Titel:
Sekundärmigration eines anerkannten Schutzberechtigten in Italien
Normenketten:
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2 lit. a
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 8 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
Leitsätze:
1. Nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln erwarten einen alleinstehenden und arbeitsfähigen Kläger als anerkannt Schutzberechtigten, der mangels gegenteiliger Erkenntnisse nicht als vulnerabel anzusehen ist, bei seiner Rückkehr nach Italien keine Lebensverhältnisse, die ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSv Art. 4 GRCh zu erfahren (vgl. VGH München BeckRS 2023, 17223). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich der für Art. 4 GRCh maßgeblichen Bewertung der Unterkunfts- bzw. Unterbringungsmöglichkeiten ist vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel wegen des bestehenden Angebots von Nichtregierungsorganisationen, Freiwilligenorganisationen und Kirchen nicht von einer mit Art. 4 GRCh unvereinbaren Lage auszugehen, obwohl der Kläger keinen Anspruch auf behördliche Unterbringung mehr haben dürfte und ihm die Anmietung einer Sozialwohnung oder einer Wohnung auf dem freien Markt kaum in absehbarer Zeit gelingen wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf die für Art. 4 GRCh ebenfalls maßgebliche Bewertung der Existenzsicherung ist davon auszughen, dass anerkannt Schutzberechtigte trotz einer schwierigen wirtschaftlichen Situation dennoch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und so für ihren Lebensunterhalt (mit) sorgen können. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht, Sekundärmigration (Italien), anerkannt Schutzberechtigter, drohende Obdachlosigkeit, Sicherung des Lebensunterhalts, systemische Schwachstellen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Verschlechterung der Lebensverhältnisse, extreme materielle Not, Zustand der Verelendung, Erwerbstätigkeit, Zugang zum Arbeitsmarkt, Italien, Tatsachenrevision, Sekundärmigration, RL 2013/32/EU
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 23.06.2022 – RO 12 K 22.30318
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26269
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 23. Juni 2022 – RO 12 K 22.30318 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird gemäß § 78 Abs. 8 AsylG zugelassen.
Tatbestand
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Der 1996 geborene Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger und reiste, nachdem er sich zuvor schon in verschiedenen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgehalten hatte, auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte dort am 9. Dezember 2021 einen Asylantrag. Am 12. Januar 2022 richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) anlässlich einer entsprechenden EURODAC-Abfrage ein Wiederaufnahmeersuchen an die Italienische Republik (im Folgenden: Italien). Mit Schreiben vom 25. Januar 2022 teilten die italienischen Behörden mit, dass dem Kläger am 17. Juli 2017 eine Aufenthaltserlaubnis für den Flüchtlingsstatus („residence permit for ‚refugee status‘“) erteilt worden sei.
2
Mit Bescheid vom 24. Februar 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und drohte die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, da dem Kläger in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei.
3
Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 23. Juni 2022 ab. Der Bescheid des Bundesamts könne auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt werden, weil der Kläger internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat erhalten habe und den Kläger in Italien keine Lebensumstände erwarten würden, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh gleichkämen. Es sei nicht anzunehmen, dass der Kläger unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine Situation extremer materieller Not gerate, die es ihm nicht erlauben würde, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, und die seine Gesundheit beeinträchtige oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetze.
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Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, dass er als alleinstehender anerkannt Schutzberechtigter mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem eigenen Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten und seine elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können werde. Ein Zugang zu einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung sei faktisch ausgeschlossen, eine anderweitige menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeit bestünde nicht. Schon mangels Wohnsitz könne er keine Sozialwohnung erhalten, er genieße auch keinen Anspruch auf Bürgergeld, das einen Mietzuschuss umfasse, und die Unterbringung in Obdachlosen- oder Notunterkünften sei menschenwürdig nicht möglich. Ihm drohe für Wochen oder Monate ein Leben auf der Straße. Verwehrt sei ihm ebenso, die für das Überleben notwendigen Güter durch Erwerbsarbeit zu finanzieren. Trotz des freien Zugangs zum Arbeitsmarkt sei es angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, bestehender Sprachprobleme und Schwierigkeiten bei der Anerkennung einer Qualifikation in Italien kaum möglich, Arbeit zu finden. Im Übrigen würde sich das Verfahren für die Neuerteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis langwierig gestalten, was das Finden von Arbeit zusätzlich erschwere. Die Befriedigung elementarer Bedürfnisse könne auch nicht durch Nichtregierungsorganisationen sichergestellt werden, die sich hauptsächlich ohnehin nur in den großen Städten befänden und deren Projekte nur kurz und unregelmäßig gefördert würden.
