Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.09.2023 – 10 ZB 23.1344
Titel:

Zur Frage der besonderen Passbeschaffungspflicht nach Stellung eines Asylfolgeantrags

Normenketten:
AufenthG § 60b Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 1
AsylG § 13 Abs. 1, § 71 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Ein Asylfolgeantrag gem. § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG ist ohne Weiteres als ein Asylantrag iSv § 13 Abs. 1 AsylG einzustufen. Folglich gilt § 60b Abs. 2 S. 2 AufenthG auch für Asylfolgeantragsteller. (Rn. 7 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldung, Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“, Besondere Passbeschaffungspflicht, Asylfolgeantrag, Zusatz "für Personen mit ungeklärter Identität", besondere Passbeschaffungspflicht, Asylantrag
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 21.06.2023 – Au 6 K 22.2302
Fundstellen:
InfAuslR 2024, 158
LSK 2023, 26225
BeckRS 2023, 26225

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 21. Juni 2023 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

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Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21. Juni 2023 (Au 6 K 22.2302), soweit dieses der Klage des Klägers stattgegeben hat, indem es den in der Duldung des Klägers beigefügten Zusatz „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ aufgehoben und den Beklagten verpflichtet hat, dem Kläger eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, sowie dessen Antrag hinsichtlich der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis erneut zu verbescheiden.
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1. Der zulässige Antrag des Beklagten hat keinen Erfolg. Die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sind nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt beziehungsweise liegen nicht vor.
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a) Dies gilt insbesondere für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein Beteiligter im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
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bb) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen keine derartigen Zweifel auf.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung des § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen − hier wegen Nichtvornahme zumutbarer Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG − nicht vollzogen werden kann, weil diese aufgrund der Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG für den Kläger nicht gilt, der einen Asylfolgeantrag gestellt hat, über den im Sinne dieser Norm noch nicht rechtskräftig entschieden ist.
7
Nach § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt die besondere Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG unter anderem nicht für Ausländer ab der Stellung eines Asylantrages (§ 13 AsylG) oder eines Asylgesuches (§ 18 AsylG) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages.
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Die Auslegung dem Wortlaut nach spricht für die Anwendbarkeit der Norm auf Asylfolgeanträge. Da der in § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Klammern in Bezug genommene § 13 Abs. 1 AsylG die allgemeine Legaldefinition eines Asylantrags enthält und der Asylfolgeanträge regelnde § 71 Abs. 1 AsylG daran anknüpft („Stellt ein Ausländer … erneut einen Asylantrag“), ist ein Asylfolgeantrag gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ohne Weiteres als ein Asylantrag im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG einzustufen. Folglich richtet sich § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch an Asylfolgeantragsteller.
9
Eines weiteren Klammerzusatzes unter Nennung von § 71 Abs. 1 AsylG bedurfte es nicht, um diese ohne Weiteres nachvollziehbare Verbindung klarzustellen. Ein solches Bedürfnis ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten insbesondere nicht vor dem Hintergrund von § 10 Abs. 1 AufenthG und § 53 Abs. 4 AufenthG. Erstens stehen diese Normen außerhalb des hier zu betrachtenden Regelungskontextes. Zweitens umfasst der dort jeweils verwendete Begriff „Asylantrag“ nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit derselben Begründung auch Asylfolgeanträge (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2016 – 1 C 23.15 – juris Rn. 13: „… Wortlaut von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG und § 71a Abs. 1 AsylG, der auch den Folge- und Zweitantrag als Asylantrag bezeichnet“). Dass angesichts dessen wegen § 10 Abs. 1 AufenthG und § 53 Abs. 4 AufenthG für § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG das Gegenteil gelten soll, nur weil ein Klammerzusatz fehlt, erschließt sich dem Senat nicht. Der Wortlaut der Norm ist nach Auffassung des Senats daher insoweit hinreichend klar und eindeutig (vgl. OVG LSA, B.v. 22.6.2023 − 2 M 57/23 – juris Rn. 8).
