Inhalt

VG München, Urteil v. 20.06.2023 – M 3 K 20.6488
Titel:

Erfolgreiche Klage eines Schülers gegen einen verschärften Verweis

Normenkette:
BayEUG Art. 86 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Bei einem verschärften Verweis handelt es sich mangels Regelungswirkung um eine schlicht-hoheitliche Maßnahme, deren Rechtmäßigkeit im Rahmen einer Feststellungsklage überprüft werden kann. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Schule muss den Sachverhalt umfassend und zeitnah aufklären und ihre Ermittlungen sorgfältig dokumentieren; die spätere Unerweislichkeit des von der Schule angenommenen Sachverhalts geht nach den Grundsätzen der Verteilung der materiellen Beweislast zu ihren Lasten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gerichte prüfen ohne Einschränkungen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die verhängte Ordnungsmaßnahme vorliegen, insbesondere, ob der Schüler sich tatsächlich so verhalten hat, wie die Schule das annimmt; maßgeblich ist die Sachlage im Zeitpunkt der Auswahl der Ordnungsmaßnahme. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verschärfter Verweis, Fehlerhafte Sachverhaltsermittlung der Behörde, Beweislastverteilung, Schule, Schüler, verschärfter Verweis, Ermittlungs- und Dokumentationspflicht, materielle Beweislast, gerichtliche Überprüfung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26079

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der erteilte verschärfte Verweis vom 12. November 2020 rechtswidrig ist.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen den verschärften Verweis vom 12. November 2020. Er besuchte im Schuljahr 2020/21 die Klasse 7c des K.-H.-Gymnasiums in G. (im Folgenden: die Schule).
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Mit Schreiben vom 12. November 2020 wurde gegen den Kläger ein verschärfter Verweis nach Art. 86 Abs. 2 BayEUG ausgesprochen. Dieser wurde darauf gestützt, dass der Kläger mindestens ein privates Bild einer Mitschülerin, das ihm auf Verlangen von einem Mitschüler per Handy übermittelt worden sei, an einen Schüler der Parallelklasse sowie an einen Schüler einer Realschule verschickt habe. Nach eigener Aussage habe der Kläger gewusst, dass diese(s) Bild(er) während eines privaten Videochats im Juni 2020 zwischen dem Mitschüler und der Mitschülerin ohne deren Wissen in Form von Screenshots angefertigt worden sei(en). Mindestens eines dieser Bilder – das aufgrund intimer Details gezielt ausgewählt und vergrößert worden sei – sei vom Kläger per Handy verschickt worden. Erst im Oktober 2020 sei die betroffene Schülerin von einem Mitschüler darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass es diese Bilder gäbe und sie von Schüler zu Schüler weitergegeben worden seien. Der Kläger habe durch sein Handeln einen Vertrauensbruch fortgeführt und verstärkt. Besonders die Auswahl des besagten Bildes zeige, dass es hier vorrangig um eine Bloßstellung zur Belustigung anderer gegangen sei.
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Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2020, eingegangen am 10. Dezember 2020, erhob die Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragt,
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festzustellen, dass der gegenüber dem Kläger mit Bescheid des K.-H.-Gymnasiums vom 12. November 2020 ausgesprochene verschärfte Verweis rechtswidrig ist.
