Titel:
Erfolglose Drittanfechtungsklage wegen Neubau eines Einfamilienhauses mit Carport
Normenketten:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2
BauNVO § 4, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung, es sei denn die Sach- und Rechtslage hat sich zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gebietsunverträglich ist ein Bauvorhaben, wenn es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht, dh es müsste die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt davon ab, ob die Festsetzungen, von denen eine Befreiung erteilt wurde, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung in Folge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung kann nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen, wobei neben der bloßen Distanz insbesondere die bes. Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude sind. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Drittanfechtungsklage, Baugenehmigung, Unbestimmtheit von Baugenehmigung und Bauvorlagen (hier verneint), Gebietserhaltungsanspruch, Befreiung von nicht drittschützenden Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung bzw. örtlichen Bauvorschriften, Gebot der Rücksichtnahme, Abstandsflächen, Abweichung von der Stellplatzsatzung, Baurecht, Bebauungsplan, allgemeines Wohngebiet, Bestimmtheitsgebot, Baugrenze, Befreiung, Garagensatzung, Carport, Abweichung, Gebietsprägungserhaltung, Gebietsunverträglichkeit, Rücksichtnahmegebot, Verschattung, Wertverlust
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25781
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gesamtschuldnerisch.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte oder der Beigeladene zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Carport auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … ( …).
2
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (…; im Folgenden wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet, da alle Grundstücke innerhalb der Gemarkung … liegen). Südöstlich grenzt an das klägerische Grundstück das Grundstück FlNr. … an, das im Eigentum des mit Beschluss vom 15. Oktober 2021 Beigeladenen steht. An das Grundstück des Beigeladenen grenzt südwestlich, südlich und östlich die … an. Nordöstlich grenzt das Grundstück FlNr. … des … an sowie das Grundstück FlNr. …, das im Eigentum einer Eigentümergemeinschaft steht.
3
Die Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans … Dieser setzt als Baugebiet ein allgemeines Wohngebiet fest. Für das Grundstück des Beigeladenen wird die Zahl der Vollgeschosse auf ein Vollgeschoss festgesetzt, die Grundflächenzahl auf 0,4 und die Geschossflächenzahl auf 0,5. Im Rahmen der Bauweise sind Einzelhäuser und Doppelhäuser vorgesehen, als Dachform Satteldächer und Walmdächer. Der Bebauungsplan enthält ebenfalls Festsetzungen hinsichtlich der Baugrenzen. In den textlichen Festsetzungen ist hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ausgeführt, dass als höchstzulässiges Maß der baulichen Nutzung die Höchstwerte des § 17 Abs. 1 BauNVO gelten, soweit sich nicht auf Grund der Festsetzungen über die Geschosszahl und die überbaubare Fläche sowie der Größe der Grundstücke im Einzelfall ein geringeres Maß baulicher Nutzung ergibt. Für den Fall einer Bauweise mit einem Vollgeschoss ist eine Dachneigung von 31 Grad bis 38 Grad sowie eine Traufhöhe von 2,75 m zulässig.
4
Mit Bauantrag vom 24. Juni 2021, beim Beklagten eingegangen über den Markt … am 29. Juli 2021, beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Carport unter Erteilung von Befreiungen hinsichtlich der Baugrenzen, der Vollgeschosse und der maximalen Traufhöhe, der Position des Carports und Stauraums im Zufahrtsbereich sowie der Dachziegelfarbe. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Wunsch des Bauherrn ein Gebäude ohne Dachschrägen mit Satteldach sei. Um die Südausrichtung der Terrasse optimal nutzen zu können, solle das Haus Richtung Norden verschoben werden. Aus diesem Grund sei eine Überschreitung der Baugrenzen u.a. auch zur …-straße erforderlich. Hier sei ein Abstand von 2 m geplant. Das Gebäude erhalte ein Obergeschoss (zweites Vollgeschoss) und eine Dachneigung von 32 Grad, die geplante Traufhöhe betrage ca. 6,04 bis 6,36 m (abhängig vom Geländeverlauf). Die Firstrichtung weiche von der vorgegebenen Firstrichtung um 90 Grad ab. Die Dachziegelfarbe solle anthrazit sein. Der Carport solle an der nördlichen Grundstücksgrenze errichtet werden, um im Süden mehr Platz für die Terrasse zu erhalten. Ein Mindestabstand (Stauraum) zur Straße von 1,0 m werde eingehalten.
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Der Markt … erteilte mit Stellungnahme vom 26. Juli 2021 das gemeindliche Einvernehmen unter Bezugnahme auf einen Beschluss des Bau- und Umweltausschusses vom 9. Februar 2021. Es wurde mitgeteilt, dass das Vorhaben im Geltungsbereich der Garagen- und Stellplatzsatzung und der Satzung über die Zulässigkeit von Dachaufbauten liege. Hinsichtlich der Abweichung von der Garagen- und Stellplatzsatzung werde das Einvernehmen erteilt, nicht aber hinsichtlich der Satzung über die Zulässigkeit von Dachaufbauten.
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Die Nachbarunterschrift der Kläger für das Vorhaben lag nicht vor.
