Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 20.09.2023 – 15 U 2285/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen mangels Erwerbskausalität

Normenketten:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Käufer vor dem Erwerb eines Dieselfahrzeuges mit einem 3,0 Liter-Dieselmotor V6 TDI keine Recherchen zur Feststellung der Betroffenheit dieses Fahrzeugs von einem KBA-Rückruf unternommen, obwohl der sog. Dieselskandal zum Zeitpunkt des Kaufs bereits über zwei Jahre öffentlich bekannt war und sich aus der Medienberichterstattung auch die Betroffenheit von 3 Liter-Motoren des betreffenden Herstellers ergab, lässt dieses Verhalten bei verständiger Würdigung nur den Schluss darauf zu, dass ihm die Frage der Betroffenheit des Fahrzeugs schlicht gleichgültig war und für ihn kein maßgebliches Kaufkriterium darstellte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Thermofenster, Aufheizstrategie, Erwerbskausalität, Abschalteinrichtung, Dieselskandal
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 14.03.2022 – 43 O 1251/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26747

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.03.2022, Az. 43 O 1251/20 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 5.925,00 € festzusetzen.
3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
1. Die Berufung des Klägers erscheint unbegründet. Die Prüfung der Berufung durch den Senat hat weder ergeben, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, § 513 Abs. 1 ZPO. Das klageabweisende Ersturteil hält den Angriffen der Berufung vollumfänglich stand. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises zzgl. Darlehenszinsen abzgl. Nutzungsentschädigung und ersparter Schlussrate oder auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 15% des Kaufpreises steht dem Kläger auch nach Auffassung des Senats unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Da die Beklagte nicht Partei des Kaufvertrags vom 13.03.2018 ist, kommen allein deliktische Ansprüche in Betracht.
2
1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB zu.
3
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Es kann dahinstehen, ob und ggf. durch welches Verhalten im Zusammenhang mit der behaupteten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in strafrechtlich relevanter Weise getäuscht worden ist und ob die Täuschung fortgewirkt und beim Kläger einen strafrechtlich relevanten Irrtum erregt hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, Rn. 18).
4
2. Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz, da der Beklagten im Verhältnis zum Kläger kein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.
5
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 533/21, Rn. 12 mwN).
6
b) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die im Fahrzeug des Klägers eingebauten, vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandeten Vorrichtungen in Form der Aufheizstrategie und weiterer Strategien zur Abgasreduktion nach dem Vortrag des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind, für die Begründung der objektiven Sittenwidrigkeit im Sinne der §§ 826, 31 BGB nicht aus.
7
aa) Fallen – wie hier – das Inverkehrbringen des Fahrzeugs als potentiell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinander und hat der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert, kann dem Schädiger der Vorwurf eines objektiv sittenwidrigen Handelns nicht mehr gemacht werden. Denn im Falle der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen der §§ 826, 31 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, welche das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und im Hinblick auf den Schaden, der diesem entstanden ist, nicht gerechtfertigt ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn 14 mwN).
8
bb) Ein objektiv sittenwidriges Handeln der für die Beklagte handelnden Personen im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger lässt sich nicht feststellen.
9
Der Kläger erwarb am 13.03.2018 von einem Fahrzeughändler einen gebrauchten Audi SQ5, der mit einem von der Beklagten hergestellten 3,0 Liter-Dieselmotor V6 TDI, Schadstoffnorm Euro 6 ausgestattet ist. Unstreitig ist das Fahrzeug von einem verpflichtenden Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Die vom Erstgericht festgestellten Umstände rechtfertigen jedoch die Annahme einer die Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB ausschließenden Verhaltensänderung.
10
(1) Durch die vom Erstgericht festgestellten Maßnahmen der Beklagten sind wesentliche Umstände, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Entwicklung und Implementierung einer – unterstellt – manipulativen und prüfstandsbezogenen Aufheizstrategie und weiterer Strategien der Abgassteuerung tragen, bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs durch den Kläger entfallen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung kann das Verhalten der Beklagten bis zum Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages im März 2018 mit einer Täuschung nicht mehr gleichgesetzt werden. Selbst wenn analog zu den Feststellungen zur Gesinnung und zum Verhalten der Volkswagen AG gegenüber Käufern, die vor dem 22.09.2015 ein Fahrzeug mit einem Motor des Typs EA189 erwarben, dessen evident unzulässige Umschaltlogik den sog. Dieselskandal erst ausgelöst hat, unterstellt wird, dass auch die Beklagte ursprünglich aufgrund einer für ihr Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in großem Umfang Fahrzeuge mit Motoren mit unzulässiger Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat, womit eine erhöhte Belastung der Umwelt sowie die Gefahr einhergingen, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, hat das Erstgericht zu Recht wegen der festgestellten Verhaltensänderung den Vorwurf der Sittenwidrigkeit im maßgeblichen Erwerbzeitpunkt des Klägers nicht mehr für gerechtfertigt gehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022-VII ZR 391/21, Rn. 28 mwN).
