Titel:
Zurruhesetzung eines Polizeibeamten wegen umfassender Dienstunfähigkeit, keine Suchpflicht
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BeamtStG § 26 Abs. 1
BayBG Art. 65 Abs. 1
BayPVG Art. 76 Abs. 1
SGB IX § 178 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen wegen der erforderlichen medizinischen Sachkunde von einem Arzt festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden, wobei der Arzt als Sachverständiger tätig wird, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können; das bedeutet nicht, dass dem Arzt die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen wird, sondern das Urteil über die Dienstfähigkeit ist vom Dienstherrn zu treffen (ebenso BVerwG BeckRS 2014, 54341). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu, vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der gerichtlich voll überprüfbar ist (stRspr BVerwG BeckRS 2014, 54341). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die aufgrund eines amtsärztlichen Gutachtens getroffene Entscheidung der Dienstunfähigkeit des Polizeibeamten ist rechtmäßig, wenn aufgrund des Krankheitsbildes die Leistungs- und insbesondere psychische Belastungsfähigkeit gegenwärtig und auch auf absehbare Zeit nicht mehr gegeben ist; dies umfasst eine Erfüllung der Dienstpflicht während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit und betrifft alle Tätigkeiten, auch solche in einem geringerwertigen Amt der 2. Qualifikationsebene. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist der Beamte ausweislich des Gesundheitszeugnisses und der zugrundeliegenden Gutachten umfassend dienstunfähig, ist auch eine Suche nach einem anderen Dienstposten oder anderen Tätigkeitsfeldern nicht erforderlich (stRspr BVerwG BeckRS 2017, 140351). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dienstunfähigkeit, Polizeibeamter, Keine Restdienstleistungsfähigkeit, Psychische Erkrankung, Hypererregbarkeit, Fehlende Stresstoleranz, Polizeiärztliche Begutachtung, Fachärztliche Begutachtung, keine Restdienstleistungsfähigkeit, psychische Erkrankung, fehlende Stresstoleranz, polizeiärztliche Begutachtung, fachärztliche Begutachtung, Arzt als Sachverständiger, begrenzte Dienstfähigkeit, Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit, Qualitätsebene
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26081
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der im Jahr 1969 geborene Kläger steht seit ... Juli 2002 in Diensten des Beklagten, zuletzt als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8) und war im Polizeivollzugsdienst eingesetzt. Ihm wurde nach dem erfolgreichen Studium des Bauingenieurwesens am … Mai 1997 der akademische Grad eines Diplom-Ingenieurs verliehen. Der Beamte ist mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
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Der Kläger meldete erstmals am … August 2007 einen Dienstunfall vom … Juli 2006, in dessen Folge er eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten habe. Er sei als Polizist zu einem Unfallgeschehen mit mehreren Verletzten gerufen worden, was ihn nachhaltig erschüttert habe. Nach diesem Unfallereignis war der Beamte in ambulanter wie auch stationärer Behandlung wegen seiner psychischen Beschwerden. Das Landesamt für Finanzen lehnte die Anerkennung des Unfallereignisses als Dienstunfall ab. Das Verwaltungsgericht München wies eine hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 25. Juni 2013 ab (M 5 K 11.2207). Der vom Verwaltungsgericht mit der Begutachtung beauftragte Sachverständige hatte das diagnostische Kriterium A für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach der ICD-10 als nicht gegeben angesehen, die übrigen diagnostischen Kriterien für eine PTBS aber schon. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 2. Dezember 2022 (3 ZB 22.1075) zurück.
3
Der Beamte ist seit dem … Juli 2010 durchgehend dienstunfähig erkrankt. Eine Verfügung des Polizeipräsidiums vom … Oktober 2014, nach der der Kläger mit Ablauf des … Oktober 2014 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden sollte, wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung über die hiergegen erhobene Klage (M 5 K 14.4989) am 24. März 2015 aufgehoben.
