Titel:
Feststellungs- u. Darstellungsanforderungen für Betrugsschaden bei Scheingeschäft über ein Grundstück
Normenketten:
StGB § 46 Abs. 3, § 263 Abs. 1, § 266 Abs. 1
StPO 154 Abs. 2, § 206a, § 331 Abs. 1, § 349 Abs. 2, Abs. 4, § 353
BGB § 117 Abs. 1, Abs. 2, § 125 S. 1, § 311b Abs. 1, § 433 Abs. 2, § 873 Abs. 1, § 925 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO durch das Tatgericht bewirkt insoweit ein Verfahrenshindernis, das vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist. (Rn. 3)
2. Zwar kann bereits mit dem Abschluss eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB eintreten, wenn der getäuschte Vertragspartner Verpflichtungen eingeht und diese nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung wertmäßig nicht durch erlangte Gegenansprüche kompensiert werden (Eingehungsbetrug). Dies kommt aber von vornherein nicht in Betracht, wenn das Verpflichtungsgeschäft nichtig ist (hier: Unwirksamkeit eines Immobiliengeschäfts wegen Unterverbriefung gemäß §§ 116 Abs. 1, 125 Satz 1 BGB). (Rn. 9 – 10)
3. Die Verurteilung des Erwerbers einer Immobilie, der seinen Vertragspartner über seine Leistungsfähigkeit oder -willigkeit getäuscht hat, wegen (Erfüllungs-) Betrugs hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung mangels Feststellungen zum Schadenseintritt nicht stand, wenn sich aus den Urteilsgründen weder der Verkehrswert der Immobilie noch die Höhe der vom Erwerber übernommenen Grundstücksbelastungen im Zeitpunkt der Vermögensverfügung ergibt. (Rn. 14 – 18)
4. Das Verbot der Schlechterstellung aus § 331 Abs. 1 StPO steht einer Erhöhung der Einzelstrafen durch das Berufungsgericht entgegen. Das Verschlechterungsverbot gilt auch dann, wenn zwar die Staatsanwaltschaft Berufung zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt hatte, diese aber vom Berufungsgericht als unbegründet verworfen wurde. (Rn. 25 – 26)
5. Im Falle einer Verurteilung wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB verstößt die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe eine besondere Vertrauensstellung aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgenutzt, gegen das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB. (Rn. 27)
Schlagworte:
Revision, Sachrüge, Berufungsurteil, Aufhebung, Teilaufhebung, Berufungshauptverhandlung, Betrug, Täuschung, Täuschungshandlung, Eingehungsbetrug, Erfüllungsbetrug, Gläubigerbegünstigung, Untreue, Anstiftung, Verfahrenshindernis, Einstellung, Teileinstellung, Immobilie, Verkehrswert, Verkehrswertfeststellung, Wertermittlungsgutachten, Grundstück, Hausgrundstück, Grundstückskauf, Grundstückskaufvertrag, Grundstücksbelastung, Gegenleistung, Schenkung, Schenkungsvertrag, Scheingeschäft, Formmangel, nichtig, Heilung, Vereinbarung, mündlich, Beurkundung, Notar, notariell, Notargebühr, Vertragsurkunde, Unterverbriefung, Kaufpreis, Kaufpreiszahlung, Verpflichtungsgeschäft, Grundgeschäft, schuldrechtlich, Eigentum, Eigentumserwerb, Eigentumsübertragung, Besitzübertragung, Auflassung, Eintragung, Grundbuch, Schaden, Vermögensschaden, Vermögensverfügung, Saldierung, Gesamtsaldierung, Gegenanspruch, Kompensation, Negativsaldo, Formunwirksamkeit, Rechtsgeschäft, verdeckt, Darstellungsmangel, Trennungsprinzip, Beweiswürdigung, Zahlungsfähigkeit, Zahlungsunfähigkeit, Zahlungswilligkeit, Zahlungsunwilligkeit, Kontoüberziehung, Verschlechterungsverbot, Einzelstrafe, Einzelgeldstrafen, Gesamtstrafe, Tagessatzanzahl, Tagessatzhöhe, Produkt, Doppelverwertungsverbot, Vertrauensstellung, Rechtsanwalt, Vermögensbetreuungspflicht
Fundstellen:
ZInsO 2023, 2455
BeckRS 2023, 25873
LSK 2023, 25873
NStZ-RR 2024, 17
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 21.02.2023 wird
1. das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Anstiftung zur Gläubigerbegünstigung verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
2. das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Betrugs verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen, soweit der Angeklagte wegen Untreue in 3 Fällen verurteilt wurde,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hof zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Gründe
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 10.06.2020 wegen Anstiftung zur Gläubigerbegünstigung, Untreue in drei Fällen sowie Betrugs zur Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen von dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das Landgericht, obwohl es das Verfahren wegen Anstiftung zur Gläubigerbegünstigung gemäß § 154 Abs. 2 StPO in der Berufungshauptverhandlung eingestellt hatte, mit Urteil vom 21.02.2023 als unbegründet verworfen. Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision zurückgenommen.
