 2011, 625; Ady/Paetz, WM 2009, 1061 [1062]).
35
Bei einer gemeinschaftsrechtlichen Vollharmonisierung ist den Mitgliedsstaaten jeglicher Erlass von Regelungen verwehrt, die von den unionsrechtlichen Vorgaben abweichen, sofern nicht das Verfahren des Art. 114 Abs. 4-6 AEUV eingehalten wird (Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 114 AEUV Rz. 46). Weder der deutsche Gesetzgeber noch die Rechtsprechung dürfen folglich bei der Anwendung des § 495 Abs. 1 BGB a.F. von den Vorgaben des Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL – in der oben vorgenommenen Auslegung – abweichen und insbesondere dürfen die Gerichte daraus keine Rechte oder Pflichten ableiten, die in der VerbrKrRL nicht vorgesehen sind (EuGH, Urteil v. 09.11.2016, Az. C-42/15, Rz. 55 [ECLI:EU:C:2016:842]).
36
Damit gehört das Bestehen des Widerrufsrechts nur bis zur vollständigen beiderseitigen Erfüllung der Verpflichtungen aus einem Verbraucherdarlehensvertrag – und nicht darüber hinaus – zu den – bei richtiger Auslegung des Art. 14 Abs. 1 VerbrKrRL – geregelten und damit der Vollharmonisierung unterfallenden Gegenständen der VerbrKrRL. Da dies auch für den Fall des Verbunds an keiner Stelle der VerbrKrRL zurückgenommen oder modifiziert wird, würde es einen Verstoß gegen die Richtlinie darstellen, wollte die nationale Legislative oder Judikative das Widerrufsrecht auch nach Abwicklung des Vertrags weiterbestehen lassen.
37
d) Die in den Europäischen Verträgen vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und die in Art. 288 Abs. 3 AEUV verankerte Pflicht zu dessen richtlinienkonformer Auslegung zwingt den Senat daher dazu, in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht in der vorgeschilderten Auslegung § 495 Abs. 1 BGB a.F. (i.V.m. § 491 BGB a.F., § 355 BGB) dahingehend zu verstehen, dass das darin vorgesehene Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann, sobald der Verbraucherkreditvertrag von den Vertragsparteien allseitig vollständig erfüllt worden ist.
38
aa) Der EuGH hat die Methode der richtlinienkonformen Auslegung mit der Verpflichtung aller Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch der Gerichte begründet, das in einer Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen sowie alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen (EuGH, Urteil v. 23.04.2009, Az. C-378/07, Rz. 106 [ECLI:EU:C:2009:250]; Urteil v. 13.11.1990, Az. C-106/89, Rz. 8 [ECLI:EU:C:1990:395]; Urteil v. 10.04.1984, Az. C-14/83, Rz. 26 [ECLI:EU:C:1984:153]). Sie impliziert, dass bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses Recht unter Anwendung aller verfügbaren Auslegungsmethoden so ausgelegt wird, dass die Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinie ausgerichtet wird, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (EuGH, Urteil v. 19.01.2010, C-555/07, Rz. 48 [ECLI:EU:C:2010:21]; Urteil v. 10.04.1984, Az. C-14/83, Rz. 26 [ECLI:EU:C:1984:153], s. auch BVerfG, Beschluss v. 08.04.1987, Az. 2 BvR 687/85, juris Rz. 45).
39
bb) Allerdings findet die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege zugleich ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten (BVerfG, Beschluss v. 17.11.2017, Az. 2 BvR 1131/16, Rz. 37; Beschluss v. 26.09.2011, Az. 2 BvR 2216/06, Rz. 47). So verlangt auch der EuGH von den nationalen Gerichten nur, bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses „soweit wie möglich“ anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auszulegen (EuGH, Urteil v. 16.12.1993, Az. C-334/92, Rz. 20 [ECLI:EU:C:1993:945]; Urteil v. 13.11.1990, Az. C-106/89, Rz. 8 [ECLI:EU:C:1990:395]).
40
Ebenso hat der EuGH erkannt, dass die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit ihre Schranken findet und daher nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen darf (EuGH, Urteil v. 15.01.2014, Az. C-176/12, Rz. 39 [ECLI:EU:C:2014:2]; Urteil v. 16.07.2009, C-12/08, Rz. 61 [ECLI:EU:C:2009:466]; s. auch BVerfG, Beschluss v. 17.11.2017, Az. 2 BvR 1131/16, Rz. 37; BAG, Beschluss v. 13.09.2022, Az. 1 ABR 22/21, juris Rz. 30; BayObLG, Beschluss v. 11.01.2023, Az. Verg 2/21, juris Rz. 111).
41
Ob und inwieweit das innerstaatliche Recht eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung zulässt, können nur innerstaatliche Gerichte beurteilen (EuGH, Urteil v. 07.01.2004, Az. C-60/02, Rz. 58 [ECLI:EU:C:2004:10], BVerfG, Beschluss v. 26.09.2011, Az. 2 BvR 2216/06, Rz. 47; BGH, Urteil v. 18.11.2020, Az. VIII ZR 78/20, juris Rz. 28).
