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OLG München, Hinweisbeschluss v. 27.01.2023 – 27 U 5217/22
Titel:

Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und (an VW) gelieferten 3,0-Liter-Motor (hier: VW Touareg V6 TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 852
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
AEUV Art. 267
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2021, 54385; BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; BeckRS 2022, 23106; BeckRS 2022, 18807; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann für den Kaufentschluss nicht als ursächlich angesehen werden, wenn diesem Kaufentschluss primär steuerrechtliche Erwägungen zugrunde liegen und dem Käufer der Dieselskandal als solcher bekannt ist, für ihn allerdings keine Bedeutung hat. (Rn. 8 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat ein anderes Gericht in einer Rechtssachen, die der beim nunmehr befassten Gericht anhängigen ähnelt und die gleiche Problematik betrifft, dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt, ist das befasste Gericht nicht verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Audi AG, die weder Herstellerin noch Verkäuferin eines von der VW AG hergestellten Fahrzeugs vom Typ Touareg ist, sondern (lediglich) den von ihr hergestellten Dieselmotor zugeliefert hat, erlangt durch den Kauf dieses Fahrzeugs keinen Vermögenszuwachs auf Kosten des Käufers. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Verjährung, Rückruf, Aussetzung, Schlussanträge des Generalanwalts, Restschadensersatz
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 17.08.2022 – 072 O 688/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2581

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17.08.2022, Az: 072 O 688/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.03.2023.
3. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert im Berufungsverfahren auf 39.529,34 € festzusetzen. Binnen vorgenannter Frist können die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen.

Entscheidungsgründe

I.
1
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
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Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich als zutreffend. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung kann Bezug genommen werden. Die hiergegen von der Berufung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:
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a) Mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien kommt allenfalls eine deliktische Haftung der Beklagten im Zusammenhang mit dem vom Kläger am 06.02.2015 bei dem … vorgenommenen Erwerb des Neufahrzeugs VW Touareg V6 TDI, zum Preis von 46.900,00 €, ausgestattet mit einem Dieselmotor der Abgasnorm Euro 6, in Betracht.
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b) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es dem Kläger nicht gelungen ist, hinreichend substantiell vorzutragen, inwiefern das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei und daraus (noch) durchsetzbare Ansprüche des Klägers gemäß § 826 BGB resultieren sollten. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung kann umfassend Bezug genommen werden.
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aa) Zur – vom Landgericht offengelassenen – Frage der haftungsbegründenden Kausalität
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Zur Überzeugung des Senats fehlt es bereits an der erforderlichen Kausalität zwischen einem schädigenden Verhalten der Beklagten durch Zulieferung/Inverkehrbringen eines unzulässige Abschalteinrichtungen enthaltenden Dieselmotors und der Kaufentscheidung des Klägers.
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Angesichts des Bestreitens der Beklagten wäre es Sache des Klägers gewesen, nicht nur darzulegen, sondern auch zu beweisen, dass die Verwendung einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung für seinen Kaufentschluss ursächlich war.
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Davon kann indes nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers durch das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 01.08.2022 (Niederschrift Seite 3) gerade nicht ausgegangen werden. Zu seiner Kaufmotivation für das streitgegenständliche Fahrzeug gefragt, hat der Kläger dort wirklich erklärt:
„Wenn ich nach der Kaufmotivation für dieses Fahrzeug gefragt werde, so kann ich dazu sagen, ich bin seit ca. 20 Jahren Kunde bei diesem Autohaus. Dass ich ein so großes Fahrzeug erwerben wollte, dem lagen primär steuerrechtliche Erwägungen zugrunde.“
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Dafür, dass es dem Kläger auf Emissionswerte des Fahrzeugs oder generell dessen Umweltfreundlichkeit angekommen wäre, ergibt sich aus diesen Angaben keinerlei Anhalt. Gestützt wird dieser Befund durch die weiteren Angaben des Klägers vor dem Landgericht im Zusammenhang mit der Frage, ob ihm der sogenannte Dieselskandal bekannt gewesen sei. Dazu hat der Kläger wörtlich erklärt:
„Wenn ich gefragt werde, ob mir der Dieselskandal als solcher bekannt war, dann kann ich dies schon bejahen. Das hatte für mich allerdings keine Bedeutung“ (Hervorhebung durch den Senat).
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Der Sache nach bedeutet dies nichts anderes, als dass das Emissionsverhalten seines Dieselfahrzeugs für den Kläger nicht von wesentlicher Bedeutung war.