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Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass nicht genau bekannt sei, welcher Sachverhalt der Ordnungsmaßnahme des verschärften Verweises zugrunde liege. Es gehe darum, dass der Kläger zwei von einem Mitschüler angefertigte Fotos von dessen Freundin über sein Handy an andere Schüler weitergeleitet habe. Um was für Fotos es sich gehandelt habe, lasse sich nicht (mehr) genau feststellen. Die Bilder, die Grundlage für die verhängte Ordnungsmaßnahme gewesen seien, seien weder dem Mitarbeiter der Schulleitung, der die Maßnahme verhängt habe, noch den Eltern des Klägers bekannt. Soweit der Kläger seine Eltern informiert habe, habe es sich dabei aus seiner Sicht um zwei völlig unanrüchige, normale und übliche Bilder der mit Sportkleidung bekleideten Freundin seines Schulkollegen gehandelt, auf denen das Gesicht der Betroffenen nicht abgebildet gewesen sei. Ein Schulfreund des Klägers habe die streitgegenständlichen Bilder von seiner Freundin offensichtlich im Verlauf eines Video-Chats angefertigt, in dem sich das Mädchen bewusst gezeigt habe. Dem Kläger werde im Bescheid vorgeworfen, er habe gewusst, dass der Mitschüler, der das Foto angefertigt habe, dies ohne Wissen der Mitschülerin getan habe. Der Kläger habe verlangt, ihm dieses Foto weiterzugeben. In dem Bescheid werde ferner behauptet, der Kläger habe das Foto aufgrund intimer Details gezielt ausgewählt und vergrößert, was nicht zutreffe. Nach Mitteilung des Klägers hätten die Fotos keinerlei intime Details gezeigt, zudem habe er die Fotos nicht vergrößert. Der Kläger sei erstmals am 30. Oktober 2020 auf den außerschulischen Vorfall von Ende Juli 2020 angesprochen worden. Bei einem Gespräch mit den Eltern des Klägers am 10. November 2020 hätten zwei Lehrer, die als beauftragte Mitglieder der Schulleitung gehandelt hätten, auf die Frage des Vaters des Klägers erklärt, dass sie die streitgegenständlichen Bilder zu keinem Zeitpunkt gesehen hätten. Sie hätten zu keinem Zeitpunkt mit den Betroffenen selber gesprochen. Sie hätten ihre Informationen vom Vater der betroffenen Schülerin, der Lehrer am K.-H.-Gymnasium sei, erhalten. In diesem Gespräch hätten die Eltern des Klägers die zwei anwesenden Lehrer auch ausdrücklich über eine mögliche Befangenheit und einen möglichen Interessenskonflikt des Vaters der Schülerin hingewiesen. Eine exakte Klärung des Sachverhalts sei nicht möglich, da das Foto, das der Kläger verschickt habe, von ihm gelöscht worden sei und das Mitglied der Schulleitung, das die Maßnahme verhängt habe, dieses Foto nach eigenem Bekunden selbst nie gesehen habe. Nach Mitteilung des Klägers habe es sich um ein völlig unverdächtiges Foto, das die Mitschülerin in Sportkleidung ohne Gesicht gezeigt habe, gehandelt. Auch sei die Frage, ob das Foto ohne Wissen der Betroffenen angefertigt worden sei, ungeklärt. Die Sachverhaltsschilderung im Bescheid sei daher unzutreffend und beruhe auf Hörensagen. Die verhängte Maßnahme verstoße darüber hinaus auch unter weiteren Gesichtspunkten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch sei die hier getroffene Entscheidung ermessenfehlerhaft. Die Schulleiterin habe sich nach eigenen Angaben die Fotos am 18. November 2020 von dem Vater des betroffenen Mädchens auf dem Tablet zeigen lassen. Ein Vergleich zwischen den weiter verbreiteten Fotos und den Fotos, die die Schulleiterin auf dem Tablet gesehen habe, sei aufgrund der Löschung der Fotos nicht mehr möglich.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung werde auf den Bescheid vom 12. November 2020 und die Stellungahme der Schule vom 30. Dezember 2020 verwiesen. Es ergäbe sich schon aus den Ausführungen der Gegenseite, dass der zugrundeliegende Sachverhalt bekannt sei. Dieser sei vom Kläger auch so eingeräumt worden. Die Fotos seien aufgrund der Persönlichkeitsrechte der abgebildeten ehemaligen Mitschülerin nicht erneut in Augenschein genommen worden und lägen deshalb auch der Klageerwiderung nicht bei. Da ihr Inhalt den Beteiligten bekannt und unstreitig sei, erscheine dies weiterhin nicht erforderlich. Selbst wenn man zunächst von außerschulischem Verhalten ausgehen würde, wäre hier ein verschärfter Verweis gerechtfertigt. Der Kläger habe durch sein Verhalten erhebliche Unruhe in der Schule verursacht.