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Die Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist die Revision offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO).
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1. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Gläubigerbegünstigung ist das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen eines Verfahrenshindernisses durch den Senat einzustellen. Indem das Landgericht die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft uneingeschränkt verworfen hat, wurde die Verurteilung durch das Amtsgericht wegen Anstiftung zur Gläubigerbegünstigung bestätigt, obwohl insoweit das Verfahren in der Berufungshauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden war. Die Teileinstellung führte – wie die Generalstaatsanwaltschaft München zutreffend darlegt – zu einem Verfahrenshindernis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen ist (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20.03.2023 – 1 StR 266/22 bei juris; 05.01.2022 – 6 StR 426/21 = MedR 2022, 1018; 08.06.2021 – 2 StR 72/21 bei juris).
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2. Die Verurteilung wegen Betrugs hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Berufungskammer hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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Der Angeklagte, der zum damaligen Zeitpunkt als selbstständiger Rechtsanwalt tätig war, kam Mitte des Jahres 2017 mit seiner Geschäftspartnerin G., die Geschäftsführerin einer Unternehmergesellschaft war, deren Alleingesellschafter wiederum die Angeklagte war, überein, eine im Eigentum der Zeugin G. stehende, mit einem Haus bebaute Immobilie käuflich zu erwerben. Die Beteiligten vereinbarten mündlich, dass der Angeklagte als Gegenleistung die eingetragenen Grundstücksbelastungen übernehme und zusätzlich an seine Geschäftspartnerin einem Betrag von 20.000 Euro bezahlen werde. In der notariellen Vertragsurkunde vom 20.07.2017 wurde auf Betreiben des Angeklagten jedoch die versprochene Kaufpreiszahlung verschwiegen. Stattdessen wurde eine Schenkung des Grundstücks gegen Übernahme der im Grundbuch eingetragenen Belastungen durch den Angeklagten beurkundet. Vor dem Notartermin hatte der Angeklagte der Grundstückseigentümerin G. mitgeteilt, dass sie unterschreiben solle, was der Notar vorlese. Dies sei so richtig, damit niemand an das Geld herankäme. Wie von vornherein beabsichtigt, zahlte der Angeklagte den Geldbetrag in der Folgezeit nicht. Der Angeklagte erlangte „hierdurch“, wie von ihm beabsichtigt, „unentgeltlich“ Eigentum an dem Grundstück.
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b) Aufgrund dieser Feststellungen ist der für die Verwirklichung des Betrugstatbestands nach § 263 Abs. 1 BGB erforderliche Eintritt eines Vermögensschadens nicht belegt.
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aa) Ein Eingehungsbetrug durch den Abschluss des notariell beurkundeten Schenkungsvertrags vom 20.07.2017 scheidet von vornherein aus.
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(1) Zwar kann bereits mit dem Abschluss eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts ein Vermögensnachteil im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB eintreten, wenn der getäuschte Vertragspartner Verpflichtungen eingeht und diese nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung wertmäßig nicht durch erlangte Gegenansprüche kompensiert werden, also sich bei Gegenüberstellung der wechselseitigen Verpflichtungen der Vertragsparteien ein Negativsaldo zum Nachteil des Getäuschten ergibt (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 = GesR 2023, 528; Beschluss vom 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = wistra 2022, 471 = ZInsO 2022, 1057; 30.06.2021 – 1 StR 177/21 = NStZ-RR 2021, 343 = MedR 2022, 222 = wistra 2022, 160; 30.06.2021 – 1 StR 177/21 = NStZ-RR 2021, 343 = MedR 2022, 222 = wistra 2022, 160).
