Titel:
Anwendung des Auswahlkriteriums „Schulweg zum GMN"
Normenketten:
BayEUG Art. 44 Abs. 3
GG Art. 3
GSO § 2 Abs. 6
Leitsätze:
1. Übersteigt die Zahl der Bewerber für eine bestimmte Schule die Kapazität, ist die Entscheidung, welche Bewerber aufgenommen werden, anhand sachgerechter Auswahlkriterien zu treffen. Hierbei sind insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schulweg zur gewünschten und zu den als Ersatz in Betracht kommenden Schulen ist ein maßgebliches Kriterium. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufnahme in ein bestimmtes Gymnasium, Aufnahmekriterien, Schulweg, Verhältnismäßigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache
Fundstelle:
BeckRS 2023, 26069
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in die Jahrgangsstufe 5 des Gymnasiums M. F … für das Schuljahr 2023/24 aufzunehmen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin, wohnhaft unter der Anschrift H.-weg 2, M., besucht im Schuljahr 2022/23 die Jahrgangsstufe 4 der Grundschule M., W.-Str 38. Laut Übertrittszeugnis vom 2. Mai 2023 ist sie geeignet für den Besuch eines Gymnasiums.
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Auf ihre Anmeldung beim Gymnasium M. F … (im Folgenden: die Schule) zur Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 hin teilte die Schule ihren Erziehungsberechtigten mit E-Mail vom 10. Mai 2023 mit, dass die Antragstellerin mangels hinreichender Raumkapazitäten nicht berücksichtigt werden könne. Der Antragstellerin könne ein Platz in einer Vorläuferklasse des neuen Gymnasiums M.-N. (im Folgenden: GMN) angeboten werden. Damit die Antragstellerin eine der Vorläuferklassen des GMN besuchen könne, sei eine Anmeldung am O.-Gymnasium erforderlich.
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Mit Schreiben vom 11. Mai 2023 baten die Bevollmächtigten der Antragstellerin die Schule, ihnen zur rechtlichen Überprüfung der Ablehnung die Kriterien und Anforderungen, die bei der Entscheidung über die Aufnahme in die Schule herangezogen worden sind, zu übersenden.
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Mit Schreiben vom 15. Mai 2023 an die Bevollmächtigten der Antragstellerin wies die Schule darauf hin, dass sich für das Schuljahr 2023/24 mehr Schüler um eine Aufnahme beworben hätten als im Hinblick auf die räumlichen Verhältnisse an der Schule aufgenommen werden könnten. Den abgelehnten Schülern sei im Sinne des örtlichen Ausgleichs die Anmeldung am GMN empfohlen worden. Bei der Aufnahme der Schüler sei neben einer möglichst kurzen Entfernung zum eigenen Schulstandort (Fahrradnutzung) auch entscheidend, inwieweit der neue Schulstandort des GMN in möglichst kurzer Zeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden könne. Dabei seien Verbindungen mit nur einem Umstieg fokussiert worden. Kinder, deren Geschwister die Schule bereits besuchten, seien grundsätzlich aufgenommen worden. Der Schulweg der Antragstellerin weise mit 2,8 km (Fahrradstrecke) eine zu große Entfernung von der Schule auf; 138 neuangemeldete Schüler erreichten die Schule auf kürzerer Strecke.
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Mit Schreiben vom 22. Mai 2023 machten die Bevollmächtigten der Klägerin geltend, der von der Antragstellerin von ihrem Wohnort zu bewältigende Schulweg betrage bei der Schule 2,75 km, die Zeitdauer bei Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (im Folgenden: ÖPNV) insgesamt 23 Minuten. Die Entfernung zum GMN am Standort Bayernkaserne betrage 4,8 km (Dauer mit dem ÖPNV: 44 Minuten), zum S.-Gymnasium 4,3 km (Dauer mit dem ÖPNV: 47 Minuten). Das GMN sei somit deutlich weiter entfernt als die Schule. Es werde gebeten mitzuteilen, ob noch ein weiterer Bescheid ergehe.
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Mit Schreiben vom 22. Mai 2023 teilte die Schule mit, über die mit E-Mail vom 10. Mai 2023 mitgeteilte Ablehnung hinaus werde kein weiterer Bescheid ergehen.
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Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben mit dem Antrag, unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Mai 2023 den Freistaat Bayern als Träger der Schule zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag der Antragstellerin auf Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 der Schule im Schuljahr 2023/24 zu entscheiden.
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Darüber hinaus lässt die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München mit Schriftsatz vom 6. Juni 2023, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beantragen,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, in die Jahrgangsstufe 5 des Gymnasiums M.-F. für das Schuljahr 2023/24 aufzunehmen.