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Der Beklagte erteilte mit Bescheid vom 13. September 2021 hinsichtlich des beantragten Bauvorhabens die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter unter Gewährung von Befreiungen hinsichtlich:
- Baugrenze (Richtung Norden und Osten)
- Zahl der Vollgeschosse (II statt I)
- Traufhöhe (6,36 m statt 2,75 m)
- Dachform für den Anbau (Flachdach)
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Hinsichtlich der Satzung über die Herstellung von Garagen und Stellplätzen wurde eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 2 BayBO zugelassen (1 m statt 3 m Stauraum). Die Baugenehmigung enthält den Hinweis, dass das Vorhaben nach den geprüften Bauvorlagen unter Beachtung der darin eingetragenen Prüfungsvermerke, Maße und Änderungen auszuführen ist. Die Eingabepläne sind mit einem Genehmigungsvermerk versehen. In den Gründen wird zu den Befreiungen vom Bebauungsplan ausgeführt, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt würden und die Abweichungen unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar seien. Die Überschreitung der Baugrenze ermögliche eine bessere Nutzung des südlichen Grundstücksbereichs. Im Bebauungsplanbereich seien bereits deutlich größere Überschreitungen zugelassen worden. Die Anzahl der Vollgeschosse sei im Bebauungsplanbereich nicht einheitlich festgesetzt. Die Grundstücke zum Ortsrand seien mit einem Vollgeschoss festgesetzt. Das Baugrundstück befinde sich aktuell nicht mehr direkt am Ortsrand, sondern sei zwischenzeitlich von allen Seiten bebaut. Für diese innenliegenden Baugrundstücke seien im Bebauungsplan zwei Vollgeschosse festgesetzt. Eine Befreiung von der Anzahl der Vollgeschosse sei in einem Vergleichsfall in diesem Bereich bereits erteilt worden. Die Befreiung hinsichtlich der Traufhöhe ergebe sich aus der höheren Anzahl der Vollgeschosse. Die Befreiung von der Dachform beziehe sich auf den untergeordneten Anbau und ermögliche so eine Dachterrassennutzung. Durch die Verlagerung des Garagenstandorts solle eine bessere Nutzung des südlichen Grundstücksbereichs erreicht werden. Die Firstrichtung sei um 90 Grad gedreht. Sie sei im Bebauungsplangebiet nicht einheitlich festgesetzt und es seien bereits Befreiungen diesbezüglich erteilt worden. Eine Dachfläche Richtung Süden ermögliche die Nutzung für Sonnenkollektoren. Die geänderte Dachfarbe sei kein Grundzug der Planung.
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Die Abweichung von der Satzung über die Herstellung von Garagen- und Stellplätzen habe erteilt werden können, da die Abweichung städtebaulich vertretbar sei und sie unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Die Satzung sehe die erteilte Abweichung als Ausnahme vor.
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Eine Ausfertigung der Baugenehmigung wurde den Klägern mit Postzustellungsurkunde am 16. September 2021 zugestellt.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15. Oktober 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach qualifiziert signiert per EGVP eingegangen am selben Tag, ließen die Kläger gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Klage erheben.
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Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2022 wurde zur Begründung ausgeführt, dass die Baugenehmigung die Kläger in ihren nachbarlichen Rechten verletze. Die Befreiung von der Baugrenze verletze die Nachbarn in ihren subjektiven Rechten, da die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vorlägen und die nachbarlichen Interessen nicht ermessensfehlerfrei gewürdigt worden seien. Der rückwärtige Grundstücksbereich der FlNrn. …, …, … und … solle von Bebauung freigehalten werden. Die planerische Gestaltung des Baugebiets, die gekennzeichnet sei durch Baulichkeiten mit einer rasterförmigen Anordnung, stelle eine rechtliche Schicksalsgemeinschaft in Bezug auf das gesamte Plangebiet dar. Die beteiligten Grundstückseigentümer stünden nach dem objektiven Gehalt der Festsetzung einer Baugrenze in einem gegenseitigen Austauschverhältnis, so dass sich für jeden Eigentümer eine subjektive Rechtsposition auf Erhalt der Baugrenzen ergebe. Nicht anders sei dies hinsichtlich der Befreiung von der Dachfarbe zu beurteilen. Die Befreiung von der Festsetzung der Dachfarbe laufe der planerischen Grundkonzeption zuwider. Ziel des Plangebers sei gewesen, ein einheitliches Bild für das Plangebiet zu erzeugen, indem detaillierte Bestimmungen getroffen würden. Dieses einheitliche Bild erstrecke sich nicht allein auf die Höhe, Position und Dachform der Baulichkeiten, sondern gerade auch auf die Farbe derselbigen. Gleiches gelte hinsichtlich der Befreiungen in Bezug auf die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse, Firstrichtung und Traufhöhe. Eine subjektive Rechtsverletzung ergebe sich auch aus der Unbestimmtheit der Baugenehmigung in Bezug auf die Grenzgarage in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1, Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO. Die Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO durch das Bauvorhaben könne im vorliegenden Fall nicht geprüft werden, da die Planvorlage in Bezug auf die Grenzgarage im nördlichen Bereich des Grundstücks nicht alle erforderlichen Maße enthalte. Durch die Erteilung einer Abweichung von Bestimmungen der Stellplatzsatzung des Marktes … werde gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen.
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Die Stellungnahme des Marktes … vom 26. Juli 2021, mit der das gemeindliche Einvernehmen erteilt worden sei, nehme Bezug auf einen Beschluss des Bau- und Umweltausschusses vom 9. Februar 2021. Der Auszug des Sitzungsbuches vom 9. Februar 2021 zeige jedoch, dass hinsichtlich des Bauvorhabens des Beigeladenen vier zum Teil widersprüchliche Beschlüsse getroffen worden seien. Es sei nicht klar, welcher Beschluss mit der Stellungnahme vom 26. Juli 2021 tatsächlich gemeint sei. Auch sei dort von einem Vorbescheid die Rede.
