Inhalt

VG München, Urteil v. 08.02.2023 – M 31 K 21.5025
Titel:

Zuwendungsrecht, Vertretung einer Aktiengesellschaft

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
BV Art. 118 Abs. 1
VwGO § 62 Abs. 3
AktG §§ 78 Abs. 1, 81 Abs. 1
HGB § 15 Abs. 1
Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für November und Dezember 2020 (November-/Dezemberhilfe)
Neustarthilfe
Schlagworte:
Zuwendungsrecht, Vertretung einer Aktiengesellschaft
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2626

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt im Wege der Untätigkeitsklage die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Novemberhilfe, Dezemberhilfe und Neustarthilfe.
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Unter dem 4. Dezember 2020 beantragte die Klägerin über Herrn P. … R. … als prüfenden Dritten bei der Beklagten die Gewährung von Novemberhilfe. Sie bezifferte dabei deren voraussichtliche Höhe mit 2.951,47 EUR. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2020 erhielt die Klägerin eine Abschlagszahlung auf die Novemberhilfe i.H.v. 1.475,74 EUR.
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Unter dem 7. Januar 2021 beantragte die Klägerin über Herrn P. … R. als prüfenden Dritten bei der Beklagten die Gewährung von Dezemberhilfe. Sie bezifferte die voraussichtliche Höhe mit 2.850.- EUR. Unter dem 28. März 2021 beantragte die Klägerin über Herrn P. … R. … als prüfenden Dritten zudem die Gewährung von Neustarthilfe in Höhe von insgesamt 7.087,50 EUR.
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Über sämtliche Zuwendungsanträge, die von Frau C. … R. …, der damaligen Vorständin der Klägerin unterzeichnet waren, hat die Beklagte noch nicht entschieden.
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Am 21. September 2021 erhob die Klägerin Klage. Die Klageschrift war von Herrn P. … R. … unterzeichnet. Beantragt wird sinngemäß
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die Beklagte zu verpflichten, die Zuwendungen antragsgemäß
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zu bewilligen und auszuzahlen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Zuwendungsanträge seien ohne ausreichenden Grund nicht inhaltlich beschieden worden.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Gegen den prüfenden Dritten werde ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Subventionsbetrugs geführt. Wegen dieses Ermittlungsverfahrens seien die Anträge noch nicht abschließend beschieden worden. Es bestehe daher ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung. Der Beklagten lägen noch nicht genügend Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft vor, die zu einer Entscheidung in der Sache befähigen würden. Zudem sei Herr P. … R. … nicht für die Klägerin vertretungsbefugt. Er sei weder als Organ (Vorstand oder Prokurist) noch in sonstiger Weise zur Vertretung der Klägerin berechtigt. Die Klage sei daher bereits unzulässig.
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Mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2023 trotz Abwesenheit der Klagepartei entschieden werden. Diese wurde mit gerichtlicher Verfügung vom 4. Januar 2023, die ihr ausweislich der Zustellungsurkunde (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 182 ZPO) am 5. Januar 2023 wirksam im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten zugegangen ist (§ 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 180 ZPO), fristgerecht zum Termin geladen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In der Ladung wurde auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei Ausbleiben eines Beteiligten hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist bereits unzulässig.
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Sie wurde zum einen bereits nicht ordnungsgemäß erhoben (1.). Zum anderen liegt zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. statt vieler Buchheister in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 75 Rn. 4) unverändert auch ein zureichender Grund gemäß § 75 Satz 1 VwGO für die Nichtbescheidung der Zuwendungsanträge der Klägerin vor (2.).
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1. Nach § 62 Abs. 3 VwGO können Verfahrenshandlungen für Vereinigungen – wie hier die Klägerin als juristische Person des Privatrechts (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 62 VwGO Rn. 17) – nur durch ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte vorgenommen werden. Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, wird nach § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG gerichtlich und außergerichtlich durch den Vorstand vertreten.
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Die Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Vertretung der Klägerin erfüllen weder die Klageschrift noch ihre weiteren Schreiben. Die Klageschrift vom 21. September 2021 trägt ausschließlich die Unterschrift von Herrn P. … R. … (vgl. Schreiben der Klagepartei vom 8.2.2022 und Schriftsatz der Beklagten vom 16.2.2022). Auch die weitere Korrespondenz im Gerichtsverfahren wurde – bis auf das zuletzt als Antwort auf das gerichtliche Aufklärungsschreiben vom 5. Dezember 2022 eingegangene undatierte Schreiben der Klägerin, das von der aktuell im Handelsregister eingetragenen Vorständin unterschrieben war (vgl. dazu sogleich nachfolgend), – von Herrn P. … R. … geführt. Dieser war ausweislich der Eintragung im Handelsregister indes zum Zeitpunkt der Klageerhebung und auch danach nicht (mehr) Vorstand der Klägerin. Nach den Eintragungen im Handelsregister (vgl. Anlagen B1 und B2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 2.9.2022, die sich ausweislich einer Nachschau am 8.2.2023 als unverändert erwiesen) war Herr P. … R. … zuletzt bis zu seinem Ausscheiden am 18. November 2020 Vorstand der Klägerin und hatte dieses Amt danach nicht mehr inne. Seit seinem Ausscheiden als Vorstand waren sodann zunächst Frau C. … R. … und danach seit dem 1. Februar 2022 Frau Y. M3. Emmy G. jeweils als Vorständin der Klägerin im Handelsregister eingetragen. Damit ist dem Handelsregister keine organschaftliche Vertretungsbefugnis von Herrn P. … R. … zu entnehmen.