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(2) Indes sind Ansprüche der Vertragspartnerin des Angeklagten durch den Abschluss des Schenkungsvertrags nicht entstanden, weil dieser nichtig war. Da nach den Urteilsfeststellungen eine unentgeltliche Zuwendung des Grundstücks nicht dem Willen der Vertragsparteien entsprach, weil der Angeklagte seiner Vertragspartnerin versprochen hatte, einen Kaufpreis von 20.000 Euro zu bezahlen, stellte der notariell beurkundete Schenkungsvertrag ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 Abs. 1 BGB dar und war deshalb nach dieser Bestimmung nichtig. Das tatsächlich gewollte Geschäft, das nach § 117 Abs. 2 BGB an die Stelle des simulierten Geschäfts tritt, war aber nach § 125 Satz 1 BGB formunwirksam, weil das verdeckte Rechtsgeschäft, also ein Kaufvertrag, der die Verpflichtung des Angeklagten zur Entrichtung des vereinbarten Kaufpreises vorsah, entgegen § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB nicht notariell beurkundet wurde (vgl. nur BGH, Urt. v. 17.02.2023 – V ZR 22/22 = WM 2023, 871 = ZIP 2023, 1369 = MDR 2023, 832 = NJW 2023, 2343 = DNotZ 2023, 616; 26.10.1979 – V ZR 88/77 = EBE/BGH 1980, 26 = DB 1980, 299 = NJW 1980, 451 = JR 1980, 108 = StW 1980, 167 = JuS 1980, 374 = MDR 1980, 297 = WM 1980, 104 = DRsp I [144] 83 = DNotZ 1980, 227 = LM Nr 5 zu § 815 BGB = BGHWarn 1979, Nr. 283; 15.05.1970 – V ZR 20/68 = BGHZ 54, 56 = WM 1970, 990 = NJW 1970, 1541).
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bb) Ob ein Erfüllungsbetrug durch Bewirkung der Leistung seitens der Getäuschten verwirklicht wurde, kann aufgrund durchgreifender Darstellungsmängel im Berufungsurteil nicht beurteilt werden.
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(1) Die Urteilsgründe verhalten sich schon nicht in hinreichend spezifizierter Weise dazu, ob es überhaupt zu einer wirksamen Übereignung des Grundstücks an den Angeklagten kam, was Voraussetzung für den Schadenseintritt im Rahmen eines Erfüllungsbetrugs ist. Zwar wird im Berufungsurteil knapp darauf hingewiesen, der Angeklagte habe „unentgeltlich“ Eigentum erworben. Aber schon aus der vom Landgericht explizit vorgenommenen Verknüpfung dieser lapidaren Feststellung mit dem schuldrechtlichen Grundgeschäft, was durch die Formulierung, der Angeklagte habe „hierdurch“ Eigentum erlangt, zum Ausdruck kommt, ergeben sich durchgreifende Zweifel, ob das Landgericht zu diesem Ergebnis möglicherweise unter Verstoß gegen das zivilrechtliche Trennungsprinzip gelangt ist. Nachdem die tatsächlichen Voraussetzungen für einen wirksamen Eigentumsübergang, nämlich die dingliche Auflassung und die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch gemäß den §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht geschildert werden, vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob die Getäuschte das Eigentum an dem Grundstück verloren hat.
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(2) Auf die Frage, ob eine (vorzeitige) Besitzübertragung auf den Angeklagten bereits einen Vermögensschaden bewirkt haben könnte (vgl. hierzu im einzelnen BGH, Beschluss vom 06.03.2018 – 3 StR 552/17 = NJW 2018, 3040 = NZM 2018, 806 = NStZ 2018, 713 = StV 2019, 24 = MittBayNot 2019, 334), kommt es mangels hinreichend klarer Feststellungen hierzu von vornherein nicht an.
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(3) Selbst wenn aber eine wirksame Übereignung des Grundstücks erfolgt sein sollte, kann den getroffenen Feststellungen der Berufungskammer nicht entnommen werden, dass auf Seiten der Geschädigten hierdurch ein Vermögensschaden entstanden wäre.
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(a) Die Beurteilung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Vermögensschaden eingetreten ist, erfolgt bei einem Erfüllungsbetrug ebenfalls im Wege der Gesamtsaldierung. Ein Vermögensnachteil des Getäuschten ist nur dann anzunehmen, wenn die von diesem getroffene Vermögensverfügung, hier also die Übereignung des Grundstücks, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt, wobei es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Vermögensverfügung ankommt (st.Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 = GesR 2023, 528; Beschluss vom 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = wistra 2022, 471 = ZInsO 2022, 1057; Beschluss vom 19.07.2023 – 2 StR 77/22 bei juris; 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = ZInsO 2022, 1057 = wistra 2022, 471).