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg den Bescheid des Bundesamtes vom 24. Februar 2020 – mit Ausnahme des vierten Satzes der Nummer 3 – aufzuheben oder, hilfsweise, unter Abänderung des Urteils die Beklagte zu verpflichten, in der Person des Klägers Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Italiens festzustellen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil. Die Lebensbedingungen von Personen mit zuerkanntem Schutzstatus seien in Italien ausreichend. Weder sei eine Verletzung der in Art. 26 ff. der RL 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote erkennbar noch herrschten in Italien derart eklatante Missstände, dass die Annahme gerechtfertigt sei, anerkannte Flüchtlinge würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt.
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Die Beteiligten sind gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu einer Entscheidung über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung angehört worden. Die Beklagte hat zugestimmt, der Kläger hat sich nicht geäußert.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die Behördenakten, auch aus dem Berufungszulassungsverfahren, Bezug genommen.
Gründe
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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A. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2022 erweist sich in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 des Asylgesetzes – AsylG – i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 (BGBl I S. 2817), als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Asylantrag des Klägers ist aufgrund des bereits in Italien zuerkannten Flüchtlingsschutzes zu Recht als unzulässig abgelehnt worden. Abschiebungsverbote hinsichtlich Italien liegen nicht vor. Die erlassene Abschiebungsandrohung nach Italien und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnen keinen Bedenken.
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I. Die Beklagte hat den Asylantrag in Nummer 1 des Bescheids zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt. Demnach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
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1. Der Kläger hat im November 2017 durch Italien als Mitgliedstaat den Flüchtlingsstatus erhalten (vgl. Schreiben der italienischen Behörden vom 25.1.2022). Ob der Flüchtlingsstatus noch besteht, ist für § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG jedenfalls dann nicht relevant, wenn der Kläger – wie hier – Italien freiwillig verlassen hat (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 ZB 23.30078 – Leitsatz 3).
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2. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist im Falle des Klägers auch nicht aus unionsrechtlichen Gründen ausgeschlossen.
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a) Es ist den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes i.d.F. d. Bek. vom 29. März 2013 (Asylverfahrens-RL, ABl L 180 S. 60) eingeräumten Befugnis – und mithin von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u.a., Hamed u.a. – juris Rn. 35; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. – juris Rn. 88), wenn der Kläger in Italien der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i.d.F. d. Bek. vom 12. Dezember 2007 (EU-Grundrechtecharta – GRCh, ABl C 303 S. 1) zu erfahren.
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aa) Art. 4 GRCh entspricht ausweislich der Charta-Erläuterungen dem Recht, das durch Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten i.d.F. d. Bek. v. 22. Oktober 2010 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK, BGBl II S. 1198) garantiert ist (vgl. Charta-Erläuterungen, ABl 2007 C 303/18; s. a. Art. 52 Abs. 3 GRCh). Im Unterschied zu der Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind bei der Prüfung einer unionsrechtlich begründeten Anwendungssperre hinsichtlich des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG allerdings nicht die individuellen Umstände des Klägers, sondern es ist allein maßgeblich, ob die festgestellten Aufnahmebedingungen in allgemeiner Hinsicht regelhaft derartige Schwachstellen aufweisen, die unabhängig vom Einzelfall die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh für nach Italien zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.
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bb) Im Zusammenhang mit der Beurteilung einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh kommt dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten grundlegende Bedeutung zu. Er verlangt von jedem Mitgliedstaat grundsätzlich, dass dieser davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 81; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 84). Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die widerlegliche Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht.
