Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.07.2023 – M 3 E 23.3182
Titel:

Erfolgloser Eilantrag mit dem Ziel eines Schulwechsels mit der Erlaubnis, Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache zu belegen

Normenketten:
BaySchO § 45
BayGSO § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, § 68 Abs. 2
Leitsätze:
1. Belegt ein Schüler Italienisch als 3. Fremdsprache, also als Pflichtfach, kann er Italienisch als spät beginnende Fremdsprache nicht belegen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne von § 45 BaySchO muss auf wenige Ausnahmen in besonders atypischen Einzelfällen beschränkt bleiben. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Schulwechsel, Fächerwahl in der Qualifikationsphase:, Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache, Unbillige Härte, Fächerwahl in der Qualifikationsphase, Italienisch als Pflichtfach, unbillige Härte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26070

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung einen Schulwechsel mit der Erlaubnis, Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache zu belegen.
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Die Antragstellerin besucht im laufenden Schuljahr die 10. Jahrgangsstufe des achtjährigen Gymnasiums im Gymnasium in R. Als 3. Fremdsprache hat sie Italienisch gewählt.
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Die Antragstellerin möchte – nach einem Schulwechsel in das Gymnasium in M. – in der Qualifikationsphase Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache wählen. Diese Fächerwahl wird ihr vom Antragsgegner versagt.
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Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2023 beantragt der Bevollmächtigte der Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, den Wechsel in die Auffangklasse des Gymnasiums M. zu genehmigen; hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, erneut über den Antrag auf Genehmigung zur Aufnahme in die Auffangklasse des Gymnasiums M. unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Aufnahme an der gewünschten Schule. Die Kapazität zur Aufnahme sei vorhanden. Die Verhinderung eines Vorteils der Antragstellerin aufgrund der Vorbelegung des Faches Italienisch könne nicht entscheidend sein, ihr die Belegung von Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache zu versagen. Der Antragstellerin würde durch die Verschiebung des Ausbildungsschwerpunkts ein großer Nachteil entstehen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Antragsablehnung.
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§ 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 stehe der (gewünschten) Belegung als sonstige spät beginnende Fremdsprache entgegen. Eine Analogielösung käme nicht in Betracht. Von einer Anwendung der § 45 BaySchO werde schon deswegen abgesehen, da keine unbillige Härte vorliege.
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Auf gerichtliche Nachfrage stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin klar, dass die Antragstellerin den beantragten Schulwechsel nur wünsche, wenn sie dort Italienisch als spätbeginnende Fremdsprache belegen könne.
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Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO nach dem Antragsbegehren dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung im Endeffekt die gewünschte Fächerwahl, nämlich Italienisch als spät beginnende Fremdsprache, begehrt und nicht den bloßen, beantragten Schulwechsel, der ihr ohne die Fächerwahl ohne Weiteres ermöglicht würde.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Regelung nötig erscheint, um den Antragsteller vor bestimmten Nachteilen zu bewahren. Der Antrag ist somit begründet, wenn insbesondere der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO) gemacht wird. Trotzdem gilt auch in Verfahren nach § 123 VwGO der Amtsermittlungsgrundsatz; dieser kann die Anforderungen an die Glaubhaftmachung reduzieren, wenn sich nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ein Anordnungsanspruch aufdrängt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage, 2023, Rn. 24 zu § 123). Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen, ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar ist (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 26 zu § 123).
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Hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte. Insbesondere dann, wenn mit einer – sei es auch nur befristeten – Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache bereits vorweggenommen würde, muss der Erfolg in der Hauptsache jedoch nicht nur wahrscheinlich sein, sondern bejaht werden können.
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Die Antragstellerin hat die Dringlichkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht, da bis zum Beginn des neuen Schuljahres 2023/24 nicht mit einer Hauptsacheentscheidung zu rechnen wäre.
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Die Antragstellerin hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Anspruchs auf Belegung des Fachs Italienisch als spät beginnende Fremdsprache.
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1. Gemäß § 68 Abs. 2 der Gymnasialschulordnung (GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K), die zuletzt durch die §§ 7, 8 der Verordnung vom 6. April 2023 (GVBl. S. 161) geändert worden ist, i.V.m. § 19 Abs. 3 Satz 1 der Gymnasialschulordnung vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K), die zuletzt durch Gesetz vom 26. Juli 2006 (GVBl S. 397) geändert worden ist, (im Folgenden: GSO-G8) ist, falls in der Jahrgangsstufe 10 nach Anlage 1 eine neu einsetzende spät beginnende Fremdsprache gewählt bzw. in der Einführungsklasse nach Anlage 7 Unterricht auf dem Niveau einer spät beginnenden Fremdsprache erteilt wurde, diese in allen vier Ausbildungsabschnitten zu belegen. Nach § 19 Abs. 3 Satz 2 GSO-G8 sind sonstige spät beginnende Fremdsprachen nur wählbar, wenn die Schülerin oder der Schüler 1. in der betreffenden Sprache Wahlunterricht in den Jahrgangsstufen 9 und 10 im Umfang von zusammen mindestens fünf Wochenstunden besucht oder die erforderlichen Kenntnisse des Wahlunterrichts der Jahrgangsstufe 10 nachgewiesen hat und 2. in der betreffenden Sprache nicht bereits Unterricht als Pflicht- oder Wahlpflichtfach in den Jahrgangsstufen 9 und/oder 10 besucht hat.
