Titel:
Dublin-Verfahren: Erfolgreicher Eilantrag gegen Abschiebung nach Italien wegen fehlender (Wieder-)Aufnahmebereitschaft
Normenkette:
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Eine Abschiebungsanordnung nach Italien ist voraussichtlich rechtswidrig, wenn wegen der fehlenden Aufnahmebereitschaft Italiens nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Überstellung der Asylantragstellerin nach Italien innerhalb des sechsmonatigen Prognosezeitraums durchgeführt werden kann. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlende (Wieder-)Aufnahmebereitschaft, Italiens, Asyl, Dublin, Italien, Abschiebungsanordnung, Aufnahmebereitschaft
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25944
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage RO 13 K 23.50676 gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für ... vom 31. August 2023 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
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Die Antragstellerin, eine palästinensische Volkszugehörige, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die vom Bundesamt für ... (Bundesamt) angeordnete Abschiebung nach Italien.
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Die am 27. April 2023 eingereiste Antragstellerin äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt durch behördliche Mitteilung am 2. Mai 2023 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 23. Mai 2023 stellte die Antragstellerin einen förmlichen Asylantrag.
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Ausweislich eines Auszugs aus der EURODAC-Datenbank vom 2. Mai 2023 lag hinsichtlich der Antragstellerin ein Treffer mit der Kennnummer … vor. Danach wurde die Antragstellerin am 12. April 2023 in Catania aufgegriffen und es wurden ihr Fingerabdrücke abgenommen.
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Im Rahmen ihres persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags gab die Antragstellerin am 23. Mai 2023 vor dem Bundesamt unter anderem an, sie habe einen Bruder in Belgien oder den Niederlanden, dem internationaler Schutz zuerkannt worden sei. Sie habe Syrien am 3. Juni 2022 verlassen und sei über Libyen (zehn Monate) und Italien (zwei Tage) sowie unbekannte Länder nach Deutschland gekommen. Am 14. April 2023 habe man ihr in Catania Fingerabdrücke abgenommen. Internationalen Schutz habe sie dort nicht beantragt.
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Anlässlich ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags erklärte die Antragstellerin vor dem Bundesamt am 24. Mai 2023 im Wesentlichen, sie sei nach Deutschland gekommen, um hier weiter zu studieren. Außerdem befänden sich ihr Bruder sowie Cousins in Deutschland. Sie habe Onkel in den Niederlanden und in Belgien. In Italien habe sie niemanden. Das Asylverfahren und die Voraussetzungen seien in Deutschland besser, insbesondere für Palästinenser. Palästinenser würden in Italien keinen Pass bekommen. Manchmal habe sie Magenentzündungen und Schmerzen. Gegen die Entzündung habe sie Tabletten bekommen.Am 25. Mai 2023 (vgl. die entsprechende DubliNet-Zugangsbestätigung) richtete das Bundesamt nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ein Aufnahmegesuch an Italien, auf das die italienischen Behörden nach Aktenlage nicht antworteten.
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Mit Bescheid vom 31. August 2023, zugestellt am 5. September 2023, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1
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AufenthG wurde auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien auf Grund der dortigen illegalen Ersteinreise gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrags könne auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Das italienische Asylsystem weise keine systemischen Mängel auf. Nach der Asylantragstellung bestehe Zugang zu Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Versorgung. Im Hinblick auf den Einwand, Palästinenser würden in Italien keine Pässe erhalten, sei auf die offenen Erfolgsaussichten des Asylantrags hinzuweisen. Der bloße Wunsch der Antragstellerin, ein Asylverfahren in Deutschland zu durchlaufen, sei kein schutzwürdiger Belang. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1
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Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Bindungen seien nicht von Art. 2 g) Dublin-III-VO umfasst. Ein Tatbestand im Sinne von Art. 16 Dublin-III-VO sei nicht erkennbar.Am 6. September 2023 erhob die Antragstellerin Klage gegen den vorgenannten Bescheid, die unter dem Az.: RO 13 K 23.50676 geführt wird. Zugleich beantragt sie vorläufigen Rechtsschutz. Zur Begründung beruft sie sich auf ihr Vorbringen gegenüber dem Bundesamt.