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bb) Ansprüche aus § 826 BGB auf der Grundlage der vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Gestaltung der Motorsteuerung durch die Beklagte wären im übrigen bei Klageerhebung, wie das Landgericht richtig angenommen hat, bereits verjährt gewesen.
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Insoweit kann auf die Ausführungen auf Seite 5/6 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden. Die Ausführungen auf Seite 5 ff. der Berufungsbegründung, die zu großen Teilen aus Zitaten erstinstanzlicher Schriftsätze bestehen, sind nicht geeignet, die vom Landgericht angenommene grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von einem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamts zu erschüttern. Angesichts der von der Berufungsbeklagten zitierten Berichterstattung in unterschiedlichsten Medien über Beanstandungen des KBA hinsichtlich unterschiedlichster V6-TDI-Motoren der Beklagten musste für den Kläger spätestens im Frühjahr 2018 auf der Hand liegen, dass sein Fahrzeug von solchen Beanstandungen ebenfalls betroffen sein kann. Dass der Kläger dem nicht nachgegangen ist, steht einerseits im Einklang mit seinen Angaben, dass der „Dieselskandal“ für ihn keine Bedeutung hatte, begründet andererseits aber unschwer den Vorwurf an den Kläger, dass er jedenfalls durch das Unterlassen von Erkundigungen in besonders grobem Maße gegen die im Rechtsverkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen und seine Obliegenheiten verletzt hat.
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cc) Ebenso wenig kann die Klagepartei den geltend gemachten Schadensersatzanspruch mit Blick auf ein in der Motorsteuerung zur Abgasrückführung enthaltenes Thermofenster (dazu Berufungsbegründung Seite 3-5) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 31 BGB (analog), Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 UAbs. 2, Art. 5 Abs. 1 VO EG 715/2007 bzw. i.V.m. § 27 EG-FGV bzw. § 831 BGB herleiten. Dieser Anspruch scheitert bereits am fehlenden Schutzcharakter der vorgenannten europarechtlichen Vorschriften (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20 Rz. 11 ff. = NJW 2020, 2798, 2799 f.). Die dort vom Bundesgerichtshof angestellten überzeugenden Erwägungen werden nicht dadurch infrage gestellt, dass verschiedentlich Landgerichte, unter anderem auch das Landgericht Darmstadt, dem Europäischen Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen unterbreitet haben.
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Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bzw. einer Aussetzung (§ 148 ZPO analog) des Rechtsstreits bis zum Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über anderweitige Vorlagen nach Art. 267 Abs. 1-3 AEUV bedarf es nicht. Auch die Stellungnahme des Generalanwaltes beim Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2022 – C-100/21, ECLI:EU:C:2022:420, gibt zu einer Aussetzung des Verfahrens keine Veranlassung. In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat (weiterhin) eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.
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Der Senat hat die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere das Urteil des EuGH vom 17.12.2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216 ausgewertet und seine Entscheidung hieran orientiert. Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die Überzeugung gebildet, dass vorliegend die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere die Frage des Drittschutzes des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks des geltenden Unionsrechts derartig offenkundig zu beantworten ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2021 – VII ZR 280/20, BeckRS 2021, 28852 Rn. 1; BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.) und der Senat hierdurch auch nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht. Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde.
17
Der Senat ist nicht bereits deshalb zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1-3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 – C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022 – VIII ZR 409/21, BeckRS 2022, 15514 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
18
Eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 auszusetzen, ist – anders als der Kläger meint – der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022, Nr. 104/2022, zur Sache VIa ZR 335/21 nicht zu entnehmen. Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht (s. o.). Demzufolge hat der Senat auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte. Der Senat versteht diese Pressemitteilung vielmehr dahin, dass der Bundesgerichtshof gelegentlich der Verhandlung am 21.11.2022 denjenigen Gerichten, die in Ausübung ihres richterlichen Ermessens ein Abwarten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für tunlich erachtet haben, die sich aus einer bis dahin erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die bundesdeutsche Ziviljustiz ergebenden Konsequenzen nahezubringen (vgl. Senat, Beschluss vom 08.07.2022 – 27 U 4021/21).