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Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass Herr P. … R. … von der Klägerin wirksam rechtsgeschäftlich zur Prozessführung (§ 67 Abs. 2 VwGO) ermächtigt gewesen wäre, zumal er nach eigenem Bekunden (vgl. Schreiben vom 8.2.2022) nicht mehr zum Steuerberater bestellt ist.
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Auf das gerichtliche Aufklärungsschreiben vom 5. Dezember 2022, zugestellt am 7. Dezember 2022, hat die Klägerin keine substantiierte Antwort zu den dort im Einzelnen aufgeworfenen Fragen gegeben. Insbesondere hat die Klagepartei weder eine notariell beglaubigte Kopie (vgl. § 12 HGB) der Ernennung von Herrn P. … R. … zum Vorstand der Klägerin gemäß Beschluss des Aufsichtsrats vom 1. August 2021 (vgl. einfache Kopie in Anlage zum Schreiben der Klägerin vom 8.2.2022) vorgelegt (vgl. Nr. 1 des Gerichtsschreibens) noch mitgeteilt, warum dieser Beschluss des Aufsichtsrats bisher nicht zum registergerichtlichen Vollzug gelangt ist (vgl. Nr. 2 des Gerichtsschreibens). Auch fehlt es an der des Weiteren vom Gericht angeforderten Erklärung der im Handelsregister eingetragenen gegenwärtigen Vorständin der Klägerin zur bisherigen und gegenwärtigen Funktion und Vertretungsbefugnis von Herrn P. … R. … im vorliegenden Rechtsstreit (vgl. Nr. 3 des Gerichtsschreibens). Aus dem zuletzt von ihr übersandten undatierten Schreiben ergibt sich lediglich, dass sie nach ihrem Bekunden keine Kenntnis von vorliegenden Rechtsstreit hatte. Aus dieser Erklärung folgt insbesondere keine Genehmigung (§ 184 BGB) der prozessualen Erklärungen von Herrn P. … R. …
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Mithin ist nicht ersichtlich, aus welchem Rechtsgrund Herr P. … R. … die Klage wirksam erhoben und das Verfahren für die Klägerin geführt haben könnte. Es liegt kein Nachweis dafür vor, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung oder danach von Herrn P. … R. … organschaftlich (als Vorstand) oder rechtsgeschäftlich (durch Vollmacht) ordnungsgemäß i.S.d. § 62 Abs. 3 VwGO bzw. § 67 Abs. 2 VwGO vertreten worden wäre.
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Sonach steht einer Berufung auf den nicht zum registergerichtlichen Vollzug gelangten Beschluss des Aufsichtsrats vom 1. August 2021 über die Ernennung von Herrn P. … R. … zum Vorstand jedenfalls § 15 Abs. 1 HGB entgegen. Auch wenn die Wirksamkeit einer Änderung des Vorstands eine Aktiengesellschaft nicht konstitutiv von ihrer Eintragung ins Handelsregister abhängig ist, sondern nur deklaratorisch wirkt (vgl. z.B. Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl. 2019, § 81 Rn. 23 m.w.N.), kommt ihr als gemäß § 81 Abs. 1 AktG eintragungspflichtige Tatsache (vgl. Krebs in Münchener Kommentar zum HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 Rn. 29 f.) eine grundlegende Bedeutung für den Schutz Dritter im Geschäftsverkehr zu, die auch im Rahmen von § 62 Abs. 3 VwGO vom prozessualer Bedeutung ist (vgl. mit Blick auf § 51 ZPO insbesondere OLG Naumburg, U.v. 29.7.2008 – 9 U 5/08 – BeckRS 2008, 18874, sowie allgemein zur Geltung im Prozessverkehr Schaal in: BeckOGK HGB, Stand September 2019, § 15 Rn. 11 m.w.N.; Krebs aaO, § 15 Rn. 27 m.w.N.). Deklaratorisch wirkende Eintragungen, bei denen – wie hier nach § 81 Abs. 1 AktG – die Rechtsänderung auch ohne Eintragung in das Handelsregister wirksam ist, sind unstreitig von § 15 Abs. 1 HGB erfasst (vgl. Krebs aaO, § 15 Rn. 38). Solange nämlich eine Änderung nicht ins Handelsregister eingetragen und bekannt gemacht worden ist, kann sie nach § 15 Abs. 1 HGB einem Dritten, dem die Änderung unbekannt ist, im Geschäftsverkehr – hier der Beklagten als Zuwendungsbehörde im Vollzug der von der Klägerin begehrte Corona-Wirtschaftshilfen – nicht entgegengesetzt werden (sog. negativen Publizität des Handelsregisters). Nachdem vorliegend keine Eintragung der Vorstandsbestellung vom 1. August 2021 im Handelsregister erfolgt ist, die Klägerin insbesondere bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch ihre derzeit eingetragene Vorständin keinen Aufschluss über die Hintergründe des fehlenden registergerichtlichen Vollzugs des lediglich als einfache Kopie vorgelegten Aufsichtsratsbeschlusses vom 1. August 2021 gegeben hat und sie die prozessualen Erklärungen von Herrn P. … R. … zudem auch nicht (ausdrücklich oder gegebenenfalls auch nur konkludent) genehmigt oder sich zur bisherigen und gegenwärtigen Funktion und Vertretungsbefugnis von Herrn P. … R. … im vorliegenden Rechtsstreit auch nur ansatzweise geäußert hat, gilt diese handelsrechtliche negative Vermutung hier auch mit prozessualer Wirkung gemäß § 62 Abs. 3 VwGO. Die Beklagte hat sich hierauf auch ausdrücklich berufen.