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Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 12. September 2023, den Antrag abzulehnen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Hauptsache- und Eilrechtsschutzverfahren sowie auf die Akten des Bundesamts, die dem Gericht vorliegen, Bezug genommen.
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1. Gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG entscheidet die Berichterstatterin als gesetzliche Einzelrichterin.
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2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich gegen die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Abschiebungsanordnung richtet, ist zulässig und begründet.
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Das Gericht hat eine Interessenabwägung durchzuführen, im Rahmen derer das Interesse der Rechtsschutzsuchenden an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegeneinander abzuwägen sind. Bei dieser Abwägung spielen die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache, wie sie sich nach der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage darstellen, eine wesentliche Rolle. Wird die Klage voraussichtlich erfolgreich sein, wird in der Regel die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein. Stellt sich hingegen die erhobene Klage als voraussichtlich unzulässig oder unbegründet dar, entspricht es regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen, es bei dem gesetzlich bestimmten Sofortvollzug zu belassen und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen. Lassen sich die Erfolgsaussichten der Klage nicht hinreichend sicher abschätzen, führt dies zu einer von den Erfolgsaussichten unabhängigen Interessenabwägung. Nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts, da § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG hier nicht (entsprechend) anwendbar ist.
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Vorliegend fällt die Interessenabwägung zugunsten des Interesses der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage aus. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung wird nach Aktenlage aller Voraussicht nach erfolgreich sein. Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Das aus den Akten ersichtliche öffentliche Interesse am Sofortvollzug gebietet es nicht, im konkreten Fall – abweichend von der Wertung des Gesetzgebers – den Antrag abzulehnen.
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a) Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Hierfür muss eine Überstellung in den Zielstaat nicht nur rechtlich zulässig, sondern zeitnah auch tatsächlich möglich sein (vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. August 2023 – A 4 K 4321/23; Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 5. April 2022 – W 1 K 22.50078, jeweils m.w.N.). Das Gericht hat zu prognostizieren, ob die Überstellung innerhalb eines Zeitraums von grundsätzlich sechs Monaten (vgl. Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO) durchgeführt werden kann (vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. August 2023 – A 4 K 4321/23, m.w.N.). Dies setzt jedenfalls die grundsätzliche (Wieder-)Aufnahmebereitschaft des Zielstaats voraus, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 34a AsylG („feststeht“) ergibt (vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 18. März 2022 – 6 L 156/22.A; Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 5. April 2022 – W 1 K 22.50078; jeweils m.w.N.; zur fachgerichtlichen Sachaufklärungspflicht Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. August 2023 – 2 BvR 593/23).
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b) Gemessen an den vorgenannten Anforderungen steht derzeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Überstellung der Antragstellerin nach Italien innerhalb des Prognosezeitraums durchgeführt werden kann.
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aa) Es fehlt an der Aufnahmebereitschaft Italiens (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A; Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. August 2023 – A 4 K 4321/23; Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – 12 K 2675/23.A; Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 15. Juni 2023 – 22 L 1022/23.A; Verwaltungsgericht Greifswald, Beschluss vom 13. Juni 2023 – 3 B 869/23 HGW; so wohl auch Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 26. April 2023 – 10 LA 48/23; andere Ansicht Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 29. August 2023 – 5 L 1208/23; Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 10. August 2023 – AN 14 S 23.50435; Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 31. Juli 2023 – M 19 S 23.50322; Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 12. Juli 2023 – A 9 K 448/23; Verwaltungsgericht Magdeburg, Beschluss vom 27. Juni 2023 – 7 B 170/23 MD; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juni 2023 – A 1 K 2347/23; Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschluss vom 21. Juni 2023 – 6 L 186/23.A; Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 14. Juni 2023 – Au 7 S 23.50227; Verwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 9. Juni 2023 – 5 B 93/23).