4
Mit Bescheid des Polizeipräsidiums vom … Oktober 2008, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom … Oktober 2010, wurde die Polizeidienstunfähigkeit des Klägers festgestellt. In dem hiergegen anhängig gemachten Klageverfahren gelangte der vom Gericht beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Beamte nach einer adäquaten Therapie wieder polizeidienstfähig sein werde. Der Ärztliche Dienst der Bayerischen Polizei kam mit weiterem Gesundheitszeugnis vom … April 2018 zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht polizeidienstfähig sei, aber grundsätzlich vollschichtig dienstfähig für den allgemeinen Verwaltungsdienst. Auf dieser Grundlage stellte das Polizeipräsidium mit Bescheid vom … Juni 2018 die Polizeidienstunfähigkeit des Beamten fest. Ein hiergegen eingelegter Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom … Oktober 2018 zurückgewiesen. Diese Bescheide wurden bestandskräftig. Das Klageverfahren gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums vom … Oktober 2008 und dessen Widerspruchsbescheid vom … Oktober 2010 (M 5 K 21.2027) wurde darauf übereinstimmend für erledigt erklärt und mit Beschluss vom … Juli 2021 unter Kostenaufhebung eingestellt.
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In der Folgezeit bemühte sich der Dienstherr, einen den gesundheitlichen Anforderungen des Beamten entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Auch der Kläger bewarb sich in der Folgezeit erfolglos bei verschiedenen Dienststellen und Arbeitgebern. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration teilte nach einer Abfrage einer Verwendungsmöglichkeit mit, dass eine Tätigkeit beim Landesamt für Asyl und Rückführungen angeboten werden könne. Zunächst müsste eine erforderliche Unterweisung des Klägers im Rahmen eines Wechsels in die Fachlaufbahn „Verwaltung und Finanzen“ im fachlichen Schwerpunkt nichttechnischer Verwaltungsdienst durchgeführt werden. Der Kläger erklärte sich mit dieser Tätigkeit nicht einverstanden. Nach einer weiteren Abfrage erklärten das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz sowie die Regierung von Oberbayern, dass eine Verwendung des Klägers dort möglich sei. Allerdings müsste zunächst die Unterweisung für den Wechsel der Fachlaufbahn durchgeführt werden. Der Kläger lehnte eine Verwendung beim Landesamt für Verfassungsschutz ab, da dessen Dienstsitz eine räumliche Nähe zu Dienststellen der Polizei aufweise und eine Tätigkeit dort aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei. Der Kläger vertrat gegenüber dem Dienstherrn die Auffassung, dass ihm als Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Bauwesen eine entsprechende Tätigkeit in der 3. oder 4. Qualifikationsebene (QE) anzubieten sei.
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Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom ... März 2020 wurde der Kläger ab … März 2020 für die Dauer der Unterweisung an die Regierung von Oberbayern abgeordnet. Dort finde eine einjährige Unterweisung für den Wechsel in die Fachlaufbahn „Verwaltung und Finanzen“ statt. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2020 abgelehnt (M 5 S 20.1134). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die hiergegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2020 zurück (3 CS 20.1031). Die gegen den Bescheid erhobene Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 23. März 2021 abgewiesen. Der Kläger trat den Dienst nicht an. Es wurden durchgängig privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, wonach der Kläger für den angebotenen Arbeitsplatz nicht dienstfähig sei.
7
Darauf wurde der Kläger vom Polizeiärztlichen Dienst zur Frage seiner Dienstfähigkeit untersucht. Die Polizeiärztin Dr. G. hat ein externes psychiatrisches Gutachten bei der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. H. vom Bezirkskrankenhaus A. eingeholt. Dr. H. wiederum habe ein neuropsychologisches Zusatzgutachten bei Dr. P. eingeholt, das dieser unter dem ... Dezember 2021 erstattete. Darauf hat Dr. H. ein Gutachten vom … Februar 2022 erstellt. Die Polizeiärztin Dr. G. kommt im Gesundheitszeugnis vom … März 2022 zu dem Ergebnis, dass beim Beamten eine langjährige, komplexe psychische Gesundheitsstörung mit diversen Symptomen, fixierter krankheitswertiger gesundheitlicher Beeinträchtigung und erheblichen Auswirkungen auf die Leistungs- und insbesondere auch auf die psychische Belastbarkeit vorliege. Aufgrund dieser psychischen Gesundheitsstörung sei nach polizeiärztlicher Auffassung in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des psychiatrischen Gutachtens von Dr. H. die Dienstfähigkeit gegenwärtig und auf absehbare Zeit nicht mehr gegeben. Der Beamte sei nicht dienstfähig im allgemeinen Verwaltungsdienst der 2. QE und nicht dienstfähig für die Unterweisung und mindestens einjährige Tätigkeit in der Fachlaufbahn „Verwaltung und Finanzen“ der 2. QE. Der Kläger sei dauerhaft nicht mehr in der Lage, seine Dienstpflichten zu erfüllen, auch nicht während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit. Es bestehe keine überwiegend wahrscheinliche Aussicht auf Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate. Es gebe keine geeigneten medizinisch/therapeutischen Maßnahmen, welche die allgemeine Dienstfähigkeit bzw. eine begrenzte Dienstfähigkeit des Beamten in absehbarer Zeit wiederherstellen könnten. Die Schwelle für Irritationen aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers sei sehr niedrig, sodass diese in jedem Moment, unabhängig von der Art der Behörde, auftreten könnten und durch angepasste Gestaltung des Arbeitsplatzes auch nicht in einem Ausmaß verhindert werden könnten, um Situationen zu vermeiden, die vom Beamten als retraumatisierend erlebt werden könnten. Er besitze nicht die Flexibilität im Denken, sich auf eine angebotene und realistisch zur Verfügung stehende Tätigkeit einzulassen, reflektiere nicht die möglichen Schwierigkeiten, sodass bei Aufnahme einer Tätigkeit eine Verschlechterung der psychischen Symptomatik zu befürchten sei. Daher sei auch eine Reaktivierungsprüfung nicht erfolgversprechend.
