Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 15.02.2023 – Vf. 70-VI-21
Titel:

Verfassungsbeschwerde gegen vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erledigung unzulässig

Normenketten:
StPO § 111a
BV Art. 120
VerfGHG Art. 51
Leitsätze:
1. Hat sich der angegriffene Hoheitsakt erledigt ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde nur gegeben, wenn eine Wiederholungsgefahr oder eine fortwirkende Diskriminierung gegeben sind, Schadensersatzansprüche verfolgt werden oder bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, wenn die direkte Belastung sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in der fachgerichtlicher Rechtsschutz kaum zu erlangen ist. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die diskriminierende Wirkung einer Maßnahme wird regelmäßig dadurch beseitigt, dass diese vom Verursacher aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse zurückgenommen wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine vorläufige Entziehung der Faherlaubnis nach § 111a StPO ist kein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff. (Rn. 46 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfassungsbeschwerde, angegriffener Hoheitsakt, Erledigung, Rechtsschutzbedürfnis, diskriminierende Wirkung, besonders schwerer Grundrechtseingriff
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2640

Tenor

1. Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.
2. Der Beschwerdeführerin wird eine Gebühr von 750 € auferlegt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen drei in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergangene Beschlüsse, nämlich gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2021 Az. ER V Gs 1655/21, durch welchen der Beschwerdeführerin gemäß § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen wurde, und gegen die Beschlüsse des Landgerichts München I vom 21. Juni und 8. Juli 2021 Az.10 Qs 13/21, mit denen die dagegen gerichtete Beschwerde und die nachfolgende Anhörungsrüge verworfen wurden.
2
Der Beschluss vom 15. Februar 2021 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wurde vom Amtsgericht noch während der Dauer des Ermittlungsverfahrens durch Beschluss vom 7. Oktober 2021 aufgehoben.
3
1. Am 12. Januar 2021 um 17:38 Uhr verständigte der in der T.-Straße (Ecke P.-Straße) in M. wohnhafte Herr Z. telefonisch die Polizei davon, dass er gegen 17:26 Uhr einen Knall gehört habe. Aus einem Fenster seiner Erdgeschosswohnung habe er dann gesehen, dass in der P.-Straße auf Höhe einer Parklücke ein dunkler Pkw Audi und knapp dahinter ein roter Pkw standen. Er sei davon ausgegangen, dass der Pkw Audi bei dem Versuch, rückwärts vor dem roten Pkw einzuparken, gegen diesen gestoßen sei. Aus dem Pkw Audi sei die ihm aus der Nachbarschaft bekannte Beschwerdeführerin ausgestiegen. Sie und der Fahrer des roten Pkw hätten miteinander gesprochen. Dann sei die Beschwerdeführerin wieder eingestiegen und habe versucht, vor einem weißen SUV einzuparken. Dabei sei sie relativ schnell rückwärts gegen den SUV gefahren und es habe abermals geknallt. Anschließend sei sie in die T.-Straße abgebogen und habe dort geparkt. Dann seien sie und der Fahrer des roten Autos in das Wohnhaus der Beschwerdeführerin gegangen. Nach ca. fünf Minuten habe der Mann das Haus wieder verlassen und sei weggefahren.
4
Um 18:04 Uhr traf die Polizei am Ort des Geschehens ein. Sie befragte Herrn Z. als Zeugen und führte bis ca. 20:00 Uhr weitere Maßnahmen zur Unfallaufnahme durch. Versuche, mit der Beschwerdeführerin zu sprechen, scheiterten. An ihrer Haustür öffnete Herr Dr. K., der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, ein kleines Fenster und erklärte, die Beschwerdeführerin fühle sich nicht gut und habe kein Interesse an einem Gespräch. Weil er nicht der Hauseigentümer sei, sei er auch nicht befugt, die Tür zu öffnen. Auf Klingeln und Klopfen der Polizei wurde nicht mehr reagiert.
5
Um 21:04 Uhr ordnete die diensthabende J.-Staatsanwältin telefonisch die Durchsuchung des Anwesens zur Identitätsfeststellung an. Nachdem sich Herr Dr. K. auch nach mehrmaliger Aufforderung weigerte, die Tür zu öffnen, wurde diese um 22:13 Uhr gewaltsam geöffnet.