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Für diese Vermutung ist nur dann kein Raum, wenn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass die betreffende Person im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 85 und 88; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 86f.). Verfügt das Gericht über Angaben, die der Kläger vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem betreffenden Mitgliedstaat nachzuweisen, so ist es verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18).
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cc) Somit ist die Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur dann nicht zulässig, wenn Schwachstellen vorliegen, die eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Das ist der Fall, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden Italiens zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f m.w.N.; U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – juris Rn. 89 f.; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18). Diese Schwelle ist selbst in einer durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situation nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 93; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18).
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Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh liegt nicht schon vor, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Fall einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern kann erst angenommen werden, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18). Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und arbeitsfähige erwachsene Personen (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12).
21
dd) Bei der für Art. 4 GRCh maßgeblichen Bewertung der Lebensverhältnisse, die den Kläger im Falle seiner Rückkehr erwarten, sind zunächst seine Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau zu sichern, zu berücksichtigen. Insoweit ist es den Betroffenen gegebenenfalls auch zumutbar, eine wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entspricht und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 29). Auch reicht der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, regelmäßig nicht für das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 13; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 19).
22
Bei der Bewertung sind ferner die staatlichen Unterstützungsleistungen und auch die – alleinigen oder ergänzenden – dauerhaften Unterstützungs- oder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22). Deshalb kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 14; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850/21 – juris Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22).
23
b) Nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln erwarten den alleinstehenden und arbeitsfähigen Kläger als anerkannt Schutzberechtigten, der mangels gegenteiliger Erkenntnisse nicht als vulnerabel anzusehen ist, bei seiner Rückkehr nach Italien keine Lebensverhältnisse, die ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh im vorstehenden Sinne zu erfahren (vgl. BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 20 ff.).
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aa) Schutzberechtigte genießen in Italien Niederlassungsfreiheit, können einen Wohnsitz anmelden und haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger (Asylum Information Database – AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 192, 208; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 18, 20). Da rückkehrende Personen mit Schutzstatus italienischen Staatsbürgern formell gleichgestellt sind, erhalten sie keine besondere Unterstützung (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 1.7.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 21). Sie erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre (vgl. auch die Aussage des Klägers im Rahmen seiner Anhörung, Bl. 90 BA), die auf Antrag bei Fortbestand der Voraussetzungen verlängert wird. Auch wenn seine Aufenthaltserlaubnis zwischenzeitlich abgelaufen sein dürfte, ist es dem Kläger möglich, deren Verlängerung zu beantragen. Obwohl an sich nach italienischem Recht eine neue Aufenthaltsbewilligung mindestens 60 Tage vor Ablauf der bisherigen Bewilligung beantragt werden muss, ist eine Verlängerung bis maximal der Hälfte der Gültigkeitsdauer des Status – also 2,5 Jahre – über das Ablaufdatum hinaus möglich (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Anfragebeantwortung für das VG Karlsruhe vom 29.4.2022, S. 2; s.a. für weitere Erkenntnisse zur Verlängerung BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 21).
25
bb) Hinsichtlich der für Art. 4 GRCh maßgeblichen Bewertung der Unterkunfts- bzw. Unterbringungsmöglichkeiten ist vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel wegen des bestehenden Angebots von Nichtregierungsorganisationen, Freiwilligenorganisationen und Kirchen nicht von einer mit Art. 4 GRCh unvereinbaren Lage auszugehen (3), obwohl der Kläger keinen Anspruch auf behördliche Unterbringung mehr haben dürfte (1) und ihm die Anmietung einer Sozialwohnung oder einer Wohnung auf dem freien Markt kaum in absehbarer Zeit gelingen wird (2).