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Am … April 2022 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ruhestandsversetzung angehört und auf die Möglichkeit der Mitwirkung des Personalrats hingewiesen.
9
Die Klagepartei erhob gegen die beabsichtigte Ruhestandsversetzung Einwendungen und beantragte die Mitwirkung des Personalrats. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit beruhe nach Beurteilung der externen Gutachter auf der Fixierung darauf, dass ihm eine Beschäftigung als Bauingenieur in der 4. QE zustehe. Nur im Hinblick auf diese angebliche gedankliche Verengung werde eine Dienstunfähigkeit postuliert. Inzwischen habe sich der Kläger von dieser Auffassung deutlich distanziert. Er wäre bereit, einen Dienstposten in der 2. QE zu akzeptieren und auch eine eventuell erforderliche Qualifizierung zu absolvieren.
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Der Personalrat des Polizeipräsidiums München stimmte der beabsichtigten Ruhestandsversetzung am … September 2022 zu. Die Schwerbehindertenvertretung wurde beteiligt. Nachfragen dieser Vertretung wurden am … September 2022 beantwortet.
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Mit Bescheid vom … Oktober 2022 wurde der Kläger mit Ablauf des Monats, in dem ihm der Bescheid zugestellt werde, in Ruhestand versetzt. Nach dem Gesundheitszeugnis des Ärztlichen Dienstes der Bayerischen Polizei vom … März 2022 sei der Kläger dauernd dienstunfähig. Auch mit Blick auf die gegen die Ruhestandsversetzung erhobenen Einwendungen ergebe sich kein anderes Ergebnis. Denn der Kläger habe seine Dienstfähigkeit nicht unter Beweis gestellt, sondern belege seine Dienstunfähigkeit fortlaufend durch privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Der Bescheid wurde der Klagepartei am … Oktober 2022 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 14. November 2022, bei Gericht eingegangen am 16. November 2022, hat der Kläger Klage erhoben. Die Voraussetzung für die Bewertung der externen Gutachter, dass der Kläger dienstunfähig sei, liege nicht mehr vor. Der Beamte habe sich von dem Gedanken distanziert, einen Anspruch auf Verwendung als Bauingenieur in der 4. QE zu haben. Von den Personen, die den Kläger entsprechend beraten hätten, habe er sich mittlerweile getrennt. Daher seien die Schlussfolgerungen der externen Gutachten unzutreffend. Im Übrigen habe der Beklagte seine Suchpflicht verletzt, da er diese nicht auf den gesamten Bereich des Dienstherrn erstreckt habe.
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Die Klagepartei hat zuletzt beantragt,
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den Bescheid des Polizeipräsidiums vom … Oktober 2022 aufzuheben.
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Das Polizeipräsidium hat für den Beklagten beantragt,
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Die Behauptung, dass der Kläger nunmehr einen Dienstposten der 2. QE akzeptieren wolle, stelle die dezidierten medizinischen Einschätzungen hinsichtlich der Dienstunfähigkeit des Klägers nicht in Frage. Zudem lege der Kläger fortlaufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die gerade eine Fortdauer seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung begründeten. Auch die Suchpflicht sei nicht verletzt worden. Die Abfrage nach freien und geeigneten Stellen habe den gesamten Bereich des Beklagten umfasst und auch zwei geeignete Stellen ergeben. Im Übrigen entfalle nach dem Gesundheitszeugnis vom … März 2022 eine Suchpflicht. Denn dort ist ausgeführt, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen in jedem Moment der Dienstfähigkeit, unabhängig von der Art der Behörde auftreten und auch durch angepasste Gestaltung des Arbeitsplatzes nicht in einem Ausmaß verhindert werden könnten, dass diese vom Beamten als retraumatisierend erlebt würden. Daraus folge, dass der Kläger generell den Anforderungen gesundheitlich nicht gerecht werde, die das Amt im abstrakt-funktionellen Amt stelle.
