Inhalt

OLG München, Beschluss v. 11.08.2023 – 29 W 720/22
Titel:

Unterlassungserklärung

Normenketten:
ZPO § 91a, § 93, § 269, § 313a, § 540
GKG § 63
UWG § 3, § 3a, § 8
Health-Claim-VO Art. 10
BGB § 127, § 780, § 781
HGB § 343, § 350
Leitsätze:
1. Der Anlass zur Klageeinreichung ist weggefallen, wenn die Klage zu einem früheren Zeitpunkt zulässig und begründet gewesen wäre und eine dafür erforderliche Voraussetzung später weggefallen ist. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Kläger Veranlassung hatte, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Schriftformerfordernis nach §§ 780, 781 BGB für eine Unterlassungspflichterklärung entfällt, wenn der Schuldner – wie hier – Kaufmann ist (§§ 350, 343 HGB). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sofortige Beschwerde, Kostengrundentscheidung, Beschwerde, Streitwert, Unterlassungserklärung, Marktverhaltensregel, Schriftform, Unterlassungspflichterklärung, Ernsthaftigkeit
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 25.02.2022 – 3 HK O 14399/21
Fundstellen:
MD 2023, 983
LSK 2023, 25803
BeckRS 2023, 25803

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen Ziffer 1. des Beschlusses des Landgerichts München I vom 25.02.2022, Az. 3 HK O 14399/21 wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung in Ziffer 2. des genannten Beschlusses wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I .
Von einem Tatbestand wird in entsprechender Anwendung der Vorschriften § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II .
1
Die zulässige sofortige Beschwerde nach § 269 Abs. 5 Satz 1 ZPO gegen die Kostengrundentscheidung und die zulässige Beschwerde gegen den Streitwertfestsetzungsbeschluss gemäß § 63 Abs. 2 GKG bleiben in der Sache ohne Erfolg.
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A. Die sofortige Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung hat keinen  Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht seine Kostenentscheidung § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO entnommen. Danach sind die Kosten nach billigem Ermessen zu verteilen, wenn der Anlass zur Einreichung der Klage schon vor Rechtshängigkeit weggefallen ist.
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I. Der Anlass zur Klageeinreichung ist weggefallen, wenn die Klage zu einem früheren Zeitpunkt zulässig und begründet gewesen wäre und eine dafür erforderliche Voraussetzung später weggefallen ist (BGH NJW 2021, 941 Rn. 18 ff.; Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 49. Edition, Rn. 14 zu § 269). Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Kläger Veranlassung hatte, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen (Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 49. Edition, Rn. 15 zu § 269 m.w.N.). Insoweit ist der Gedanke des § 93 ZPO heranzuziehen (Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 49. Edition, Rn. 16 zu § 269 m.w.N.). Die maßgebliche Änderung muss vor Rechtshängigkeit eingetreten sein. Ist die Änderung nach Rechtshängigkeit eingetreten, kann § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO weder unmittelbar noch analog angewendet werden; in diesem Fall bleibt dem Kläger nur die Erledigterklärung (BGH NJW 2021, 941 Rn. 33; BGH NJW 2014, 3520 Rn. 6; BGH NJW 2004, 223, 224; Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 49. Edition, Rn. 16 zu § 269).
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Bei der Verteilung der Kosten ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Insoweit gilt Entsprechendes wie bei einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO (Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 49. Edition, Rn. 18 zu § 269). Neben der Frage, ob die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, ist vor allem von Bedeutung, ob der Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben hat. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung, für die § 91a ZPO als Entscheidungsparameter die „Billigkeit“ und den „bisherigen Sach- und Streitstand“ vorgibt.
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II. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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1. Die zulässige Klage war ursprünglich begründet, der Kläger konnte von der Beklagten die begehrte Unterlassung verlangen, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCVO, Art. 7 Abs. 3, 4 LMIV. Den Verstoß gegen die genannten Marktverhaltensregeln stellt die Beklagte ebenso wenig in Abrede wie die Aktivlegitimation des Klägers. Ohne Erfolg macht sie geltend, die für den eingeklagten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr sei schon vor Klageerhebung mit Schriftsatz vom 29.10.2021, bei Gericht am selben Tag eingegangen, weggefallen.
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a) Der Verletzer kann die durch einen Wettbewerbsverstoß begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur dadurch ausräumen, dass er gegenüber dem Gläubiger des Unterlassungsanspruchs eine ernstgemeinte, den Anspruchsgegenstand uneingeschränkt abdeckende und durch ein Vertragsstrafeversprechen angemessen gesicherte Unterlassungsverpflichtungserklärung abgibt.
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b) Eine solche Erklärung hat das Landgericht zutreffend nicht gesehen in der am 09.10.2021 (Anlage K 6) nur per Fax an den Kläger übermittelten Unterlassungserklärung der Beklagten vom selben Tag. Hierdurch wurde die Wiederholungsgefahr nicht ausgeräumt.
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aa) Zwar trifft zu, dass diese Unterlassungserklärung vom 09.10.2021 nicht formunwirksam ist. Denn das Schriftformerfordernis nach § 780, § 781 BGB (BGHZ 130, 288, 292 – Kurze Verjährungsfrist; BGH GRUR 1998, 953, 954 – Altunterwerfung III) entfällt, wenn der Schuldner – wie hier – Kaufmann ist (§§ 350, 343 HGB). Auch haben sich die Parteien nicht auf eine gewillkürte Schriftform gemäß § 127 BGB geeinigt. Der Kläger hat zwar Schriftform für die Unterlassungserklärung verlangt, eine diesbezügliche Einigung liegt aber nicht vor.