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Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, sofern mehr Bewerber vorhanden seien als nach den räumlichen und personellen Verhältnissen an der Schule aufgenommen werden könnten, müssten die Auswahlkriterien auf sachgerechten Erwägungen beruhen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, ob abgewiesene Bewerber in zumutbarer Entfernung zum Wohnort eine andere Schule der von ihnen gewünschten Schulart besuchen könnten. Eine Würdigung der beiderseitigen Interessen führe vorliegend dazu, dass voraussichtlich nur die Aufnahme der Antragstellerin eine ermessensfehlerfreie Entscheidung sei, da nur dies dem Gewicht der beiderseitigen Interessen gerecht werde. Das Auswahlkriterium der Geschwisterkinder sei nicht unumstritten. Bislang werde nicht dargestellt, wie hoch die Quote der Geschwisterkinder im Vergleich zu den anderen Bewerbergruppen sei. Die Schule komme so ihrer Darlegungslast nicht nach, so dass dieses Auswahlkriterium unberücksichtigt bleibe. Soweit die Schule weiter auf die Entfernung zum eigenen Schulstandort sowie auf die Erreichbarkeit des neuen Schulstandorts des GMN abstelle, werde nicht beachtet, dass die Antragstellerin nicht in zumutbarer Entfernung zu ihrem Wohnort eine andere Schule besuchen könne. Die Schule verfüge über Kapazitäten, nachdem die Jahrgangsstufe 5 im Schuljahr 2022/23 fünfzügig gewesen sei. Im Schuljahr 2023/24 solle die Jahrgangsstufe 5 nur dreizügig sein, da der Ministerialbeauftragte für M. Nord die Kapazitäten der Schule nicht ausschöpfen wolle, um das GMN zu stärken. Vorliegend gelte das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht, nachdem die beantragte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes notwendig sei.
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Der Antragsgegner beantragt
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Zur Begründung wird vorgetragen, die Schule sei derzeit in einem provisorischen Gebäude in Containerbauweise untergebracht. Das vorläufige Gebäude sei dreizügig angelegt. Der Neubau des Schulgebäudes sei in unmittelbarer Nähe zum derzeitigen Standort und als sechszügiges Gymnasium geplant. Aus der vorgesehenen Dreizügigkeit des provisorischen Gebäudes resultiere die Anzahl der Klassen-, Inklusions-, Ausweich- und Fachräume. In den Schuljahren 2020/21 bis 2022/23 seien jeweils fünf Eingangsklassen gebildet worden, um in der Anlaufphase nicht Raumkapazität, die für höhere Jahrgangsstufen vorgesehen sei, ungenutzt zu lassen. Diese Vorgehensweise sei allerdings auf die Anfangsjahre beschränkt, nachdem die Schülerzahl, wegen Neuaufnahmen und des Vorrückens der vorhandenen Schüler, von Jahr zu Jahr zunehme. Um eine Aufnahme von Schülern auch in künftigen Schuljahren zu ermöglichen, würden im Schuljahr 2023/24 nur vier Eingangsklassen gebildet. Der Gesamtbedarf im Schuljahr 2023/24 liege bei 24 Klassenräumen für die regulären Jahrgangsstufen 5 bis 10, zwei Klassenräumen für Brückenklassen und den jeweiligen Fachräumen. Die verbleibende Reserve sei für die Aufnahme künftiger Eingangsklassen nötig. Nach der Einschreibung am 8. Mai 2023 habe der zuständige Ministerialbeauftragte der Schule als Empfehlung für Bewerber, die an der Schule nicht aufgenommen werden könnten, die Vorläuferklassen des GMN mitgeteilt. Das GMN befinde sich ebenfalls noch im Bau. Zum Schuljahr 2025/26 solle der reguläre Schulbetrieb des GMN auf dem Gelände der Bayernkaserne beginnen. Bis dahin seien die Schüler in einem Pavillongebäude auf dem Gelände des O.-Gymnasiums in der U.-Str. 191 untergebracht. Generell aufnahmebereit sei auch das S.-Gymnasium (nur für Mädchen) in der K.-Str. 92.