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Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 2. August 2023 Beweis erhoben zu den gesundheitlichen Umständen der Dienstfähigkeit des Klägers durch Einvernahme von Medizinaldirektorin Dr. G. und Dr. H. als sachverständige Zeuginnen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Niederschrift vom 2. August 2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Polizeipräsidiums vom … Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Ruhestandsversetzungsverfügung ist § 26 Abs. 1 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz/BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes/BayBG.
22
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamtinnen und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Hierzu bestimmt Art. 65 Abs. 1 BayBG, dass Beamtinnen und Beamte auch dann als dienstunfähig im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG angesehen werden können, wenn sie infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet haben und keine Aussicht besteht, dass sie innerhalb von weiteren sechs Monaten wieder voll dienstfähig werden.
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Für die Rechtmäßigkeit der Ruhestandsversetzungsverfügung kommt es materiell-rechtlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 12.8.2005 – 3 B 98.1080 – juris Rn. 37; VG München, U.v. 13.2.2019 – M 5 K 17.3644 – juris Rn. 24).
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Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen die gesundheitsbedingten Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 18).
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Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, kommt der Behörde kein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr handelt es sich um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt somit nicht nur, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde, sondern auch, ob der ermittelte Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Aus diesem Grund sind die Feststellungen oder Schlussfolgerungen aus ärztlichen Gutachten vom Gericht – in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis – nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und nachzuvollziehen (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 17; OVG Saarl, U.v. 24.4.2012 – 2 K 984/10 – juris Rn. 49; OVG NW, U.v. 22.1.2010 – 1 A 2211/07 – juris Rn. 37).
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2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Ruhestandsversetzungsverfügung zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Die streitgegenständliche Ruhestandsversetzung leidet nicht an formellen Mängeln. Insbesondere hat der Personalrat am ... September 2022 der Ruhestandsversetzung zugestimmt (Art. 76 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Satz 3 des Bayerischen Personalvertretungsgesetzes/BayPVG). Auch die Schwerbehindertenvertretung ist ordnungsgemäß beteiligt worden (§ 178 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – Neuntes Buch Sozialgesetzbuch/SGB IX).
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b) Auch in materieller Hinsicht ist gegen die Ruhestandsversetzungsverfügung rechtlich nichts zu erinnern. Das der Verfügung zugrundeliegende Gesundheitszeugnis vom … März 2022 – das auf dem Gutachten von Frau Dr. H. vom Bezirkskrankenhaus A. vom … Februar 2022 beruht – ist plausibel und widerspruchsfrei. Insbesondere entspricht es den formalen Vorgaben und bildet eine auch für das Gericht nachvollziehbare Grundlage des Dienstherrn für die Ruhestandsversetzung des Klägers.
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Nach Abschnitt 8 Nr. 1.4.1 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) vom 13. Juli 2009 (FMBl S. 190) (in der hier maßgeblichen Fassung zum Zeitpunkt des Ergehens der streitgegenständlichen Ruhestandsversetzung), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17. September 2021 (BayMBl. Nr. 718), stellt das amtsärztliche Zeugnis die Grundlage für die Entscheidung des Dienstherrn über die Ruhestandsversetzung des Beamten dar (Nr. 1.8 VV-BeamtR). Nach Nr. 1.4.1 Sätze 1 und 2 VV-BeamtR soll das amtsärztliche Zeugnis zur Frage der Dienstfähigkeit bei Ruhestandsversetzungen dem Dienstvorgesetzten eine umfassende Entscheidungsgrundlage zur Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben geben. Es hat daher neben Aussagen zur Dienstfähigkeit zusätzliche Angaben, insbesondere über geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit und zur gesundheitlichen Eignung der oder des Untersuchten für die bisherige Tätigkeit und mögliche anderweitige, insbesondere die von der oder dem Dienstvorgesetzten beschriebenen Verwendungsmöglichkeiten zu enthalten. In Nr. 1.4.2.3 VV-BeamtR ist angegeben, dass regelmäßig alle ärztlichen Erkenntnisse erforderlich sind, deren Kenntnis für den Dienstvorgesetzten notwendig ist, um die Entscheidung über die Ruhestandsversetzung begründen zu können.