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(1) In Italien bildet das nach der Reform von 2020 entstandene Zweitaufnahmesystem „Sistema Asilo Integrazione“ (SAI) die maßgebliche Unterbringungsmöglichkeit für anerkannt Schutzberechtigte und ersetzt das unter Innenminister Salvini geschaffene SIPROIMI-System (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 18). Die SAI-Projekte werden in der Regel gemeinsam von Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. In den Zentren werden die Bewohner materiell und gesundheitlich versorgt, sozial und psychologisch betreut und erhalten Sprach- und landeskundlichen Unterricht. Anerkannt Schutzberechtigte erhalten zudem Unterstützung bei Integration, Arbeitssuche und beruflicher Bildung. Die reguläre Aufnahmedauer beträgt sechs Monate und kann in Ausnahmefällen verlängert werden. Nach der Gesetzesverordnung 130/2020 sollen die Personen nach dem Verlassen des SAI-Systems im Rahmen der Kapazitäten weiter behördlich bei der Integration unterstützt werden (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 213 ff.).
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Aufnahmeberechtigt in den Zentren des SAI-Systems sind unbegleitete minderjährige und heranwachsende Flüchtlinge, anerkannt international Schutzberechtigte und im Rahmen der Aufnahmekapazität Asylbewerber und sonstige Aufenthaltsberechtigte. Das Recht auf Unterbringung kann entzogen werden, wenn die Hausregeln missachtet werden, der Betreffende sich gewalttätig verhält oder die Unterkunft unberechtigt länger als 72 Stunden verlassen wird (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 213, 215 f.). Wenn der Betreffende vor seiner Ausreise aus Italien noch keinen Zugang zu einem SAI-Projekt bzw. einer Einrichtung nach den Vorgängervorschriften über SIPROIMI hatte, besteht grundsätzlich ein Recht auf Unterbringung in einem solchen Projekt im Rahmen der Kapazität (Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 2). Wenn eine Person dagegen früher Zugang zu einem SIPROIMI-Projekt erhalten hatte und später nach Italien rücküberstellt wird, erhält sie keinen Zugang zu SIPROIMI-Projekten mehr. Ausnahmsweise kann man beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von neuen Vulnerabilitäten stellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Januar 2020, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 61). Dies gilt auch seit Einführung des neuen SAI-Systems (Schweizerische Flüchtlingshilfe, 10.06.2021, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 12).
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Vorliegend ist mit Blick auf die Äußerung des Klägers gegenüber dem Bundesamt, er habe ein Jahr in einem Camp gelebt, habe aber „raus“ gemusst, als er anerkannt wurde (vgl. Bl. 90 BA), zwar unklar, ob er sich zumindest kurz in einer Unterkunft im Rahmen des SAI-Systems aufgehalten hat; jedoch ist zumindest anzunehmen, dass er im Rahmen der Anerkennung entsprechend den bestehenden italienischen Regelungen eine Möglichkeit hatte, dort Obdach zu finden und diese Möglichkeit nach den vorstehenden Regeln nun nicht mehr besteht.
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(2) Der Kläger wird voraussichtlich in absehbarer Zeit auch weder eine Sozialwohnung noch eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt erlangen können. Anerkannt schutzberechtigte Personen haben zwar grundsätzlich Zugang zu Sozialwohnungen zu den gleichen Bedingungen wie italienische Staatsangehörige. In manchen Regionen ist dieser Zugang an eine bestimmte ununterbrochene Mindestmeldezeit gebunden, wobei solche Praktiken vom italienischen Verfassungsgericht 2021 für unzulässig erklärt wurden. Wartezeiten von mehreren Jahren auf eine Wohnung sind jedoch die Regel (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 1.7.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 20; AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 217 f). Unabhängig davon steht diesem Personenkreis in Italien auch der freie Wohnungsmarkt zur Verfügung. Vermieter verlangen oft einen Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Mieten sind im Allgemeinen und vor allem in den großen Städten sehr hoch (vgl. Raphaelswerk, Juni 2020, Italien: Information für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, S. 14). Überdies ist der freie Wohnungsmarkt beschränkt, weil wegen der hohen Eigentumsquote nur etwa zehn Prozent aller Immobilien frei vermietet werden (UNHCR, Februar 2021, The refugee house, S. 7).
