Titel:
Zulässigkeit einer nicht kerngebietstypischen Spielothek in einem Gewerbegebiet
Normenketten:
BauNVO 1968 § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 3
BauNVO 1990
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Ein übergemeindlicher Kundenstamm allein macht eine Einrichtung noch nicht zu einer zentralen, kerngebietstypischen Einrichtung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die BauNVO 1990 enthält eine detaillierte Regelung über die regelmäßige bzw. ausnahmsweise Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in den verschiedenen Baugebieten. Der Verordnungsgeber hat die Vergnügungsstätten als eine besondere Nutzungsart erfasst und sie zugleich aus dem allgemeinen Begriff der Gewerbebetriebe herausgenommen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulässigkeit einer nicht kerngebietstypischen Spielothek in einem Gebiet, für die der Bebauungsplan nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 ein Gewerbegebiet festsetzt, Bebauungsplan, Nutzungsänderung, Spielothek, Bistro, Vergnügungsstätte, Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, überörtlicher Einzugsbereich, statische Verweisung, Gewerbegebiet
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 25.10.2022 – RN 6 K 20.1178
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26244
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. Oktober 2022 – RN 6 K 20.1178 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich als Standortgemeinde gegen den vom Beklagten erlassenen Bescheid vom 8. Juni 2020, mit dem dem Beigeladenen die Nutzungsänderung einer Teilfläche seines Verkaufsmarktes in eine Spielothek mit einer Nutzfläche von 98,8 qm und 8 Geldspielgeräten sowie in ein Bistro auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E … unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilt wurde.
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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „A …“, der am 25. Juli 1970 in Kraft trat und für das streitgegenständliche Grundstück ein Gewerbegebiet festsetzt.
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Mit Urteil vom 25. Oktober 2022 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die gegen den Bescheid vom 8. Juni 2020 gerichtete Klage ab.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt und zu dem der Beigeladene sich nicht äußerte, verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er ist der Ansicht, bei dem Vorhaben handele es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, denn es sei davon auszugehen, dass die Lagerfläche des Bistros auch als Lager für die Spielothek diene, weshalb der Schwellenwert von 100 qm überschritten werde. Nach einer Stellungnahme der … … und der R … passierten 1.800 KfZ bzw. 174 KfZ die Straße. Vor Ort seien Firmen mit nicht nur ausschließlich ortsansässigen Mitarbeitern vorhanden, die zuvörderst das Publikum der Spielothek darstellten, weshalb von einem größeren Einzugsbereich auszugehen sei. Selbst wenn die Spielothek nicht kerngebietstypisch wäre, wäre sie nach der hier geltenden BauNVO von 1968 im Gewerbegebiet generell unzulässig. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass die BauNVO die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten nicht abschließend regele und diese als Gewerbebetriebe aller Art zulässig sein könnten. Dies gelte aber nur für nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten. Der Bebauungsplan sei 1970 vor diesen Urteilen erlassen worden, weshalb die Rechtsprechung nicht anwendbar sei, da diese Rechtsprechung sonst einer dynamischen Verweisung gleichkommen würde. Zudem sei die Rechtsprechung aufgrund der Regelung in § 8 BauNVO 1990 überholt. Werde der Bebauungsplan nicht geändert, werde dem Kläger eine dynamische Verweisung aufgedrängt und der gemeindliche Wille untergraben. Mit weiterem Schriftsatz vom 3. Juni 2023 wurde ausgeführt, eine Änderung sei auch nicht notwendig, da Spielhallen im Gemeindegebiet zugelassen werden würden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen der geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
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Der Kläger legt nicht schlüssig dar, dass es sich um eine kerngebietstypische Spielothek handelt. Seine Behauptung, es könnten sich mehr Leute in dem Bereich aufhalten und ein freies Spielgerät bei Speis und Trank im Bistro abwarten, ist nicht nachvollziehbar, da aufgrund der baulichen Trennung von Bistro und Spielothek und der Anordnung der Fenster und der Eingänge vom Bistro aus nicht gesehen werden kann, ob ein Spielgerät frei wird. Es wird lediglich behauptet, dass die Mitarbeiter in der Spielothek keine Abstellflächen für Jacken, Taschen oder persönliche Gegenstände sowie Putzmittel oder Werkzeug für die Spielautomaten hätten und daher das Lager des Bistros nutzen würden, weshalb eine Einheit mit dem Bistro bestehe. Sofern tatsächlich ein Bedarf bestünde, die vom Kläger angesprochenen Gegenstände in der Spielothek zu lagern, besteht in dem 96,80 qm großen Raum ausreichend Platz, Schränke o.ä. aufzustellen. Nach der Auffassung des Klägers würden vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vor Ort vorhandenen Betriebe, die aus anderen Regionen stammten, das Publikum der Spielothek bilden, weshalb ein überörtlicher Einzugsbereich für die Spielothek gegeben sei. Ein übergemeindlicher Kundenstamm allein macht eine Einrichtung noch nicht zu einer zentralen, kerngebietstypischen Einrichtung (BVerwG, Urteil vom 21.02.1986 – 4 C 31/83 – juris Rn. 10 ff.). Da diese Mitarbeiter das Gewerbegebiet aufsuchen, um in ihren Betrieben zu arbeiten, besteht insoweit kein Unterschied zu der vor Ort wohnenden Bevölkerung, die ebenfalls in ihrer Freizeit in die Spielothek geht. Es mag sein, dass 1800 KfZ täglich die Straße, an der die Spielothek liegt, nutzen, damit ist aber lediglich belegt, dass es sich um eine vielbefahrene Straße handelt, aber nicht substantiiert dargelegt, dass es sich dabei um den übergemeindlichen Kundenstamm der Spielothek handelt. Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass die Spielothek selbst kein erheblich erhöhtes Verkehrsaufkommen befürchten lässt, wird im Hinblick auf das im Gewerbegebiet vorhandene …-Werk und die R … nicht substantiiert entgegengetreten.