42
cc) Nach den vorstehend dargestellten, gemeinschafts- und verfassungsrechtlichen Vorgaben ist § 495 Abs. 1 BGB a.F. in der vom Senat vorgenommenen Weise auszulegen.
43
Der Senat respektiert im Rahmen seiner Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung, begibt sich nicht sich aus der Rolle des Normanwenders hinaus oder überschreitet die Grenze zu einer normsetzenden Instanz (aaa) und wahrt die innerstaatlich vorgegebenen methodischen Grenzen, da er von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung Gebrauch macht (bbb).
44
aaa) Der Sinn des gesetzlichen Widerrufsrechts von Verbrauchern besteht darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag an die Hand zu geben (BGH, Urteil v. 30.08.2018, Az. VII ZR 243/17, Rz. 34; Urteil v. 16.03.2016, Az. VIII ZR 146/15, juris Rz. 16; Urteil v. 25.11.2009, Az. VIII ZR 318/08, juris Rz. 17).
45
Zweck des in § 495 Abs. 1 BGB a.F. eingeräumten Widerrufsrechts ist es, dem Verbraucher Gelegenheit zu geben, das angebahnte Verbraucherdarlehensgeschäft noch einmal in Ruhe zu überdenken, Vergleichsangebote einzuholen und gegebenenfalls seine auf den Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung rückgängig zu machen, um seine Entschließungsfreiheit zu wahren (Nietsch in: Erman, BGB, 16. Aufl., § 495 Rz. 1). Dies gilt umso mehr aufgrund der regelmäßig erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung einer Kreditaufnahme (Knops in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 15.01.2023; § 495 BGB Rz. 1).
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Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher vor Risiken, die er nicht überblickt (OLG Karlsruhe, Urteil v. 17.10.2000, Az. 17 U 206/99, juris Rz. 52), und damit vor übereilten und unüberlegten Willenserklärungen bewahren, die von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite sein können (BGH, Urteil v. 15.04.2010, Az. III ZR 218/09, juris Rz. 13; Urteil v. 27.06.2000, Az. XI ZR 322/98, juris Rz. 19; Urteil v. 19.11.1998, Az. VII ZR 424/97, juris Rz. 14; Urteil v. 01.03.1990, Az. VII ZR 159/89, juris Rz. 10, 19).
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Ist allerdings ein – grundsätzlich widerruflicher – Vertrag vollständig abgewickelt, bleibt für diese Überlegungs- und Übereilungsschutzfunktion kein sinnvoller Raum mehr. Jede billigenswerte Bedenkens- und Vergleichsfrist ist damit verstrichen. Sämtliche – insbesondere wirtschaftliche – Risiken, welche mit Darlehensvertragsschluss und -durchführung verbunden gewesen sein mochten, haben sich entweder verwirklicht oder erledigt. Der Zweck des Widerrufsrechts ist spätestens damit entfallen. Es gibt nun grundsätzlich kein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Verbrauchers mehr, den Vertrag nun doch noch rückabzuwickeln.
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Allein allgemeine, namentlich späte Vertragsreue stellt keinen Grund für einen Widerruf dar (OLG Stuttgart, Urteil v. 29.12.2011, Az. 6 U 79/11, juris Rz. 39; OLG Frankfurt, Urteil v. 08.02.2012, Az. 19 U 26/11, juris Rz. 42).
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Etwas anders mag in Ausnahmefällen gelten, etwa falls der Verbraucher aufgrund besonderer Umstände unverschuldet nicht in der Lage ist, das Widerrufsrecht vor vollständiger Vertragsabwicklung auszuüben oder diese ohne dessen Willen herbeigeführt wird, z.B. durch von ihm ungewollte, aufgrund § 267 Abs. 1 BGB aber wirksame Erfüllung Dritter. Dann könnte sich das Berufen der Bank auf das Erlöschen des Widerrufsrechts gegebenenfalls als treuwidrig darstellen, § 242 BGB.
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bbb) Der Senat hat auch von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung Gebrauch gemacht. Er hat hierdurch die Grenzen herkömmlicher Gesetzesinterpretation und richterlicher Rechtsfortbildung gewahrt.
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a) So steht der Wortlaut des § 495 Abs. 1 BGB a.F. der vom Senat vorgenommen, richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegen.
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Danach steht dem Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Dies lässt sich zwanglos dahingehend verstehen, dass mit „Verbraucherdarlehensvertrag“ i.S.v. § 495 Abs. 1 BGB a.F. ein noch nicht vollständig abgewickelter und dadurch erloschener gemeint ist.
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Bei einem regulären Verlauf endet ein Schuldverhältnis damit, dass die geschuldete Leistung an den jeweiligen Gläubiger bewirkt wird, womit das Schuldverhältnis nach § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erlischt. Sind sämtliche wechselseitigen Forderungen – mithin Haupt-, Neben- und gegeben falls Sekundärleistungspflichten als Schuldverhältnisse i.e.S. gemäß § 241 Abs. 1 BGB – aus einem Vertragsverhältnis erfüllt, erlischt damit auch der Vertrag als Schuldverhältnis i.w.S. gemäß § 311 Abs. 1 BGB insgesamt. Dies gilt gleichermaßen im Falle von Erfüllungssurrogaten wie Aufrechnung (§ 389 BGB) oder Leistung an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB).