6
Im Bad der Wohnung fanden die Polizeibeamten die Beschwerdeführerin ersichtlich alkoholisiert auf dem Boden liegend vor. In der Wohnung befanden sich mehrere teilweise geleerte Wein- und Spirituosenflaschen. Einem Atemalkoholtest stimmte die Beschwerdeführerin nicht zu. Deshalb veranlassten die Polizeibeamten ihren Transport mit dem Rettungswagen in eine Klinik zur Durchführung einer Blutentnahme. Diese erfolgte um 23:22 Uhr; die Auswertung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,33 Promille im Mittelwert.
7
Da sich der Zustand der Beschwerdeführerin mittlerweile gebessert hatte, wurde sie um 23:35 Uhr vernommen. Dabei erklärte sie, sie wisse nichts von einem Verkehrsunfall und habe an ihrem Auto keinen Schaden. Sie habe Alkohol getrunken, nachdem sie nach Hause gekommen sei, wisse aber nicht mehr, was genau sie getrunken habe.
8
Während in der Folgezeit der Halter des roten Pkw nicht ermittelt werden konnte, gelang es, die Halterin des weißen SUV der Marke Volvo zu ermitteln. Der ihr entstandene Schaden wurde durch Vorlage eines Kostenvoranschlags auf 698,14 € netto beziffert.
9
2. Durch den angegriffenen Beschluss vom 15. Februar 2021 entzog das Amtsgericht München der Beschwerdeführerin gemäß § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen sei die Beschwerdeführerin dringend verdächtig, am 12. Januar 2021 um 17:26 Uhr auf der T.-Straße in M. ein Kraftfahrzeug geführt zu haben und dabei fahruntüchtig gewesen zu sein. Die um 23:22 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,33 Promille im Mittelwert ergeben, mindestens gültig und wirksam auch zum Fahrtzeitpunkt. Die Fahruntüchtigkeit habe zur Folge gehabt, dass die Beschwerdeführerin beim Einparken gegen einen ordnungsgemäß geparkten Pkw Volvo gestoßen sei und an diesem einen Sachschaden von 698,14 € netto verursacht habe. Anschließend habe sie sich entfernt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Damit seien dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass ihr die Fahrerlaubnis entzogen werde (§ 69 Abs. 1 und 2, § 315 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
10
In einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der LMU M. vom 12. Februar 2021 zur toxikologischen Analyse der Blutprobe, das der Polizei am 15. Februar 2021 zuging, wird u. a. ausgeführt, dass aufgrund der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme (2,33 Promille) und einer „gegebenenfalls rückrechenbare[n] Alkoholisierung“ Fahruntüchtigkeit vorliege, ein Nachtrunk aber gegebenenfalls in Abzug zu bringen sei.
11
Mit ihrer Beschwerde vom 30. März 2021 gegen den Beschluss nach § 111 a StPO (ergänzend begründet durch Schriftsätze vom 18. und 26. Mai 2021) machte die Beschwerdeführerin insbesondere geltend, es sei kein Gegenstand von bedeutendem Wert beschädigt worden und die ihr angelasteten Unfälle seien für sie jedenfalls nicht bemerkbar gewesen. Sie sei auch nicht alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen, weil sie erst zu Hause Alkohol konsumiert habe; der Rückschluss aus der Blutalkoholkonzentration zur Zeit der Blutprobenentnahme auf denjenigen zum Fahrtzeitpunkt sei unzulässig. Weiter seien die Anordnung und Durchführung der Wohnungsdurchsuchung sowie der Blutentnahme rechtswidrig gewesen.
12
Eine Begleitstoffanalyse des Instituts für Rechtsmedizin vom 22. April 2021 ergab lediglich, dass „am ehesten“ von der Aufnahme bestimmter begleitstoffhaltiger Getränke sowie von einer eher länger andauernden und über einige Stunden durchgehenden Alkoholisierung auszugehen sei. Eine weitergehende Stellungnahme könne gegebenenfalls nach Kenntnis weiterer Angaben zum stattgefundenen Trinkverhalten sowie zu den näheren zeitlichen Verhältnissen erfolgen.
