Titel:
Zweitbeschluss auf Eigentümerversammlung am Freitagnachmittag in Ferienzeit
Normenkette:
WEG § 25, § 43 Abs. 2 Nr. 4, § 45 S. 1
Leitsätze:
1. Die Durchführung einer Eigentümerversammlung an einem Freitagnachmittag und zur Ferienzeit ist nicht grundsätzlich unzulässig, wenn nicht die Abwesenheit einer Mehrheit der Eigentümer bekannt oder zu befürchten ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist befugt, über eine schon geregelte Angelegenheit erneut zu beschließen. Die Befugnis dazu ergibt sich aus der autonomen Beschlusszuständigkeit der Gemeinschaft. Der neue Beschluss muss jedoch schutzwürdige Belange eines Wohnungseigentümers aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses beachten. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eigentümerversammlung, Eigentümerbeschluss, Zweitbeschluss, Ferienzeit, Anfechtungsklage
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 05.10.2023 – 1 S 5857/23 WEG
Fundstellen:
ZMR 2023, 749
BeckRS 2023, 26532
LSK 2023, 26532
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Kläger sind jeweils hälftige Eigentümer eines 173/1.000 Miteigentumsanteils, verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit der Nr. 11 gekennzeichneten Wohnung der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft sowie eines Tiefgaragenstellplatzes (3/1.000 Miteigentumsanteil).
2
In der Eigentümerversammlung vom 20.07.2022 fasste die Eigentümerversammlung unter TOP 8 folgenden Beschluss:
„Den Eigentümern der Dachgeschosswohnung und wird gestattet, auf der Ostseite des Hauses im 2. Stock, rechte Haushälfte vom Eingang aus gesehen, auf der jetzigen Dachfläche einen Balkon zu errichten.[…]“
3
Der Beschluss wurde mit 332,00 MEA Ja-Stimmen gegen 182,00 MEA Nein-Stimmen bei 483,00 MEA Enthaltungen mehrheitlich angenommen.
4
Mit Schreiben vom 28.07.2022 lud die Verwalterin auf Wunsch der übrigen Eigentümer außer den Klägern zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung auf Freitag, den 19.08.2022, 14:00 Uhr mit den TOP 1 „Begrüßung und Eröffnung“ und TOP 2 „Beschlussfassung über die Aufhebung des Beschlusses, welcher unter TOP 8 in der Eigentümerversammlung vom 20.07.2022 gefasst wurde.“.
5
In der Eigentümerversammlung am 19.08.2022 waren außer dem Kläger zu 1) nur der Vertreter der Hausverwaltung als Versammlungsleiter anwesend. Insgesamt waren 997,00/1.000,00stel MEA anwesend bzw. durch Vollmacht vertreten. Sämtliche Eigentümer außer den Klägern hatten dem Versammlungsleiter gebundene Vollmachten erteilt.
6
Laut Protokoll wurde die Versammlung um 13:54 Uhr eröffnet und endete um 13:58 Uhr.
7
Unter TOP 2 wurde folgender Beschluss gefasst:
„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die Aufhebung des Beschlusses TOP 8 der ETV vom 20.07.2022.“
8
Der Beschluss wurde mit 821,00 MEA Ja-Stimmen gegen 176,00 MEA Nein-Stimmen mehrheitlich angenommen.
9
Auch um bzw. nach 14 Uhr erschien kein (weiterer) Eigentümer, der persönlich an der Versammlung teilnehmen wollte.