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Auch die historische Auslegung anhand der Gesetzgebungsgenese führt diesbezüglich zu keinem anderen Ergebnis, da den Gesetzesmaterialien zu der Einführung des § 60b AufenthG eine Differenzierung innerhalb der Kategorie der Asylantragsteller nicht zu entnehmen ist (vgl. BT-Drs. 19/10047 S. 38), wie der Beklagte selbst konzediert (vgl. Senatsakte, Bl. 27: „Der Asylfolgeantrag wird dabei nicht ausdrücklich angesprochen“).
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Die Auslegung der Norm nach der Binnensystematik sowie nach Sinn und Zweck bestätigen dies. Nähme man entgegen dem Wortlaut der Norm (s.o.) Asylfolgeanträge von § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG aus, würde der Anwendungsbereich der Norm entgegen der Auffassung des Beklagten erkennbar auf nahezu Null zusammenschrumpfen. Die besondere Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG richtet sich als Adressaten an einen „vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer“. Allerdings ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Ankunftsausweises gemäß § 63a Abs. 1 AsylG gestattet. Diese erlischt nach dem Auffangtatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG, welcher in der Praxis den Hauptanwendungsfall bildet, wenn die Entscheidung des Bundesamtes unanfechtbar geworden ist. Dies bedeutet, dass die besondere Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG Asylerstantragsteller (Unterstreichung d. Senats) − mit Ausnahme der übrigen in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5a AsylG geregelten Erlöschensgründe – bis zur Bestandskraft des negativen Asylbescheides nicht umfasst (vgl. Hoppe in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 10 Duldung, Beschränkung, Haftung Rn. 69). Dabei ist zu konstatieren, dass § 67 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5a AsylG im Wesentlichen Fälle betrifft, in denen der Aufenthalt im Bundesgebiet bereits beendet ist (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), es an der Asylantragstellereigenschaft fehlt (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 3 AsylG) oder eine Abschiebungsandrohung beziehungsweise die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG vollziehbar ist beziehungsweise eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG bekannt gegeben wurde (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 u. 5 AsylG i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG: „… ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“ sowie (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 5a AsylG), so dass sie auf die Situation einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität kaum Einfluss haben können (vgl. § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG: „wenn Abschiebung … nicht vollzogen werden kann“). Die Auffassung des Beklagten, dass der Anwendungsbereich des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG bei der von ihm vorgeschlagenen Lesart „nicht gegen Null gehen“ würde (vgl. Senatsakte, Bl. 27), kann der Senat folglich nicht nachvollziehen.
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Nicht durchdringen kann der Beklagte insoweit auch mit dem Vorbringen, weil der Gesetzgeber es als unzumutbar angesehen habe, dass ein Asylantragsteller zur Erfüllung der besonderen Passpflicht die Behörden seines Herkunftsstaates kontaktiere (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 38), eine solche Unzumutbarkeit aber nicht angenommen werden könne, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge es abgelehnt habe, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, und das vorübergehende Abschiebungshindernis des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG entfallen sei, sei in einem solchen Fall – der hier vorliege – auch zur Abwehr der Gefahr von rechtsmissbräuchlichen Asylfolgeanträgen die Ausnahme des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach der ratio legis teleologisch zu reduzieren (unter Verweis auf Hailbronner, Ausländerrecht, AufenthG, Stand: Juni 2023, AufenthG, § 60b, Rn. 34). Erstens kann es sein, dass ein Asylfolgeantrag trotz ablehnender Entscheidung des Bundesamtes tatsächlich auf beachtliche Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gestützt wurde, wie sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausstellt. Hierauf hat der Beklagte selbst hingewiesen (vgl. Senatsakte, Bl. 14). Das von dem Beklagten genannte Verfahrensstadium ist daher nicht ohne Weiteres, wie er argumentiert, mit der Bestandskraft eines abgelehnten Asylfolgeantrages nach Durchführung eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens gleichzusetzen. Zweitens gilt § 60b Abs. 2 Satz 2 AsylG − wie § 60b AufenthG insgesamt − ohnehin allein für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, mithin auf Personen ohne Abschiebungsschutz, so dass es auf den Aspekt des Wegfalls des Abschiebungsschutzes nicht maßgeblich ankommen kann (s.o.).