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bb) Jedoch beruft sich der Kläger erfolgreich auf die fehlende Ernsthaftigkeit der nur per Fax übermittelten Unterlassungserklärung vom 09.10.2021.
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(1) Damit eine Unterlassungserklärung als ernstgemeint anzusehen ist, ist nach dem Sinn und der Funktion einer Unterlassungserklärung die Bereitschaft des Schuldners erforderlich, dem Gläubiger die Erklärung auf dessen Verlangen auch in einer Form abzugeben, die im Streitfall die Durchsetzung ohne rechtliche Zweifelsgründe und Beweisschwierigkeiten ermöglicht; denn wenn der Schuldner im eigenen Interesse erreichen will, dass der Gläubiger von der prozessualen Durchsetzung seines Anspruchs Abstand nimmt, muss er bereit sein, diesem eine rechtliche Ausgangsstellung einzuräumen, die im Verletzungsfall der eines Titelgläubigers nicht allzu sehr nachsteht. Fehlt diese Bereitschaft, so bestehen grundsätzlich berechtigte Zweifel an der Ernstlichkeit der abgegebenen Erklärung bzw. des Unterwerfungswillens; sie erscheint damit ungeeignet, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen (BGH GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben). Dies umso mehr, als in Zweifelsfällen ohnehin grundsätzlich der Schuldner alle für die Ernstlichkeit seines Unterwerfungswillens sprechenden Umstände darzulegen und erforderlichenfalls nachzuweisen hat (vgl. BGH GRUR 1987, 640, 641 – Wiederholte Unterwerfung I).
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Zu beachten ist auch die Wertung des § 127 Abs. 2 BGB. Nach dessen Satz 1 genügt zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form grundsätzlich zwar die telekommunikative Übermittlung. Gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 BGB kann nachträglich aber eine dem § 126 entsprechende Beurkundung verlangt werden, wenn eine solche Form gewählt wird.
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(2) Hier ist von der fehlenden Ernsthaftigkeit im Hinblick auf die per Fax übermittelte Unterlassungserklärung auszugehen. Denn der Kläger hat bereits in seiner Abmahnung vom 30.09.2021 (Anlage K 4, Seite 3) erklärt, dass die Übermittlung der Unterlassungserklärung per Telefax zur Fristwahrung zwar ausreiche, allerdings die Erklärung in dieser Form lediglich vorläufiger Art sei, die Gefahr der Wiederholung werde nur durch ein mit einer Unterschrift versehenes Schriftstück ausgeräumt, das dem Verband unmittelbar nachfolgend im Original zugehe.
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Nach Faxeingang der Unterlassungserklärung der Beklagten vom 09.10.2021 (Anlage K 5) forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 18.10.2021 (Anlage K 6) erneut auf, die Unterlassungserklärung bis 25.10.2021 im Original nachzureichen. Andernfalls drohte er gerichtliche Schritte an.
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Erfolglos beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Senats vom 18.05.2017 (Az. 29 W 799/17). Zwar war hier wie dort gegenständlich eine nur per Fax übermittelte Unterlassungserklärung und erklärte der Senat diese mit dem genannten Beschluss für den Wegfall der Wiederholungsgefahr für ausreichend. Anders als in der dortigen Konstellation hat der Kläger hier aber bei der Beklagten nach Faxeingang der Unterlassungserklärung nachgefasst und die Beklagte aufgefordert, das Original zu übersenden. Die Beklagte ist diesem Verlangen – dessen Wiederholung nicht erforderlich war (BGH GRUR 1990, 530, 532 – Unterwerfung durch Fernschreiben) – nicht nachgekommen, so dass vom Fehlen einer im Sinne der Rechtsprechung hinreichend ernsthaften Unterwerfungsbereitschaft ausgegangen werden muss.
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2. Die Klage ist vor Rechtshängigkeit am 01.02.2022 unbegründet geworden, indem die Beklagte dem Kläger am 02.11.2021 ihre Unterlassungserklärung vom 09.10.2021 im Original übermittelt hat. Hierdurch ist die Wiederholungsgefahr weggefallen und mit ihr der Unterlassungsanspruch des Klägers.
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3. Unschädlich ist, dass der Kläger seinen Klageantrag mit Schriftsatz vom 04.11.2021 (Bl. 35/36 d.A., den die Beklagte hiermit übermittelt erhält) dahin abgeändert hat, dass festgestellt wird, dass die Beklagte die durch die Einreichung der Klageschrift vom 29.10.2021 entstandenen Kosten zu tragen hat. Wie aus der Begründung der Klageänderung hervorgeht, hat er damit lediglich dem Umstand Rechnung getragen, dass am 02.11.2021 die Unterlassungserklärung vom 09.10.2021 im Original bei ihm eingegangen war und damit nachträglich die Wiederholungsgefahr entfallen ist.
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B. Auch die Beschwerde der Beklagten gegen den Streitwertfestsetzungsbeschluss gemäß § 63 Abs. 2 GKG hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten begehrte Reduzierung des Streitwerts nach erfolgter Klagerücknahme kommt nicht in Betracht. Denn nach § 40 GKG ist für die Wertberechnung der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet, hier die Klageerhebung.
III.
19
In Bezug auf die sofortige Beschwerde beruht die Kostenentscheidung auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, die Zulassungsvoraussetzungen des § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO liegen nicht vor, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Der Festsetzung eines Beschwerdewerts bedurfte es nicht, weil die Festgebühr gemäß KV 1810 GKG greift.
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In Bezug auf die Streitwertbeschwerde war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, § 68 Abs. 3 GKG. Da eine Rechtsbeschwerde im Rahmen des Streitwertfestsetzungsverfahrens nicht gegeben ist (BGH MDR BeckRS 2009, 86436; KG BeckRS 2012, 17214; OLG Stuttgart BeckRS 2012, 02011), war über die Zulassung nicht zu entscheiden.