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An der Schule hätten sich für das Schuljahr 2023/24 153 Schüler für die Jahrgangsstufe 5 angemeldet, es könnten jedoch nur 122 Schüler aufgenommen werden. Die Schule habe den nichtaufgenommenen Bewerbern die Anmeldung am GMN empfohlen. Schüler, deren Fahrradweg zur Schule bis zu 1,8 km betrage, habe die Schule aufgenommen, ebenso Schüler, deren Anfahrt zum neuen Schulstandort des GMN mehr als 43 Minuten betrage. Dabei seien Verbindungen mit nur einem Umstieg fokussiert worden. Kinder, deren Geschwister die Schule bereits besuchten, seien grundsätzlich berücksichtigt worden. Die Anwendung der Kriterien auf die Bewerber sei in einer Tabelle dargestellt; die Antragstellerin sei unter Ziffer 116 zu finden. Eine kartografische Darstellung mit den Wohnorten aller Bewerber zeige, dass keiner der Bewerber, die – wie die Antragstellerin – östlich der L.-Str. und südlich der W.-Str. wohnhaft seien, zum Zuge gekommen sei. Insgesamt 44 Geschwisterkinder seien aufgenommen worden. Über das Kriterium „Schulweg“ seien daher noch 78 Plätze zu vergeben gewesen. Unter Zuhilfenahme der Google Maps Plattform seien für die Antragstellerin eine Fahrradwegstrecke zur Schule von 2,8 km, zum GMN von 4,2 km und eine Wegezeit bei ÖPNV-Nutzung zur Schule von 16 Minuten und zum GMN von 30 Minuten ermittelt worden. 103 der Bewerber (ohne Berücksichtigung der Geschwisterkinder) hätten eine kürzere Entfernung zur Schule bzw. eine längere Fahrt zum neuen Schulstandort des GMN. Demnach befänden sich daher (103 – 78 =) 25 Bewerber in der Reihung vor der Antragstellerin. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule. Bei einem Bewerberüberhang habe der Bewerber nur Anspruch auf eine fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens, d.h. darauf, dass der Antragsgegner die Auswahlentscheidung nach sachlichen Kriterien und unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes zu treffen habe. Vorliegend sei die Aufnahmekapazität der Schule erschöpft. Die Schule sei nicht verpflichtet, die Klassen in Anlehnung an die Regelung zur Vergabe von Studienplätzen bis zur Grenze der Funktionsfähigkeit aufzustocken. Das Schulverhältnis sei durch den Klassenverband geprägt und verlange, dass den Lehrkräften genug Raum bleibe, sich dem einzelnen Schüler zu widmen. Die Aufnahme von 122 Schülern und die Bildung von nur vier Eingangsklassen sei nicht zu beanstanden, da auch die Aufnahme von Schülern in den Folgejahren noch gewährleistet sein müsse. Die Auswahlkriterien seien nicht zu beanstanden. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof halte das „Geschwisterprivileg“ für ein taugliches Auswahlkriterium; 44 Geschwisterkinder seien bei 122 Neuaufnahmen nicht überproportional viele. Gegen das Kriterium „Schulweg“ sei nichts einzuwenden. Der Schulweg zu Unterrichtsbeginn sei für die Antragstellerin in 37 min (Bus 178) bzw. zum S.-Gymnasium in 33 min (Bus 33) ohne Umsteigen machbar. Die Beförderungsmöglichkeiten hielten sich im zeitlichen Rahmen und seien angesichts der Direktverbindung auch für eine Schülerin der Jahrgangsstufe 5 geeignet und nicht unverhältnismäßig. Die Antragstellerin könne sich nicht auf eine Ermessensreduzierung auf Null berufen. Da bei Berücksichtigung der gewählten Kriterien 25 nicht berücksichtigte Bewerber in der Reihung vor der Antragstellerin zu berücksichtigen wären, wären zunächst diese anderen 25 Bewerber zu berücksichtigen, bevor die Antragstellerin zum Zuge käme. Es wäre mit dem Recht auf Gleichbehandlung unvereinbar, wenn die Antragstellerin bevorzugt würde, nur weil sie ein Rechtsmittel eingelegt habe.
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Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2023 bittet der Bevollmächtigte der Antragstellerin um Aufklärung in Bezug auf den Begriff „Ausgleich“ und in Bezug auf die im Schreiben des Schulleiters genannte Zahl von 138 Kindern gegenüber der Zahl von 153 Bewerbern; die Quote der Geschwisterkinder werde bestritten.
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Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2023 verweist der Antragsgegner zum Begriff „Ausgleich“ auf § 2 Abs. 6 GSO. Weiter trägt er vor, trotz der Geschwisterkinderquote von 44% bleibe der weit überwiegende Teil des Kontingents Bewerbern ohne Geschwisterteil an der Schule vorbehalten. Die im Schreiben des Schulleiters vom 15. Mai 2023 genannte Zahl von 138 Bewerbern beziehe sich lediglich auf Schüler mit einem kürzeren Schulweg als die Antragstellerin.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
18
1. Der Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Aufnahme der Antragstellerin in die Jahrgangsstufe 5 der Schule für das Schuljahr 2023/24 ist zulässig und begründet.
19
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs, sowie eines Anordnungsgrundes, d.h. der Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung, glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht wurde.
