Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren, Entscheidungen der Vergabekammer, Erstattungsfähigkeit, Verhandlungsverfahren, Rechtsmittelbelehrung, Sofortige Beschwerde, Vergaberechtliche Rechtsprechung, Beschwerdebegründung, Vergabevermerk, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Öffentlicher Auftraggeber, Leistungsbestimmungsrecht, Verfahren vor der Vergabekammer, Verfahrensbeteiligte, Vergabeunterlagen, Abweichungsentscheidung, Ex-ante-Bekanntmachung, Rechtsschutzziel, Zustellung der Entscheidung
Normenketten:
GWB § 135 Abs. 3
VgV § 14 Abs. 4 Abs. 2 b), Abs. 6
Leitsätze:
1. Bei der Prüfung der Voraussetzung des § 135 Abs. 3 GWB haben die Nachprüfungsinstanzen zu würdigen, ob der öffentliche Auftraggeber bei seiner Entscheidung, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, sorgfältig gehandelt hat und ob er der Ansicht sein durfte, dass die für die Wahl der Verfahrensart aufgestellten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt waren (EuGH, Urteil vom 11.09.2014 – C-19/13).
2. Dies setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber den seiner Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sorgfältig, nämlich vollständig und zutreffend, ermittelt hat und die von ihm hieraus gezogenen tatsächlichen und rechtlichen Schlussfolgerungen zumindest vertretbar sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – VII-Verg 13/17).
3. Die Rechtsfolge des § 135 Abs. 3 GWB tritt jedenfalls dann nicht ein, wenn die „Ansicht“ des Auftraggebers, die Auftragsvergabe sei ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig, auf einer unvertretbaren und vollkommen praxisfernen Rechtsauffassung beruht.
Schlagworte:
Antragsbefugnis, Direktauftrag, Datenschutz, IT-Sicherheit, Markterkundung, Rechenzentrum, Ausschreibung, Ex-ante-Transparenzbekanntmachung, DSGVO, Revisionssichere Ablage, Personalbemessung, Nachprüfungsantrag, Direktvergabe, Rügepflicht, Ausschreibungspflicht, Nachunternehmerregelung, Datenschutzsicherheit, Rügepräklusion, Vergabeverfahren, Verhandlungsverfahren, Unwirksamkeitsfolge, Dokumentationspflicht, Datenschutzrechtliche Implikationen, Verfahrenswahl, Leistungsversprechen, Risikobewertung, Auftragsbekanntmachung, Wettbewerbsbeschränkung, Unwirksamkeit, Transparenzbekanntmachung, Fristen im Vergabeverfahren, Beurteilungsspielraum des Auftraggebers, Nachprüfungsverfahren, Kosten des Verfahrens, Anwaltliche Vertretung, Leistungsbestimmungsrecht, Hosting, Unterauftragnehmer, Verhältnismäßigkeit, Zuständigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25744
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen am 23.01.2023 geschlossene Vertrag über die Umstellung der vorhandenen Jugendamtssoftware O…G auf O…S unwirksam ist.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht die vertragsgegenständlichen Leistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
4. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
Gründe
1
Mit freiwilliger Ex-ante-Transparenzbekanntmachung vom 06.10.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 11.10.2022 unter Nr. 2022/S …, gab der Antragsgegner die beabsichtigte Vergabe eines Lieferauftrags an die Beigeladene über die Umstellung der Jugendamtssoftware O…G auf O…S im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb bekannt. Die Verfahrensart war in Abschnitt IV.1.1) der Bekanntmachung wie folgt erläutert:
„Nach umfassender, europaweiter Markterkundung wurde festgestellt, dass ausschließlich die Jugendamtssoftware der A…[die spätere Beigeladene] alle zwingenden Anforderungen (A-Kriterien) des Landkreises A… erfüllt. Aus technischen Gründen ist daher kein Wettbewerb vorhanden; § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b VgV.
Im Detail: Um die vorhandenen begrenzten Arbeitsressourcen des Landratsamtes A… entsprechend auf das Kerngeschäft zu fokussieren, ist eine Auslagerung von geeigneten Verfahren unausweichlich. Der Einsatz einer Rechenzentrumslösung ist die effektivste Lösung, um einen reibungslosen sowie bürgerfreundlichen Betrieb zu gewährleisten. Im Landratsamt A… wurde daher bereichsübergreifend für das Verkehrswesen sowie für Jugend und Soziales entschieden, die Verfahren im RZ-Betrieb auszulagern.
Es ist nicht möglich den RZ-Betrieb auf ein privates, gewinnorientiertes Rechenzentrum auszulagern (z.B. Backup Rechenzentrum in nicht EU-Ländern), da die Einhaltung der DSGVO dadurch nicht gewährleistet werden kann. Der IT-Dienstleister muss daher zwingend die komplette Softwarelösung und alle damit verbundenen Dienstleistungen anbieten. (siehe Gerichtsurteil Europäischer Gerichtshof Schrems II, Verarbeitung von personenbezogene Daten von EU Bürgern nur unter Berücksichtigung der DSGVO.) Zudem ist eine bestehende und bereits funktionierende DMS-Anbindung (komXwork) zwingend erforderlich. Sobald in einer Organisationseinheit (Sachgebiet, Stabsstelle etc.) die elektronische Aktenführung offiziell eingeführt ist, muss das DMS für die Archivierung der festgelegten Akten- und Vorgangsarten zwingend verwendet werden. Eine elektronische Ablage von aktenrelevanten Dokumenten außerhalb des DMS ist unzulässig, da hier eine revisionssichere Ablage nicht gewährleistet werden kann. Dies ergibt sich aus der Dienstanweisung des Landratsamtes A… für die Nutzung des Dokumentenmanagementsystems. Weiter sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit der Neuregelung des § 79 Abs. 3 SGB VIII ab 10.06.2021 (KJSG) verpflichtet, für eine ausreichende personelle Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter zu sorgen. Zur Sicherstellung der gesetzlichen Anforderung zur Personalbemessung müssen daher jederzeit die quantitative personelle Ausstattung im Wege einer Auswertung überprüft werden können. Es ist deshalb zur Sicherstellung der gesetzlichen Anforderung zur Personalbemessung unabdingbar, dass jederzeit die quantitative personelle Ausstattung im Wege einer Auswertung überprüft und hierdurch ein Organisationsversagen durch die Behördenleitung vermieden werden kann.