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(b) Ein Schaden wäre nach diesen Vorgaben der Getäuschten allenfalls dann entstanden, wenn der Verkehrswert der Immobilie im Zeitpunkt der Vermögensverfügung, mithin der Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch, über den im Grundbuch eingetragenen und vom Angeklagten übernommenen Belastungen in Höhe der gesicherten Verbindlichkeiten gelegen hätte. Sollte der Verkehrswert des Grundstücks zum damaligen Zeitpunkt nicht höher als die Belastungen gelegen haben, wäre auf Seiten der Getäuschten ein Vermögensschaden von vornherein nicht eingetreten, ohne dass es auf die Werthaltigkeit des gegen den Angeklagten bestehenden Gegenanspruchs, der infolge Heilung des Formmangels durch die eventuelle Auflassung und Eintragung des Angeklagten als Eigentümer im Grundbuch nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB entstanden wäre, noch ankäme.
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(aa) Hierzu hat das Landgericht aber keine Feststellungen getroffen, sodass bereits nicht ausgeschlossen werden kann, dass kein Schaden entstanden ist und, falls dies doch der Fall gewesen sein sollte, weil der Grundstückswert möglicherweise die vom Angeklagten übernommenen Verbindlichkeiten überstiegen haben sollte, wie hoch dieser konkret zu beziffern wäre (vgl. zur Notwendigkeit der konkreten Bezifferung und nachvollziehbaren Darlegung des Vermögensschadens grundlegend BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 – 2 BvR 2500/09 = BVerfGE 130, 1 = StraFo 2012, 27 = NJW 2012, 907 = ZWH 2012, 102 = JR 2012, 211 = EuGRZ 2012, 68 = JR 2012, 351 = ZD 2012, 375 = NStZ 2012, 496 = VersR 2012, 1257 = StV 2012, 641; Nichtannahmebeschl. v. 05.05.2021 – 2 BvR 2023/20 = A& R 2021, 213 = GesR 2021, 659 = wistra 2021, 436 = medstra 2021, 376 = MedR 2022, 27; ebenso die seither ständige höchstrichterliche Rechtsprechung: vgl. zuletzt nur BGH, Beschluss vom 19.07.2023 – 2 StR 77/22 bei juris; 12.05.2022 – 5 StR 450/21 = NJW 2022, 2556 = wistra 2022, 476 = NStZ 2022, 763 = StV 2022, 784; 16.02.2022 – 4 StR 396/21 = ZInsO 2022, 1057 = wistra 2022, 471; 19.05.2021 – 1 StR 528/20 = wistra 2022, 34).
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(bb) Die Berufungskammer hat schon den Verkehrswert der Immobilie im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermögensverfügung nicht nachvollziehbar und präzise ermittelt. Im Rahmen der Beweiswürdigung wurden zwar zwei Wertermittlungsgutachten vom 12.05.2021 und vom 23.02.2007, die im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, erwähnt, deren Inhalt aber nicht dargestellt. Es ist bereits völlig offen, zu welchen Werten diese Gutachten gelangt sind. Überdies werden auch nicht die Anknüpfungstatsachen, die den Gutachten zugrunde lagen, mitgeteilt. Darauf, dass die in den Gutachten ermittelten, von der Berufungskammer aber nicht wiedergegebenen Werte sich auf andere Zeitpunkte bezogen, kommt es deshalb nicht mehr an. Ferner hat die Berufungskammer die Belastungen, die der Angeklagte übernommen hat, ebenfalls nicht beziffert. Da mithin die für die gebotene Gesamtsaldierung zugrunde zulegenden Werte nicht festgestellt werden, erweist sich die Annahme der Berufungskammer, der eingetretene Vermögensschaden belaufe sich auf 20.000 Euro, als reine Spekulation.
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c) Unabhängig von diesen Darstellungsmängeln hat das Landgericht die von ihm angenommene Täuschungshandlung des Angeklagten nicht beweiswürdigend belegt. Während die tatsächlichen Feststellungen davon ausgehen, dass der Angeklagte zahlungsunwillig war, verhält sich die Beweiswürdigung hierzu nicht. Stattdessen wird dort auf eine Zahlungsunfähigkeit abgestellt. Zu beiden Alternativen findet sich aber kein Beleg, der den Schluss zuließe, dass der Angeklagte von Anfang an entweder zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig war.
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aa) Der bloße Umstand, dass der Angeklagte den versprochenen Kaufpreis in der Folgezeit nicht bezahlt hat, obwohl er – sollte es zur Auflassung und Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch gekommen sein – nach demzufolge eingetretener Heilung des Formmangels gemäß § 313b Abs. 1 Satz 2 BGB hierzu nach § 433 Abs. 2 BGB verpflichtet war, lässt nicht ohne weiteres den Schluss zu, er habe von Anfang an vorgehabt, den Kaufpreis nicht zu entrichten. Vielmehr hätte das Landgericht in die Überlegungen einstellen müssen, ob der Angeklagte den Entschluss, an die Verkäuferin keine Zahlungen zu bewirken, möglicherweise erst später gefasst hat.