13
Das Landgericht ordnete am 23. April 2021 Nachermittlungen an, die insbesondere darauf abzielten, die gesundheitliche Verfassung der Beschwerdeführerin vor dem Betreten ihrer Wohnung und die näheren Umstände eines möglichen Nachtrunks aufzuklären. Diese Ermittlungen erbrachten jedoch zunächst keine wesentlichen Ergebnisse.
14
Durch Beschluss vom 21. Juni 2021 verwarf das Landgericht die Beschwerde als unbegründet.
15
Der angefochtene Beschluss werde den Anforderungen des § 111 a StPO gerecht.
16
Die anlässlich der Durchsuchung erlangten Beweismittel, insbesondere die Blutprobe und die Lichtbilder der Wohnung der Beschwerdeführerin, seien verwertbar, wenngleich die zur Feststellung der Identität der Beschwerdeführerin erfolgte Durchsuchung unverhältnismäßig gewesen sei. Die Durchsuchung hätte aber zum Zweck der Ergreifung der Beschwerdeführerin zur Entnahme einer Blutprobe sowie zur Auffindung von Beweismitteln bezüglich vorangegangenen Alkoholkonsums nach §§ 102, 81 a StPO angeordnet werden dürfen. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Durchsuchung hätten zum Zeitpunkt der staatsanwaltschaftlichen Anordnung bereits vorgelegen. Nach dem von dem unbeteiligten Zeugen Z. geschilderten Geschehensablauf stehe – nach Aktenlage – zumindest die Kollision des Fahrzeugs der Beschwerdeführerin mit dem Pkw Volvo aufgrund eines Fahrfehlers der Beschwerdeführerin fest. Dabei sei es aufgrund des engen zeitlichen, räumlichen und situativen Zusammenhanges auch damals bereits zumindest sehr wahrscheinlich gewesen, dass die Beschwerdeführerin auch die vorausgegangene Kollision mit dem roten Fahrzeug durch einen Fahrfehler verursacht hatte. Zwei in engem zeitlichem Zusammenhang durch die Beschwerdeführerin verursachte Kollisionen seien ein deutliches Indiz für eine Alkoholisierung der Beschwerdeführerin, auch aufgrund ihrer hierin zum Ausdruck kommenden Enthemmtheit. Für diese Enthemmtheit spreche auch der Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin unmittelbar nach der zweiten Kollision vom Unfallort entfernt habe.
17
Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführerin die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werde, § 111 a Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach derzeitiger Aktenlage bestehe ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Tatgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung die Beschwerdeführerin für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihr die Fahrerlaubnis entziehen werde. Es bestehe der dringende Tatverdacht, dass sie den Tatbestand des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB verwirklicht habe. Zwar lägen hinsichtlich der Blutalkoholkonzentration zur Zeit der Kollision mit dem Pkw Volvo keine objektiven Erkenntnisse vor. An einer Rückrechnung der um 23:22 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration auf die Tatzeit sehe sich die Kammer gehindert, da ein Nachtrunk in nicht genauer bekanntem Umfang nicht auszuschließen sei. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte für einen Alkoholkonsum zwischen Tatzeit und Durchsuchung der Wohnung ab 22:13 Uhr. Die Kammer gehe jedoch aufgrund der geschilderten Fahrfehler sowie des weiteren Verhaltens der Beschwerdeführerin in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kollisionen von einer die Fahruntüchtigkeit begründenden Alkoholisierung bereits zur Tatzeit aus. Ein dringender Tatverdacht bestehe weiterhin bezüglich des Tatbestands des § 316 Abs. 1 und 2 StGB durch das Wegfahren nach der Kollision mit dem Pkw Volvo. Ob sich eine Entziehung der Fahrerlaubnis auch auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB) nach der Kollision mit dem Pkw Volvo stützen lasse, brauche hier nicht entschieden zu werden.
18
Die hiergegen am 29. Juni 2021 erhobene Anhörungsrüge nach § 33 a StPO verwarf das Landgericht durch Beschluss vom 8. Juli 2021 als unbegründet. Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger der Beschwerdeführerin und dieser selbst formlos mitgeteilt (Hinausgabe zur Post am 12. Juli 2021).
19
3. Am 23. August 2021 ging die gegen den Beschluss des Amtsgerichts und die Entscheidungen des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein.