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(3) Trotz der dem Kläger bei einer Rückkehr nach Italien – jedenfalls in der Anfangszeit – drohenden Obdachlosigkeit im Sinne einer (dauerhaften) Wohnungslosigkeit, ist es ihm möglich, einen Lebensstandard zu halten, der noch unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des Art. 4 GRCh liegt (so auch OVG RhPf, U.v. 27.3.2023 – 13 A 10948/22.OVG – Rn. 53 ff. mit Verweis auf VGH BW, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850/21).
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Zwar kann Obdachlosigkeit zu einer für die Verletzung des Art. 4 GRCh hinreichenden Bedingung anwachsen, wenn die Betroffenen zusätzlich besondere Vulnerabilitäten aufweisen oder wenn sie in der Obdachlosigkeit auch in denjenigen Situationen auf sich selbst gestellt bleiben, in denen ihre Unterstützung zur Vermeidung einer extremen materiellen Not zwingend notwendig ist. Davon kann jedoch bei alleinstehenden und arbeitsfähigen Personen angesichts der zahlreichen Hilfsangebote verschiedener Akteure nicht ohne weitere Anhaltspunkte ausgegangen werden. Auch wenn sich die Lebenssituation und der Lebensstandard der anerkannt Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Italien im Vergleich zu einem Aufenthalt in Deutschland deutlich verschlechtern, stellt dies noch keine mit Art. 4 GRCh unvereinbare Situation dar. Ausweislich der Erkenntnismittel können anerkannt Schutzberechtigte in privaten Notunterkünften ihre elementarsten Grundbedürfnisse decken und auf ein umfangreiches Netzwerk privater Einrichtungen zur Aufnahme von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten, die von kirchlichen und Nichtregierungsorganisationen getragen werden, zurückgreifen. Insbesondere die Kirchen bieten in Italien ein breites Spektrum an Hilfsleistungen an. Dies betrifft namentlich die Zurverfügungstellung von (Not-)Unterkünften, Kleidung und Nahrung (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 134; Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 2, 7). Viele Menschen mit internationalem Schutzstatus leben in Notunterkünften, die lediglich einen Schlafplatz anbieten und auch anderen Bedürftigen zur Verfügung stehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 1.7.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 20). Daneben existieren zahlreiche informelle Unterkünfte (Zeltstädte, Slums, besetzte Häuser), die teilweise von Hilfsorganisationen im Hinblick auf die Grundversorgung unterstützt werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe und Pro Asyl, 29.10.2020, Auskunft an VGH Kassel, S. 7). Es ist nicht-vulnerablen anerkannt schutzberechtigten Personen wie dem Kläger möglich und zumutbar, sich darüber zu informieren, an welchem Ort noch Kapazitäten bestehen und ihren Aufenthalt auch dorthin zu verlagern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger regionaler Unterschiede bei der Verfügbarkeit und Auslastung dieser Angebote.
32
cc) Im Hinblick auf die für Art. 4 GRCh ebenfalls maßgebliche Bewertung der Existenzsicherung geht der Senat davon aus, dass anerkannt Schutzberechtigte trotz einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (1) dennoch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und so für ihren Lebensunterhalt (mit) sorgen können (2).
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(1) Personen, die als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte internationalen Schutz genießen, haben in Italien denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie Inländer. In der Praxis bestehen wegen der hohen Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Schwarzarbeit ist weit verbreitet. Viele Zuwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen und sind anfällig für Ausbeutung. In Anbetracht der derzeit hohen Arbeitslosigkeit in Italien ist es für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus schwierig, Arbeit zu finden. Meist bleibt ihnen nur die Arbeit in der Schattenwirtschaft, wo die Gefahr der Ausbeutung ein Problem darstellt. Im Allgemeinen sind die wenigen Arbeitsplätze, die Asylsuchenden und Schutzberechtigten zur Verfügung stehen, schlecht bezahlt und befristet. Der Lohn reicht in der Regel nicht aus, um eine Wohnung zu mieten oder einer Familie ein sicheres Einkommen zu bieten. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage 2020 und 2021 zusätzlich verschärft, viele Personen mit Status, die eine Arbeit gefunden hatten, haben diese dadurch verloren (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13 f.).