11
(2) Nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts hatte die Beklagte ihren Vertragshändlern über ein internes Informationsportal u.a. mitgeteilt, dass die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die erforderliche Software-Aktualisierung verkauft werden dürfen, und den Vertragshändlern und Servicepartnern zu diesem Zweck ebenfalls über dieses Portal ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt, welches diese fortan Kaufinteressenten vor Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs aushändigen sollten (sog. Beipackzettel vgl. Anlagen B4, B5). Diesbezüglich hat das Landgericht das Verhalten der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu Recht als nicht (mehr) sittenwidrig angesehen und dabei insbesondere aus der Information der Vertragshändler und Servicepartner durch die Beklagte geschlossen, ihr sei es auch darum gegangen, dass Interessenten ein betroffenes Fahrzeug nicht ohne Kenntnis von dem verbindlichen Rückruf erwerben sollten. Ergänzend lässt sich die vorgelegte Pressemitteilung des KBA vom 08.12.2017 (Anlage K3) und die sich anschließende Medienberichterstattung heranziehen, durch die gewährleistet wurde, dass die Öffentlichkeit über die Maßnahmen des KBA informiert wurde. Diese Umstände tragen in einer Gesamtschau die rechtliche Bewertung, dass der Beklagten eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung bei Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr vorzuwerfen war (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 16).
12
Die Beklagte hat durch ihr Verhalten gezeigt, dass es ihr nicht mehr darauf ankam, die Fahrzeugkäufer im eigenen Kosten- und Gewinninteresse zu täuschen. Sie hat vielmehr umfangreiche Veranlassungen getroffen, um eine solche – durch ihre Vertragshändler vermittelte – Täuschung der Käufer zu verhindern. Aufgrund der verpflichtenden internen Anweisung auf der für die Kommunikation mit ihren Vertragshändlern maßgeblichen Plattform durfte die Beklagte davon ausgehen, dass Fahrzeugkäufer von den Vertragshändlern der Beklagten grundsätzlich Kenntnis von der unzulässigen Abschalteinrichtung erhalten. In Zusammenarbeit mit dem KBA hat die Beklagte zudem ein Software-Update entwickelt, das den gesetzeswidrigen Zustand und die Stilllegungsgefahr nach Freigabe durch das KBA beseitigt hat (BGH, Beschluss vom 12.01.2022 aaO Rn. 29). Auf den Freigabebescheid vom 26.11.2018 (Anlage B7) wird Bezug genommen.
13
(3) Die Beklagte hat durch die getroffenen Maßnahmen zumindest für den Fall des Weiterverkaufs der betroffenen Fahrzeuge durch Vertragshändler darauf hingewirkt, dass potentielle Käufer vor Vertragsschluss über die Betroffenheit des Fahrzeugs informiert werden. Für die Frage nach einer die Sittenwidrigkeit ausschließenden Verhaltensänderung des Schädigers kommt es nicht darauf an, ob ein Hersteller sichergestellt hat, dass die Informationen über den Rückruf des KBA und das Erfordernis eines Software-Updates zur Beseitigung einer unzulässigen Abschalteinrichtung tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhindert haben. Dass die Beklagte möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus (BGH, Urteil vom 26.06.2023 aaO Rn. 20 mwN).
14
Insgesamt fehlt es damit auch aus Sicht des Senats im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses im März 2018 an der für § 826 BGB geforderten besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen gegenüber dem Kläger.
15
c) Zu dem vom Kläger daneben herangezogenen Thermofenster hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden, dass das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Einen Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unterstellt, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nur erfüllt, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (BGH, BeSchluss vom 19.01.2021 -VI ZR 433/19, Rn. 16 ff.; Beschluss vom 09.03.2021 aaO Rn. 25 ff.; Urteil vom 13.07.2021 aaO Rn. 13 mwN). Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt danach voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 22 mwN). Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine – unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, können sich etwa aus unzutreffenden Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems im Typgenehmigungsverfahren ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 aaO Rn. 22, 24). Dem klägerischen Sachvortrag lassen sich für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte nicht entnehmen. Dahingehende Anhaltspunkte hat der Kläger weder erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz aufgezeigt.
16
3. Der Anspruch lässt sich schließlich auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stützen.
17
a) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sich zwar ein Anspruch auf Gewähr sog. großen Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht begründen. Dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs kann jedoch ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen, weil ihm aufgrund des Vertragsschlusses ein Vermögensschaden in Form eines Differenzschadens entstanden ist (BGH, Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 und VIa ZR 533/21). Der Bundesgerichtshof hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Da die hiesige Beklagte in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug nicht nur Motorherstellerin, sondern auch Fahrzeugherstellerin ist, kommt ihre Haftung auf den Differenzschaden nach den vorgenannten Grundsätzen grundsätzlich in Betracht.