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Das Gesundheitszeugnis vom … März 2022 entspricht diesen Anforderungen.
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Dort ist festgehalten, dass der Beamte aufgrund einer langjährigen, komplexen psychischen Gesundheitsstörung mit diversen Symptomen, fixierter krankheitswertiger gesundheitlicher Beeinträchtigung und erheblichen Auswirkungen auf die Leistungs- und insbesondere psychische Belastungsfähigkeit gegenwärtig und auf nicht absehbare Zeit nicht mehr dienstfähig sei. Das umfasse auch eine Erfüllung der Dienstpflicht während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung haben beide Ärztinnen angegeben, dass auch eine Tätigkeit in einem geringerwertigen Amt nicht möglich sei. Insbesondere die im Klageverfahren gegen die Beurteilung der Dienstunfähigkeit des Klägers vorgebrachte Argumentation, dass der Kläger nicht mehr auf einer Tätigkeit in der 3. oder 4. QE bestehe, was aber die Grundannahme der Begutachtung durch die Fachärztinnen sei, trifft nicht zu. Vielmehr ist der Kläger dienstunfähig für alle Tätigkeiten, auch eine solche in der 2. QE.
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Diese Schlussfolgerungen sind für das Gericht plausibel und nachvollziehbar. Insbesondere die Aussagen der sachverständigen Zeugin Dr. G. – an deren Glaubhaftigkeit das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln sieht –, dass jegliche Art von „Unbill“ dazu führen könne, dass die Schwelle für psychische Irritationen beim Beamten überschritten werde, belegt die Schlussfolgerung der vollständigen Dienstunfähigkeit in nachvollziehbarer Weise. Das könne etwa eine vom Beamten als über- oder unterfordernd empfundene Tätigkeit, ein kollegialer Konflikt oder eine als unwohl empfundene räumliche Situation oder ein als belastend empfundener Anfahrtsweg sein. Diese Umstände könnten jederzeit dazu führen, dass eine Retraumatisierung mit allen Symptomen eintreten könne. Das seien Spannungssituationen, belastende Erinnerungen und Anderes. Dr. G. könne sich keine Tätigkeit vorstellen, die vom Beamten als nicht gefährdend empfunden werden könnte.
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Das wird unterstrichen von den Aussagen der sachverständigen Zeugin Dr. H. – wobei das Gericht auch an deren Aussagen keinen Anlass zu Zweifeln sieht –, dass beim Kläger eine Hypererregbarkeit vorliege, ein Misstrauen, „Flashbacks“, und auch Intrusionen. Das bedeute, dass er in bestimmten Situationen an frühere Ereignisse erinnert werde und mit erheblichen psychovegetativen Symptomen reagiere. Das seien Angst, ein Herzjagen und insgesamt eine verminderte Stresstoleranz. Das gelte unabhängig von einer Tätigkeit in einer bestimmten Qualifikationsebene. Sogar in einer Fachklinik – von der sachverständigen Zeugin als geschützter Raum bezeichneter Ort – sei der Kläger in einer Konfliktsituation mit anderen Patienten in eine psycho-physische Erregtheit gekommen und habe soziale Situationen fehlinterpretiert. Es ist schlüssig und nachvollziehbar, dass diese von der Fachärztin dargelegten Umstände nach Auffassung der Fachärztin die vollständige Dienstunfähigkeit des Klägers begründen.