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Eine Nachbarrechtsverletzung zu Lasten der Kläger ergebe sich aus der Nichtvereinbarkeit mit Bauplanungsrecht. Es liege ein Eingriff in den Gebietserhaltungsanspruch und das Gebot der Rücksichtnahme vor, da die Baugenehmigung in diesen Punkten an einem Bestimmtheitsmangel leide. Der Grundriss sehe im Erdgeschoss eine Räumlichkeit für Arbeiten vor, ohne dass genauer bestimmt werde, um welche Art von Arbeiten es sich hier handeln solle. Ebenfalls nicht klar sei, ob hier Arbeiten unter Zuhilfenahme von Maschinen bzw. zu welchen Uhrzeiten dies erfolgen solle, so dass nicht bestimmt werden könne, ob es zu Lärm- und Geruchsimmissionen komme und in welchem Umfange diese zu erwarten seien.
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Eine Nachbarrechtsverletzung ergebe sich auch aus dem Maß der genehmigten baulichen Nutzung sowie aus der Baugestaltung. Soweit durch das Landratsamt Befreiungen von den Festsetzungen zu Baugrenzen, Anzahl der zulässigen Vollgeschosse, Firstrichtung, Traufhöhe und Dachfarbe erteilt worden seien, lägen die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht vor (wird weiter ausgeführt). Die Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche sei vorliegend ausnahmsweise drittschützend, da erklärtes Ziel des Plangebers gewesen sei, neben der Erhaltung eines hohen Grünflächenanteils das Plangebiet baulich zu gestalten. Der rückwärtige Grundstücksbereich solle von Bebauung freigehalten werden, so dass bereits Nebenanlagen nicht zulässig seien. Die Befreiung sei auch nicht ermessensgerecht.
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Eine subjektive Rechtsverletzung ergebe sich zudem aus der Unbestimmtheit der Baugenehmigung in Bezug auf die Abstandsflächenvorschriften. Vorliegend könne eine Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO im Hinblick auf den Grenzcarport nicht geprüft werden, da die Planvorlagen in Bezug auf das Grenzcarport im nördlichen Bereich des Grundstücks nicht alle erforderlichen Maße enthielten. Dargestellt würden im Grundriss des Erdgeschosses lediglich die Abmessungen zur nördlichen Grenze, die Breite und die südliche Länge des Carports. Eine Darstellung in Bezug auf die nordwestliche Grenze zu den Klägern fehle aber. Infolge dieser Unbestimmtheit der Bauvorlagen könne der Gegenstand der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden, weshalb nicht ausgeschlossen werden könne, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstoße.
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Auch sei der Mindestabstand des Hauptgebäudes zur gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht ausreichend bestimmt dargestellt. Der Erdgeschossgrundriss weise zwar die Einhaltung des Abstandes von 3 m zwischen der nordwestlichen Hausecke und der gemeinsamen Grundstücksgrenze vor, diese Darstellung sei in nachbarrechtlich relevanter Weise zu unbestimmt. Außerhalb der im Erdgeschossgrundriss dunkelgrau dargestellten Außenwände befinde sich eine weitere Linie, die um das Haus verlaufe. Hier sei nicht klar, welches Bauelement diese Linie darstellen solle und ob dieses möglicherweise in Bezug auf nachbarliche Rechte relevant werde.
18
Durch die Erteilung einer Abweichung von den Bestimmungen der Stellplatzsatzung sei gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen worden. Die grundsätzlich nicht drittschützenden Bestimmungen in Stellplatzsatzungen könnten nachbarschützenden Charakter haben, wenn sie nicht allein dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienten. Durch die Abweichung von den Bestimmungen der Garagen- und Stellplatzsatzung werde eine Verkehrslage geschaffen, die ein erhöhtes Unfallpotential für alle Anliegergrundstücke hervorrufe. Grundsätzlich dienten Regelungen für die Ausrichtung von Carports zur Fahrbahn und dem Freihalten von Stauraum der öffentlichen Sicherheit des Straßenverkehrs, indem sichergestellt werden solle, dass das Ein- und Ausfahren so gefahrlos wie möglich verlaufe. Dabei seien Anliegergrundstücke durch diese Regelung – anders als die übrigen Verkehrsteilnehmer – qualifiziert betroffen. Denn ein Anlieger sei durch das Risiko eines Verkehrsunfalls durch Heranfahren an das eigene Anwesen stärker betroffen, indem er diesem Risiko zwangsläufig häufiger ausgesetzt werde.
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Vorsorglich und in Kenntnis dessen, dass aus dem Fehlen eines Einvernehmens der Gemeinde kein Drittschutz abgeleitet werden könne, werde noch darauf hingewiesen, dass der Markt … als zuständiger Träger der Planungshoheit sein Einvernehmen zwar formell erteilt habe, dieses jedoch nicht durch Beschluss des Bauausschusses/Gemeinderates materiell getragen werde. Die Kläger seien der Ansicht, dass die Baugenehmigung auf Grund dessen, dass augenscheinlich wohl der falsche Beschluss zur Grundlage der Erteilung des formellen Einvernehmens herangezogen worden sei, bereits an einem schwerwiegenden Mangel leide, der nicht sehenden Auges ignoriert werden dürfe.