10
Die Kläger führen aus, dass es bereits gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung verstoßen habe, während der Sommerferien bzw. der bekannten Abwesenheiten (vgl. die durch Vollmachten vertretenen Miteigentümer) eines Großteils der Wohnungseigentümer zu einer Versammlung einzuladen, da den Klägern damit die Möglichkeit genommen worden sei, den Erstbeschluss und damit das von Ihnen verfolgte Projekt nochmals im Kreis der Miteigentümer darzulegen und Bedenken oder Einwendungen „auszuräumen“. Dadurch, dass die Versammlung vorliegend bereits vor dem angesetzten Beginn beendet worden sei, sei gegen wesentliche Regelungen zum Ablauf von Eigentümerversammlungen verstoßen worden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass innerhalb einer Wartefrist trotz Vollmachterteilung noch Eigentümer persönlich erschienen wären und ggf. nach Diskussion abweichend abgestimmt hätten. Im Übrigen hätten zu Unrecht alle Eigentümer abgestimmt, stimmberechtigt seien nur die Eigentümer des Hauses 2 gewesen. Mit dem abändernden Zweitbeschluss würden schutzwürdige Bestandsinteressen der Kläger im Zusammenhang mit dem Inhalt und den Wirkungen des Zweitbeschlusses verletzt. Dem Zweitbeschluss hätten keine Umstände zugrunde gelegen, die nicht bereits im Rahmen des Erstbeschlusses bekannt gewesen bzw. berücksichtigt worden wären. Im Vorfeld des Erstbeschlusses hätten die Kläger bereits umfangreiche Planungen und Unterlagen vorgelegt, eine Änderung der Umstände sei nicht eingetreten.
11
Die Kläger beantragen,
Der in der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 19.08.2022 zu TOP 2 gefasste Beschluss mit dem Wortlaut: „Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die Aufhebung des Beschlusses TOP 8 der ETV vom 20.07.2022“ wird für ungültig erklärt.
12
Die Beklagte beantragt,
13
Die Beklagte führt aus, dass die Durchführung der Versammlung in der Ferienzeit zulässig gewesen sei, weil sämtliche Eigentümer anwesend waren oder sich zumutbar vertreten lassen wollten. Im Übrigen sei nicht vorgetragen, inwieweit sich das Versammlungsdatum auf das Beschlussergebnis ausgewirkt habe. Es habe sich um eine Vollversammlung gehandelt, sämtliche Eigentümer hätten rügelos abgestimmt, schon deshalb seien sämtliche eventuellen formellen Fehler geheilt. Gleiches gelte für die angesetzte Uhrzeit und die Eröffnung und Beendigung der Versammlung. Eine Pflicht zur persönlichen Teilnahme bestehe nicht, es stehe jedem Eigentümer frei, sich vor der Versammlung bereits eine Meinung zu bilden und eine weisungsgebundene Vollmacht zu erteilen. Sämtliche Eigentümer seien stimmberechtigt gewesen, nachdem es sich um einen Beschluss über eine bauliche Veränderung ach § 20 Abs. 1 WEG gehandelt habe. Die Teilungserklärung regle insoweit nur eine wirtschaftliche Trennung der Häuser. Auch der Beschluss vom 20.07.2022, den die Kläger ja „behalten“ wollten, sei im übrigen durch sämtliche Eigentümer gefasst worden. Auf den nun aufgehobenen Beschluss hätten die Kläger keinen Anspruch gehabt, schon deshalb könnten sie sich nicht auf schutzwürdige Bestandsinteressen berufen. Die Umstände hätten sich im Übrigen schon deshalb geändert, weil gegen den Beschluss vom 20.07.2022 Anfechtungsklage erhoben worden sei und die Beklagte berechtigt sei, durch erneute Beschlussfassung dieses Verfahren zu erledigen und Rechtssicherheit zu schaffen. Außerdem sei eine erneute Beschlussfassung auch im Falle bloßer „Beschlussreue“ möglich.
14
Im Übrigen und wegen weiterer Einzelheiten wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien mit Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht München als Wohnungseigentumsgericht gem. §§ 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2c GVG örtlich und sachlich ausschließlich zuständig. Die Fristen des § 45 S. 1 WEG sind eingehalten.
16
Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Beschlüsse sind nicht nichtig und widersprechen auch nicht aus den von der Klagepartei fristgerecht vorgetragenen Gründen den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.
17
1. Datum und Uhrzeit der Versammlung vom 19.08.2022 stellen keinen formellen Fehler dar, der der Wirksamkeit des gefassten Beschlusses entgegensteht.