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Die streitgegenständlichen Bilder würden weiterhin nicht vorgelegt. Sowohl die Schulleiterin als auch der mit den Ermittlungen beauftragte Mitarbeiter der Schulleitung hätten die Fotos persönlich in Augenschein genommen. Da der Kläger den Sachverhalt unzweifelhaft eingeräumt habe, erscheine die Vorlage der Fotos nicht zwingend. Der Sachverhalt werde nicht bestritten, sondern bagatellisiert. Die unstreitige Verbreitung der Fotos durch den Kläger an außenstehende Klassenkameraden zu deren Belustigung und Ergötzung sei ein Verhalten, das die Schule aufs Schärfste missbillige.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 22. März 2021 wurde die Beklagtenpartei darauf hingewiesen, dass das Gericht ohne Einschränkung zu prüfen habe, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die verhängte Ordnungsmaßnahme vorlägen. Auch wurde die Verteilung der materiellen Beweislast dargelegt.
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Das Gericht hat am 28. März 2023 zur Sache mündlich verhandelt. Die Schulleiterin führte hierbei unter anderem aus, dass der Vater des geschädigten Mädchens, der über die Bilder verfüge, ein Kollege an der Schule sei. Deshalb sei in der Stellungnahme vom 30. Dezember 2020 angegeben worden, dass die Bilder der Schule vorlägen. Die Eltern hätten sich jedoch entschlossen, die Bilder nicht vorzulegen, um ihre Tochter zu schützen. Mittlerweile seien die Bilder gelöscht. Die Schulleiterin selber habe sich am 18. November 2020 im Rahmen einer Besprechung vom Vater des Mädchens die Bilder auf dessen Tablet zeigen lassen. Nach ihrem Kenntnisstand habe der Lehrer, der als Mitarbeiter der Schulleitung den Verweis mit erlassen habe, die Bilder selbst nicht gesehen.
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Beide Prozessparteien erklärten zu Protokoll der mündlichen Verhandlung am 28. März 2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der verschärfte Verweis vom 12. November 2020 ist rechtswidrig.
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Die Klage ist zulässig. Bei der Ordnungsmaßnahme des verschärften Verweises (Art. 86 Abs. 2 Nr. 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen – BayEUG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetz v. 24. Juli 2020, GVBl. S. 386) handelt es sich mangels Regelungswirkung nicht um einen Verwaltungsakt (BayVGH, U.v. 10. März 2010 – 7 B 09.1906 – juris Rn. 19). Da aber auch bei einer Qualifizierung des verschärften Verweises als schlicht-hoheitliche Maßnahme der Schule eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme (§ 43 Abs. 1 VwGO; vgl. BayVGH, U.v. 10. März 2010, a.a.O. Rn. 21) möglich ist, ist der erhobene Antrag als Feststellungsklage statthaft. Der mit dem verschärften Verweis verbundene faktische Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers erfolgte mit Zugang des Schreibens vom 12. November 2020; dem Kläger blieb von vornherein nur die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Verweises in einem nachträglichen Klageverfahren überprüfen zu lassen. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG fordert zumindest die Möglichkeit, über die gerichtliche Rechtswidrigkeitsfeststellung eine ausdrückliche Genugtuung (Rehabilitation) und damit einen gewissen Ausgleich für eine frühere Persönlichkeitsverletzung zu erlangen (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.1980 – 7 C 18/79 – juris Rn. 14). Eine weiterhin fortdauernde diskriminierende Wirkung der behördlichen Maßnahme ist unter diesen Umständen nicht zwingende Voraussetzung eines Feststellungsinteresses (BayVGH, U.v. 10.3.2010 – 7 B 09.1906 – juris Rn. 23 zum verschärften Verweis).
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Die Klage ist auch begründet, da der streitgegenständliche verschärfte Verweis vom 12. November 2020 rechtswidrig ist.