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Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
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Ein Anspruch auf eine bestimmte Ermessensentscheidung – wie sie die Antragstellerin mit ihrem Antrag begehrt – kann in Anbetracht des prinzipiellen Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren nach § 123 VwGO einerseits und der grundrechtlich verbürgten Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG andererseits nur dann als für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichend glaubhaft gemacht angesehen werden, wenn die ablehnende Entscheidung als ermessensfehlerhaft erscheint und wenn ermessensfehlerfrei vermutlich nur dem abgelehnten Antrag entsprochen werden könnte oder zumindest die Neubescheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Antragstellerin erfolgen würde.
22
Zu berücksichtigen ist hier, dass zwar das durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht des Schülers auf freie Wahl der Ausbildungsstätte und das vom Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Recht auf freie Wahl des von dem Kind einzuschlagenden Bildungswegs keinen Anspruch auf Aufnahme in eine konkret gewünschte Schule verleiht. Allerdings schließen die beschriebenen Grundrechte grundsätzlich das Recht ein, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der bestehenden Kapazität die konkrete einzelne Schule auszuwählen, die das Kind besuchen soll (VGH Mannheim, B.v. 5.9.2018 – 9 S 1896/18 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 30.11.2016 – 19 B 1066/16 – juris Rn. 9 ff.). Vor diesem Hintergrund und in Ansehung der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG kann die Verweisung der Antragstellerin auf den Rechtsweg in der Hauptsache nicht allein mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt werden, dass sie nur das Begehren auf Zugang zu einer bestimmten Schule derselben Schulart verfolge, ihr aber der Besuch eines anderen Gymnasiums zumutbar sei.
23
Nach diesen Maßgaben ist der Antrag der Antragstellerin zulässig und begründet. Der Anordnungsgrund liegt im Hinblick auf das in Kürze beginnende Schuljahr 2023/24 vor.
24
Der Anordnungsanspruch ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Denn es ist davon auszugehen, dass die Ablehnung der Aufnahme der Antragstellerin rechtswidrig war und voraussichtlich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu ihrer Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 führen würde.
25
a) Die die Aufnahme der Antragstellerin versagende Entscheidung der Schule leidet an Ermessensfehlern und ist daher rechtswidrig.
26
Nach Art. 44 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 2023 (GVBl. S. 102) in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 5. Juli 2022 (GVBl. S. 308), haben die Erziehungsberechtigten und die volljährigen Schüler das Recht, Schulart, Ausbildungsrichtung und Fachrichtung zu wählen. Für die Aufnahme sind Eignung und Leistung des Schülers maßgebend (Art. 44 Abs. 1 Satz 2 BayEUG). Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule an einem bestimmten Ort besteht nicht (Art. 44 Abs. 3 BayEUG). Das Recht der freien Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG) steht dem nicht entgegen, da es sich nicht auf eine bestimmte Schule, sondern nur auf eine bestimmte Schulart bezieht (VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 24). Sind mehr Bewerber vorhanden, als im Hinblick auf die räumlichen und personellen Verhältnisse der Schule aufgenommen werden können, so bemühen sich die staatlichen und nichtstaatlichen Schulen um einen örtlichen Ausgleich (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Gymnasialschulordnung – GSO – vom 23. Januar 2007, GVBl. S. 68, BayRS 2235-1-1-1-K, zuletzt geändert durch Verordnung vom 6. April 2023, GVBl. S. 161). Gelingt dies nicht, so entscheidet der Ministerialbeauftragte mit Wirkung für die öffentlichen Schulen (§ 2 Abs. 6 Satz 2 GSO). Die Zulassung zu einer Ausbildungs- oder Fachrichtung einer Schulart darf im notwendigen Umfang nur dann beschränkt werden, wenn die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Ausbildungsplätze erheblich übersteigt und ein geordneter Unterrichtsbetrieb nicht mehr sichergestellt werden kann (Art. 44 Abs. 4 Satz 1 BayEUG).
27
Ob vorliegend die Kapazitätsgrenze erreicht ist, kann offen bleiben (hierzu aa). Denn jedenfalls ist vorliegend die Auswahlentscheidung fehlerhaft erfolgt (hierzu bb). Bei fehlerfreier Durchführung wäre die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Zuge gekommen (hierzu cc).
28
aa) Die Kapazitätsgrenze wird grundsätzlich unter Berücksichtigung der vorhandenen Raumausstattung, der Personalausstattung und der pädagogischen Zielsetzungen bestimmt. Bei der konkreten Bestimmung der Kapazitätsgrenzen an Schulen ist mit Blick auf die Frage der Funktionsfähigkeit zu berücksichtigen, dass das Schulverhältnis durch den Klassenverband geprägt ist, in dem der Schüler der besonderen Aufmerksamkeit und Zuwendung der Lehrkräfte bedarf; auch obliegt die Beobachtung und Kontrolle des Lernerfolgs den Lehrkräften. Der Zugangsanspruch des einzelnen Bewerbers findet daher seine Grenze darin, dass eine effektive Unterrichtsgestaltung unter Beachtung allgemeiner pädagogischer Grundsätze möglich bleiben muss (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 8.10.2003 – 13 ME 343/03 – juris Rn. 35 f.; VG München, B.v. 20.8.2013 – M 3 E 13.3028 – juris; VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 26).