18
Die Durchführung einer Eigentümerversammlung zur Ferienzeit ist nicht grundsätzlich unzulässig, wenn nicht die Abwesenheit einer Mehrheit der Eigentümer bekannt oder zu befürchten ist (BeckOK WEG/Bartholome WEG § 24 RN 78 m.w.N.). Hierzu wurde nichts vorgetragen. Auch die Durchführung an einem Freitagnachmittag um 14 Uhr ist – gerade im Sommer – nicht grundsätzlich unzulässig. Im Übrigen bestand entgegen den Ausführungen der Klagepartei auch sehr wohl eine Eilbedürftigkeit, weil einziger Tagesordnungspunkt der Versammlung vom 19.08.2022 die Aufhebung eines Beschlusses vom 20.07.2022 war. Die Aufhebung gerade eines Gestattungsbeschlusses ist unabhängig von der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage schon deshalb eilbedürftig, um einen Vertrauensschutz auf Seiten des Begünstigten zu verhindern und damit die Umsetzung des (geänderten) Willens der Eigentümerversammlung zu sichern (vgl. hierzu Ziffer 3.). Ferner wurde die Durchführung der Versammlung im konkreten Fall von sämtlichen Eigentümern außer den Klägern ausdrücklich gewünscht. Sämtliche Eigentümer außer den Klägern hatten der Verwaltung weisungsgebundene Vollmachten erteilt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Tatsache, dass die Versammlung lediglich von 13:54 – 13:58 Uhr gedauert hat, irrelevant. Unstreitig ist kein Eigentümer um 14 Uhr oder danach erschienen, um (doch) persönlich teilzunehmen.
19
Soweit die Kläger vortragen, ihnen sei die Möglichkeit der Diskussion mit den übrigen Eigentümern faktisch genommen worden, so steht dies der Wirksamkeit des gefassten Beschlusses nicht entgegen: Ein Eigentümer hat nicht nur das Recht, persönlich auf der Eigentümerversammlung zu erscheinen, es steht ihm ebenso frei, dies nicht zu tun und sich einer aus seiner Sicht möglicherweise ungewollten Diskussion und persönlichen Konfrontation zu entziehen. Vorliegend war nur ein klar formulierter Tagesordnungspunkt Gegenstand der Verhandlung, allen Eigentümern waren gerade aus der Vorbereitung und Beschlussfassung vom 20.07.2022 die zu Grund liegenden Umstände bekannt. Sämtliche Eigentümer außer den Klägern hatten der Verwaltung auf dieser Grundlage weisungsgebundene Vollmachten erteilt, was, wie dargestellt, eine der persönlichen Teilnahme gleichwertige Wahrnehmung ihrer Rechte ist. Es liegen gerade in der konkreten Konstellation keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne Eigentümer lieber persönlich gekommen und ggf. abweichend abgestimmt hätten.
20
2. Auch die Tatsache, dass alle Eigentümer, und nicht nur die Eigentümer des Hauses 2 abgestimmt haben, macht den Beschluss weder nichtig noch anfechtbar:
21
Es kann offenbleiben, ob nach § 16 GO lediglich die Eigentümer des Hauses 2 hätten abstimmen dürfen. Dagegen spricht aus Sicht des Gerichts neben der Tatsache der rechtshängigen, die gesamte WEG betreffenden Anfechtungsklage gegen den Beschluss vom 20.07.2022 (der ebenfalls von allen Eigentümern gefasst wurde) auch, dass wohl durch die Gestattung der Eirichtung der Dachterrasse als Präzedenzfall alle Eigentümer betroffen sind.
22
Eine Ungültigkeitserklärung im Anfechtungsprozess kommt jedenfalls unabhängig davon nur in Betracht, wenn die erforderliche Mehrheit nach Abzug der fehlerhaften Stimmen nicht mehr erreicht wird, die fehlerhaften Stimmen also kausal für das Zustandekommen des Beschlusses geworden sind (Bärmann/Merle, 15. Aufl. 2023, WEG § 25 Rn. 122-125). Bestehen keine Anhaltspunkte für eine Ursächlichkeit, kommt eine Ungültigerklärung nicht in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf ZMR 1995, 84). Hierzu hat die Klagepartei innerhalb der Frist des § 45 WEG nichts vorgetragen. Nachdem nach dem Protokoll der Beschluss nur gegen die Stimme der Kläger gefasst wurde (176/1.000 MEA), bestehen hierfür im konkreten Fall auch keine Anhaltspunkte. Die MEA für Haus 2 (nach der TE Einheiten 7-11) betragen (ohne Berücksichtigung der Stellplätze) einschließlich der Kläger 460/1.000 MEA. Ein „Herausrechnen“ der Stimmen von Haus 1 würde daher ebenfalls eine Mehrheit von (zumindest) 284 zu 176/1.000 für den angefochtenen Beschluss ergeben.