20
Am 4. Oktober 2021 verfasste die sachbearbeitende Staatsanwältin einen Aktenvermerk, demzufolge unter Berücksichtigung des Ergebnisses der weiteren Nachermittlungen – insbesondere der am 6. September 2021 erfolgten Vernehmung des Herrn Dr. K. als Zeuge – vornehmlich wegen der Unwiderlegbarkeit der Nachtrunkbehauptung keine dringenden Gründe mehr dafür vorlägen, dass der Beschwerdeführerin die Fahrerlaubnis entzogen würde. Jedenfalls sei der vorläufige Entzug der Fahrerlaubnis derzeit unverhältnismäßig. Den Aktenvermerk leitete die Staatsanwaltschaft mit den Akten dem Amtsgericht zu und beantragte unter Bezugnahme auf den Vermerk die Aufhebung des Beschlusses vom 15. Februar 2021 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.
21
Das Amtsgericht hob diesen Beschluss durch Beschluss vom 7. Oktober 2021 antragsgemäß auf. Eine Begründung enthält die Entscheidung nicht.
II.
22
1. Die am 23. August 2021 eingegangene Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 15. Februar 2021 sowie des Landgerichts München I vom 21. Juni und 8. Juli 2021.
23
a) Die Beschwerdeführerin begehrte ursprünglich die Aufhebung der Beschlüsse. Außerdem hatte sie beantragt, im Weg einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auszusetzen. Sie rügte Verstöße gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) und das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).
24
aa) Die Gerichte hätten willkürlich und aufgrund von Unterstellungen und Behauptungen dringende Gründe für eine spätere Entziehung der Fahrerlaubnis durch Urteil angenommen.
25
(1) Das Amtsgericht habe den Tatverdacht „der Trunkenheitsfahrt“ nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB auf die Schlussfolgerung gestützt, dass die um 23:22 Uhr festgestellte Blutalkoholkonzentration von 2,33 Promille auch zum Fahrtzeitpunkt um 17:26 Uhr mindestens gültig und wirksam gewesen sei. Eine Blutprobe beziehe sich immer auf den Zeitpunkt der Entnahme. Um auf den konkreten Fahrtzeitpunkt rückrechnen zu können, seien ergänzende Feststellungen nötig. Gegebenenfalls sei ein Nachtrunk zu berücksichtigen. Auch die Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin wiesen darauf hin, dass bislang keine Feststellungen der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt des Fahrens möglich seien.
26
Hinsichtlich des Vorwurfs der „Fahrerflucht“ nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB fehle es an einem „bedeutenden Schaden“ im Sinn von § 69 Abs. 2 StGB als regelmäßige Voraussetzung für einen Fahrerlaubnisentzug durch Urteil. Der angebliche Sachschaden belaufe sich auf 698,14 €.
27
(2) Das Landgericht habe in seiner Beschwerdeentscheidung zwar die Unzulässigkeit einer Rückrechnung erkannt, den Anfangsverdacht einer Trunkenheitsfahrt jedoch mit angeblichen Fahrfehlern und einer „Enthemmtheit“ der Beschwerdeführerin begründet. Soweit das Landgericht von einer angeblichen Kollision mit dem Pkw Volvo auf einen angeblichen vorangegangenen Fahrfehler bei einer vorangegangenen Kollision schließe, sei dies eine rein spekulative Annahme. Mangels jeglicher Feststellungen zum Grad der Alkoholisierung sei der nachfolgende Schluss von zwei Fahrfehlern auf eine Alkoholisierung ebenso spekulativ wie der aus dem äußeren Geschehensablauf gezogene Schluss auf eine „Enthemmtheit“. Der Zeuge Z. habe nur von einer „Parkkollision“ berichten können, nicht von Fahrfehlern, einer Enthemmtheit, einer Alkoholisierung oder Anzeichen einer Alkoholisierung der Beschwerdeführerin.
28
Der Willkürverstoß sei vom Landgericht auch nicht durch die Entscheidung über die Anhörungsrüge geheilt, sondern vertieft worden.