Nach umfassender Markterkundung wurde festgestellt, dass kein weiteres Unternehmen, alle oben genannten, zwingenden Anforderungen (insbesondere den DSGVOkonformen RZ-Betrieb) erfüllen kann. Aufgrund dessen kann sich der Landkreis A… auf die A… beschränken, die er zur Angebotsabgabe auffordert. Die Durchführung eines Wettbewerbs ist nicht erforderlich. Es erfolgt ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV.“
2
Als Gesamtwert des Auftrags ohne Mehrwertsteuer war in Abschnitt V.2.4) der Bekanntmachung ein Betrag von „1.00“ Euro genannt. Abschnitt VI.4.3) der Bekanntmachung beinhaltete zur Einlegung von Rechtsbehelfen folgende Angaben:
Die Fristen für die Einlegung eines Nachprüfungsantrags richten sich nach § 160 Abs. 3 GWB. Dieser lautet:
(1) Der Antrag ist unzulässig, soweit
- 1.
-
der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat; der Ablauf der Frist nach § 134 Absatz 2 bleibt unberührt,
- 2.
-
Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden,
- 3.
-
Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden,
- 4.
-
mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind.
(2) Satz 1 gilt nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Absatz 1 Nummer 2. § 134 Absatz 1 Satz 2 bleibt unberührt.
Für Amtshandlungen der Vergabekammern werden Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben (§ 182 Abs. 1 GWB).“
3
Mit Vergabebekanntmachung vom 23.01.2023, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 27.01.2023 unter Nr. 2023/S … gab der Antragsgegner die Vergabe des Auftrags über die Umstellung der vorhandenen Jugendamtssoftware O…G auf O…S an die Beigeladene bekannt. Tag des Vertragsabschlusses war ausweislich der Angabe in Abschnitt V.2.1) der Bekanntmachung der 23.01.2023. Als Gesamtwert der Beschaffung ohne Mehrwertsteuer waren in Abschnitt II.1.7) der Bekanntmachung … Euro genannt. Abschnitt IV.1.1) der Bekanntmachung gab die in der Exante Transparenzbekanntmachung enthaltene Erläuterung zur Verfahrensart im Wesentlichen inhaltsgleich wieder.
4
Mit Schreiben vom 02.02.2023 beanstandete die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner die Auftragsvergabe an die Beigeladene ohne Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens als vergaberechtswidrig und forderte ihn auf, den Vertrag mit der Beigeladenen aufzulösen und bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Leistungen im Wettbewerb auf Basis der einschlägigen Vergabevorschriften zu vergeben.
5
Ebenfalls mit Schreiben vom 02.02.2023 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
6
Die Antragstellerin führt aus, dass sie Anbieter auf dem Markt für kommunale IT-Software im Sozialbereich SGB, darunter Jugendamtssoftware, sei. Sie habe am 30.01.2023 über die Vergabebekanntmachung von dem Direktauftrag des Antragsgegners an die Beigeladene nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV erfahren und dabei erkannt, dass der Antragsgegner bereits am 11.10.2022 eine freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im TED veröffentlicht hatte, die der Antragstellerin seinerzeit nicht aufgefallen war. Die vom Antragsgegner in den Bekanntmachungen genannten technischen Gründe für den Direktauftrag, dass nur die Beigeladene in der Lage sei, ein Hosting und eine Schnittstelle zu … sowie eine Auslagerung des Fachverfahrens in ein öffentlich-rechtliches Rechenzentrum anzubieten, seien nicht gegeben. Dies habe der Antragsgegner wissen müssen.
7
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Die freiwillige Exante Bekanntmachung des Antragsgegners stehe dem nicht entgegen, da es an der Voraussetzung des § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB fehle. Der Antragsgegner könne schlechterdings nicht aufgrund einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage in vertretbarer Weise zu der Ansicht gelangt sein, dass eine Auftragsvergabe an die Beigeladene ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zulässig sei, weil allein die Beigeladene in der Lage sei, den Beschaffungsgegenstand zu liefern. Die Exante Bekanntmachung sei auch deswegen fehlerhaft, weil sie einen offenbar unzutreffenden Gesamtwert von nur 1,00 Euro netto ausweise. Obwohl im Falle eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB generell keine Rügeverpflichtung bestehe, habe die Antragstellerin dennoch vorsorglich drei Tage nach Kenntnis des Direktauftrags eine Rüge ausgesprochen. Der Nachprüfungsantrag sei zudem innerhalb der Fristen des § 135 Abs. 2 GWB gestellt worden. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da sie die zu beschaffenden Leistungen des Antragsgegners liefern und anbieten könne. Durch die Nichtdurchführung eines wettbewerblichen Verfahrens sei ihr die Möglichkeit verwehrt worden, ein eigenes Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten.