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β) Dies wird gestützt durch eine systematische Betrachtung der Rechtsnatur des Widerrufsrechts nach § 355 BGB.
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Beim Widerrufsrecht handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, welches das zunächst wirksam geschlossene Schuldverhältnis i.w.S. – im vorliegenden Zusammenhang den Verbraucherdarlehensvertrag – ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt (Müller-Christmann in: BeckOK BGB, 66. Ed., Stand: 01.05.2023, § 355 Rz. 15; Mörsdorf in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.06.2022, § 355 BGB Rz. 25; Fritsche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 355 Rz. 36; Koch in: Erman, BGB, 16. Aufl., § 355 Rz. 4). Damit zielt das Widerrufsrecht darauf, ein noch bestehendes Vertragsverhältnis mit Wirkung für die Zukunft inhaltlich abzuändern (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.01.2012, Az. I-6 W 221/11, juris Rz. 15). Existiert wegen vollständiger Erfüllung sämtlicher wechselseitiger Forderungen kein Vertrag mehr, geht die Ausübung des Widerrufsrechts ins Leere, da es nichts umzugestalten gibt.
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Der Senat sieht wohl, dass nach der Rechtsprechung des BGH dem Verbraucher ein Widerrufsrecht auch dann zusteht, wenn der Vertrag wegen Nichtigkeit oder Vertragskündigung bzw. -aufhebung nicht (mehr) existent ist. Dahinter steht der Gedanke, dass der Verbraucher die Möglichkeit erhalten soll, sich von dem geschlossenen Vertrag auf einfache Weise durch Ausübung des Widerrufsrechts zu lösen, ohne mit dem Unternehmer in eine rechtliche Auseinandersetzung über die Nichtigkeit des Vertrages eintreten zu müssen (BGH, Urteil v. 25.11.2009, Az. VIII ZR 318/08, Rz. 17 ff.) oder die mit sonstigen Nichtigkeits- oder Beendigungsgründen verbundenen, gegebenenfalls weniger günstigen Rechtswirkungen in Kauf nehmen zu müssen (BGH, Urteil v. 11.10.2016, Az. XI ZR 482/15, Rz. 28).
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Diese Argumente verfangen indessen nicht bei Erlöschen des Widerrufsrechts im Falle beiderseits vollständiger Leistungserbringung. Daher lässt sich die bisherige Rechtsprechung (so z.B. BGH, Urteil v. 25.04.2017, Az. XI ZR 314/16, Rz. 13, jedoch begründungslos), dass eine Beendigung des Darlehensvertrags durch komplette Abwicklung einem Widerruf nicht entgegensteht, bei europarechtskonformer Auslegung des § 495 Abs. 1 BGB a.F. nach Ansicht des Senats nicht weiter aufrechterhalten.
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γ) Ebenso ist die Auslegung des Senats von der ratio des verbraucherdarlehensrechtlichen Widerrufsrechts gedeckt (s.o.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 S. 2, § 711 S. 1, 2 i.V.m. § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats als Berufungsgericht oder die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
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Obwohl der BGH das Erlöschen des Widerrufsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung im Gegensatz zum Senat bislang grundsätzlich verneint (s.o.), besteht im Ergebnis kein Unterschied zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Kläger ist vorliegend noch im Besitz des Kfz. Der Beklagten steht somit nach der Rechtsprechung des BGH, welcher das Landgericht im angegriffenen Urteil folgt – selbst einen wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages unterstellt –, gemäß § 358 Abs. 4 S. 1 BGB a.F., § 357 Abs. 4 S. 1 BGB in der vom 13.06.2014 bis 27.05.2022 gültigen Fassung gegenüber dem insoweit vorleistungspflichtigen Kläger ein – von ihr geltend gemachtes – dilatorisches Leistungsverweigerungsrecht gegenüber sämtlichen, vom Kläger geltend gemachten Ansprüchen zu, bis sie das finanzierte Kfz zurückerhalten oder der Kläger den Nachweis erbracht hat, dass er das Kfz absandte (BGH, Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 153/21, Rz. 13; Urteil v. 26.07.2022, Az. XI ZR 154/21, Rz. 12; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 282./21, Rz. 12; Urteil v. 28.06.2022, Az. XI ZR 151/21, Rz. 12; Urteil v. 14.06.2022, Az. XI ZR 552/20, Rz. 17; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 237/21, Rz. 12; Urteil v. 24.05.2022, Az. XI ZR 166/21, Rz. 12; Urteil v. 12.04.2022, Az. XI ZR 179/21, Rz. 14; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 498/19, Rz. 23; Urteil v. 27.10.2020, Az. XI ZR 525/19, Rz. 23; Urteil v. 15.06.2021, Az. XI ZR 376/20, Rz. 18). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Somit wäre jedenfalls danach die Berufung zurückzuweisen.