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Unzutreffend ist auch die Auffassung des Klägers, angesichts der statischen Verweisung des einschlägigen Bebauungsplans auf § 8 BauNVO 1968 seien Vergnügungsstätten im dort ausgewiesenen Gewerbegebiet generell unzulässig, woran auch die später ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nichts ändern könne, da deren Anwendung gewissermaßen zu einer dynamischen Verweisung führen würde, die dem Willen der plangebenden Gemeinde zuwiderliefe. Mit der Neuregelung in der BauNVO 1990 sei die Rechtsprechung des BVerwG zudem überholt, da Vergnügungsstätten einen eigenen Tatbestand bildeten.
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Vielmehr kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Rechtslage vor Erlass der BauNVO 1990 eine Vergnügungsstätte unter besonderen Voraussetzungen etwa im Gewerbegebiet zulässig sein. Dass Vergnügungsstätten nach damaliger Rechtslage – vorliegend konkret die BauNVO 1968 über die statische Verweisung im einschlägigen Bebauungsplan – ausdrücklich in Kerngebieten für zulässig erklärt werden, schließe es nämlich nicht aus, dass ein bestimmtes unter die spezielle gewerbliche Nutzungsart fallendes Vorhaben ein Gewerbebetrieb ist und als solcher in dem Baugebiet zulässig sein kann, nämlich wenn er von dem in der BauNVO bei der Definition der speziellen gewerblichen Nutzungsart vorausgesetzten Regelfall abweicht und wenn er die Voraussetzungen erfüllt, unter denen „sonstige Gewerbebetriebe“ in dem Baugebiet zulässig seien (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 64.79 – juris Leitsatz sowie Rn. 8). Für Gewerbegebiete verlangt das BVerwG, dass die Vergnügungsstätten mit der typischen Funktion des Gewerbegebietes, vornehmlich den nicht erheblich störenden Betrieben des Handwerks sowie den Dienstleistungsbetrieben einschließlich Tankstellen, Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie Lagerplätzen und -häusern in Einklang stehen (BVerwG, B.v. 28.7.1988 – 4 B 119.88 – juris Rn. 4; siehe dazu auch VGH Baden-Württemberg, U.v. 3.1.1990 – 3 S 3002/89 – juris Rn. 26). Dass diese Voraussetzung hier gegeben ist, bestreitet der Kläger nicht.
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Mit dieser Rechtsprechung unterläuft das BVerwG auch nicht – wie der Kläger meint – den spezifischen Typenbegriff der „Vergnügungsstätte“. Denn in der Rechtsprechung des BVerwG ist ebenfalls geklärt, dass die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten (erst) in der BauNVO 1990 ausdrücklich und damit zugleich abschließend gere-gelt wurde. Die BauNVO 1990 enthält in den § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 3, § 7 Abs. 2 Nr. 2 und § 8 Abs. 3 Nr. 3 eine detaillierte Regelung über die regelmäßige bzw. ausnahmsweise Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in den verschiedenen Baugebieten. Mit dieser Regelung hat der Verordnungsgeber die Vergnügungsstätten als eine besondere Nutzungsart erfasst und sie zugleich aus dem allgemeinen Begriff der Gewerbebetriebe herausgenommen (siehe etwa BVerwG, U.v. 20.8.1992 – 4 C 57.89 – juris Rn. 14).
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Ebenso wenig wird durch die Rechtsprechung des BVerwG die gemeindliche Planungshoheit verletzt. Denn der Wille der Gemeinde wird durch die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien für die mögliche Zulassung einer Vergnügungsstätte als sonstiger Gewerbegebetrieb geschützt, da das BVerwG insbesondere eine Vereinbarkeit mit der typischen Funktion des Gewerbegebiets sowie das Fehlen der Kerngebietstypik verlangt.
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2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2023 – 15 ZB 22.2634 – juris Rn. 23).
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Diese Anforderungen erfüllt die Zulassungsbegründung nicht, da die Fragen („Ist bei einer statischen Verweisung durch einen Bebauungsplan eine rechtsmodifizierende Rechtsprechung, die Jahrzehnte nach Erlass des Bebauungsplans erging und die die Rechtsnorm, auf die statisch verweisen wurde, abändert und einen Rechtsbegriff erweitert, bei Auslegung des Bebauungsplans anzuwenden?“ und „Ist eine Rechtsprechung, die zu einer Änderung der Baunutzungsverordnung führt, auf eine frühere, diese modifizierende Baunutzungsverordnung anzuwenden, auf welche statisch verwiesen wurde?“), wie oben dargelegt, bereits höchstrichterlich geklärt sind.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt billigerweise seine außergerichtlichen Kosten selbst, weil er sich im Zulassungsverfahren nicht beteiligt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, Anhang) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).