8
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet, da sich der Antragsgegner zu Unrecht auf die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b VgV berufe. Die Vorschrift sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und verlange, dass aus technischen Gründen überhaupt kein Wettbewerb vorhanden ist. Zudem sei gemäß § 14 Abs. 6 VgV zu berücksichtigen, dass die Vorgehensweise des Auftraggebers nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sein und es unabhängig davon keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung zu der beauftragten Leistung geben dürfe. Hätte der Antragsgegner wie behauptet und vergaberechtlich geboten eine europaweite Markterkundung durchgeführt, wäre er unter anderem auf die Antragstellerin als potentiellem Anbieter gestoßen. Die Antragstellerin sei in der Lage, ihre Leistung in öffentlich-rechtlichen Rechenzentren anzubieten, beispielsweise in jenen der D… AöR oder der K… … Es gebe keinerlei Vorschriften, dass das Fachverfahren und Hosting aus demselben Haus kommen muss. Eine Nachunternehmerregelung, wie sie die Antragstellerin mit dem Angebot eines öffentlich-rechtlichen Rechenzentrums vornehme, könne vergaberechtlich nicht ausgeschlossen werden. Die geforderte Schnittstelle zu … habe die Antragstellerin bereits in 2019 realisiert.
9
Für die Wirksamkeit des an die Beigeladene erteilten Auftrags sei nach § 135 Abs. 3 Nr. 1 GWB erforderlich, dass der Antragsgegner der Ansicht war, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen zulässig ist. Um dies zu bewerten, sei eine mutwillige Umgehung der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung abzugrenzen von einer nach bestem Wissen getroffenen fehlerhaften Entscheidung. Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers müsse aufgrund der konkreten Umständen in sachlicher und rechtlicher Hinsicht vertretbar sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Ausweislich der Vergabeakte habe der Antragsgegner negiert, dass ein Selbstausführungsgebot nur „bestimmte kritische Aufgaben“ betreffen dürfe. Der Antragsgegner habe damit mutwillig gegen die schon vom Wortlaut her eindeutige Vorschrift des § 47 Abs. 5 VgV verstoßen und so eine angebliche Monopolsituation der Beigeladenen künstlich im Sinne von § 14 Abs. 6 VgV herbeigeführt. Die Annahme des Antragsgegners zu den proklamierten Datenschutzgründen gehe an der Realität völlig vorbei. Hätte der Antragsgegner eine vernünftige, vertiefte Marktrecherche zu der Frage der DSGVO-Datenschutzsicherheit bei Rechenzentren durchgeführt, wären ihm Datenschutz und Informationssicherheit auch von anderen Rechenzentren bescheinigt worden.
10
Die Akteneinsicht habe gezeigt, dass die Ausschreibungsunterlagen durchaus einen Nachunternehmereinsatz vorgesehen haben, unter anderem in Ziffer 3.4 sowie Ziffer 4.6 der Vergabeunterlagen, welche sich mit den Modalitäten der Leistungserbringung durch Unterauftragnehmer befassten. Konkret in Bezug auf Rechenzentren sei in Ziffer 1.3 der Vergabeunterlagen nur geregelt, dass der Auftragnehmer für einen sicheren Zugriff auf das Rechenzentrum die notwendigen Voraussetzungen zur Verfügung stellen müsse. Auch die einbezogenen zusätzlichen Vertragsbedingungen zur DSGVO aus dem Vergabehandbuch Bayern ließen Unterauftragsverhältnisse ausdrücklich zu.
11
In dem Aktenvermerk vom 22.09.2022 sei zwar ein Verlagerungsbedarf der Software in ein Rechenzentrum formuliert worden, nicht jedoch ein Bedarf, dass die Rechenzentrumslösung nur und ausschließlich vom Bieter selbst als erfüllt angesehen werden könne. Erst in einem weiteren Vergabevermerk vom 29.09.2022 sei hieraus ein angeblich aus Datenschutzgründen zwingendes Erfordernis der Komplettleistung durch den Bieter selbst abgeleitet worden. Hierzu werde ausgeführt, dass es nicht möglich sei, den Betrieb des Rechenzentrums auf ein „privates, gewinnorientiertes Rechenzentrum auszulagern, z.B. Backup Rechenzentrum in Nicht-EU-Ländern“, da die Einhaltung der DSGVO dadurch nicht gewährleistet werden könne. Zur Einhaltung des Datenschutzes müsse der Rechenzentrumsbetrieb mit eigener Infrastruktur abgewickelt werden, weil dies im EuGH-Urteil Schrems II angeblich so verlangt werde. Auf die Vorschrift des § 47 Abs. 5 VgV und die dazu ergangene Rechtsprechung gehe der Vergabevermerk nicht ein. Im Übrigen zeige die jüngere vergaberechtliche Rechtsprechung, dass selbst dann, wenn als Nachunternehmen ein US-Unternehmen als Hosting-Partner vorgesehen sei, dies noch nicht zu einem Angebotsausschluss führe, wenn der Bieter das Leistungsversprechen abgibt, dass die Daten den EU-Raum gerade nicht verlassen, sondern in einem EU-EWR-Rechenzentrum verarbeitet werden. Die Antragstellerin habe nicht vor, außerhalb der Bundesrepublik Deutschland mit einem Rechenzentrum zusammenzuarbeiten. Ob und inwieweit die Marktrecherche auch beinhaltet hat, konkret nachzuforschen und nachzufragen, ob und inwieweit auch außerhalb der Beigeladenen andere Bieter mit (deutschen) öffentlich-rechtlichen Rechenzentren die entsprechende Datensicherheit bei der hier in Rede stehenden Softwarelösung bieten können, sei nicht dokumentiert. Damit sei der Antragsgegner auch der von der vergaberechtlichen Rechtsprechung in jüngerer Zeit geforderten Rechtfertigungstiefe einer Markterkundung im Rahmen einer möglichen Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV nicht gerecht geworden. Der Dokumentation lasse sich auch nicht entnehmen, dass sich der Antragsgegner mit „für“ und „wider“ einer Direktvergabe auseinandergesetzt und hierbei insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des § 97 Abs. 1 GWB berücksichtigt hätte.