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2. Unabhängig vom Vorstehenden selbstständig die Entscheidung über die Unzulässigkeit der Klage tragend, liegt im Übrigen auch die besondere Sachurteilsvoraussetzung der Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 VwGO nicht vor bzw. fehlt es jedenfalls am Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Sachurteilsvoraussetzung.
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Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unverändert ein zureichender Grund dafür, dass die Beklagte die Zuwendungsanträge der Klägerin nicht inhaltlich beschieden hat.
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Nach der hierbei allein maßgeblichen ständigen zuwendungsrechtlichen Vollzugspraxis der Klägerin zu den Corona-Wirtschaftshilfen (vgl. dazu statt vieler aktuell z.B. VG München, U.v. 28.10.2022 – M 31 K 21.5978 – juris Rn. 22) wird in Fällen, in denen, wie hier, gegen den prüfenden Dritten ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, eine Entscheidung bis zu dessen Abschluss zurückgestellt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren Az. … … … bei der Staatsanwaltschaft München I gegen Herrn P. … R. …, auf das sich die Beklagte bezieht, mittlerweile in einem solchen Stand befände, der aufgrund der dabei gewonnenen Ermittlungsergebnisse nunmehr für die Beklagte auch eine inhaltliche Entscheidung über die Zuwendungsanträge ermöglichen würde. Im Gegenteil hat sich die Klagepartei auf die entsprechende gerichtliche Aufforderung im Aufklärungsschreiben vom 5. Dezember 2022 (dort unter Nr. 4) nicht geäußert, sodass auch insoweit keine anderen Erkenntnisse vorliegen, als diejenigen, die von der Beklagten in das Verfahren eingeführt worden sind.
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Ohne weiteres nachvollziehbar weist die Beklagte darauf hin, dass sie in den rein elektronisch geführten Massenverfahren der Corona-Wirtschaftshilfen auf die Richtigkeit der Angaben des prüfenden Dritten in besonderer Weise vertrauen können muss (vgl. zur besonderen Gewährsfunktion des prüfenden Dritten in den Verfahren der Corona-Wirtschaftshilfen VG München, B.v. 31.10.2022 – M 31 E 22.5178 – juris Rn. 27 f.). Bestehen, wie hier, Anhaltspunkte dafür, dass der prüfende Dritte im Zuwendungsverfahren falsche Angaben gemacht hat, ist eine umfassende Sachverhaltsermittlung unter Einbeziehung insbesondere der Staatsanwaltschaft geboten und offenkundig nicht willkürlich. Auch ist nicht zu erkennen, ob oder gegebenenfalls wann im vorgenannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zukünftig ein Erkenntnisstand erreicht werden wird, der sodann eine ausreichende Grundlage für eine Sachentscheidung der Beklagten über die streitbefangenen Zuwendungsanträge bilden könnte. Somit ist aus Gründen der Verfahrensökonomie und -praktikabilität nach einem Ablauf von mehr als 16 Monaten seit Klageerhebung und unter Berücksichtigung der klägerischen Verweigerung an der weiteren Mitwirkung am Verfahren hier kein weiteres gerichtliches Zuwarten, wie es § 75 Satz 3 VwGO im Verwaltungsrechtsstreit grundsätzlich unter Aussetzung und Fristsetzung vorsieht, mehr angezeigt. Jedenfalls fehlt der Klage vor diesem Hintergrund zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Sachurteilsvoraussetzung.
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Sonach war die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.