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Die Beschäftigungsrate von Ausländern in Italien ist gleichwohl sehr hoch, sie liegt über der Beschäftigungsrate von Inländern. Der italienische Arbeitsmarkt ist aus demografischen Gründen auf Migration angewiesen. Es handelt sich jedoch zu einem großen Teil um geringqualifizierte und informelle Arbeit (RESPOND, 1.6.2020, Integration, Policies, Practices and Experiences. Italy Country Report, S. 26 f.). In den vergangenen Jahrzehnten war in Italien ein dramatischer Anstieg von Schwarzarbeit, illegalen Anwerbungsmethoden und damit einhergehender Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften zu verzeichnen (sog. „caporalato“). Zur Bekämpfung dieser Zustände wurden bestehende Strafen verschärft und neue Straftatbestände gegen kriminelle Arbeitgeber geschaffen; der italienische Staat geht vermehrt gegen illegale Beschäftigung und Ausbeutung von Ausländern vor (RESPOND, 1.6.2020, Integration, Policies, Practices and Experiences. Italy Country Report, S. 26 und 27). So wurden etwa im November 2022 in der Nähe von Foggia (Apulien) fünf Personen wegen der Ausbeutung von Arbeitern bei der Tomatenernte festgenommen (Amnesty International, Report zur Lage der Menschenrechte Italien 2022).
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Über ein Drittel der Ausländer arbeitet in befristeten oder in Teilzeitverträgen. 32% der Migranten in Beschäftigung arbeiten in einem ungelernten Beruf; mehr als ein Viertel der ausländischen Beschäftigten üben persönliche Dienstleistungen wie Pflege und Betreuung aus, ein weiteres Viertel ist in Hotels und Restaurants, im Transportgewerbe, als Lagerarbeiter oder Bauarbeiter beschäftigt. Das durchschnittliche Nettoeinkommen von Ausländern liegt unterhalb des Durchschnittseinkommens von Inländern. Die Arbeitslosigkeit von international schutzberechtigten Personen wird auf 17,8% geschätzt, wobei Frauen aus diesem Personenkreis zu 34,9% erwerbslos sind. Gleichwohl erreicht auch die Erwerbsquote dieses Personenkreises fast die Erwerbsquote von italienischen Staatsangehörigen, das gilt erst recht, wenn nur männliche Schutzberechtigte betrachtet werden (Beppe De Sario, 1.1.2021, Migration at the crossroads, S. 206 ff.). Die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt hängt auch vom lokalen sozioökonomischen Kontext ab und gelingt im hochentwickelten Norden besser als im landwirtschaftlich geprägten Süden. Maßgebliche Umstände für einen Zugang zum Arbeitsmarkt sind der Erwerb von Sprachkenntnissen, berufliche Fähigkeiten, gesicherte Wohnverhältnisse und eine funktionierende Arbeitsvermittlung (SIRIUS, Dezember 2020, WP7: Italian country report, S. 6 f., 9).
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Es gibt ferner öffentliche staatliche Schulen (Provincial Centres for Adult Education – CPIA), in denen italienischen und ausländischen Staatsbürgern ab 16 Jahren Aus- und Weiterbildungen angeboten werden. Hierunter fallen neben der Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenz auch italienische Sprachkurse für Ausländer (Beppe De Sario, 1.1.2021, Migration at the crossroads, S. 203).