19
Zwar haben die Richtlinie 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“ (vgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission in der aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts Gera, inzwischen aber aus dem Register des EuGH gestrichenen Rechtssache C-663/19 vom 19.12.2019, Rn. 75 ff.; BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 13). Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Es kommen allenfalls mittelbare Folgeschäden, die sich aus der bloßen – hier aber nicht als konkret und ernstlich drohend dargelegten – Gefahr einer Betriebsuntersagung ergeben können, in Betracht. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend (vgl. Klage S. 66). Diese Interessen werden jedoch vom Schutzzweck der Richtlinie 2007/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (vgl. BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 13 f. m.w.N.). Der Bundesgerichtshof war auch berechtigt, diese Frage selbst zu entscheiden. Denn die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eines Schutzgesetzes obliegt den nationalen Gerichten (vgl. EuGH, NVwZ 2013, 565 Rn. 45 ff.; BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 11; Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 – C-100/21, ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 55, 61). Der Bundesgerichtshof geht daher davon aus, dass bei Verfahren, in denen lediglich eine Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend gemacht wird, sämtliche für den Fall relevanten europarechtlichen Fragestellungen geklärt sind (sog. „acte clair“, vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 74 ff.).
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Auch mit Blick auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019 in der beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtssache Az. C-663/19 und die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof vom 23.09.2021 in den Rechtssachen EuGH Az. C-128/20, EuGH Az. C-134/20 und EuGH Az. C-145/20 besteht kein vernünftiger Zweifel, dass die durch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV umgesetzten Vorschriften der Richtlinie 2007/46/EG und die Vorschrift des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezwecken (vgl. BGH, Beschluss vom 02.05.2022 – VIa ZR 137/21, BeckRS 2022, 12455; BGH, Beschluss vom 14.02.2022 – VIa ZR 204/21, BeckRS 2022, 3564 m.w.N.). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit § 6 Abs. 1 EG-FGV, § 27 Abs. 1 EG-FGV (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 545/21, BeckRS 2021, 34454 Rn. 3).
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Hinsichtlich der vorgenannten Schlussanträge des Generalanwalts vom 23.09.2021 und bezüglich der vom Kläger angesprochenen Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 ist ergänzend anzumerken, dass nach Art. 252 Abs. 2 AEUV der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Europäischen Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist, stellt. Der Europäische Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden (vgl. EuGH, NJW 2020, 667 Rn. 49). Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Davon abgesehen ergeben sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 auch keinerlei Gründe, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweisen. Denn aus den Schlussanträgen ergibt sich nicht, dass auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts in Gestalt eines Vertragsabschlussschadens und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages von einer etwaigen drittschützenden Wirkung der Richtlinie 200/46/EG oder der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 umfasst sein sollte. Der Generalanwalt hat vielmehr solche Schäden im Blick, die durch die Nichtzulassung/verzögerte (Erst-)Zulassung des Fahrzeugs oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen (vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 – C-100/21, ECLI:EU:C:2022:420 Rn. 48; OLG Koblenz, Beschluss vom 20.06.2022 – 15 U 2169/21, BeckRS 2022, 14755 Rn. 8). Dagegen macht der Kläger vorliegend eine Verletzung seines wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend (s. o.).
22
Es besteht daher kein Anlass, im Hinblick auf die vom Kläger in der Berufungsbegründung nochmals in Bezug genommenen Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-100/21 im vorliegenden Berufungsverfahren ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der vorgenannten Rechtssache abzuwarten. Der Senat schließt sich den überzeugenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs an (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – VII ZR 424/21, BeckRS 2022, 7010 Rn. 19 ff.; BGH, Urteil vom 08.12.2021 – VIII ZR 190/19, BeckRS 2021, 44235 Rn. 91; BGH, Beschluss vom 08.12.2021 – VIII ZR 280/20, BeckRS 2021, 40565 Rn. 34 ff.; BGH, Beschluss vom 13.10.2021 – VII ZR 545/21, BeckRS 2021, 34454 Rn. 1 ff. m.w.N.; BGH, Beschluss vom 01.09.2021 – VII ZR 128/21, BeckRS 2021, 37683 Rn. 12 ff.).
23
dd) Mit Recht hat das Landgericht schließlich Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 852 Satz 1 BGB verneint.
24
Streitgegenständlich ist vom Kläger ein von der Volkswagen AG hergestelltes Fahrzeug vom Typ Touareg erworben worden. Die Beklagte hat für dieses Fahrzeug (lediglich) den von ihr hergestellten Dieselmotor zugeliefert. Deshalb hat die Beklagte, die weder Herstellerin noch Verkäuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, durch den Kauf des streitgegenständlichen VW Touareg keinen Vermögenszuwachs auf Kosten des Klägers erlangt.
25
In solchen Fällen hat die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde (BGH, Urteil vom 14.07.2022, VII ZR 422/21, Rn. 34).
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Nach wie vor sind daher Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht ersichtlich.
II.
27
Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg. Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
28
Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen o.g. Frist zu prüfen. Im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gemäß Nr. 1222 S. 2 KV zum GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0.