20
Die Kläger beantragen,
1. Der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes … vom 13. September 2021, Aktenzeichen …, wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
21
Der Beklagte beantragt,
22
Mit Schriftsatz des Beklagten vom 18. Februar 2022 wird ausgeführt, dass die Ausführungen des Bevollmächtigten der Kläger zu einer Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs bzw. einer Unbestimmtheit jeder Grundlage entbehrten. Eine Baugenehmigung müsse Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffenen Regelungen für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig seien. Der Bauherr bestimme mit der Bezeichnung seines Vorhabens das zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Bei dem Vorhaben handele es sich sowohl nach der Bezeichnung als auch nach dem Inhalt der Bauakte schlicht und unzweifelhaft um den Bau eines Einfamilienhauses mit Carport. Mit keinem Wort werde ein irgendwie gearteter Laden- oder Handwerksbetrieb erwähnt. Die Bezeichnung eines Zimmers in den Grundrissplänen als „Arbeiten“ diene lediglich dazu, dieses als privates Arbeitszimmer auszuweisen. Das damit sogar ein Arbeiten mittels Maschinen mitgenehmigt sein solle, sei schleierhaft. Eine Unbestimmtheit sei auch nicht durch die nach Ansicht der Kläger fehlenden Maße hinsichtlich der Abstandsflächen in Bezug auf die Grenzgarage und das Einfamilienhaus gegeben. Selbst wenn eine zur Unbestimmtheit der Bauvorlage versehene Zeichnung zu den Abstandsflächen anzunehmen sein sollte, stehe allein wegen dieses Mangels dem Kläger indes kein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung zu. Die Anforderungen an Bauvorlagen hätten nicht den Zweck, die Rechte der Nachbarn zu schützen. Ein Nachbar könne nur dann die Unbestimmtheit mit Erfolg geltend machen, wenn die Bauvorlagen entsprechend die Baugenehmigung unter Missachtung von Art. 37 BayVwVfG hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sei und darüber hinaus infolge dessen eine Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Bauvorhabens nicht ausgeschlossen werden könne. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zum einen seien die Abstandsflächen hinsichtlich der Grenzgarage und des Hauses schon nicht unbestimmt. Selbst wenn sie es wären, könne jedoch eine Verletzung der Abstandsflächen zu Lasten der Kläger ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf die Grenzgarage betrage die Länge der Westseite - ebenso wie die Ostseite – 6 m. Da auf der Grundstücksgrenze zu den Klägern hin kein weiterer Grenzanbau geplant sei, bestehe ein Puffer von 3 m zu den kritischen 9 m. Eine Verletzung des Abstandsflächenrechts zu den Klägern könne hier unzweifelhaft ausgeschlossen werden. Dies gelte auch für das Einfamilienhaus. Die Abstandsfläche zu den Klägern sei mit 3 m richtig berechnet. Selbst wenn man die von den Klägern monierte zweite Linie miteinbeziehe, überschreite die Abstandsfläche nicht die Grundstücksgrenze.
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Eine Verletzung drittschützender Rechte sei auch nicht durch die erteilten Befreiungen gegeben. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB seien nicht Prüfungsgegenstand, da vorlieend die Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen angefochten werde. Auch lasse sich kein Drittschutz aus einer Schicksalsgemeinschaft der Planbetroffenen herleiten. Es lägen nicht nachbarschützende Festsetzungen vor (wird weiter ausgeführt). Der für den Nachbarschutz erforderliche Planungswille der Gemeinde lasse sich der streitgegenständlichen Festsetzung weder aus deren Wortlaut noch aus den dazugehörigen Materialien entnehmen. Das Argument der Bevollmächtigten der Kläger, die Planbetroffenen des Bebauungsplangebietes seien nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Gebietserhaltungsanspruch durch die Lage ihrer Anwesen im selben Baugebiet zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, aus dem bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz abgeleitet werden könne, treffe vorliegend nicht zu. Denn nach der Rechtsprechung bestehe aus dem durch den Bebauungsplan begründeten Gemeinschaftsverhältnis der Planbetroffenen kraft Gesetzes abgeleitete nachbarschützende Wirkung lediglich für die Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung. Letztlich verstießen die erteilten Befreiungen auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da unzumutbare Beeinträchtigungen weder vorgetragen noch ersichtlich seien.
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Gleiches gelte für die Erteilung der Abweichung von der Garagen- und Stellplatzverordnung, deren Bestimmungen grundsätzlich keine drittschützende Wirkung hätten. Anhaltspunkte für eine Ausnahme seien nicht ersichtlich.
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Der Bevollmächtigte der Kläger vertieften mit Schriftsatz vom 29. Juli 2022 ihren Vortrag aus der Klagebegründung bzgl. der Unbestimmtheit der Baugenehmigung, der ausnahmsweise Drittschutz vermittelnden Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch die Befreiung vom Garagenstandort und des schwerwiegenden Fehlers wegen des fehlerhaft erteilten Einvernehmens der Standortgemeinde.
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Mit Schriftsatz vom 12. August 2022 zeigten sich die Bevollmächtigten des Beigeladenen an.
27
Mit Schriftsatz vom 8. September 2022 verwies der Beklagte hinsichtlich der Unbestimmtheit der „zweiten Linie“ darauf, dass die Annahme, die zweite Linie könnte Teil der Außenwand sein, nicht nachvollzogen werden könne. Diese Linie sei lediglich im Erdgeschoss vorhanden. Im Obergeschoss sei sie gestrichelt dargestellt und sowohl in Ansichten und im Schnitt als umlaufende Struktur erkennbar. Die Regenrohre, die nach den Ansichten und dem Schnitt deutlich außerhalb der Außenwand verliefen, seien im Erdgeschossgrundriss zeichnerisch dargestellt.
28
Das gemeindliche Einvernehmen sei mit Stellungnahme vom 26. Juli 2021 erteilt worden.