12
Dass nur das Hosten der Software in einem eigenen Rechenzentrumsbetrieb hinreichende Datenschutzsicherheit im Sinne der DSGVO gewährleisten könne, sei unzutreffend. Vielmehr sei es so, dass alle Rechenzentren DSGVOkonform arbeiteten. Wenn es anders wäre, wären Rechenzentren wie beispielsweise die K… und die D…AöR lange nicht mehr existent. Die Festlegung des Antragsgegners, einen Rechenzentrumsbetrieb mit eigener Infrastruktur zu verlangen, also eine Komplettleistung des Bieters selbst, überschreite die Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts, da sie sowohl gegen § 47 Abs. 5 VgV verstoße als auch Konkurrenten der Beigeladenen diskriminiere. Die Ansicht, die der Antragsgegner seiner Entscheidung für die Direktbeauftragung der Beigeladenen zugrunde gelegt hat, sei damit nicht vertretbar. Sie könne auch nicht mit der „Gefahr eines Hin- und Herschiebens von Ursächlichkeiten und Verantwortlichkeiten“ begründet werden. Insbesondere liefere der Antragsgegner für seine Annahme, dass Rechenzentren als Nachunternehmer „schlechte Nachunternehmer“ seien, keine konkreten Anhaltspunkte. Der Antragsgegner verkenne zudem, dass dem datenschutzrechtskonformen Leistungsversprechen eines Bieters im Sinne der DSGVO auch dann vertraut werden müsse, wenn mit Nachunternehmern gearbeitet wird. Im Hinblick auf die Datenschutzsicherheit werde die Annahme des Antragsgegners zudem durch die aufgestellten Ausschreibungsunterlagen widerlegt, insbesondere durch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen zur DSGVO, die einen Nachunternehmereinsatz gerade ausdrücklich in Ziffer 7 zuließen. Die von der Antragstellerin benannten Vergaberechtsentscheidungen zum „sichersten Weg“ und Ausschluss jedweden Risikopotentials beträfen allesamt nicht die sehr strengen Vorgaben eines Direktauftrages mit einem Verstoß gegen das Verbot der kompletten Selbstausführungsvorgabe. Die vom Antragsgegner skizzierten Risiken der Leistungserbringung bestünden nicht. Stand der Technik seien redundante IT-Systeme und das Auslagern von Kapazitäten in die „Cloud“. Für die Betriebssicherheit sei es unerheblich, wer das verwendete Rechenzentrum betreibt. Der Umstand, dass die von der KFZ-Zulassungsbehörde des Antragsgegners eingesetzte Software bereits im Rechenzentrum der Beigeladenen gehostet werde, könne ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal begründen, da nach dieser Argumentation sämtliche Fachverfahren der Behörde bei einem Anbieter zu installieren und zu betreiben seien.
13
Entgegen der in der Antragserwiderung geäußerten Auffassung des Antragsgegners sei die Antragsbefugnis der Antragstellerin gegeben, da der Antragsgegner zwingend Nachunternehmerleistungen hätte zulassen müssen. Anders als Antragsgegner meine sei in der Exante Transparenzbekanntmachung auch der richtige geschätzte Auftragswert anzugeben, um erkennen zu können, ob der Schwellenwert überschritten und die Zuständigkeit der Vergabekammer gegeben ist.
14
Die Antragstellerin beantragt
1. Es wird beantragt, festzustellen, dass der von dem Antragsgegner mit der Beizuladenden AKDB am 23.01.2023 geschlossene Vertrag zur Umstellung der vorhandenen Jugendamtssoftware O…G auf die Fachsoftware O…S unwirksam ist.
2. Der Antragsgegner wird bei fortbestehender Vergabeabsicht verpflichtet, die streitgegenständlichen Leistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu (europaweit) zu vergeben.
3. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht in den Vorgang des Antragsgegners zur angeblich europaweiten Markterkundung sowie zur Entscheidung eines angeblich zulässigen vergaberechtlichen Direktauftrages an die Beizuladende gewährt.
4. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin, wobei die Beiziehung eines Rechtsbeistandes durch die Antragstellerin für notwendig erklärt wird.
15
Der Antragsgegner beantragt
I. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners.
III. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner wird für notwendig erklärt.
16
Der Antragsgegnerführt aus, dass die Antragstellerin bereits mangels drohenden Schadens nicht antragsbefugt sei. Sie wäre auch bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens nicht in der Lage, ein zuschlagsfähiges Angebot abzugeben, weil sie nach eigenem Vortrag das Hosting der Software in einem Rechenzentrum als Unterauftragnehmer-Leistung anbiete und damit die vom Antragsgegner aufgestellte Mindestanforderung „Hosting der Software der einem Rechenzentrum, dass vom Auftragnehmer in eigener Infrastruktur betrieben wird“ nicht erfüllen könne. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB vor. Der Antragsgegner sei aufgrund einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage in vertretbarer Weise zu der Ansicht gelangt, dass eine Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2b) i.V.m. Abs. 6 VgV zulässig sei. Aus Sicht des Antragsgegners sei es zwingend erforderlich, dass die Software in einem Rechenzentrum gehostet wird, das vom Auftragnehmer in eigener Infrastruktur betrieben wird. Zum einen müsse im Hinblick auf sensiblen Daten wie beispielsweise Gefährdungsmeldungen nach § 8a SGB VIII der Datenschutz und die IT-Sicherheit bestmöglich gewährleistet sein. Außerdem müsse eine möglichst schnelle sowie eine möglichst reibungslose Fehleranalyse und -beseitigung gewährleistet sein, da die Funktionsfähigkeit der Software für den besonders kritischen Bereich Jugend und Soziales stets sichergestellt sein müsse. All dies wäre bei einem Hosting der Software in einem Rechenzentrum eines vom Softwarehersteller verschiedenen Unterauftragnehmers mit der Gefahr eines Hin- und Herschiebens von Verantwortlichkeiten risikobehafteter als bei einer Lösung „aus einer Hand“ mit einer einheitlichen vertraglichen Verantwortung. Da der Auftraggeber im Interesse der Systemsicherheit und Funktion jedwede Risikopotenziale ausschließen und den sichersten Weg wählen dürfe, sei die Entscheidung des Antragsgegners vertretbar gewesen. Eine vom Antragsgegner durchgeführte Markterkundung habe ergeben, dass nur die Beigeladene das geforderte Hosting der Software in einem vom Auftragnehmer in eigener Infrastruktur betriebenen Rechenzentrum anbieten könne.