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Das italienische Innenministerium hat mit Informationsschreiben vom 5. und 7. Dezember 2022 eine Aufnahme von Schutzsuchenden – mit Ausnahme von Fällen unbegleiteter Minderjähriger im Rahmen der Familienzusammenführung – nach Maßgabe der Dublin III-VO unter Berufung auf „technische Gründe“ und „fehlende Aufnahmekapazitäten“ „zeitlich befristet“, aber ohne Nennung eines konkreten Enddatums abgelehnt. Mit an alle Dublin-Einheiten gerichtetem Rundschreiben vom 5. Dezember 2022 führte das italienische Innenministerium aus: „This is to inform you that due to suddenly appeared technical reasons related to unavailability of reception facilities Member States are requested to temporarily suspend transfers to Italy from tomorrow, with the exception of cases of family reunification of unaccompanied minors. Further and more detailed information regarding the duration of the suspension will follow.“ Mit weiterem Rundschreiben vom 7. Dezember 2022 führte das italienische Innenministerium aus: „I write following the previous communication on 5th December, concerning the suspension of transfers, with the exception of cases of family reunification of minors, due to the unavailability of reception facilities. At this regard, considering the high number of arrivals both at sea and land borders, this is to inform you about the need for a re-scheduling of the reception activities for third countries nationals, also taking into account the lack of available reception places.“
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Es kann dahinstehen, wie der Wortlaut dieser Schreiben zu interpretieren ist (vgl. hierzu etwa Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23), und inwieweit sich allein aus dem inzwischen verstrichenen Zeitraum eine manifestierte Weigerungshaltung der italienischen Behörden ablesen lässt (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A). Denn jedenfalls steht nach summarischer Prüfung fest, dass Italien derzeit nicht zur Aufnahme von Dublin-Rückkehrern bereit ist. Anderenfalls hätte sich die Bundesinnenministerin nicht gemeinsam mit den zuständigen Ministern von sechs weiteren Staaten zu einem „Joint Communiqué“ vom 8. März 2023 veranlasst gesehen, in dem es unter anderem heißt: „They therefore reiterated the necessity of applying the existing rules in good faith to provide for the necessary conditions to allow Dublin transfers according to the existing standards (…)“ (zitiert nach Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23). Im Hinblick auf die „anhaltende Aussetzung von Dublin-Überstellungen“ durch Italien hat die Bundesregierung Ende August 2023 die Aufnahme von Migrantinnen und Migranten „im Rahmen des freiwilligen europäischen Solidaritätsmechanismus bis auf Weiteres verschoben“ (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berlin setzt die freiwillige Aufnahme von Migranten aus Italien aus, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/deutschland-setzt-freiwillige-aufnahme-von-migranten-aus-italien-aus-19171815.html, veröffentlicht am 13. September 2023, zuletzt abgerufen am 18. September 2023).
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Eine neue Mitteilung der italienischen Behörden an die Dublin-Einheiten ist seit Dezember 2022 nicht ergangen (vgl. Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23; Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2023 – 8 K 1679/20.A; eine solche aufgrund der Pflichten aus der Dublin-III-VO nicht für erforderlich haltend Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 10. August 2023 – AN 14 S 23.50435). Zustimmungen zu Auf- und Wiederaufnahmeersuchen, die die italienischen Behörden gegebenenfalls in anderen Verfahren (nicht jedoch im vorliegenden) erteilen, stellen ebenfalls keine solche Mitteilung dar, denn diese haben offenbar keinen Einfluss auf die tatsächliche Übernahmebereitschaft Italiens (vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A; Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23).
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Auch jüngste Zahlen bestätigen die fehlende Bereitschaft Italiens, Auf- und Wiederaufnahmeersuchen tatsächlich Folge zu leisten. Deutschland hat in den ersten acht Monaten dieses Jahres 12.452 entsprechende Ersuchen an Italien gestellt, denen Italien nur in zehn Fällen tatsächlich nachgekommen ist (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berlin setzt die freiwillige Aufnahme von Migranten aus Italien aus, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/deutschland-setzt-freiwillige-aufnahme-von-migranten-aus-italien-aus-19171815.html, veröffentlicht am 13. September 2023, zuletzt abgerufen am 18. September 2023; Der Spiegel, Deutschland setzt freiwillige Aufnahme von Geflüchteten aus Italien aus, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-setzt-freiwillige-aufnahme-von-gefluechteten-aus-italien-aus-a-629a159e-1f50-4469-980f-53acb8852d17, veröffentlicht am 13. September 2023, zuletzt abgerufen am 18. September 2023).