18
b) In dem streitgegenständlichen Fahrzeug waren nach eigenem Vorbringen der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses sowohl ein Thermofenster als auch die vom KBA beanstandeten Vorrichtungen in Form der Aufheizstrategie und weiterer Strategien der Abgassteuerung verbaut. Insoweit kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass es sich hierbei um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne des Unionsrechts handelt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der – unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht oder nicht zu dem Kaufpreis erworben hätte.
19
aa) Dabei ist von folgenden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auszugehen:
20
Zur Erwerbskausalität kann sich der Kläger als Anspruchsteller bei der Inanspruchnahme der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf den Erfahrungssatz stützen, dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Für die Anwendung eines solchen Erfahrungssatzes ist nicht von Bedeutung, ob dem Käufer bei dem Erwerb des Kraftfahrzeugs die vom Fahrzeughersteller ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat. Denn erwirbt ein Käufer ein zugelassenes oder zulassungsfähiges Fahrzeug auch zur Nutzung im Straßenverkehr, wird er regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, zu denen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 FZV die Übereinstimmungsbescheinigung gehört, vorliegen und dass außerdem keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können. Auch ohne Kenntnisnahme der vom Fahrzeughersteller ausgegebenen Übereinstimmungsbescheinigung geht der Käufer typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 55 f).
21
Allerdings ist auch im Rahmen des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV die festgestellte Verhaltensänderung zu bewerten. Hat der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das wie in den Fällen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst begründet, dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des für die Gewähr des Differenzschadens maßgeblichen Erfahrungssatzes in Frage stellen, dass der Geschädigte den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Anders als bei der Frage, ob das Verhalten des Fahrzeugherstellers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch sittenwidrig war, muss allerdings nicht der Käufer, sondern der Fahrzeughersteller zur Widerlegung des Erfahrungssatzes die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (BGH, Urteile vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 56 und VIa ZR 533/21, Rn. 35).
22
bb) Nach dieser Maßgabe lässt sich nicht mit der für die tatrichterliche Überzeugung erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Kläger den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis in Kenntnis der – unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht geschlossen hätte.
23
Das Landgericht hat in zutreffender Weise darauf abgestellt, dass der Kläger nach dem Ergebnis seiner Parteianhörung vor dem Erwerb keine Recherchen zur Feststellung der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs von dem KBA-Rückruf unternommen hat, obwohl der sog. Dieselskandal zum Zeitpunkt des Kaufs bereits über zwei Jahre öffentlich bekannt war und sich aus der Medienberichterstattung auch die Betroffenheit von 3 Liter-Motoren der Beklagten ergab. Da bei dieser Sachlage entsprechende Recherchen nahegelegen hätten, wenn die Betroffenheit des Fahrzeugs von Bedeutung für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen wäre, und die Betroffenheit durch Recherche ohne großen Aufwand feststellbar gewesen wäre, lässt das Verhalten des Klägers bei verständiger Würdigung auch aus Sicht des Senats nur den Schluss darauf zu, dass ihm die Frage der Betroffenheit des Fahrzeugs schlicht gleichgültig war und für ihn kein maßgebliches Kaufkriterium darstellte. Wenn der Kläger schon nicht feststellen ließ, ob das Fahrzeug dem verpflichtenden Rückruf unterfiel und damit über eine Aufheizstrategie verfügte, die die zuständige Behörde zweifelsfrei als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, kann erst recht nicht davon ausgegangen werden, dass ihn die Kenntnis weiterer Strategien der Abgassteuerung – wie das unstreitig verbaute Thermofenster, das das KBA in ständiger Verwaltungspraxis nicht als unzulässige Abschalteinrichtung ansieht und bei dem es auch nach der Rechtsprechung des EuGH auf die konkrete Funktionsweise ankommt – davon abgehalten hätte, das Fahrzeug zu den vereinbarten Konditionen zu erwerben.
24
c) Darüber hinaus führt die festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten dazu, dass sie nicht schuldhaft gehandelt hat, als sie das Fahrzeug mit einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr gebracht hat.
25
Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden. Hat der Fahrzeughersteller die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekanntgegeben, die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lässt, und hat er eine Beseitigung der betreffenden Abschalteinrichtung allgemein, d.h. insbesondere nicht nur für neue, sondern auch für gebrauchte Kraftfahrzeuge veranlasst, kann ihm unter Umständen der Vorwurf einer fahrlässigen Schädigung solcher Käufer nicht mehr gemacht werden, die ein Fahrzeug nach der Verhaltensänderung des Herstellers gekauft haben (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 61). So liegt der Fall. Auf die obigen Ausführungen zu den Umständen, die die Annahme einer die Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB ausschließenden Verhaltensänderung rechtfertigen, sei verwiesen. Sie bewirken zugleich, dass der Beklagten auch ein nur fahrlässiges Verhalten im Zeitpunkt des Kaufs im März 2018 nicht mehr vorgeworfen werden kann.
II.
26
Da die Berufung nach alledem keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).