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Anerkannt Schutzberechtigte haben außerdem denselben Anspruch auf Zugang zum italienischen Sozialsystem wie italienische Staatsbürger (AIDA, Country Report: Italy, Stand: 2021, S. 221), auch wenn das italienische Sozialsystem nur schwach ausgeprägt ist und sich auf traditionelle Familienstrukturen, die Flüchtlingen meist nicht zur Verfügung stehen, stützt. Sechs Monate nach Erhalt des Schutzstatus sind die Asylsuchenden auf sich gestellt und müssen für sich selbst sorgen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 10.3.2022, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, S. 20; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Januar 2020, Aufnahmebedingungen in Italien, S. 62).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnisse ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger als arbeitsfähiger Schutzberechtigter bei seiner Rückkehr nach Italien in der Lage ist, sein wirtschaftliches Existenzminimum durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Hilfsangeboten von kirchlichen oder Nichtregierungsorganisationen zur Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, zu erwirtschaften. Aus Sicht des Senats ist es arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten regelmäßig möglich und zumutbar, sich gerade in der Anfangszeit um Anstellungen im Tourismusgewerbe oder in der Landwirtschaft zu bemühen und so für ihre Existenzsicherung zu sorgen. Sie müssen sich hierbei auch auf – ggf. befristete – Aushilfstätigkeiten verweisen lassen. Denn der Maßstab kann nur das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige sein, wobei es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumutbar ist, auch Tätigkeiten auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison oder Erntezeit, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angesiedelt sind (vgl. zu diesem strengen Maßstab z.B. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 29 m.w.N.). Hinsichtlich der fehlenden italienischen Sprachkenntnisse können die Rückkehrer auf Sprachkurse für Ausländer an den CPIA verwiesen werden.
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2. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch hinsichtlich seiner Nummer 2 rechtmäßig. Nationale Abschiebungsverbote nach Maßgabe des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz (AufenthG) – i.d.F. d. Bek. vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl I S. 1294), bestehen nicht. In der Person des Klägers liegen keine Gründe vor, die zu einer von der allgemeinen Lage für nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte abweichenden Beurteilung führen und seiner Abschiebung nach Italien entgegenstehen könnten.
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a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der im deutschen Recht im Rang eines Bundesgesetzes geltenden Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst der Verweis auf die Konvention lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 35). Mit Blick auf den Zweck der Konvention, grundsätzlich Rechte und Freiheiten innerhalb des eigenen Machtbereichs der Vertragsstaaten selbst zu sichern (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34.99 – juris Rn. 8), kommt als ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis meist nur die Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK in Betracht. Es ist geklärt, dass die im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses Mindestmaß an Schwere erreichen müssen (vgl. EGMR (GK), U.v. 13.12.2016 – Paposhvili/Belgien, Nr. 41738/10, NVwZ 2017, 1187 Rn. 174; EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – NVwZ 2017, 691 Rn. 68).
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Bei der Prüfung, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung als Folge schlechter Lebens- und Rückkehrbedingungen droht und deshalb ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, kommt es maßgeblich darauf an, wie sich die – bei der oben durchgeführten Prüfung der Unzulässigkeit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – allgemein festgestellten Aufnahmebedingungen im Lichte der jeweils individuellen Umstände und persönliche Besonderheiten des konkreten Klägers (im Falle seiner Rückkehr) auswirken werden (vgl. auch BayVGH, U.v. 25.5.2023 – 24 B 22.30954 – juris Rn. 45). Denn die Frage nach einem nationalen Abschiebungsverbot kann nicht allein aufgrund der Umstände in einem Mitgliedstaat, sondern nur in der Auswirkung dieser Umstände auf den konkret Betroffenen beurteilt werden. Es bedarf insoweit einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
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b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Italien Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Es ist weder ersichtlich noch wurde vorgetragen, dass bei dem Kläger besondere individuelle Umstände bestehen, die in seinem konkreten Fall dazu führen, dass abweichend von den allgemeinen Feststellungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK hinreichend wahrscheinlich erscheint. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Kläger vom durchschnittlichen alleinstehenden und arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten abweicht.
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c) Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen könnten.
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3. Auch die Nummern 3 und 4 des Bescheids vom 29. März 2018 sind rechtmäßig. Die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ist nicht zu beanstanden. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2, § 75 Nr. 12 AufenthG bestehen ebenfalls keine Bedenken.
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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C. Die Revision ist nach Maßgabe des § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG als sogenannte „Tatsachenrevision“ zuzulassen, da der Senat im Rahmen der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von deren Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (U.v. 20.7.2021 – 11 A 1674/20.A – juris) abweicht. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen, da keine Gründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 VwGO vorliegen.