29
Die Bevollmächtigten des Beigeladenen beantragen mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2022:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
30
Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Bezeichnung „Arbeiten“ nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis verstoße. Aus der Baugenehmigung, der Lage und dem sonstigen Aufbau der geplanten Bebauung sei die Vermutung, es könnte sich bei dem mit Arbeiten beschrifteten Zimmer um eine Werkstatt oder einen Handwerksbetrieb handeln, abwegig. Der Planung könne sogar ein Schreibtisch mit dazugehörigem Stuhl entnommen werden. Die Baugenehmigung lasse Rückschlüsse auf etwas anderes als ein gewöhnliches Arbeitszimmer nicht zu. Die Annahme der Kläger, man habe als Nachbar ein Recht über die Nutzungsberechtigten, die Nutzungsdauer und die Nutzungszeiten von Privaträumen informiert zu werden, erschließe sich nicht.
31
Zum Vortrag der Kläger bezüglich der Abstandsflächen des Carports werde auf die Klageerwiderung des Beklagten verwiesen. Eine Verletzung des Abstandsflächenrechts zu Ungunsten der Kläger könne ausgeschlossen werden.
32
Die erteilten Befreiungen verletzten keine drittschützenden Rechte, insbesondere liege keine „Schicksalsgemeinschaft“ vor (wird weiter ausgeführt).
33
Die Bevollmächtigten der Kläger wiederholten mit Schriftsatz vom 16. Mai 2023 ihr bisheriges Vorbringen.
34
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten und hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
35
I. Die zulässige Klage ist unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Kläger insofern nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
36
Die Kläger als Dritte können sich dabei mit einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen, wenn dieser rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. u.a. BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GG zur Begründung des Nachbarrechtsschutzes kommt dabei grundsätzlich nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber in Ausfüllung seines legislatorischen Gestaltungsspielraums aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nachbarliche Abwehrrechte verfassungskonform ausgestaltet hat und unter Einschluss der Grundsätze des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ein geschlossenes System des nachbarlichen Drittschutzes bereitstellt (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23 m.w.N.).
37
Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt; vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
38
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
39
Vorliegend besteht keine Verletzung solch drittschützender Rechte der Kläger.
40
1. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist ausreichend bestimmt.
41
Die Baugenehmigung muss wie jeder Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayVwVfG) die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und/ oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Ein Nachbar kann somit eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit (nur) geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 23 m.w.N.).
42
Dies berücksichtigend verstößt die Baugenehmigung nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise gegen das Bestimmtheitsgebot im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Gestalt, Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung ergeben sich eindeutig aus der Baugenehmigung und den zugrundeliegenden Bauvorlagen. Zwar nimmt die Baugenehmigung nicht ausdrücklich Bezug auf Bauantrag und Pläne, jedoch sind insbesondere Lageplan, Grundriss/Schnitt und Ansichtsplan mit einem Genehmigungsstempel versehen. Dies genügt, um einen Zusammengehörigkeit von Baugenehmigung und Bauvorlagen deutlich zu machen (BayVGH, B.v. 26.4.2022 – 1 CS 22.551 – juris Rn. 6), insbesondere da im Genehmigungsstempel die Vorhabens-Nummer vermerkt ist.
43
Soweit die Kläger eine Unbestimmtheit der Baugenehmigung daraus, dass ein den Klägern zugewandter Raum im Erdgeschoss mit „Arbeiten“ bezeichnet ist, was auch auf eine Emissionen auslösende Tätigkeit hindeuten könnte, ableiten wollen, so ist dies nicht überzeugend. Das Vorhaben ist in der Baugenehmigung und den Bauvorlagen als Neubau eines „Einfamilienhauses mit Carport“ bezeichnet. Alleine die Bezeichnung als Einfamilienhaus macht deutlich, dass das Gebäude als Wohngebäude genehmigt ist. Davon erfasst sind ausschließlich die Nutzungen, die mit einer Genehmigung als Wohngebäude vereinbar sind. Dies trifft grundsätzlich auf ein häusliches Arbeitszimmer zu (Stock in: König/Roeser/Stock, BauNVO § 3 Rn. 18a). Die Kläger müssen daher nicht damit rechnen, dass dort z.B. lärmintensive gewerbliche Tätigkeiten ausgeführt werden.
44
2. Die Kläger können sich nicht auf die Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen.
45
Der Gebietserhaltungsanspruch, auch Gebietsbewahrungsanspruch genannt, gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 16).
46
Vorliegend liegen sowohl das Grundstück der Kläger als auch das Grundstück des Beigeladenen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes …, der ein allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO festsetzt. Das Vorhaben des Beigeladenen hält diese Festsetzung ein, da in einem allgemeinen Wohngebiet Wohngebäude nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind. Bei dem Vorhaben handelt es sich auch um ein Gebäude, das als Einfamilienhaus ausschließlich dem Wohnen dient. Dass das Gebäude einen Raum zum Arbeiten enthält, steht der Einstufung als Wohngebäude nicht entgegen. Zum Inbegriff des Wohnens gehören nach heutiger Anschauung auch ein Telearbeitsplatz („home office“) und ein herkömmliches Arbeitszimmer in der eigenen Wohnung. Diese Nutzung tritt städtebaulich neben dem Wohnen nicht in Erscheinung und stellt die Eigenschaft als Wohnraum nicht in Frage (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 3 Rn. 40a; Stock in: König/Roeser/Stock, BauNVO § 3 Rn. 18a). Dafür, dass das Arbeitszimmer z.B. als betrieblicher Mittelpunkt mit städtebaulich relevanter Außenwirkung, wie Kunden- und Lieferantenverkehr, genutzt wird, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Übrigen läge eine derartige Nutzung mit städtebaulich eigenständigem Gewicht nicht mehr in der Bandbreite des Wohnbegriffs und wäre daher auch nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Sollte daher tatsächlich eine vom Wohnen nicht mehr umfasste Nutzung – wofür derzeit keine Anhaltspunkte bestehen – stattfinden, so läge eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor.