29
bb) Zu dem vom Amtsgericht gezogenen Schluss aus der anhand der Blutentnahme festgestellten Blutalkoholkonzentration auf deren „Wirksamkeit“ zur angeblichen Tatzeit bzw. zu ihren angeblichen Fahrfehlern und der angeblichen Enthemmtheit sei die Beschwerdeführerin vor Erlass der Beschlüsse nicht angehört worden und habe sich daher diesbezüglich auch nicht verteidigen können.
30
Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 hat die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen vertieft.
31
b) Nachdem der Beschluss vom 15. Februar 2021 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vom Amtsgericht am 7. Oktober 2021 aufgehoben worden war, erklärte die Beschwerdeführerin auf entsprechenden Hinweis des Verfassungsgerichtshofs mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 2. Mai 2022, sie führe das Verfassungsbeschwerdeverfahren fort. Ihre Beschwer und das Rechtsschutzbedürfnis seien nicht entfallen.
32
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgten Begehrens fort, wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe, der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiege und damit ein Rehabilitationsinteresse begründet werde oder die Gefahr einer Wiederholung des Eingriffs bestehe (BVerfG vom 1.10.2008 – 1 BvR 2733/04). Hier lägen tiefgreifende und besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe vor. Die Beschwerdeführerin sei in dem zu ihrem Schutz ausgestalteten Willkürverbot verletzt worden, indem willkürlich und aufgrund von Unterstellungen und Behauptungen dringende Gründe dafür angenommen worden seien, dass die Fahrerlaubnis später im Urteil entzogen würde.
33
Ein Rehabilitationsinteresse bestehe, da die Beschwerdeführerin im andauernden Ermittlungsverfahren eine erhebliche Herabsetzung erfahren habe. Ihr sei durch den Akt der hoheitlichen Verwaltung eine fortdauernde diskriminierende Wirkung widerfahren. Es sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, ihr die Chance zu versagen, über die gerichtliche Rechtswidrigkeitsfeststellung eine Genugtuung und damit einen Ausgleich für schwerwiegende Grundrechtseingriffe zu erlangen. Sie sei durch den vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis ganz erheblich in ihrer Mobilität eingeschränkt gewesen, da sie in ihrem Alltag auf ihr Fahrzeug angewiesen sei. Eine ersatzweise Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr im Hinblick auf ihr Alter und „die Corona Situation“ nicht zumutbar gewesen.
34
2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts und die Entscheidung des Landgerichts über die Anhörungsrüge richtet. Maßgeblicher Prüfungsgegenstand der Verfassungsbeschwerde sei die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts, da diese letztinstanzlich eine umfassende materielle Prüfung vornehme. Insoweit sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Verletzungen des Willkürverbots oder des rechtlichen Gehörs lägen nicht vor.
III.
35
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
36
1. Der Antrag der Beschwerdeführerin ist mit Blick auf den Verlauf des Ausgangsverfahrens dahin zu verstehen, dass sie nicht mehr – wie ursprünglich beantragt – die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse, sondern die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit begehrt.
37
Der Beschluss nach § 111 a StPO wurde am 7. Oktober 2021 vom Amtsgericht aufgehoben. Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts über die Beschwerde und die Gehörsrüge sind damit gegenstandslos geworden. Dass die Beschwerdeführerin angesichts dessen nun die Feststellung der Verfassungswidrigkeit erstrebt, obgleich sie einen solchen Antrag nicht ausdrücklich gestellt hat, ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 2. Mai 2022. Dort ist vom „Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit“ die Rede.
38
2. Auch mit diesem Ziel ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
39
Mit der Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis hat sich die angegriffene Maßnahme erledigt. Für die Weiterführung des Verfahrens über die Verfassungsbeschwerde fehlt es an einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse.