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Die Entscheidung der Schule, im Schuljahr 2023/24 vier Eingangsklassen zu bilden, ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. In dem vorgelegten Raumbelegungsplan sind lediglich sechs Klassenräume keiner konkreten Klasse zugeordnet; die Freihaltung einzelner Räume für künftige Eingangsklassen ist sachgerecht.
30
Was die Schülerzahl pro Klasse anbelangt, sind nach dem Schreiben des Ministerialbeauftragten vom 8. März 2023 sämtliche Eingangsklassen grundsätzlich mit bis zu 32 Schülern aufzufüllen. Dies stimmt überein mit den Maßgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Klassen- und Gruppenbildung in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 auf S. 10 der Anlage zum KMS Nr. V.7 – BS5400-1-6b.25760 vom 30.3.2023 (https://www.asv.bayern.de/doku/_media/ gy/up/planungsgrundlagen_23-24.pdf), wonach zur Vermeidung übergroßer Klassen keine Klassen mit 34 oder mehr Schülern einzurichten sind und nach Möglichkeit die Bildung von Klassen mit 33 Schülern zu vermeiden ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass bei einer höheren Schülerzahl der Bildungsauftrag noch effizient erfüllt und ein geordneter Unterrichtsablauf noch sichergestellt werden könnte.
31
Vorliegend wurden 122 Schüler in vier Eingangsklassen aufgenommen, was zu Klassenstärken von lediglich 30 bzw. 31 Schülern führt. Es ist bislang nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Schülerzahl der Eingangsklassen durch Wiederholer oder zuziehende Schüler bis zum Schuljahresbeginn noch weiter erhöhen und dann die festgelegte Schülerhöchstzahl von 32 Schülern voraussichtlich erreicht wird. Es ist daher derzeit davon auszugehen, dass die Kapazitätsgrenze noch nicht erreicht ist.
32
bb) Ob und wie viele weitere Plätze zu vergeben sind, kann allerdings dahinstehen, da jedenfalls die Auswahl der Bewerber fehlerhaft durchgeführt wurde.
33
Übersteigt die Zahl der Bewerber für eine bestimmte Schule die Zahl der nach der vorhandenen Kapazität ermittelten Plätze, ist die Entscheidung, welche Bewerber aufgenommen werden und welche im Wege des örtlichen Ausgleichs oder durch Entscheidung des Ministerialbeauftragten einen Platz an einer anderen Schule erhalten, anhand sachgerechter Auswahlkriterien zu treffen (BayVGH, B.v. 15.11.2013 – 7 CE 13.1934 – juris Rn. 8 ff.; Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand Mai 2023, BayEUG Art. 44 Anm. 12). Der Spielraum der Schule bei der Auswahl und Kombination von Auswahlkriterien ist somit nicht unbeschränkt; insbesondere sind Art. 3 Abs. 1 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Was sachgerecht ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
34
Die Aufnahme von Geschwistern von bereits aufgenommenen Schülern ist im Hinblick auf die für die Eltern damit verbundene Erleichterung ein grundsätzlich sachgerechtes Kriterium; seine Anwendung begegnet solange keinen rechtlichen Bedenken, solange dies nicht dazu führt, dass einem anderen Bewerber der Zugang zu einem bestimmten Bildungsweg verwehrt oder unzumutbar erschwert wird (vgl. VG München, B.v. 20.8.2013 – M 3 E 13.3028 – juris).
35
Weiter ist insbesondere der Schulweg zur gewünschten und zu den als Ersatz in Betracht kommenden Schulen gleicher Schulart und Ausbildungsrichtung ein maßgebliches Kriterium (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2013 – 7 CE 13.1934 – juris Rn. 15; VG München, B.v. 16.9.2016 – M 3 E 16.4060 – juris Rn. 39; VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 28; Lindner/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, Stand Mai 2023, BayEUG Art. 44 Anm. 11). Bei Auswahl und Kombination verschiedener Kriterien darf die Anwendung nicht dazu führen, dass sich der Schulweg für einzelne Schüler zu einer „Odyssee“ entwickelt (vgl. VG Regensburg, B.v. 11.9.2008 – RO 7 E 08.1376 – juris Rn. 28). Insbesondere dann, wenn sich der alternativ angebotene Schulplatz nicht in der näheren Umgebung befindet, kommt der benötigten Zeit und etwaiger Erschwernisse bei Nutzung von ÖPNV zum Erreichen der alternativen Schule wesentliche Bedeutung zu. Hieraus ergibt sich unmittelbar, dass diese Faktoren realitätsnah zu ermitteln sind (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 5.9.2018 – 9 S 1896/18 – juris Rn. 14 ff., 17 ff.).