47
3. Es liegt auch keine Verletzung des sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs vor.
48
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Unabhängig von der Frage, ob ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO überhaupt existiert (vgl. zum Streitstand BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 9), kann dieser überhaupt nur einschlägig sein, wenn das den Vorgaben gemäß §§ 2 bis 14 BauNVO (hier i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB) an sich entsprechende Bauvorhaben bei typisierender Betrachtung gleichwohl als gebietsunverträglich zu bewerten ist, weil es der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets widerspricht. Für ein (nachbar-) rechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität in diesem Sinne müsste das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BVerwG, U.v. 16.03.1995 – 4 C 3.94 – NVwZ 1995, 899 = juris Rn. 17). Da es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung handelt, ist ein solcher Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets aber nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen. Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich daher bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 – 8 A 10680/16 – juris Rn. 11 f.).
49
Entsprechendes wurde weder von den Bevollmächtigten der Kläger vorgetragen noch ist aus Sicht des Gerichtes erkennbar.
50
4. Die Kläger werden auch nicht durch die mit der Baugenehmigung erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu der Baugrenze, der Zahl der Vollgeschosse, der Traufhöhe, der Dachform des Anbaus, dem Garagenstandort, der Firstrichtung und der Dachfarbe in ihren Rechten verletzt.
51
Der Umfang des Rechtsschutzes eines Nachbarn bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB hängt davon ab, ob die Festsetzungen, von denen dem Bauherrn eine Befreiung erteilt wurde, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen lediglich nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595 – juris Rn. 22). Diese Grundsätze gelten aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB auch bei Befreiungen von im Bebauungsplan integrierten örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 2 BayBO (BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 53).
52
Die erteilten Befreiungen betreffen vorliegend ausschließlich Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung bzw. im Bebauungsplan integrierten örtlichen Bauvorschriften. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595 – juris Rn. 23) bzw. örtliche Bauvorschriften (BayVGH, B.v. 16.3.2021 – 15 CS 21.544 – juris Rn. 53) sind allerdings grundsätzlich nicht drittschützend, sondern dienen dem öffentlichen Interesse. Solche Festsetzungen vermitteln Drittschutz nur ausnahmsweise, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris Rn. 5).
53
Für das Gericht ergeben sich vorliegend weder aus den textlichen und zeichnerischen Festlegungen des Bebauungsplanes noch aus der Begründung Anhaltspunkte für den Willen der planenden Gemeinde, Festsetzungen auch zum Schutz der Nachbarn zu treffen. Soweit die Bevollmächtigten der Kläger darauf verweisen, dass die Gemeinde den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und den gestalterischen Festlegungen ausnahmsweise Drittschutz habe zukommen lassen wollen und diese Annahme mit dem Bestehen einer Schicksalsgemeinschaft begründet, so verkennen sie, dass entsprechende Festsetzungen grundsätzlich immer die Eigentümer in einem Bebauungsplangebiet in vergleichbarer Weise treffen, ohne dass dies dazu führt, dass Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und den gestalterischen Festlegungen drittschützend sind. Würde alleine die Betroffenheit aller im Plangebiet liegenden Grundstück für die Begründung einer Schicksalsgemeinschaft ausreichen, so wäre der Drittschutz von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und gestalterischen Festsetzungen die Regel und nicht die Ausnahme. Vielmehr bedarf es eines entsprechenden Willens der planenden Gemeinde, der sich auf irgendeine Art in den Planungen manifestiert hat. Dafür finden sich aber kein Ansatzpunkt in den dem Gericht vorliegenden Unterlagen. Der Verweis auf die sog. Wannsee-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn. 15 f.), wonach eine nachträgliche, subjektiv-rechtliche Aufladung von Festsetzungen nicht ausgeschlossen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn für das Gericht ist offensichtlich, dass die Festsetzungen aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden bzw. der Gestaltung dienen, und nicht z.B. einer gegenseitigen Verschattung der Grundstücke im Plangebiet vorbeugen oder jedem Grundstück eine möglichst ungestörte Sicht auf die Umgebung erhalten sollen. Zielrichtung der Festsetzungen ist für das Gericht der außenstehende Betrachter, nicht aber der das Baugebiet Bewohnende. Soweit die Bevollmächtigten auf eine detaillierte und kleinteilige Planung mit der Folge nahezu uniformer Baulichkeiten verweist, bestätigt dies eher die Bewertung, dass der Markt … mit seiner Planung gestalterische Ziele, die ausschließlich im öffentlichen Interesse liegen, verfolgt hat.
54
Auch hinsichtlich der Festsetzungen der Garagenstandorte und -zufahrten ist nicht ersichtlich, dass diese zumindest auch dem Schutz der Eigentümer der im Bebauungsplanbereich liegenden Grundstücke dienen soll. Die gewählten Standorte dürften vielmehr der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs dienen, wofür spricht, dass die Garagen/Stellplätze soweit möglich an/in verkehrsberuhigten Stichstraßen bzw. Wendehämmern situiert sind und eine Platzierung entlang der Durchgangsstraße zumindest für die nicht ausschließlich an die Durchgangsstraßen angrenzenden Grundstücke weitgehend vermieden wurde. Die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs ist jedoch nicht drittschützend (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 66 Rn. 277, BayVGH, U.v. 14.9.2009 – 8 B 08.2829 – juris Rn. 18; VG Ansbach, U.v. 23.6.2022 – AN 17 K 21.00698 – juris Rn. 48).