40
a) Nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung kann der Betroffene nach Erledigung einer gegen ihn gerichteten hoheitlichen Maßnahme deren Rechtmäßigkeit gerichtlich nur dann überprüfen lassen, wenn er ein noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichts fortbestehendes Rechtsschutzinteresse geltend machen kann (vgl. BVerfG vom 17.5.2022 – 2 BvR 661/22 – juris Rn. 30). Wird der angegriffene Hoheitsakt zurückgenommen und ist der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr unmittelbar verletzt, fehlt in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. VerfGH vom 29.6.1978 VerfGHE 31, 149/156; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 120 Rn. 56; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 120 Rn. 90). Lediglich ausnahmsweise kann in Einzelfällen dennoch ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen sein (vgl. VerfGH vom 12.1.2022 – Vf. 55-VI-21 – juris Rn. 22; BVerfG vom 26.2.2003 NVwZ-RR 2003, 465; vom 3.11.2015 – 2 BvR 2019/09 – juris Rn. 23; vom 18.11.2018 – 1 BvR 1481/18 – juris Rn. 3 f.). Dieses kann sich aus einer Wiederholungsgefahr, einer fortwirkenden Diskriminierung oder im Zusammenhang mit der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen ergeben. Es wird aber auch bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen angenommen, wenn die direkte Belastung sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (VerfGH vom 28.2.2011 – Vf. 84-VI-10 – juris Rn. 39; vgl. auch BVerfG vom 17.5.2022 – 2 BvR 661/22 – juris Rn. 30; C. Grünewald in BeckOK BVerfGG, § 90 Abs. 1 Rn. 116 ff.).
41
b) Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsrechtliche Prüfung der angefochtenen Beschlüsse lässt sich aus keinem der vorbezeichneten Gesichtspunkte herleiten.
42
Nach dem Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde kommt allenfalls eine fortwirkende Diskriminierung oder ein tiefgreifender, besonders schwerer Grundrechtseingriff in Betracht.
43
aa) Konkrete Anhaltspunkte für eine fortwirkende Diskriminierung durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sind nicht dargetan.
44
(1) Die Beschwerdeführerin behauptet lediglich pauschal eine „erhebliche Herabsetzung“ und eine „fortdauernd diskriminierende Wirkung“, erklärt aber nicht konkret, worin diese liegen soll. Inwiefern das Ansehen der Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit durch den vorläufigen Fahrerlaubnisentzug herabgesetzt worden sein könnte, ist auch sonst nicht ersichtlich. Der Beschluss nach § 111 a StPO und die nachfolgenden Entscheidungen des Landgerichts wurden der Staatsanwaltschaft, der Polizei, der Fahrerlaubnisbehörde sowie der Beschwerdeführerin und ihrem Verteidiger mitgeteilt, nicht aber Außenstehenden offengelegt.
45
(2) Nach Ansicht der verfassungsrechtlichen Literatur wird zudem die diskriminierende Wirkung einer Maßnahme regelmäßig dadurch beseitigt, dass diese von der Ausgangsbehörde aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse zurückgenommen wird (Basty, Die sachliche Erledigung der Verfassungsbeschwerde, 2010, S. 257; Fröhlinger, Die Erledigung der Verfassungsbeschwerde, 1982, S. 175). Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft mit Aktenvermerk vom 4. Oktober 2021 dem Amtsgericht die Ergebnisse der Nachermittlungen mitgeteilt und die Aufhebung des Beschlusses vom 15. Februar 2021 beantragt. Dem hat das Gericht entsprochen. Dass und aus welchem Grund dies ausnahmsweise nicht ausgereicht hätte, um eine etwaige Diskriminierung zu beseitigen, legt die Beschwerdeführerin nicht dar.
46
bb) Von einem tiefgreifenden, besonders schweren Grundrechtseingriff kann nicht die Rede sein.
47
(1) Als tiefgreifende und besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe lassen sich vornehmlich solche Eingriffe begreifen, die schon die Verfassung unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. zu Art. 13 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 und 3 GG BVerfG vom 3.11.2015 – 2 BvR 2019/09 – juris Rn. 31; C. Grünewald, a. a. O., Rn. 118).
48
Um einen derartigen Grundrechtseingriff geht es hier nicht. Nach dem Regelungsgehalt des § 111 a StPO kommt ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) in Betracht. Diese Verfassungsnorm enthält ein Auffanggrundrecht (vgl. Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 101 BV Rn. 1). Einen Richtervorbehalt sieht sie ebenso wenig vor wie die entsprechende Regelung des Grundgesetzes (Art. 2 Abs. 1 GG).