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bb) Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist nicht erkennbar, dass sich an der Weigerungshaltung der italienischen Behörde innerhalb des Prognosezeitraums etwas ändern wird.
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Aus dem europarechtlichen Grundsatz gegenseitigen Vertrauens lässt sich nicht per se herleiten, dass es sich bei der Nichtannahme von Überstellungen lediglich um ein vorübergehendes Hindernis handelt, denn das gegenseitige Vertrauen ist bereits durch die generelle Ablehnung der Annahme von zu überstellenden Asylsuchenden entgegen der Dublin-III-VO entkräftet (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 26. April 2023 – 10 LA 48/23; Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23).
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Meldungen aus der schweizerischen Presse (https://www.tagesanzeiger.ch/italien-stellt-wiederaufnahme-der-dublin-uebernahmen-in-aussicht-504274734236, veröffentlicht am 31. Mai 2023, zuletzt abgerufen am 18. September 2023), die zwischenzeitlich darauf hindeuteten, dass Wiederaufnahmen von Dublin-Rückkehrenden möglich werden sollen, haben sich nicht realisiert (vgl. auch Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23; zur Gegenauffassung vgl. Verwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 29. August 2023 – 5 L 1208/23; Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 14. Juni 2023 – Au 7 S 23.50227). Auch die Einigung beim Rat für Justiz und Inneres über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Juni 2023 hat zu keiner ersichtlichen Änderung der italienischen Handlungsweise geführt, zumal das Europäische Parlament noch im Weiteren über die Beschlüsse beraten muss und die Reformvorschläge frühestens bis zum Ende der europäischen Legislaturperiode im Frühjahr 2024 verabschiedet werden (vgl. hierzu Verwaltungsgericht Stade, Urteil vom 11. August 2023 – 10 A 111/23; andere Ansicht Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschluss vom 21. Juni 2023 – 6 L 186/23.A).
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Angesichts der massiv angestiegenen Flüchtlingszahlen scheinen die seitens der italienischen Behörden ergriffenen Maßnahmen, auch unter Berücksichtigung des ausgerufenen Notstands, nicht ausreichend, um im aktuellen Zeitpunkt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die italienischen Behörde einer (Wieder-)Aufnahme von Dublin-Rückkehrenden in überschaubarer Zeit zustimmen werden (vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. August 2023 – A 4 K 4321/23; Verwaltungsgericht Stade, Urteil vom 11. August 2023 – 10 A 111/23; Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2023 – 8 K 1679/20.A; andere Ansicht Verwaltungsgericht Ansbach, Beschluss vom 10. August 2023 – AN 14 S 23.50435). Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die italienischen Behörden in der Lage gewesen wären, die Zahl an Unterbringungsplätzen zwischenzeitlich zu erhöhen (vgl. Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2023 – 8 K 1679/20.A). Soweit durch die Ausrufung des Ausnahmezustands seitens der italienischen Regierung auch die Errichtung neuer Aufnahmezentren erleichtert werden soll, ist unklar, bis wann diese Zentren errichtet werden sollen und wie viele Menschen dort Platz finden würden (vgl. Verwaltungsgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2023 – 8 K 1679/20.A; andere Ansicht Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 12. Juli 2023 – A 9 K 448/23).
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Sofern teilweise vertreten wird, dass die Aufnahmeeinrichtungen in Italien tatsächlich nicht ausgelastet seien, würde dies nur dafür sprechen, dass die Begründung für die Aussetzung der Überstellungen vorgeschoben ist. Sollte die Aussetzung der Überstellungen nicht auf „technischen Gründen“ beruhen, sondern auf dem (politischen) Willen der italienischen Regierung, wäre ebenfalls nicht absehbar, ob, wann und unter welchen Bedingungen ein Zugang zum italienischen Asylverfahren für Dublin-Rückkehrende wieder möglich sein wird (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2023 – 11 A 1722/22.A; Verwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 10. August 2023 – 6 V 1704/23).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.