18
Nach Art. 86 Abs. 1 BayEUG können zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ordnungsmaßnahmen gegenüber Schülerinnen und Schülern getroffen werden, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen. Für die Wahl der Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist maßgeblich, ob und in welchem Maß die Erfüllung des Schulzwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV und Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (BayVGH in ständiger Rechtsprechung, vgl. U.v. 13.6.2012 – 7 B 11.2651 – juris Rn. 19, B.v. 18.5.2009 – 7 ZB 08.1801 – juris Rn. 15). Es handelt sich um eine pädagogische Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Gerichte haben bei ihrer Entscheidung jedoch zu überprüfen, ob die Schule ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, und dabei den Sachverhalt hinreichend ermittelt und dokumentiert hat. Bestreitet ein Schüler die Feststellungen, auf denen die Entscheidung der Schule beruhen, so hat das Gericht dem nachzugehen. Weiter ist überprüfbar, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob die pädagogische Bewertung der Schule angemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist (BayVGH, U.v. 13.6.2012 – 7 B 11.2651 – juris Rn.20, B.v. 11.10.2021, 7 CS 12.2187 – juris Rn. 14; B.v. 19.2.2008 – 7 B 06.2352 – juris Rn. 22; B.v. 18.5.2009 – 7 ZB 08.1801 – juris Rn. 15).
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Grundvoraussetzung ist zunächst, dass überhaupt ein ordnungswidriges Verhalten vorliegt. Dabei ist nicht entscheidend, ob der von der Schule angenommene Sachverhalt eine Ordnungsmaßnahme tragen würde, sondern die Schule hat den zugrundeliegenden Sachverhalt durch genaue Sachverhaltsermittlung und sorgfältige Wertung des von ihr beanstandeten Verhaltens festzustellen. Die Pflicht der Behörden zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung folgt bereits aus Art. 24 BayVwVfG und ergibt sich im Übrigen vor dem Hintergrund der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Schulen als Behörden i.S.v. Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG aus Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. insgesamt VG München, U.v. 19.7.2005 – M 3 K 04.2643). Die Gerichte prüfen ohne Einschränkungen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die verhängte Ordnungsmaßnahme vorliegen, insbesondere, ob der Schüler sich tatsächlich so verhalten hat, wie die Schule das annimmt (Rux/Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 455). Die Schule muss den Sachverhalt umfassend und zeitnah aufklären und ihre Ermittlungen sorgfältig dokumentieren. Die spätere Unerweislichkeit des von der Schule angenommenen Sachverhalts geht nach den Grundsätzen der Verteilung der materiellen Beweislast zu ihren Lasten (BayVGH, U.v. 13.6.2012 – 7 B 11.2651 – juris Leitsatz, Rn. 17 m.w.N.; Rux/Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 455; VG Gelsenkirchen, U.v. 20.10.2010 – 4 K 2662/08 – juris Rn. 29; BVerwG, U.v.13.10.1988 – 5 C 35/85 – juris).
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Wenn der Sachverhalt so weit als möglich aufgeklärt wird, ist festzuhalten, welche konkrete Handlung der Schülerin/dem Schüler vorgeworfen wird. Die Schule darf ihre Entscheidung nur auf Tatsachen und Feststellungen stützen, die „einer sachlichen Überprüfung standhalten“. Maßgeblich ist die Sachlage im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung. Hier kommt es auf jedes Detail an (vgl. insgesamt: Schenk, Teilkommentar BayEUG, 24. Aufl. 2022, Seite 158).