17
Die Ex-ante-Transparenzbekanntmachung vom 11.10.2022 enthalte sämtliche der in § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB vorgegebenen Mindestinhalte, namentlich den Namen und die Kontaktdaten des öffentlichen Auftraggebers, die Beschreibung des Vertragsgegenstands, die Begründung der Entscheidung des Auftraggebers, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben und den Namen und die Kontaktdaten des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll. Dass der Antragsgegner den Gesamtwert der Beschaffung und den Wert des Auftrags mit einem Euro angegeben hat, sei unschädlich, da diese Felder nicht zu den obligatorischen Angaben gehörten. Zwar müsse die Ex-ante-Transparenzbekanntmachung einem Bieter die volle Sachkenntnis verschaffen, damit er auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob er Nachprüfung beantragt und eine wirksame Kontrolle der Entscheidung erreichen kann. Die Kenntnis des Gesamtwerts der Beschaffung des Werts des Auftrags sei hierfür jedoch nicht notwendig. Jedenfalls habe diese Angabe nicht ohne Zustimmung der Beigeladenen veröffentlicht werden dürfen, welche zum Zeitpunkt der Versendung der Bekanntmachung nicht vorgelegen habe. Die Wartefrist von 10 Kalendertagen gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung der Ex-ante-Bekanntmachung im Amtsblatt und dem Vertragsschluss sei eingehalten worden.
18
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die zum Zwecke der Markterkundung ergriffenen Mittel des Antragsgegners nicht zu beanstanden. Nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung seien Erkundigungen bei anderen Benutzern – vorliegend bei Jugendämtern in vier Nachbarlandkreisen – und aus verfügbaren Quellen – vorliegend aus dem Internet – ausreichend. Im Rahmen seiner Markterkundung habe der Antragsgegner auch die von der Antragstellerin benannte KDO ermittelt, deren Software jedoch nicht über eine bestehende und funktionierende Anbindung an das Datenmanagementsystem … verfüge. Ungeachtet dessen sei das Ergebnis der Markterkundung zutreffend, da unstreitig nur die Beigeladene das Hosting der Software in einem in eigener Infrastruktur betriebenen Rechenzentrum anbiete.
19
Anders als die Antragstellerin meine, habe der Antragsgegner bei seiner Beschaffungsentscheidung die Grenzen des Leistungsbestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers sowie des § 14 Abs. 6 VgV eingehalten. Dies gelte auch betrachtet am Maßstab des § 47 Abs. 5 VgV, da dessen Voraussetzungen vorliegend gegeben seien. Bei dem Hosting der Software in einem Rechenzentrum handle es sich um eine „kritische Aufgabe“ im Sinne des § 47 Abs. 5 VgV, weil das Hosting der Software besonders anspruchsvoll und für die Funktionsfähigkeit der Software für den besonders kritischen Bereich Jugend und Soziales von besonderer Bedeutung sei. Beim Einsatz eines Unterauftragnehmers bestehe bei Fehlern die Gefahr eines Hin- und Herschiebens von Ursächlichkeiten und Verantwortlichkeiten. Außerdem bestehe beim Einsatz eines Unterauftragnehmers das Problem für den Auftraggeber, dass er keinen unmittelbaren Einfluss darauf habe, ob sein Hauptauftragnehmer willens und in der Lage ist, die dem Auftraggeber gegen den Hauptauftragnehmer zustehenden vertraglichen Rechte seinerseits gegenüber dem Unterauftragnehmer geltend zu machen und rechtzeitig durchzusetzen. Der Antragsgegner sei als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe jedoch insbesondere verantwortlich dafür, dass im Bereich der finanziellen Abwicklung der Jugendhilfeaufgaben tagesgenaue Auszahlungen an die häufig in prekären finanziellen Situationen lebenden Personen erfolgen und dass die Gefährdungseinschätzungen nach § 8a SGB VIII jederzeit – auch während der Rufbereitschaftszeiten außerhalb der regulären Dienstzeit – revisionssicher dokumentiert und gegenüber den Strafermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt werden können. Um dies zu gewährleisten, sei der Antragsgegner verantwortlich dafür, die jederzeitige Funktionsfähigkeit der Software sowie eine möglichst schnelle und reibungslose Fehleranalyse und -beseitigung so gut wie möglich sicherzustellen sowie Schnittstellen- und Ausfallrisiken soweit wie möglich zu minimieren. Der Einsatz eines Unterauftragnehmers sei darüber hinaus nur für „bestimmte“ kritische Aufgaben ausgeschlossen, namentlich für das Hosting der Software in einem Rechenzentrum. Soweit die Antragstellerin vortrage, dass nach den Vergabeunterlagen ein Unterauftragnehmereinsatz zulässig sei, sei festzuhalten, dass die Beigeladene vertraglich verpflichtet sei, die Software in ihrem eigenen Rechenzentrum zu hosten.