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Die Antragstellerin belegt derzeit Italienisch als 3. Fremdsprache, also als Pflichtfach (vgl. Anlage 1 Ziff. A. GSO-G8). Damit kann sie gemäß dem eindeutigen und klaren Wortlaut des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 Italienisch als spät beginnende Fremdsprachen nicht belegen. Dementsprechend hat sie auf eine solche Fächerwahl auch keinen Anspruch. Ergänzend wird auf die Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 12 Juli 2023 Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).
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2. Es besteht auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Belegung von Italienisch als spät beginnende Fremdsprache im Rahmen einer Ausnahme nach § 45 Bayerische Schulordnung (BaySchO) vom 1. Juli 2016 (GVBl. S. 164, 2014 S. 639, BayRS 2230-1-1-1-K), die zuletzt durch die §§ 1, 2, 3 der Verordnung vom 6. April 2023 (GVBl. S. 161) geändert worden ist, von der Versagungsregelung der § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 hat.
21
Nach § 45 BaySchO kann das Staatsministerium oder die vom ihm beauftragte Stelle von einzelnen Bestimmungen der Schulordnungen Ausnahmen gewähren, wenn die Anwendung der Bestimmung im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde und die Abweichung auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung unbedenklich erscheint. Die Anwendung dieser Härtefallklausel wurde vorliegend voraussichtlich zu Recht abgelehnt.
22
Denn es liegt schon keine unbillige Härte vor. Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der unbilligen Härte in § 45 BaySchO sollen (nur) atypische, vom Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht ausreichend berücksichtigte, besonders gelagerte Fallkonstellationen, in denen die Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zu einer nicht intendierten Härte führen würde, einer die widerstreitenden Interessen abwägenden Einzelfallentscheidung zugeführt werden. Härten, die bei der Ausgestaltung des Tatbestands bewusst in Kauf genommen worden sind und die dem Gesetzeszweck entsprechen, können dementsprechend keinen Härtefall begründen, weil sonst die vom Gesetzgeber beabsichtigte Folge in der Regel nicht eintreten würde (Richter, BaySchO, Kommentar, 2 Aufl. 2021, Anm. zu § 45). Die Annahme einer unbilligen Härte muss daher auf wenige Ausnahmen in besonders atypischen Einzelfällen beschränkt bleiben.
23
Ein solcher atypischer Ausnahmefall ist vorliegend nach summarischer Prüfung nicht glaubhaft gemacht.
24
Der Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin, dass der durch die gewünschte Belegung eventuell erreichte Vorteil nicht entscheidend sei, kann einen atypischen Ausnahmefall zur Regelung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 nicht begründen, da genau diese Konstellation regelmäßig durch die Vorschrift erfasst wird. Der weitere Vortrag des Bevollmächtigten zur Corona-Pandemie, einer ineffizienten Lehrkraft sowie eines Auslandsaufenthalts begründet ebenso keine besonders gelagerte Fallkonstellation. Die Corona-Pandemie hat alle Schüler gleichermaßen betroffen, zudem ist ein Einfluss auf die Fächerwahl bzw. -belegung eher nicht zu erkennen. Dasselbe gilt für eine angeblich ineffiziente Lehrkraft und einem nicht näher spezifizierten Auslandsaufenthalt.
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Selbst wenn man vorliegend von einer besonders gelagerten Fallkonstellation ausgehen sollte, stünde die Entscheidung zur Anwendung des § 45 BaySchO im Ermessen des Staatsministeriums. Dieses hat sich entschieden, keine Ausnahme zu gewähren. Ermessensfehler bei dieser Entscheidung sind weder (explizit) vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere lässt der Vortrag zu Vor- und Nachteilen der gewünschten und hypothetischen Vergleichsbelegung keine Ermessenfehler erkennen. Wie bereits ausgeführt sind diese bereits durch § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 geregelt und in Kauf genommen. Deshalb müssten sie im Regelfall nicht mehr bei einer Ermessenentscheidung berücksichtigt werden. Nichtsdestotrotz hat das Staatsministerium die geltend gemachten Härten in seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt. Die Ermessensentscheidung ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht das von der der Antragstellerin gewünschte Ergebnis erbringt.
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3. Das Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
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Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch von der Verwaltung bei Erlass untergesetzlicher Normen, bei Ermessensentscheidungen und bei Beurteilungsspielräumen zu beachten (Kirchhof in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 99. EL September 2022, Rn. 285 f.) und gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Welche Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen zu stellen sind, hängt wesentlich davon ab, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (stRspr; BVerfG, B.v. 17.1.2012 – 2 BvL 4/09 – BVerfGE 130, 52/66 m.w.N.). Bei Überprüfung einer Vorschrift auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob die verfassungsmäßige Grenzen der Gestaltungsfreiheit überschritten wurden (BVerfG, B.v. 11.11.2008 – 1 BvL 3/05 u.a. – BVerfGE 122, 151/174).
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Eine Ungleichbehandlung lässt die streitgegenständliche Entscheidung nicht erkennen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass anderen Schüler in vergleichbaren Fällen eine Ausnahme von § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 GSO-G8 gewährt worden wäre. Vielmehr deutet der gesamte Vortrag des Antragsgegners daraufhin, gerade Ungleichbehandlungen vermeiden zu wollen.
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4. Somit hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf die Belegung des gewünschten Schulfachs glaubhaft gemacht. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG, § 52 Abs. 2 GKG, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 Nr. 1.5.