55
Da somit eine Befreiung nur von nicht drittschützenden Regelungen des Bebauungsplanes erteilt wurde, kommt eine Rechtsverletzung der Kläger allenfalls aus dem Gebot der Rücksichtnahme in Betracht.
56
5. Das Vorhaben stellt sich auch nicht als rücksichtslos dar (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
57
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es wird zulasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 1 CS 21.2866 – juris Rn. 14 m.w.N.).
58
a) Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch unzumutbare Lärmimmissionen ist nicht zu erwarten. Die mit einer Wohnnutzung einhergehenden Geräusche sind grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. Dafür, dass unzumutbare Lärmimmissionen, insbesondere aus einer nicht genehmigten Nutzung zu erwarten sind, liegen keine Anhaltspunkte vor (s.o.).
59
b) Auch scheidet ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen einer erdrückenden oder einmauern den Wirkung des Vorhabens des Beigeladenen aus.
60
Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung in Folge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung kann nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind mithin – neben der bloßen Distanz – insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude. Die Möglichkeit einer erdrückenden Wirkung ist grundsätzlich zu verneinen, wenn der Baukörper des angegriffenen Gebäudes nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Nachbargebäudes (BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn 18). Bejaht wurde eine solche Wirkung beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in einer Entfernung von 15 m zu einem zweieinhalbgeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 ff.) sowie im Fall einer 11,5 m hohen und 13,31 m langen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15). Eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens scheidet dabei regelmäßig aus, wenn die bauordnungsrechtliche Abstandsfläche eingehalten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 41; so auch für den 2021 neu gefassten Art. 6 BayBO: BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17).
61
Das Vorhaben hält die erforderlichen Abstandsflächen ein (vgl. hierzu Ziff. 6). Dies entfaltet daher bereits eine indizielle Wirkung. Dass vorliegend trotz Einhaltung der Abstandsflächen eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung gegeben sein könnte, kann das Gericht vorliegend selbst bei Berücksichtigung, dass das streitgegenständliche Vorhaben aufgrund der Befreiung von der Zahl der Vollgeschosse und der Traufhöhe nicht unerheblich höher ist als das Gebäude der Kläger, ausschließen. Ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme unter dem Aspekt der „Einmauerung“ setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine „Gefängnishofsituation“ hervorruft (vgl. BayVGH, U.v. 11.4.2011 – 9 N 10.1373 – juris Rn. 56; B.v. 22.8.2012 – 14 CS 12.1031 – juris Rn. 13; OVG RhPf, B.v. 27.4.2015 – 8 B 10304/15 – juris Rn. 6; OVG Berlin-Bbg, B.v. 27.2.2012 – OVG 10 S 39.11 – juris Rn. 4). Dies kann aber bereits aufgrund des Abstandes zwischen den beiden Gebäuden von mindestens 9 m an der engsten Stelle ausgeschlossen werden. Hinzukommt, dass sich aus den Luftbildaufnahmen bei Google Maps und dem BayernAtlas ergibt, dass das klägerische Grundstück stark mit Büschen und Bäumen eingewachsen ist und die Kläger hierdurch selbst eine einengende Situation geschaffen haben.
62
c) Die Kläger können sich auch nicht auf unzumutbare Einschränkungen bei Belichtung und Belüftung bzw. wegen einer Zunahme der Verschattung berufen.
63
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von ihrem Grundstück aus verschont zu bleiben. Ein Verschattungseffekt als typische Folge der Bebauung ist insbesondere in innergemeindlichen bzw. innerstädtischen Lagen, bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze daher in der Regel nicht rücksichtslos und hinzunehmen. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls sind in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn 19; B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 15; VG München, B.v. 6.4.2022 – M 8 SN 22.152 – juris Rn. 47 m.w.N.).
64
Das Vorhaben des Beigeladenen ist nicht geeignet, dem klägerischen Grundstück und Gebäude über einen Großteil des Tages Sonne und Licht zu entziehen. Möglicherweise müssen die Kläger aufgrund der Lage ihres Grundstückes nördlich vom Grundstück des Beigeladenen Einschränkungen während der Mittagszeit hinnehmen, während des Morgens/Vormittags bzw. Nachmittags/Abends sind Einschränkungen durch das Vorhaben des Klägers eher nicht zu erwarten. Hinzukommt, dass die Kläger durch den starken Bewuchs ihres Grundstücks selbst zu einer Verschattung bzw. Verringerung des Lichteinfalls beitragen.
65
d) Soweit sich die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf eine drohende Wertminderung berufen, so ist klarzustellen, dass Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung nicht für sich genommen einen Maßstab dafür bilden, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht. Einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden, gibt es nicht (vgl. BVerwG vom 13.11.1997 – 4 B 195.97 – juris). Die Abhängigkeit, in der Grundstücke zu der sie umgebenden städtebaulichen Situation stehen, schließt ein, dass die Grundstückswerte von dieser Situation beeinflusst werden und dass deshalb auch ungünstige Einflüsse, die auf Änderungen der Umgebung beruhen, grundsätzlich hingenommen werden müssen. Auf die objektiv-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens kommt es daher nicht an. (BayVGH, B.v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 – juris Rn. 6).
66
Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger einen über die situationsbedingte Wertminderung hinausgehenden, schlechthin unzumutbaren Wertverlust ihrer Immobilie hinnehmen müsste, sind nicht ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 15 ZB 12.507 – juris RdNr. 6).
67
6. Das Vorhaben verstößt nicht gegen (zumindest auch) dem Nachbarschutz dienende Vorschriften des Bauordnungsrechts, welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, Art. 59 BayBO, insbesondere nicht gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts.