20
Aufgrund der beim Einsatz eines Unterauftragnehmers bestehenden Gefahr eines Hin- und Herschiebens von Ursächlichkeiten und Verantwortlichkeiten und den daraus resultierenden Risiken der Leistungserbringung sei die Entscheidung des Antragsgegners, das Hosting der Software im Rechenzentrums eines Unterauftragsnehmers nicht als „vernünftige Alternative“ im Sinne des § 14 Abs. 6 VgV anzusehen, zumindest vertretbar. Die von der Antragstellerin dagegen angeführten Argumente widersprächen jeglicher Lebenserfahrung. Zudem trage die Antragstellerin selbst vor, die Ursache von schlechten Antwortzeiten lasse sich nicht immer ad hoc klären. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin habe die Rechtsprechung wiederholt auch für Direktvergaben bzw. Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb entschieden, dass der Auftraggeber im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts den sichersten Weg wählen dürfe, um Risiken so weit wie möglich auszuschließen – insbesondere wenn es um eine potentielle Gefährdung von Leib und Leben gehe, was bei einer Meldung von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a Abs. 4 SGB VIII der Fall sei. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von § 14 Abs. 6 VgV liege nicht vor. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei in Anbetracht der Bedeutung der Funktionsfähigkeit der Software für den besonders kritischen Bereich Jugend und Soziales gewahrt.
21
Ein Alleinstellungsmerkmal der Beigeladenen im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV liege letztlich auch darin begründet, dass die von der KFZ-Zulassungsbehörde des Antragsgegners eingesetzte Software bereits im Rechenzentrum der Beigeladenen gehostet werde. Aus Sicht des Antragsgegners sei es aus technischen und wirtschaftlichen Gründen zwingend notwendig, dass die Software für den Fachbereich Jugend und Soziales ebenfalls im Rechenzentrum der Beigeladenen gehostet wird, um eine zusätzliche Anbindung via VPN-Tunnel an ein anderes Rechenzentrum und die damit einhergehenden Risiken für die IT-Sicherheit und doppelten Ressourcenaufwand zu vermeiden.
22
Mit Beschluss vom 09.03.2023 wurde die Zuschlagsprätendentin zum Verfahren beigeladen.
23
Die Beigeladene stellt keine Anträge und äußert sich auch nicht zur Sache.
24
Am 23.05.2023 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Verhandlung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag.
25
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer, die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
26
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
27
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
28
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2GWB. Der Antragsgegnerist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.
29
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
30
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
31
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
32
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Einreichung des Nachprüfungsantrags nachgewiesen. Zwar wird das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag in der Regel durch die Abgabe eines Angebots dokumentiert. Werden jedoch angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, bedarf es eines Angebots nicht; vielmehr wird das Interesse am Auftrag in diesen Fällen durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens belegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.6.2017 – VII-Verg 2/17). Die Antragstellerin hat ausgeführt, dass ihr durch die Nichtdurchführung eines wettbewerblichen Verfahrens die Möglichkeit verwehrt wurde, ein eigenes Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch die fehlenden Voraussetzungen eines vergaberechtlichen Direktauftrags an die Beigeladende nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VGV geltend gemacht.
33
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB entgegen, da gem. § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bei einem Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Rügeobliegenheit besteht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26.04.2023 – Verg 16/22). Der Nachprüfungsantrag ist auch rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 135 Abs. 2 GWB gestellt worden. Die Vergabebekanntmachung wurde am 27.01.2023 veröffentlicht; Tag des Vertragsschlusses war ausweislich dieser Bekanntmachung der 23.01.2023. Die Antragstellerin hat den Nachprüfungsantrag demgegenüber bereits am 02.02.2023 gestellt.
34
2. Der Nachprüfungsantrag istauch begründet.
35
Der Antragsgegner hat den streitgegenständlichen Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Hierdurch wurde die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des § 135 Abs. 3 GWB, der eine Ausnahme von der Unwirksamkeitsfolge nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB statuiert, sind nicht gegeben.
36
2.1. Gem. § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV ist die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Dies gilt gem. § 14 Abs. 6 VgV jedoch nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Ausweislich des Erwägungsgrunds Nr. 50 der RL 2014/24/EU bedarf es einer Situation der objektiven Ausschließlichkeit, bei der die Ausschließlichkeitssituation nicht durch den öffentlichen Auftraggeber selbst mit Blick auf das anstehende Vergabeverfahren herbeigeführt wurde.
37
2.1.1. Die Vorschrift ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 08.11.2022 – 3194.Z3-3_01-22-6). Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 50 der RL 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber hat dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – VII-Verg 13/17). Hierbei sind stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergibt (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013 – VII-Verg 24/13). Die Gründe für die Wahl des Verfahrens sind ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren (Markpert, in: Heuvels/Höß/ Kuß/Wagner, Vergaberecht, § 14 VgV, Rn. 36).
38
2.1.2. Die im Vergabevermerk vom 29.09.2022 niedergelegte Begründung, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist, wird diesen strengen Anforderungen nicht gerecht. Der Antragsgegner führt als maßgeblichen Grund an, dass sich aus dem Urteil des EuGH vom 16.07.2020 (Rs. C 311/18 – „Schrems II“) ergebe, dass der Rechenzentrumsbetrieb mit eigener Infrastruktur abgewickelt werden müsse, um DSGVOkonform zu sein. Diese Ansicht teilt die Vergabekammer Südbayern nicht. Gegenstand des angeführten Urteils des EuGH ist die Übermittlung personenbezogener Daten von einem in einem EU-Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen, in einem Drittland ansässigen Wirtschaftsteilnehmer. Nach der Entscheidung des EuGH ist ein in der EU ansässiger Verantwortlicher (i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO) verpflichtet, die Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland auszusetzen oder zu beenden, wenn er bzw. sein Auftragsverarbeiter (i.S.v. Art. 4 Nr. 8 DSGVO) keine hinreichenden zusätzlichen Maßnahmen ergreifen kann, um das unionsrechtlich verlangte Datenschutzniveau zu gewährleisten. Datenschutzrechtliche Implikationen bringt die Entscheidung des EuGH demnach lediglich für Leistungen, die unter Einbindung von Rechenzentren ausgeführt werden, die außerhalb der Europäischen Union gelegen sind. Die vom EuGH aufgegriffene Problematik einer hinreichenden Gewährleistung des unionsrechtlich verlangten Datenschutzniveaus stellt sich jedoch nicht, soweit Rechenzentren eingebunden werden, die innerhalb der Europäischen Union gelegen sind, da in Bezug auf diese das unionsrechtlich verlangte Datenschutzniveau bereits durch die unmittelbare Geltung der DSGVO als EU-Verordnung gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV gewährleistet ist. Speziell für die Verarbeitung von Daten durch Dritte sieht die DSGVO das Instrument der Auftragsverarbeitung (Art. 28 DSGVO) vor, mit dem sich eine arbeitsteilige Leistungserbringung wie insbesondere das Auslagern von IT-Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union datenschutzkonform ausgestalten lässt.
