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VG München, Beschluss v. 10.01.2023 – M 27 S 22.5246
Titel:

Glücksspielrechtliche Sperranordnung gegen Access-Provider 

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GlüStV 2021 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5
Leitsatz:
Die Frage, ob ein den Internetzugang als sog. Acess-Provider Anbietender als verantwortlicher Diensteanbieter im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 GlüStV 2021 anzusehen ist, seine Inanspruchnahme mithin als Störer oder lediglich als sog. Nichtstörer erfolgen kann, ist zu komplex, um sie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu beantworten. Deshalb ist die aufschiebende Wirkung bei einer Interessensabwägung anzuordnen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glücksspielrechtliche Sperranordnung gegen Access-Provider, Einstweiliger Rechtsschutz, Offene Erfolgsaussichten, Interessenabwägung, Störer, Diensteanbieter
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 23.03.2023 – 23 CS 23.195
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2623

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 6. Oktober 2022 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Antragstellerin, welche Privat- und Geschäftskunden verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Mobilfunk, Festnetz, Datendienste und Internet, darunter auch Internetzugang als sog. Acess-Providerin anbietet, wendet sich mit der ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zugrundeliegenden Klage gegen eine mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Oktober 2022 erfolgte glücksspielrechtliche Sperranordnung.
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Mit Bescheid vom 6. Oktober 2022, nach Aktenlage zugestellt am 12. Oktober 2022, ordnete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin an, die Internetseiten (= Domains) www. …com, www. …com und www. …de der Unternehmen … … … … … und … … … … …, auf denen unerlaubte Glücksspielangebote vermittelt bzw. veranstaltet werden, im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittlerin zu sperren, so dass ein Zugriff über die von ihr in Deutschland zur Verfügung gestellten Zugänge zum Internet nicht mehr möglich ist (Nr. 1). Ferner ordnete die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin an, künftig von der Antragsgegnerin mitzuteilende Internetseiten (= Domains), auf denen sich nach Art und Umfang wesentlich deckungsgleiche unerlaubte Glücksspielangebote (sog. Mirror-Pages) von unter Nr. 1 benannten Anbietern oder deren Rechtsnachfolgern vermittelt bzw. veranstaltet werden, im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittlerin zu sperren, sodass ein Zugriff über die von ihr in Deutschland gestellten Zugänge im Internet nicht mehr möglich ist (Nr. 2). Die Anordnung unter Nr. 1 sei innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Bescheids umzusetzen und der Antragsgegnerin zeitgleich schriftlich mitzuteilen (fristwahrend ggf. vorab per E-Mail) (Nr. 3). Die Anordnung unter Nr. 2 sei innerhalb von zwei Wochen nach Mitteilung der jeweiligen Internetseiten (= Domains) umzusetzen und der Antragsgegnerin zeitgleich schriftlich mitzuteilen (fristwahrend ggf. vorab per E-Mail) (Nr. 4). Für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Nr. 1 nach Ablauf der Frist gemäß Nr. 3 wurde der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000,00 Euro angedroht (Nr. 5).
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Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am … Oktober 2022 Klage (M 27 K 22.5245) und beantragte zugleich
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Ferner wurde beantragt, der Antragsgegnerin vorläufig während der Dauer des Eilverfahrens zu untersagen, den angefochtenen Bescheid zu vollziehen, insbesondere Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten. Zur Klage- und Antragsbegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragstellerin nicht verantwortliche Diensteanbieterin im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV i.V.m. §§ 8 bis 10 TMG sei, die angefochtenen Verfügungen unverhältnismäßig seien und die Antragsgegnerin ferner ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2022 wurde der Antragsgegnerin untersagt, bis zu einer Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus ihrem Bescheid vom 6. Oktober 2022 (* …*) zu vollstrecken.
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Mit Schriftsatz vom … Oktober 2022 stellte der Bevollmächtigte der Unternehmen … … … … …, … … … … … und … … … … … für diese ebenfalls Anträge. Mit weiterem Schriftsatz vom … Oktober 2022 beantragte der Bevollmächtigte der genannten Unternehmen deren Beiladung zu dem Rechtsstreit.
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Mit Beschluss vom 31. Oktober 2022 wurden die genannten Unternehmen zum Hauptsacheverfahren M 27 K 22.5245 sowie zum Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beigeladen.
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Die Antragsgegnerin legte am 31. Oktober 2022 die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache jedoch nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten des Eil- und Hauptsacheverfahrens sowie die Behördenakten verwiesen.
II.
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I. Der zulässige Antrag ist begründet.
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1. Der Antrag ist zulässig. Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Glücksspielaufsicht nach § 9 Abs. 1 GlüStV haben nach Art. 10 Satz 2 Halbs. 2 AGGlüStV i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV keine aufschiebende Wirkung (BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 10 CS 13.2300 – juris-Leitsatz). Die Androhung eines Zwangsgeldes ist nach § 9 AGVwGO LSA ebenfalls kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
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2. Der Antrag ist auch begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Verfahrens in der Hauptsache besondere Bedeutung zu. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug regelmäßig der Vorrang zu, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine von der Vorausbeurteilung der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen, wobei auch die gesetzgeberische Entscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist.
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Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind vorliegend als offen zu betrachten.
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Die Antragsgegnerin stützt die in Nr. 1 und Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Anordnungen auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV. Nach dieser Vorschrift kann die Glücksspielaufsicht unbeschadet sonstiger in diesem Staatsvertrag und anderen gesetzlichen Bestimmungen vorgesehener Maßnahmen insbesondere nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote Maßnahmen zur Sperrung dieser Angebote gegen im Sinne der §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes verantwortliche Diensteanbieter, insbesondere Zugangsvermittler und Registrare, ergreifen, sofern sich Maßnahmen gegenüber einem Veranstalter oder Vermittler dieses Glücksspiels als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erweisen; diese Maßnahmen können auch erfolgen, wenn das unerlaubte Glücksspielangebot untrennbar mit weiteren Inhalten verbunden ist.
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Die streitgegenständlichen zentralen rechtlichen Fragestellungen, nämlich ob die Antragstellerin als verantwortliche Diensteanbieterin im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 i.V.m. §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes anzusehen ist, die Inanspruchnahme der Antragstellerin mithin als Störerin oder lediglich als sog. Nichtstörerin erfolgen konnte, die Inanspruchnahme der Antragstellerin unter Berücksichtigung der berührten Grundrechte ferner verhältnismäßig und ermessensgerecht war, sind aufgrund ihrer Komplexität einer abschließenden Beantwortung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zugänglich.
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Es ist in diesem Zusammenhang jedoch unter Bezugnahme auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Ermessensfehlerhaftigkeit einer Sperrungsanordnung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2008 (vgl. etwa VG Düsseldorf, U.v. 29.11.2011 – 27 K 5887/10 – juris Rn. 59 ff.) darauf hinzuweisen, dass begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Sperrverfügung bestehen.
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Vor diesem Hintergrund und angesichts der Grundrechtsintensivität der streitgegenständlichen Verfügung ergibt die vorzunehmende Interessenabwägung trotz der gesetzgeberischen Wertung der § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV sowie § 9 AGVwGO LSA als auch des Umstands, dass es sich bei den angegriffenen behördlichen Verfügungen um solche der Gefahrenabwehr handelt, ein Überwiegen des Suspensivinteresses der Antragstellerin gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der in der Hauptsache gebotene Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.