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bb) Auch die Tatsache, dass auf Betreiben des Angeklagten eine Unterverbriefung in der Notarurkunde erfolgt ist, belegt für sich genommen noch nicht, dass er von vornherein zahlungsunwillig war. Vielmehr konnte dieses Vorgehen auch von dem Wunsch getragen gewesen sein, Notargebühren und Grunderwerbsteuer zu ‚sparen‘.
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cc) Soweit die Berufungskammer auf Zahlungsunfähigkeit abstellt, findet sich hierzu im Berufungsurteil ebenfalls kein Beleg. Das Landgericht hat lediglich an anderer Stelle im Zusammenhang mit den Untreuehandlungen darauf hingewiesen, dass das Geschäftskonto des Angeklagten Negativsalden aufwies. Dies reicht aber schon deshalb nicht, weil die mitgeteilten Zeitpunkte nach dem Abschluss des Rechtsgeschäfts über das Grundstück lagen. Im Übrigen belegt selbst eine Überziehung des Kontos noch keineswegs, dass der Angeklagte, der damals freiberuflich als Rechtsanwalt tätig war, nicht mehr in der Lage war, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.
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Die revisionsgerichtliche Nachprüfung der Verurteilung wegen Untreue in 3 Fällen deckt zu den Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Indes haben die Einzelstrafen wegen durchgreifender Rechtsfehler keinen Bestand.
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1. Das Amtsgericht hat bei Verhängung der Einzelstrafen mehrfach gegen das Verschlechterungsverbot gemäß § 331 Abs. 1 StPO verstoßen.
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a) Das Verbot der Schlechterstellung steht auch einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen, selbst wenn die Gesamtstrafe in gleicher Höhe wie vom Ausgangsgericht festgesetzt wird (vgl. nur BGH, Beschluss vom 07.09.2022 – 1 StR 157/22 bei juris; 04.05.2022 – 1 StR 477/21 bei juris; 24.03.2022 – 1 StR 480/21 = NStZ 2022, 571; 09.03.2021 – 6 StR 48/21 = NStZ-RR 2021, 220). Das Landgericht hat in 2 Fällen (Ziffern IV. 3. und 4.) jeweils eine höhere Tagessatzanzahl und zudem in sämtlichen Fällen der Untreue auch Tagessatzhöhen verhängt, die über die denjenigen liegen, die das Ausgangsgericht festgesetzt hatte. Hierdurch wurde auch im Fall IV. 2. gegen § 331 Abs. 1 StPO verstoßen, weil das Produkt aus Tagessatzanzahl und Tagessatzhöhe über demjenigen des Amtsgerichts lag.
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b) Das Verschlechterungsverbot gemäß § 331 Abs. 1 StPO steht der Erhöhung von Einzelstrafen auch dann entgegen, wenn zwar die Staatsanwaltschaft Berufung zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt hatte, diese aber – wie hier – vom Berufungsgericht als unbegründet verworfen wurde, weil ein verworfenes Rechtsmittel nicht zu Ungunsten des Angeklagten wirken kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 01.02.2001 – 5St RR 421/00 bei juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 09.10.2017 – 3 OLG 6 Ss 94/17 = OLGSt StGB § 46 Nr 28; 21.03.2017 – 3 OLG 8 Ss 28/17 bei juris; 19.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 152/14 bei juris; 16.10.2014 – 3 OLG 7 Ss 132/14 = NStZ-RR 2015, 149; BeckOK StPO/Eschelbach § 331 Rn. 6; Gössel in: Löwe-Rosenberg StPO, 26. Aufl. § 331 Rn. 26).
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2. Zudem hat die Berufungskammer gegen das Doppelverwertungsverbot aus § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, soweit sie dem Angeklagten in den Fällen der Untreue angelastet hat, dass er eine besondere Vertrauensstellung aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgenutzt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2018 – 3 StR 263/18 = FamRZ 2019, 556 = ZEV 2019, 227= BtPrax 2019, 71 = StraFo 2019, 218 = ZErb 2019, 133 = wistra 2019, 241 = NStZ 2019, 525 = BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 77). Denn die Stellung des Angeklagten als Rechtsanwalt, der Mandantengelder nicht weiterleitete, begründete erst die vom Tatbestand des § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB vorausgesetzte Vermögensbetreuungspflicht.
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Die Teilaufhebung des Berufungsurteils bedingt die Aufhebung der Gesamtstrafe.
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Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler ist das Urteil des Landgerichts in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hof zurückzuverweisen.