39
2.1.3. Soweit der Antragsgegner erstmals im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens darauf verweist, dass die Auslagerung des Betriebs des Rechenzentrums auf einen Unterauftragnehmer mit dem Risiko eines Hin- und Herschiebens von Verantwortlichkeiten und damit einhergehend einem Risiko des Leistungsausfalls behaftet ist, lässt sich hiermit ein Alleinstellungsmerkmal im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV ebenfalls nicht begründen. Es ist bereits fraglich, ob sich der Antragsgegner zur Rechtfertigung seiner Verfahrenswahl nachträglich auf diesen Aspekt, der im Vergabevermerk des Antragsgegners vom 29.09.2022 keinen Niederschlag gefunden hat, stützen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.03.2018 – Verg 10/17). Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Argumentation des Antragsgegners auch in der Sache nicht verfängt.
40
Zutreffend hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass das Leistungsversprechen eines Bieters, der eine Leistung in Zusammenarbeit mit einem Unterauftragnehmer ausführt, nicht weniger Vertrauen verdient als das Leistungsversprechen eines Bieters, der die gesamte Leistung selbst erbringt. Das vom Antragsgegner skizzierte Risiko des Hin- und Herschiebens von Verantwortlichkeiten und eines möglichen Leistungsausfalls durch die Einbindung eines Dritten in die Leistungserbringung ist in seiner Pauschalität durch nichts belegt. Vor diesem Hintergrund kann sich der Antragsgegner auch nicht auf die vergaberechtliche Rechtsprechung berufen, wonach ein Auftraggeber im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts im Interesse der Systemsicherheit und Funktion jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten Weg wählen darf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.05.2013 – Verg 16/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12; ähnlich BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 – Verg 13/21). Denn anders als in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen ist vorliegend gerade nicht erwiesen, dass ein Risiko des Leistungsausfalls besteht oder zumindest wahrscheinlich ist. Hinzu kommt, dass sich der Antragsgegner auf einen Umstand beruft, der nicht in der nachgefragten Leistung als solcher liegt, sondern sich auf die Leistungserbringung bezieht. Diese aber ist stets risikobehaftet, so dass es dem Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV zuwiderlaufen würde, Risiken der Leistungserbringung als technische Gründe im Sinne der Vorschrift zu akzeptieren.
41
2.1.4. Ohne Erfolg macht der Antragsgegner letztlich geltend, dass ein Alleinstellungsmerkmal im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV auch darin begründet liege, dass bereits das Fachverfahren der Kfz-Zulassungsbehörde des Antragsgegners im Rechenzentrum der Beigeladenen gehostet werde und es zwingend nötig sei, eine zusätzliche Anbindung via VPN-Tunnel an ein anderes Rechenzentrum und die damit einhergehenden Risiken für die IT-Sicherheit und doppelten Ressourcenaufwand zu vermeiden. Ausweislich der Tabelle zur Markterkundung sollten die Synergie-Effekte in der Administration, die sich dadurch ergeben, dass der Antragsgegner auch sonst Softwarelösungen der Beigeladenen nutzt, gerade kein Ausschlusskriterium begründen, sondern vielmehr lediglich ein wünschenswertes jedoch nicht zwingendes „Addon“ sein. An diese Festlegung zur Wahl der Verfahrensart ist der Antragsgegner für das streitgegenständliche Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gebunden.
42
2.2. Die Antragstellerin ist durch die vergaberechtswidrig unterbliebene Auftragsbekanntmachung in ihren Rechten verletzt.
43
Bei einem Verstoß im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB genügt es für die Annahme eines entstandenen oder drohenden Schadens, dass die Antragstellerin in vergaberechtswidriger Weise nicht am Verfahren beteiligt wurde. Dies stellt eine Verschlechterung der Zuschlagsaussichten und damit einen potenziellen Schaden dar (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29.07.2022 – Verg 13/21). Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin scheidet vorliegend auch nicht deswegen aus, weil sie erklärtermaßen das Hosting der Software in einem Rechenzentrum nur als Unterauftragnehmer-Leistung anbieten kann und damit die vom Antragsgegner aufgestellte Mindestanforderung „Hosting der Software der einem Rechenzentrum, dass vom Auftragnehmer in eigener Infrastruktur betrieben wird“ nicht erfüllt. Denn nach den vorstehend in Abschnitt 2.1. erwähnten Gründen ist diese Anforderung, die eine massiv wettbewerbsbeschränkende Wirkung entfaltet, sachlich nicht gerechtfertigt und liegt damit nicht mehr innerhalb der Grenzen des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers.
44
2.3. Der Feststellung der Unwirksamkeit steht letztlich auch nicht die vom Antragsgegner am 11.10.2022 veröffentlichte Ex-ante-Transparenzbekanntmachung entgegen.