36
Die in Bezug auf die Antragstellerin getroffene Entscheidung, diese nicht aufzunehmen, ist rechtswidrig.
37
Die Eignung der Antragstellerin für die Schulart des Gymnasiums steht aufgrund des Übertrittszeugnisses fest.
38
Vorliegend hat die Schule, wie aus der vorgelegten excel-Liste ersichtlich, zunächst 44 Plätze an Geschwisterkinder unabhängig von der Wegstrecke zur Schule oder zum GMN vergeben. Weitere 38 Plätze wurden an Bewerber in „Fahrradentfernung“ (1,8 km) zur Schule vergeben. Als weiteres Kriterium hat die Schule eine Art Härtegrenze für den Schulweg zum GMN bei ÖPNV-Nutzung gesetzt bei einer Schulwegdauer von mehr als 43 Minuten oder der Notwendigkeit von mindestens zweimaligen Umsteigen; nach diesem Kriterium wurden weitere 41 Bewerber aufgenommen. Demnach ergibt sich (zuzüglich zu den Geschwisterkindern) für 79 von 153 Bewerbern das Vorliegen von einem Aufnahmekriterium; für 30 ist „Ausgleich“ vermerkt.
39
Die Anwendung des Auswahlkriteriums „Schulweg zum GMN“ auf die Antragstellerin ist fehlerhaft erfolgt. Die Schule hat, da die für das Schuljahr 2023/24 aufzunehmenden Bewerber voraussichtlich ab dem Schuljahr 2025/26 und damit für den ganz überwiegenden Teil ihrer Schulzeit im Schulgebäude auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne beschult werden, für die Ermittlung der Schulwege zutreffend auf diesen Standort und nicht auf das Gelände des O.-Gymnasiums abgestellt. Für die Antragstellerin hat die Schule (bei einer „Fahrradentfernung“ von 2,8 km) als benötigte Zeit zum Erreichen des GMN 30 Minuten auf Basis einer Google Maps-Abfrage zu Grunde gelegt; dieser Wert ist fehlerhaft ermittelt.
40
(1) Die Suche nach geeigneten Verbindungen vom Wohnort der Antragstellerin zum GMN (Eingabe „Helene-Wessel-Bogen“) bei einer gewünschten Ankunft bis 7.49 Uhr am 13. September 2023 (zweiter Schultag) ergibt folgende Ergebnisse (der tatsächliche Schulstandort „F. N. Allee 48, M.“ ist weder in Google Maps noch bei der MVG-Verbindungssuche recherchierbar und liegt noch etwas weiter entfernt von der durch Google Maps/MVG-Verbindungen ermittelten Ankunftsstelle, so dass die tatsächliche Schulwegdauer noch etwas länger ist).
42
- Weg 1: 7.15 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis D1. straße (ca. 1 km), 7.28 Uhr Fahrt mit Bus 172 bis BMW-FIZ, zu Fuß bis K1. straße, 7.37 Uhr Fahrt mit Bus 178 bis H.-W.-Bogen, Ankunft 7.46 Uhr (Dauer 31 Minuten);
43
diese Verbindung ist kein realistischer Schulweg. Der ca. 1 km lange Fußweg vom Wohnort durch die D1. straße bis zur Bushaltestelle D1. straße führt über eine Strecke von ca. 600 m durch das an den Güterbahnhof Milbertshofen nördlich angrenzende Gewerbegebiet; laut Google Maps sind an dem vorgeschlagenen Weg ein Baustoffproduzent (Transportbeton), Autowerkstätten, ein Gebrauchtwagenzentrum, ein Abfallentsorgungsbetrieb, ein Wertstoffhandelsbetrieb und ein Tanklager ansässig. Angesichts der Art der angesiedelten Gewerbe kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dieser Strecke um einen von Fußgängern frequentierten und für ein Schulkind zumutbaren Weg handelt.
44
- Weg 2: 7.17 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis M2. D2. Straße (ca. 1,3 km), 7.33 Uhr Fahrt mit Bus 180 bis K1. straße, zu Fuß bis K1. straße (Haltestelle Bus 178), 7.37 Uhr Fahrt mit Bus 178 bis H.-W.-Bogen, Ankunft 7.46 Uhr (Dauer 29 Minuten);
45
die obigen Ausführungen gelten gleichermaßen, da der Fußweg durch die gleiche Gewerbegebietsstrecke läuft.
46
- Weg 3: 7.09 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis M3. Straße (ca. 1,7 km), 7.32 Uhr Fahrt mit Bus 178 bis H.-W.-Bogen, Ankunft 7.46 Uhr (Dauer 37 Minuten);
47
die obigen Ausführungen gelten gleichermaßen, da der Fußweg durch die gleiche Gewerbegebietsstrecke läuft.