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Dessen ungeachtet ist auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Voraussetzungen für die geforderte teleologische Reduktion vorliegen. Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion steht den Gerichten wegen der Bindung des Art. 20 Abs. 3 GG nur dann zu, wenn dies aufgrund des vom Gesetzgeber mit der Vorschrift verfolgten Regelungsziels geboten ist, die gesetzliche Regelung also nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung einer teleologischen Reduktion vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 − juris Rn. 17 m.w.N.; VGH BW, B.v. 9.9.2021 – 6 S 2716/21 – juris Rn. 17).
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Angesichts der vorgenannten Umstände ist nicht hinreichend deutlich erkennbar, dass die Norm planwidrig zu weit gefasst und damit einer teleologischen Reduktion zugänglich wäre. Dass sich eine rechtsmissbräuchliche Stellung von Asylfolgeanträgen nicht ausschließen lässt, rechtfertigt keine den Wortlaut der Norm missachtende Begrenzung der Privilegierung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Asylerstanträge (vgl. OVG LSA, B.v. 22.6.2023 − 2 M 57/23 – juris Rn. 8).
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Daran ändert auch der Verweis des Beklagten auf Rechtsprechung zu der allgemeinen Mitwirkungspflicht nach dem Asylverfahrensgesetz alter Fassung nichts (vgl. zu § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG a.F.: VGH BW, U.v. 6.10.1998 – A 9 S 856/98 – juris Rn. 33). Es fehlt an belastbaren Anhaltspunkten dafür, dass der Gesetzgeber sie, noch dazu für die Auslegung der besonderen Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG, gebilligt hat. Abgesehen davon würde diese Rechtsprechung nicht darüber hinweghelfen, dass die von dem Beklagten geforderte teleologische Reduktion zu einem kaum noch nennenswerten Anwendungsbereich der Norm führen würde (s.o.). Dass § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG einer außerhalb dieses Regelungszusammenhangs entstammenden Anordnung gegenüber einem Asylfolgeantragsteller zur Mitwirkung an der Passbeschaffung nicht entgegenstehen mag, ist angesichts der genannten Umstände für die den Anwendungsbereich der Norm betreffende Auslegung nicht ausschlaggebend (vgl. OVG LSA, B.v. 22.6.2023 − 2 M 57/23 – juris Rn. 8: „ohne Belang“; OVG Berlin-Bbg., B.v. 19.4.2021 – OVG 3 S 19/21 – juris Rn. 3: „spezielle Regelung“ u. „außerhalb dieses Regelungszusammenhangs“).
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b) Der geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und besonderen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt beziehungsweise gegeben.
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aa) Schwierigkeiten in dem vorgenannten Sinne liegen vor, wenn die aufgeworfenen Probleme das normale Maß übersteigen und keine Prognose über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Zulassungsverfahren erlauben, sondern sich erst im Rechtsmittelverfahren selbst klären lassen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 27; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 106 ff.). Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen insbesondere dann nicht vor, wenn sie sich durch Heranziehung der gängigen Auslegungsmethoden lösen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2022 – 8 ZB 20.3120 – juris Rn. 40 f.).
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bb) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen auch keine derartigen besonderen tatsächlichen und besonderen Schwierigkeiten auf. Das von dem Beklagten aufgeworfene Rechtsproblem der Auslegung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Fall eines Asylfolgeantragstellers (in der o.g. verfahrensrechtlichen Situation) stellt sich bei Heranziehung der gängigen Auslegungsmethoden nicht beziehungsweise lässt sich mit diesen ohne Weiteres lösen. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden Erwägungen (s.o.).