45
Gemäß § 135 Abs. 3 Satz 1 GWB tritt die Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht ein, wenn der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig ist, der öffentliche Auftraggeber eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht hat, mit der er die Absicht bekundet, den Vertrag abzuschließen, und der Vertrag nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung, abgeschlossen wurde. Gemäß § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB muss die Bekanntmachung den Namen und die Kontaktdaten des öffentlichen Auftraggebers, die Beschreibung des Vertragsgegenstands, die Begründung der Entscheidung des Auftraggebers, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, und den Namen und die Kontaktdaten des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll, umfassen. Da § 135 Abs. 3 GWB eine Ausnahme von der Regel der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 2 Nr. 1 GWB darstellt, sind die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands eng auszulegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – VII-Verg 13/17 m. w. N.).
46
Hier ist bereits fraglich, ob die vom Antragsgegner am 11.10.2022 veröffentlichte Transparenzbekanntmachung den nach § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB vorgeschriebenen Mindestinhalt aufweist, da diese einen unzutreffenden Gesamtwert des Auftrags nennt. Da ausweislich des Wortlauts des § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB und der unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 3a Abs. 1 lit. b der RL 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die RL 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 geänderten Fassung (Rechtsmittelrichtlinie), der „Vertragsgegenstand“ zu beschreiben ist und synallagmatische Verträge nicht nur aus der Leistung, sondern auch aus der Gegenleistung bestehen, könnte sich hieraus eine Pflicht zur Nennung des korrekten Auftragswerts ergeben. Hierfür spricht auch der mit der Informationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB vergleichbare Sinn und Zweck der Transparenzbekanntmachung, den nicht beteiligten Unternehmen die Prüfung zu ermöglichen, die Entscheidung des Auftraggebers nachzuvollziehen, um die Erfolgsaussichten abschätzen zu können, ob bzw. inwieweit gegen diese Entscheidung im Nachprüfungswege vor Zuschlagserteilung um Primärrechtsschutz vor der Vergabekammer nachgesucht werden sollte (vgl. zur Informationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB Ziekow/Völlink/Braun, 4. Aufl. 2020, GWB § 134 Rn. 2). Diese Entscheidung kann durchaus auch von Kosten/Nutzen-Erwägungen begleitet sein, was ebenfalls dafür spricht, dass der korrekte Auftragswert anzugeben ist.
47
Fraglich ist ferner, ob der Vertrag vorliegend – wie von § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB gefordert – nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung, abgeschlossen wurde. Denn nach teilweise vertretener Ansicht handelt es sich bei der genannten Frist um eine Rechtsbehelfsfrist, welche ohne korrekte Belehrung nicht zu laufen beginnt (vgl. Linke, NZBau 2022, 199, 202; Ziekow/Völlink/Braun, 4. Aufl. 2020, GWB § 135 Rn. 98; VK Bund, Beschluss vom 06.02.2017 – VK 2 – 6/17). Ein Hinweis auf die Frist des § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB ist der Transparenzbekanntmachung vorliegend nicht zu entnehmen.
48
Gleichwohl können die aufgeworfenen Fragen mangels Entscheidungserheblichkeit unbeantwortet bleiben, da jedenfalls der Tatbestand des § 135 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht vorliegt. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11.09.2014 – C-19/13) sind die Nachprüfungsinstanzen verpflichtet zu würdigen, ob der öffentliche Auftraggeber bei seiner Entscheidung, den Auftrag im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben, sorgfältig gehandelt hat und ob er der Ansicht sein durfte, dass die für die Wahl der Verfahrensart aufgestellten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt waren. Dies setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber den seiner Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sorgfältig, nämlich vollständig und zutreffend, ermittelt hat und die von ihm hieraus gezogenen tatsächlichen und rechtlichen Schlussfolgerungen zumindest vertretbar sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – VII-Verg 13/17). Der dem Auftraggeber insoweit zustehende Beurteilungsspielraum ist von den Nachprüfungsinstanzen jedenfalls auf seine ordnungsgemäße Ausübung hin überprüfbar. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes beschränkt sich die Würdigung der Nachprüfungsinstanzen auf die gem. § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB in der Bekanntmachung anzugebende Begründung des Auftraggebers.
49
Ausgehend von diesen Erwägungen erweist sich die in der Bekanntmachung erläuterte Ansicht des Antragsgegners, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV seien gegeben, als nicht vertretbar. Wie bereits in Abschnitt 2.1.2. dargelegt wurde, ist die der Entscheidung des Antragsgegners zugrunde gelegte Prämisse, dass sich aus dem Urteil des EuGH vom 16.07.2020 (Rs. C 311/18 – „Schrems II“), ergebe, dass der Rechenzentrumsbetrieb mit eigener Infrastruktur abgewickelt werden müsse, um DSGVOkonform zu sein, evident unzutreffend. Die Möglichkeit einer Auftragsverarbeitung, über die sich der Betrieb eines Rechenzentrums innerhalb der EU datenschutzkonform in die Leistungserbringung einbinden lässt, hat der Antragsgegner bei seiner Entscheidung ebenfalls ausgeblendet. Damit fehlt es bereits an einer sorgfältigen Ermittlung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts.
50
3. Kosten des Verfahrens
51
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Antragsgegner.
52
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
53
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
54
Der Antragsgegnerist als Landkreis von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit. Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
55
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da die zweckentsprechende Führung eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens die rechtlichen Kenntnisse eines durchschnittlichen mittelständischen Unternehmens weit überschreitet. Für Bieter ist im Vergabenachprüfungsverfahren die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters regelmäßig erforderlich. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters durch die Antragstellerin war zudem erforderlich, da das Nachprüfungsverfahren weitgehend ungeklärte Fragen im Hinblick auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Auftrags trotz vorangegangener Ex-ante-Transparenzbekanntmachung aufwarf.
56
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
57
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09).
58
Die Beigeladenehat sich vorliegend nicht aktiv am Verfahren beteiligt und insoweit auch kein Kostenrisiko auf sich genommen.