68
a) So halten die in Richtung der Kläger zu Liegen kommenden Abstandsflächen des Wohnhauses die gesetzlichen Vorgaben gemäß Art. 6 Abs. 4 und Abs. 5 BayBO ein. Dies ergibt sich eindeutig aus den dem Bauantrag beigefügten Bauplänen. Die dort vorgenommene Berechnung ist nicht zu beanstanden.
69
Nicht teilen kann das Gericht die Argumentation der Bevollmächtigten der Kläger, dass sich eine Unbestimmtheit der Pläne aufgrund der im Erdgeschoss um das Gebäude herumlaufenden Linie ergibt. Auch wenn nicht genau feststellbar war, welche Bedeutung dieser Linie zukommen soll, so ist aus den Plänen (lediglich gestrichelte Linie im Grundriss Dachgeschoss; Fallrohr der Dachentwässerung innerhalb der im Erdgeschoss verlaufenden Linie) zumindest erkennbar, dass es sich wohl nur um ein am Boden vorhandenes Objekt (z.B. Teil der Bodenplatte oder des Fundaments) handeln dürfte, das nicht zu einer grundsätzlichen Verschiebung der Abstandsflächen in Richtung der Kläger führt, so dass auch an der kürzesten Stelle zur Grundstücksgrenze die Abstandsfläche eingehalten ist. Im Übrigen geht das Gericht davon aus, dass selbst bei Berücksichtigung der Linie als Beginn der Abstandsfläche die erforderliche Abstandsfläche eingehalten sind.
70
b) Aber auch hinsichtlich des Grenzcarports ist von einer Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben auszugehen.
71
Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind Garagen und Carports (Hahn in: Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 481) mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m auch ohne eigene Abstandsflächen zulässig. Diese Anforderungen erfüllt der hier streitgegenständliche Carport.
72
Zutreffend ist zwar, dass für den Grenzcarport nicht angegeben ist, welche Abmessung die zu den Klägern ausgerichtete Rückseite des Carports aufweist (wegen der trapezartigen Form entspricht die Länge der Rückseite nicht der Breite des Carports), jedoch können die Abmessungen in einem Plan mit dem Maßstab 1 : 100 unschwer in der für die Beurteilung erforderlichen Deutlichkeit herausgemessen werden. Denn maßgeblich ist die Abmessung der Rückseite für die Kläger ausschließlich für die Frage, ob der Grenzcarport die zulässige Gesamtlänge von 9 m je Grundstücksgrenze gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO einhält. Dass der Carport keinesfalls die Länge von 9 m an der Grundstücksgrenze zu den Klägern überschreitet, ist selbst bei Berücksichtigung von Messungenauigkeiten offensichtlich.
73
7. Soweit die Kläger eine Rechtsverletzung aus der zugelassenen Abweichung von der Satzung über die Herstellung von Garagen- und Stellplätzen hinsichtlich des offenen Stauraumes herleiten, so überzeugt dies nicht, denn Vorschriften über die Stellplatz- und Garagenpflicht sind grundsätzlich nicht drittschützend (Dirnberger in: Busse/Kraus, BayBO, Art. 66 Rn. 284).
74
Dies gilt auch hinsichtlich der Vorgaben über die Anlegung und Gestaltung der Stellplätze. § 3 Abs. 4 der Stellplatzsatzung fordert vor geschlossenen Garagen und Grundstückszufahrten einen offenen Stauraum von mindestens 5 m auf dem jeweiligen Grundstück, der gemäß § 3 Abs. 5 der Stellplatzsatzung bei Carports auf mindestens 1 m vom Gehweg bzw. Fahrbahnkante verkürzt werden kann. Die Voraussetzung für diese Verkürzung, nämlich, dass die örtliche und verkehrliche Situation dies zulassen muss, macht deutlich, dass die Vorgaben der Stellplatzsatzung ausschließlich auf Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs beruhen. Drittschutz zu Gunsten der Nachbarn ist damit nicht verbunden, auch wenn diese aufgrund der Nachbarschaft zu dem jeweiligen Vorhaben die Zufahrt zu der Garage/dem Stellplatz häufiger passieren.
75
Dafür, dass sich durch die nunmehr geplante Zufahrt zum Grundstück des Beigeladenen die Verkehrssituation zu Lasten der anderen Grundstücke erheblich verschlechtert und ggf. rücksichtslos ist (BayVGH, B.v. 4.11.2022 – 15 ZB 22.1777 – juris Rn. 7; B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 20; B.v. 30.1.2018 – 15 ZB 17.1459 – juris Rn. 11), ist nichts vorgetragen bzw. ersichtlich. Allein der Hinweis auf eine erhöhte Unfallgefahr genügt nicht, insbesondere, da dem in den fließenden Straßenverkehr Einfahrenden eine erhöhte Sorgfaltspflicht zukommt.
76
8. Die Verletzung weiterer, im vereinfachten bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfender drittschützender Normen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts ist weder dargetan noch ersichtlich.
77
Insbesondere dient das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens gemäß § 36 BauGB ausschließlich der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Selbst das Fehlen des gemeindlichen Einvernehmens kann Rechte anderer Personen nicht verletzen (Dirnberger in: Busse/Kraus, BayBO Art. 66 Rn. 407). Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – das gemeindliche Einvernehmen vorliegt, die Kläger aber auf Fehler bei der Beschlussfassung des zuständigen kommunalen Gremiums verweisen.
78
Entsprechend war die Klage abzuweisen.
79
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser einen Sachantrag gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO.
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
81
Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.