19
c) Gleiches gilt für den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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aa) Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 43. EL, August 2022, § 124a Rn. 102 ff.). Dabei ist die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage zu verneinen, wenn sie sich ohne Weiteres mithilfe des Gesetzes beziehungsweise unter Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden beantworten lässt (vgl. BVerfG, (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – juris Rn. 37: „Er ergab sich auch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz“); B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 62: „ohne Weiteres aus Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden”; BayVGH, B.v. 23.10.2020 – 8 ZB 20.1178 – juris Rn. 28 m.w.N.; VGH BW, B.v. 23.11.2021 – 10 S 4275/20 – juris Rn. 27).
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bb) Der Beklagte hat folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfen:
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„Ist § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG dahingehend auszulegen, dass auch Asylfolgeanträge hiervon erfasst werden, und – wenn dies grundsätzlich zu bejahen sein sollte – gilt dies auch in den Fällen, in denen der Asylfolgeantrag zwar noch nicht rechtskräftig (bzw. bestandskräftig) abgelehnt ist, der Asylfolgeantrag aber nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geführt hat und der Abschiebung des Ausländers kein vorübergehendes Vollstreckungshindernis nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (mehr) entgegensteht.“
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Zur Begründung rekurriert er zum einen auf seinen Vortrag zu dem geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (s.o.), zum anderen verweist er darauf, dass es zu § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur eine obergerichtliche Entscheidung in der Sache gebe, die zudem in einem Eilverfahren ergangen sei (unter Verweis auf: OVG LSA, B.v. 22.6.2023 – 2 M 57/23 – juris). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe es in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 (unter Verweis auf: NdsOVG, B.v. 8.7.2021 – 13 ME 246/21 – juris Rn. 6) ausdrücklich als fraglich angesehen, ob § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG in den genannten Konstellationen anwendbar sei. Die aufgeworfene Frage müsse in einem Berufungsverfahren geklärt werden, weil sich das Erstgericht damit nicht argumentativ auseinandergesetzt habe.
24
cc) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht auf.
25
Bei dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2021 handelt sich um eine Entscheidung, die nach § 161 Abs. 2 VwGO allein am Maßstab billigen Ermessens ergangen ist. Darin wurde die Fragwürdigkeit in den Raum gestellt, aber nicht erläutert. Es wurde nicht offengelegt, worauf sich die Fragwürdigkeit gründet (vgl. NdsOVG, B.v. 8.7.2021 – 13 ME 246/21 – juris Rn. 6).
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Dagegen stellt sich die obergerichtliche Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt, die mit der Rechtsauffassung des Senats übereinstimmt, als eine eingehende und ausführlich begründete Auseinandersetzung in der Sache dar (vgl. OVG LSA, B.v. 22.6.2023 – 2 M 57/23 – juris Rn. 6 ff.).
27
Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage lässt sich mit dem Gesetz beziehungsweise anhand der anerkannten Auslegungsmethoden beantworten (s.o.). Auch hier verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden Erwägungen (s.o.). Insofern waren, zumal ohne Ausführungen des Beklagten hierzu, von Seiten des Verwaltungsgerichts keine weiteren Erläuterungen veranlasst.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
29
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (im Folgenden: Streitwertkatalog). So ist im Hauptsacheverfahren nach Nr. 8.3. des Streitwertkatalogs für die Erteilung einer Duldung ein Streitwert in Höhe von 2.500,- Euro zu veranschlagen. Dies erscheint auch für den streitbefangenen Zusatz „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“, welcher einer Duldung als Nebenbestimmung beigefügt wird, angemessen. Für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4a Abs. 4 AufenthG und § 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG in Verbindung mit § 32 BeschV ist wegen der wirtschaftlichen Bedeutung ein Streitwert in Höhe von 5.000,- Euro anzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2022 – 10 C 22.1131 – juris Rn. 4 m.w.N.). Die genannten Streitwerte sind zu addieren.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.