49
(2) Ein tiefgreifender und besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff ist darüber hinaus auch in Fällen möglich, in denen nicht die Verfassung, sondern das Gesetz einen Eingriff dem Richter vorbehält; dies deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber von einem schweren Eingriff ausgeht und ihn deshalb grundsätzlich von einer richterlichen Entscheidung abhängig macht, damit schon bei der Anordnung der Maßnahme präventiver gerichtlicher Schutz gewährleistet ist (BVerfG vom 12.3.2003 BVerfGE 107, 299/338).
50
§ 111 a StPO sieht zwar eine Primärzuständigkeit des Richters vor; der Grund hierfür liegt jedoch nicht in der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs. Dies wird mit Blick auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG deutlich, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, wenn sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Der Grundrechtseingriff auf Grundlage dieser Norm – die gerade keinen Richtervorbehalt vorsieht, sondern es beim Regelfall (vgl. VerfGH vom 12.9.2016 – Vf. 12-VII-15 – juris Rn. 46) belässt, wonach der Richter die Exekutive erst nachträglich und auf Anrufung kontrolliert – ist nicht minder intensiv als derjenige bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis auf strafrechtlicher Grundlage (§ 69 StGB). Dementsprechend weist auch die Primärzuständigkeit des Richters für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO nicht darauf hin, der Gesetzgeber habe den Grundrechtseingriff als besonders schwerwiegend angesehen. Sie ist vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass für die Entziehung der Fahrerlaubnis das Strafgericht zuständig ist, wenn der anlassgebende Sachverhalt Gegenstand eines Strafverfahrens ist, ansonsten die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. Koehl in M.er Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 2016, § 3 StVG Rn. 1).
51
(3) Das Bild einer tiefgreifenden, besonders schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung lässt sich auch nicht aus den Umständen des konkreten Falls herleiten.
52
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird der Allgemeinheit weder vom Gericht noch von den am Verfahren beteiligten Behörden offengelegt. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht vorgetragen, dass vorliegend die Öffentlichkeit hiervon Kenntnis erlangt hätte.
Der in Rede stehende Grundrechtseingriff war für außenstehende Beobachter nicht unmittelbar wahrnehmbar. Anders als in der Öffentlichkeit durchgeführte Festnahmen oder Durchsuchungen von Personen, Fahrzeugen oder von Personen mitgeführter Sachen (vgl. dazu VerfGH vom 7.2.2006 VerfGHE 59, 29/40; vom 28.2.2011 – Vf. 84-VI-10 – juris Rn. 41) hat er diesen nicht das Bild eines hoheitlichen Eindringens in die Privat- und Intimsphäre der Beschwerdeführerin vermittelt.
53
Ein tiefgreifender, besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff ist auch nicht deswegen anzunehmen, weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis die Beschwerdeführerin unzumutbar in ihrer Mobilität und dadurch besonders schwerwiegend in ihrer Lebensführung eingeschränkt hätte.
54
Die Beschwerdeführerin, die sich darauf beruft, sie sei in ihrem Alltag auf ihr Fahrzeug angewiesen und eine Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr im Hinblick auf ihr Alter und „die Corona Situation“ nicht zumutbar gewesen, zählt zwar altersbedingt zur Gruppe der besonders vulnerablen Personen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Ihr war es für die Dauer des vorläufigen Entzugs der Fahrerlaubnis auch untersagt, ihren Pkw selbst zu steuern. Sie hat jedoch nicht näher dazu vorgetragen, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen ihr bei Einhaltung der damals vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen die Nutzung eines Taxis, anderer Fahrdienste oder die Inanspruchnahme von Lieferdiensten für Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens unzumutbar war. Ebenso wenig lässt sich ihrem Vorbringen etwas dafür entnehmen, dass ihr das Zurücklegen kürzerer Fußwege zur Erledigung dringlicher Alltagsgeschäfte, etwa aufgrund körperlicher Einschränkungen oder fehlender Infrastruktur, unmöglich gewesen sei. Im Übrigen gehörte ein gewisses Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus zeitweise für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko (vgl. BVerfG vom 19.5.2020 – 2 BvR 483/20 – juris Rn. 9).
IV.
55
Der auf die Aussetzung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich bereits mit der am 7. Oktober 2021 erfolgten Aufhebung des angegriffenen Beschlusses vom 15. Februar 2021 erledigt.
V.
56
Es ist angemessen, der Beschwerdeführerin eine Gebühr von 750 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).