Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.08.2023 – 6 ZB 22.2513
Titel:

Wegfall der Bindungswirkung einer Zusicherung auf Wiedereinstellung eines Soldaten

Normenketten:
VwVfG § 38 Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3, § 124a Abs. 5 S. 2
Leitsätze:
1. Ist die erstinstanzliche Entscheidung selbständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist. Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine allein gegen ein nicht entscheidungstragendes obiter dictum gerichtete Rüge – sei es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz oder der ernstlichen Zweifel – kann die Zulassung der Berufung nicht begründen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Zusicherung der Wiedereinstellung (als Soldat auf Zeit), Wegfall der Bindungswirkung, Einstellung (Abbruch) der Sicherheitsüberprüfung, Zusicherung der Wiedereinstellung, Soldat auf Zeit, Einstellung, Abbruch, Sicherheitsüberprüfung, Zulassung, Berufung, Verfahrenshindernis, Zweifel, charakterliche Eignung, Rücknahme, Verwaltungsakt, Nachträgliche Änderung, Sach- und Rechtslage, obiter dictum
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.07.2022 – M 21a K 22.969
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26270

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. Juli 2022 – M 21a K 22.969 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 34.387,14 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
2
Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und von Verfahrensmängeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Der Kläger, ein ehemaliger Zeitsoldat zuletzt im Rang eines Majors der Reserve, hatte sich im Herbst 2019 für die Wiedereinstellung in die Bundeswehr als Offizier des Truppendienstes in das Kommando Spezialkräfte beworben. Mit Schreiben vom 29. Mai 2020 erteilte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr eine schriftliche Einstellungszusage mit dem Inhalt, dass der Kläger ab 1. August 2020 als Soldat auf Zeit mit dem Dienstgrad Major wieder eingestellt wird.
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Am 23. Juli 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass laufende Ermittlungen Erkenntnisse erbracht hätten, die geeignet seien, ihn für die Ernennung zum Soldaten auf Zeit als ungeeignet erscheinen zu lassen. Im August 2020 informierte der Geheimschutzbeauftragte des Bundesministeriums der Verteidigung die personalverwaltende Stelle darüber, dass die Sicherheitsüberprüfung des Klägers wegen eines Verfahrenshindernisses ergebnislos eingestellt worden und zuvor durchgeführte Sicherheitsüberprüfungen ungültig seien.
5
Mit Bescheid vom 16. September 2020 hob das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr die Einstellungszusage auf. Die nach der Wiedereinstellungszusage durch das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst und durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der Division Schnelle Kräfte über den Kläger zur Verfügung gestellten Erkenntnisse begründeten ernsthafte Zweifel an dessen charakterlichen Eignung. Darüber hinaus verfüge er nicht mehr über die für die geplante Verwendung erforderliche Sicherheitsüberprüfung. Damit sei eine Wiedereinstellung derzeit ausgeschlossen. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
6
Die auf rückwirkende Einstellung zum 1. August 2020 gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juli 2022 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Einstellung als Zeitsoldat. Die Zusicherung vom 29. Mai 2020 sei rechtmäßig zurückgenommen worden. Zudem habe der Kläger auch deswegen keinen Anspruch aus der Einstellungszusicherung, weil diese gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG erloschen sei. Mit der ergebnislosen Einstellung der Sicherheitsüberprüfung des Klägers am 11. August 2020 sei eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, bei deren Kenntnis die Beklagte die Zusicherung nicht abgegeben hätte bzw. nicht hätte abgeben dürfen.
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2. Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vorgebrachten Rügen bleiben ohne Erfolg.
8
Ist die erstinstanzliche Entscheidung – wie vorliegend – selbständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 6 ZB 20.1201 – juris Rn. 6). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (vgl. BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 4 BN 44.17 – juris Rn. 3; B.v. 9.9.2009 – 4 BN 4.09 – juris Rn. 5).
9
Das Verwaltungsgericht hat der Einstellungszusicherung, auf die der Kläger seinen Klageanspruch allein stützt, aus zwei seine Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Gründen keine Rechtswirkung beigemessen: Zum einen sei sie von der Beklagten rechtmäßig aufgehoben worden. Zum anderen („zudem“) sei die Bindungswirkung wegen nachträglicher Änderung der Sach- und Rechtslage nach § 38 Abs. 3 VwVfG entfallen.
10
Mit seinem Zulassungsantrag wendet sich der Kläger ganz überwiegend nur gegen den ersten Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts. Sowohl die Rüge ernstlicher Zweifel als auch die Grundsatzrüge und die geltend gemachten Verfahrensmängel der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags richten sich allein gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Aufhebung der Einstellungszusage sei rechtmäßig gewesen.
11
Den zweiten, das klageabweisende Urteil selbstständig tragenden Begründungsstrang (Entfallen der Bindungswirkung nach § 38 Abs. 3 VwVfG) greift der Zulassungsantrag zwar dem Wortlaut nach auf, soweit er anführt (S. 17), auch dieser tragende Grund „sei angreifbar“. In der Folge führt er zu diesem Themenkomplex aber nur aus, das Verwaltungsgericht hätte richtigerweise zu dem Ergebnis kommen müssen, der Abbruch der Sicherheitsüberprüfung sei rechtswidrig gewesen. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass die Sicherheitsüberprüfung faktisch eingestellt wurde. Dies stelle eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage dar, bei deren Kenntnis die Beklagte die Zusicherung zur Einstellung nicht gegeben hätte und aus rechtlichen Gründen nicht habe geben dürfen (UA S. 33 unten und S. 36). Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass das Verwaltungsgericht auch die Rechtmäßigkeit der Einstellungsentscheidung geprüft hat (UA S. 34). Nach dem verwaltungsgerichtlichen Obersatz handelte es sich insoweit aber offensichtlich um ein nicht entscheidungstragendes obiter dictum. Eine allein hiergegen gerichtete Rüge – sei es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (Nr. 3.2.2) oder der ernstlichen Zweifel (Nr. 3.3.5) – kann die Zulassung der Berufung nicht begründen (vgl. Posser/Wolff/ Decker in BeckOK, VwGO, § 124 Rn. 9 m.w.N.).
12
Daher muss die Zulassung der Berufung von vornherein ausscheiden, ohne dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den im Hinblick auf den ersten Begründungsstrang geltend gemachten Zulassungsgründen erforderlich ist (BayVGH, B.v. 5.10.2020 – 6 ZB 20.1201 – juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 4 BN 44.17 – juris Rn. 3; B.v. 9.9.2009 – 4 BN 4.09 – juris Rn. 5).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).