23
3. Der Beschluss verstößt auch im Übrigen nicht gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung. Er verletzt insbesondere nicht in unzulässiger Weise schutzwürdige Interessen der Kläger.
24
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist befugt, über eine schon geregelte Angelegenheit erneut zu beschließen. Die Befugnis dazu ergibt sich aus der autonomen Beschlusszuständigkeit der Gemeinschaft. Der neue Beschluss muss jedoch schutzwürdige Belange eines Wohnungseigentümers aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses beachten (vgl. etwa BGH, V ZB 8/90 m.w.N.). Schutzwürdige Belange können dabei insbesondere beeinträchtigt sein, wenn der Erstbeschluss ein subjektives Recht eines Wohnungseigentümers begründet, das durch den Zweitbeschluss wieder „entzogen“ werden soll, etwa wenn der Beschluss über eine bereits umgesetzte bauliche Maßnahme aufgehoben wird oder wenn ein im Erstbeschluss bestandskräftig festgelegter Verteilungsschlüssel geändert wird (vgl. Bärmann, WEG, 15. Auflage 2023, § 23 RN 116 m.w.N. – Unterstreichung durch das Gericht).
25
Vorliegend ist bei dieser Bewertung zu beachten, dass die Kläger aus dem Beschluss vom 20.07.2022 schon deshalb keine schutzwürdigen Belange herleiten können, weil dieser mit dem nun angefochtenen Beschluss bereits vor Bestandskraft aufgehoben wurde (vgl. auch BGH aaO.). Die Aufhebung eines Beschlusses noch vor Ablauf der objektiven Frist des § 45 S. 1 WEG kann aus Sicht des Gerichts keinen Vertrauenstatbestand verletzen. Denn die Kläger konnten und durften sich bis zu diesem Zeitpunkt gerade noch nicht darauf verlassen, dass der gestattende Beschluss vom 20.07.2022 Bestand haben würde. So wurde dieser auch fristgerecht angefochten (1295 C 11648/22).
26
Die Monatsfrist des § 45 WEG gesteht den einzelnen Eigentümern zu, unabhängig von ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten auch im Nachhinein noch gefasste Beschlüsse zu reflektieren, (anders) zu bewerten und ggf. anzufechten. Dieses Recht muss jedenfalls in diesem Zeitrahmen aus Sicht des Gerichts auch der WEG als Gesamtheit der Eigentümer ohne Weiteres zugestanden werden. Eine Veränderung der Umstände im Verhältnis zum Erstbeschluss ist nicht erforderlich. Es ist ausreichend, dass die Mehrheit der Eigentümer ihre Meinung geändert hat. Dies war hier offensichtlich der Fall, da sämtliche Eigentümer außer den Klägern unstreitig eine erneute Beschlussfassung bei der Verwaltung erbeten hatten. Eine möglichst zeitnahe erneute Beschlussfassung entspricht insoweit größtmöglicher Transparenz und auch – wenn schon die Aufhebung der Gestattung nach dem Mehrheitswillen erfolgen sollte – Fairness gegenüber den Klägern. Besondere Umstände, die dieser Bewertung entgegenstehen würden, liegen nicht vor.
27
Die vom Klägervertreter im Schriftsatz vom 31.01.2023 zitierte Rechtsprechung bezieht sich dagegen auf Fälle, in denen die jeweiligen Betroffenen im Vertrauen auf zum Teil seit langem bestandskräftige (!) Beschlüsse bereits Maßnahmen umgesetzt hatten.
28
Einen subjektiven Anspruch auf Gestattung, der durch den aufhebenden Beschluss verletzt wäre, tragen die Kläger selbst nicht vor.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
30
Den Streitwert setzt das Gericht entsprechend den Regelwertvorschriften der §§ 52 Abs. 2 GKG, 23 Abs. 3 RVG und 30 Abs. 2 KostO auf 5.000,00 € fest.