48
- Weg 4: 7.01 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis S2. straße (ca. 700 m), 7.19 Uhr Fahrt mit Bus 173 bis P.ring, zu Fuß bis P.ring (Haltestelle Bis 178), 7.24 Uhr Fahrt mit Bus 178 bis Helene-Wessel-Bogen, Ankunft 7.46 Uhr (Dauer 45 Minuten);
49
diese Verbindung beschreibt einen für die Antragstellerin möglichen Schulweg.
50
Verbindungsermittlung durch die MVG-Internetseite:
51
- Weg 5: 6.50 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis S2. straße (ca. 651 m), 7.00 Uhr Fahrt mit Bus 173 bis L. Straße, 7.08 Uhr Fahrt mit Bus 180 bis K2. straße, zu Fuß bis Helene-Wessel-Bogen (750 m), Ankunft 7.36 Uhr (Dauer 46 Minuten);
52
diese Verbindung beschreibt einen für die Antragstellerin möglichen Schulweg.
53
- Die nächste genannte Verbindung entspricht Weg 4.
54
- Weg 6: 7.10 Uhr ab Wohnort zu Fuß bis S2. straße (ca. 651 m), 7.20 Uhr Fahrt mit Bus 173 bis L. Straße, 7.28 Uhr Fahrt mit Bus 180 bis K1. straße, 7.37 Uhr Fahrt mit Bus 178 bis H.-W.-Bogen, Ankunft 7.44 Uhr (Dauer der Fahrt bis Bushaltestelle Helene-Wessel-Bogen 33 Minuten).
55
Diese Verbindung erfordert zweimaliges Umsteigen bei einer Umsteigezeit von 3 Minuten an der K1. straße.
56
(2) Für den Rückweg vom GMN (als Schulstandort nur Eingabe „Helene-Wessel-Bogen“ möglich, tatsächlicher Weg länger) zum Wohnort der Antragstellerin bei einem angenommenen Unterrichtsende um 13 Uhr und einer Abfahrt ab 13.05 Uhr am 13. September 2023 ergibt sich Folgendes:
57
Die von Google Maps angezeigten Verbindungen führen alle durch das bereits oben beschriebene Gewerbegebiet.
58
Verbindungsermittlung durch die MVG-Internetseite:
59
- Weg 1: 13.19 Uhr zu Fuß bis K2. straße (ca. 775 m), 13.33 Uhr Fahrt mit Bus 180 bis Olympiazentrum, 13.54 Uhr Fahrt mit Bus 173 bis S2. straße, zu Fuß bis Wohnort, Ankunft 14.09 Uhr (Dauer 49 Minuten);
60
diese Verbindung beschreibt einen für die Antragstellerin möglichen Schulweg.
61
- Weg 2: 13.23 Uhr zu Fuß bis K2. straße (ca. 753 m), 13.35 Uhr Fahrt mit Bus 141 bis D3. straße, 13.53 Uhr Fahrt mit U2 bis Hasenbergl, 13.58 Uhr Fahrt mit Bus 60 bis G.platz, zu Fuß bis Wohnort, Ankunft 14.19 Uhr (Dauer 56 Minuten);
62
diese Verbindung erfordert zweimaliges Umsteigen bei einer Umsteigezeit von 2 Minuten an der D3. straße.
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Hieraus ergibt sich, dass bei Zugrundelegung von für ein Schulkind realistischen Verbindungen der Schulweg der Antragstellerin morgens mindestens 46 Minuten dauert oder zweimaliges Umsteigen mit knappen Umsteigezeiten erfordert und mittags bei einem angenommenen Unterrichtsende um 13 Uhr eine Ankunft der Antragstellerin zu Hause nicht vor 14.09 Uhr zu erwarten ist bei einer reinen Fahrtzeit von mindestens 49 Minuten.
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Die mit Google Maps ermittelten kürzeren Schulwege können auch nicht im Sinne einer pauschalierten Betrachtung mit Blick auf den Zeitdruck, unter dem die Schule bei ihrer Auswahlentscheidung steht, zugrunde gelegt werden. Zum einen kann die MVG-Verbindungssuche mit einem überschaubaren zeitlichen Aufwand erfolgen. Zum andern liegt vorliegend die Besonderheit vor, dass der als Ausgleich angebotene S1.platz in erheblicher Entfernung zum Wohnort zahlreicher abgelehnter Bewerber liegt und die Anfahrt mit ÖPNV nicht offensichtlich zügig und unkompliziert möglich ist, und auch sonstige alternative aufnahmebereite Schulen nicht in der näheren Wohnumgebung liegen. Bei einer derartigen Ausgangslage muss die Schule bei ihrer Aufnahmeentscheidung Erwägungen zu einer Zumutbarkeitsgrenze beim Schulweg anstellen. Dem ist die Schule auch nachgekommen und hat als Grenze eine Fahrtdauer von über 43 Minuten oder zweimaliges Umsteigen festgelegt. In derartigen Fällen muss dann aber auch realitätsnah ermittelt werden, ob diese Zumutbarkeitsgrenze erreicht wird; etwas anderes würde der Bedeutung des Schulwegs zum Gymnasium im Alltag der Schüler über einen Zeitraum von neun Jahrgangsstufen nicht gerecht.