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die streitige Ordnungsmaßnahme rechtswidrig, da die Schule die von ihr dem verschärften Verweis zugrundegelegten tatsächlichen Feststellungen fehlerhaft und unzureichend ermittelt hat. Gerichtlicherseits ist uneingeschränkt überprüfbar, ob der von der Schule der Ordnungsmaßnahme zugrundegelegte Sachverhalt hinreichend ermittelt und dokumentiert ist. Weder in den Behördenakten noch in den Gerichtsakten sind ausreichende Unterlagen vorhanden, die den von der Schule zugrundegelegten Sachverhalt stützen. Die Schulleiterin hat im Nachgang mit Stellungnahme vom 30. Dezember 2020 eine Zusammenfassung der stattgefundenen Gespräche aus ihrer Sicht vorgenommen. Hierbei wird lediglich eine Beschreibung der vom Kläger verschickten Bilder aus Sicht der Perspektive der Schule vorgenommen. Die streitgegenständlichen Bilder selbst sind weder den Akten beigelegt noch konnten sie im gerichtlichen Verfahren vorgelegt werden. Laut Aussage der Schulleiterin in der mündlichen Verhandlung waren sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweises weder von ihr selbst noch von dem, den Verweis als Mitglied der Schulleitung miterlassenden, Lehrer eingesehen worden. Die Schulleitung konnte demnach bei der Bewertung der Inhalte der/des Bildes keinen eigenen Augenschein der Fotos zugrundelegen. Der Inhalt der Bilder war der Schulleitung zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweises nur aus Beschreibungen des Vaters des darauf abgebildeten Mädchens bekannt. Hierbei bleibt aus den Akten offen, woher der Vater des Mädchens die Kenntnis hatte, welche Bilder der Kläger konkret verschickt hatte. Die Akten enthalten auch keine Ablichtungen von Chatverläufen oder Beschreibungen der Bilder durch dritte Personen. Der Inhalt der verschickten Bilder ist demnach nicht ansatzweise durch objektive Belege nachvollziehbar. Im Nachgang hat die Schulleiterin zwar laut eigener Aussage einige Bilder des Mädchens auf dem Tablet des Vaters, der ebenfalls Lehrer an der Schule ist, eingesehen. Unklar bleibt auch hierbei, welche(s) konkrete(n) Bilder der Kläger verschickt haben soll. Die Existenz von Bildern auf einem Tablet, auf das der Kläger keinen Zugriff hat, kann schwerlich darlegen, dass der Kläger eines der darauf enthaltenen Bilder verschickt hat. Damit sind ausreichende (und nachvollziehbare) Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit der verfügten Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme nicht dargelegt.
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Hierbei ist festzuhalten, dass der Kläger zwar ein Versenden von einem/mehreren Bild(ern) der Mitschülerin zugestanden hat, es jedoch bereits frühzeitig feststand, dass über die konkreten Darstellungen auf dem/den Bild(ern) unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Kläger und der Schule bestehen. Das dem Kläger im streitgegenständlichen Verweis vorgeworfene Verhalten ist, dass „mindestens eines dieser Bilder – das aufgrund intimer Details gezielt ausgewählt und vergrößert worden sei – vom Kläger per Handy“ weiterverschickt worden sei. Auch der Vorwurf, dass „besonders die Auswahl des besagten Bildes zeige, dass es hier vorrangig um eine Bloßstellung zur Belustigung anderer gegangen sei“ belegt, dass der konkrete Inhalt der Bilder für den Erlass des verschärften Verweises entscheidend war. Dies macht es erforderlich, dass die Feststellungen hinsichtlich des gezogenen Inhalts der Bilder und das Versenden genau dieser Bilder durch den Kläger von der Schule tragfähig dokumentiert werden müssen. Es handelt sich hierbei um die wesentlichen Details, die Grundlage für die Ordnungsmaßnahme des verschärften Verweises waren und für die Einschätzung des Gewichtes des Fehlverhaltens unabdingbar sind.
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Der ausgesprochene verschärfte Verweis war daher bereits wegen der Unerweislichkeit des von der Schule angenommenen Sachverhaltes rechtswidrig. Im Übrigen leidet die Entscheidung der Schulleitung hierdurch auch an einem Fehlgebrauch des eingeräumten Ermessens, weil die Umstände des konkreten Einzelfalls und damit das Gewicht des dem Kläger zur Last gelegten Fehlverhaltens nicht zutreffend ermittelt worden sind und die Ermessensentscheidung unter Zugrundelegung eines nicht belegten und belegbaren Sachverhalts getroffen worden ist. Wegen der Unerweislichkeit des von der Schule angenommenen Sachverhaltes kommt es auf die Beurteilung, ob es sich um ein außerschulisches Verhalten handelt, nicht mehr an.
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Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.