34
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass beide Fachärztinnen von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (teilremittiert – Gutachten Dr. H. vom …2.2022, S. 45; die Polizeiärztin Dr. G. folgt diesem Gutachten, siehe insbesondere S. 31 des Gutachtens vom …3.2022) ausgehen, die beim Kläger vorliege. Das wird auch im neuropsychologischen Zusatzgutachten von Dr. P. vom … Dezember 2021 (S. 31) bestätigt. Auch wenn die Anerkennung des Unfallereignisses vom … Juli 2006 mit der Dienstunfallfolge posttraumatische Belastungsstörung rechtskräftig abgelehnt worden ist und ein vom Gericht beauftragter Gutachter das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausdrücklich verneint hatte, wird dadurch die Einschätzung der Ärztinnen nicht in Frage gestellt, dass beim Kläger vollständige Dienstunfähigkeit vorliegt. Denn die sachverständige Zeugin Dr. H. hat hierzu ausdrücklich angegeben, dass entscheidend für die Dienstunfähigkeit des Klägers die festgestellten Auswirkungen der Erkrankung seien. Die konkrete Diagnose könne sich in der präzisen Zuordnung unterscheiden. Selbst wenn man das (diagnostische) Kriterium des „auslösenden Ereignisses“ einer posttraumatischen Belastungsstörung als nicht vollständig gegeben ansehe, seien für die Bewertung der Dienstfähigkeit des Klägers in jedem Fall die Auswirkungen der Krankheit maßgeblich. Diese würden die Dienstunfähigkeit des Klägers bedingen. Auch das ist plausibel und nachvollziehbar. Denn in § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG ist festgelegt, dass Beamte in den Ruhestand zu versetzen sind, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauerhaft unfähig sind. Eine exakte Diagnose einer Krankheit ist dort nicht genannt. Vielmehr bildet der weiter gefasste Begriff des körperlichen Zustands oder der gesundheitlichen Gründe den Bezugspunkt für die Unmöglichkeit, die Dienstpflichten dauerhaft zu erfüllen. Das gilt auch für Art. 65 Abs. 1 BayBG. Zudem hat auch der Gutachter im Verfahren M 5 K 11.2207 (U.v. 25.6.2023, S. 11) angegeben, dass die übrigen diagnostischen Kriterien – insbesondere von der Symptomatik her – für eine posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger erfüllt seien. Lediglich das Kriterium A. des auslösenden Ereignisses könne er nicht bestätigen.
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Soweit im neuropsychologischen Gutachten von Dr. P. vom ... Dezember 2021 dem Kläger eine kognitive Leistung bescheinigt wird, die störungsbezogen unauffällig und leistungsbezogen voll ausreichend für die Fachlaufbahn „Verwaltung und Finanzen“ der 2. QE und eine Ausbildung in diesem Bereich sei, kann das die Beurteilung nicht in Frage stellen, dass der Kläger vollständig dienstunfähig ist. Es ist nachvollziehbar und schlüssig, dass die sachverständigen Zeuginnen hierzu angegeben haben, dass die kognitiven Fähigkeiten allein nicht für die Dienstfähigkeit des Klägers ausschlaggebend seien. Vielmehr stehe das Erleben von Arbeitssituationen hierfür im Vordergrund. Wie die sachverständige Zeugin geschildert hat, könne die Symptomatik bei einer sozialen Interaktion mit Anderen im alltäglichen Arbeitsleben auftreten. Als Beispiele hat sie benannt, dass der Sitzplatz nicht der Schutzbedüftigkeit des Klägers entspreche (wenn er den hinter ihm liegenden Raum nicht überblicken könne), oder aber laute Geräusche bzw. eine laute Stimme, wie auch unterschiedliche Auffassungen über Arbeitsergebnisse.
36
Soweit die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung ein ärztliches Attest von Prof. Dr. Dr. Dr. K. – Privatpraxis für Innere Medizin, Kardiologie, Ernährungsmedizin – vom … Juli 2023 vorgelegt hat, in dem basierend auf den beim Kläger bis Juli 2023 durchgeführten ambulanten internistisch-kardiologischen Untersuchungen aktuell eine überdurchschnittlich gute körperliche Belastbarkeit bei stabiler medikamentenfreier psychischer Situation festgestellt werde, kann auch das die Beurteilung der Dienstfähigkeit durch die sachverständigen Zeuginnen nicht in Frage stellen. Denn dort ist ausdrücklich nur auf die internistisch-kardiologischen Untersuchungen abgestellt und vor diesem Hintergrund angegeben, dass aufgrund der aktuell erhobenen Befunde eine komplette berufliche Integration vorbehaltlos gegeben sei. Zu den für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit des Klägers allein ausschlaggebenden psychiatrischen Gründen verhält sich dieses sehr kurze Attest nicht. Auch aus der Angabe, dass eine stabile medikamentenfreie psychische Situation festgestellt werde, kann für die zur Beurteilung der Dienstfähigkeit maßgeblichen Umstände der Hypererregbarkeit und der verminderten Stresstoleranz gerade in alltäglichen Arbeitssituationen nichts abgeleitet werden. Zu diesen Umständen ist dem Attest nichts zu entnehmen.
37
c) Da der Beamte ausweislich des Gesundheitszeugnisses und der zugrundeliegenden Gutachten umfassend dienstunfähig ist, war auch eine Suche nach einem anderen Dienstposten oder anderen Tätigkeitsfeldern nicht erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – DRiZ 2018, 249, juris Rn. 34).
38
3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.