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cc) Eine erneute Ermessensentscheidung müsste aller Voraussicht nach zugunsten des Aufnahmeantrags der Antragstellerin ausfallen.
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(1) Bei der Ermittlung realistischer Verbindungen vom Wohnort der Antragstellerin zum GMN erfüllt die Antragstellerin das von der Schule festgelegte Aufnahmekriterium, wonach Bewerber aufgenommen werden, deren Schulweg zum GMN länger als 43 Minuten dauert oder (bei kürzerer Schulwegdauer) mindestens zweimaliges Umsteigen erfordert.
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Der Antragstellerin kann nicht entgegengehalten werden, dass das Aufnahmekriterium „Schulweg zum GMN“ sich von der Zeitdauer her weiter nach oben verschiebe, wenn mehr Bewerber das Kriterium erfüllten. Denn weder der Vortrag des Antragsgegners im Schriftsatz vom 3. Juli 2023 noch der Schriftverkehr der Schule mit den Bevollmächtigten der Antragstellerin bieten Anhaltspunkte dafür, dass der Schulweg zum GMN lediglich als Kriterium der Reihung der Bewerber zur Vergabe der restlichen Schulplätze (nach Vergabe an Geschwisterkinder und Bewerbern mit „Fahrradentfernung“) gehandhabt wurde. Letzterem stünden im Übrigen, wie oben bereits ausgeführt, auch Bedenken gegenüber, weil mit zunehmender Länge und Beschwerlichkeit des Schulwegs zum ersatzweise angebotenen Schulplatzes das Gewicht dieses Kriteriums auch im Verhältnis zu den anderen Kriterien (Geschwisterkinder und „Fahrradentfernung“) zunehmen dürfte; denn während es bei letzteren Kriterien um Erleichterungen für Eltern und Schüler wie vereinfachte Kommunikation oder Fußläufigkeit geht, berührt ein sehr langer oder beschwerlicher Fußweg letztlich das in Art. 44 Abs. 1 Satz 1 BayEUG normierte und verfassungsrechtlich gestützte Recht, Schulart und Ausbildungsrichtung zu wählen.
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Die Antragstellerin muss sich auch nicht auf den Besuch des S.-Gymnasiums verweisen lassen. Die Entfernung zum S.-Gymnasium war kein Kriterium für die Aufnahmeentscheidung. Diesbezüglich wäre darüber hinaus zu berücksichtigen, dass nach Art. 44 Abs. 4 Satz 1 BayEUG die Zulassung zu einer Ausbildungsrichtung nur unter den dort genannten Voraussetzungen beschränkt werden kann. Die Ausbildungsrichtungen der Schule und des S.-Gymnasiums weichen voneinander ab.
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(2) Der Antragstellerin kann nicht entgegengehalten werden, dass sie auch bei einer rechtmäßigen Auswahlentscheidung deshalb nicht zum Zuge gekommen wäre, weil andere – bislang abgewiesene Bewerber, die die Abweisung akzeptiert hätten – vorrangig aufzunehmen wären. Anders als bei der Nachbesetzung ursprünglich rechtmäßig vergebener, später frei gewordener Plätze im Wege eines Nachrückverfahrens geht es für die Antragstellerin um die im Rahmen einer effektiven Rechtsschutzgewährung gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Beendigung der Rechtsverletzung durch Aufnahme in die gewünschte Schule. Zusätzliche (fiktive) Plätze, die als Ausgleich für rechtswidrig vergebene bereitgestellt werden müssen, sind daher gerade an diejenigen Bewerber zu vergeben, die ihre Abweisung nicht hingenommen haben (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 17.10.2014 – OVG 3 S 56/14 – juris; OVG Bremen, B.v. 25.9.1990/1 B 52/90 – juris). Ob und inwieweit sich hierfür bei einer Vielzahl von Antragstellern Grenzen aus der Funktionsfähigkeit der Schule ergeben (vgl. HessVGH, B.v. 25.10.2013 – 7 B 1889/13 – juris Rn. 31), kann vorliegend offen bleiben. Denn Anhaltspunkte dafür, dass durch die Aufnahme der Antragstellerin die Funktionsfähigkeit der Schule in Frage gestellt sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.