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OLG München, Hinweisbeschluss v. 11.09.2023 – 21 U 2841/23 e
Titel:

VW-Dieselskandal: Kein Anspruch auf Differenzschaden bei Motortyp EA 288 (hier: VW Tiguan, 2,0l TDI 4Motion DSG)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; BeckRS 2023, 26995; OLG Koblenz BeckRS 2023, 25585; OLG München BeckRS 2023, 22881; BeckRS 2023, 24732; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 50990; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388; offen gelassen bei BGH BeckRS 2023, 27169. (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch bei unterstellter Fahrkurvenerkennung kann angesichts der damals eindeutigen Positionierung des KBA (gerade auch zur Frage der Grenzwertrelevanz) den für die Herstellerin handelnden Personen nicht unterstellt werden, dass sie damals in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden oder Emissionen gezielt auf dem Prüfstand hätten manipulieren wollen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Vorwurf der (möglichen) Sittenwidrigkeit entfällt, wenn die Herstellerin Im Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs (hier: 2020) den Einsatz einer Fahrkurvenerkennung sowie eines Thermofensters gegenüber dem KBA bereits offengelegt hatte. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einer entsprechenden Nachfrage beim KBA hätte VW die Auskunft bekommen, der Motor EA 288 weise keine unzulässige Abschalteinrichtung auf und wäre damit in dem - damit unvermeidbaren - Irrtum, der Motor genüge den rechtlichen Anforderungen, noch bestärkt worden. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, SCR-Katalysator, OBD, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Passau, Urteil vom 09.06.2023 – 1 O 211/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25588

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 09.06.2023, Az. 1 O 211/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat beabsichtigt, sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend auszuüben, dass er die Berufung der Klagepartei durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
2
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 Nr. 2- 4 ZPO.
3
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
4
Streitgegenständlich ist ein Pkw der Marke Volkswagen, Typ Tiguan, 2,0l TDI 4Motion DSG, ausgestattet mit dem Motortyp EA288 der Euro-6-Norm und einem SCR-Katalysator, den der Kläger am 20.10.2020 (Erstzulassung Oktober 2016) als Gebrauchtwagen käuflich erworben hat.
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Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen:
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1. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben. Dabei kann offenbleiben, ob beim streitgegenständlichen Fahrzeug objektiv eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist. Eine Beweisaufnahme des Landgerichts zu diesem Punkt ist daher zu Recht unterblieben. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Überspannung der Anforderungen an einen substantiierten Vortrag oder das Unterlassen gebotener rechtlicher Hinweise ist nicht gegeben.
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Auch wenn man das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu Gunsten der Klagepartei unterstellt, begründet dieser Gesetzesverstoß nicht automatisch die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten als besonders verwerflich. Es wäre das Hinzutreten weiterer Umstände erforderlich:
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Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten wäre nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin. Entscheidend ist das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung – spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – ZR 433/19, Rn. 19; BGH, Beschluss vom 21.03.2022 – VIa ZR 334/21, Rn. 19, jeweils zitiert nach juris). Für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klagepartei im Oktober 2020 liegen entgegen den Ausführungen der Berufungsbegründung – keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.
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a) Im Hinblick auf die von der Klagepartei vorgetragene Fahrkurvenerkennung fehlt es an substantiiertem Vortrag hinsichtlich einer von Sittenwidrigkeit getragenen Täuschung des Kraftfahrtbundesamts (nachfolgend: KBA) durch die Beklagte. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine der Umschaltlogik vergleichbare prüfstandbezogene Abschalteinrichtung wie im EA189 handelt, lassen sich weder den Ausführungen der Klagepartei selbst noch den von ihr in Bezug genommenen Applikationsrichtlinien der Beklagten vom 18.11.2015 (vgl. Klageschriftsatz S. 13 ff. = Bl. 13 ff. d. A. und Anlage B 7), die dem KBA spätestens im Dezember 2015 bekannt waren (vgl. auch Schreiben der VW AG an das KBA vom 29.12.2015, Klageschriftsatz S. 10 ff. = Bl. 10 ff. d.A), entnehmen.
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Auf die Angaben der Beklagten, dass aufgrund des späten Produktionsdatums im streitgegenständlichen Pkw nie eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt war, ist der Kläger nicht eingegangen. Zudem hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 02.05.2022 hinreichend dargelegt, warum auch ansonsten in der Fahrkurve keine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sei und die Fahrkurve als solche auch nie vom KBA gerügt wurde: So hat die Beklagte mehrere Auskünfte des KBA vorgelegt, wonach auch bei Deaktivierung der Fahrkurve die Grenzwerte im Prüfverfahren nicht überschritten werden. U.a. verweist das KBA etwa in seiner als Anlage B 18 vorgelegten amtlichen Auskunft auch darauf, dass der bloße Verbau einer Prüfstand- bzw. Fahrkurvenerkennung nicht als unzulässig beurteilt werde, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen des KBA hätten gezeigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten würden. Ebenso wenig hat das KBA in diesen Auskünften das festgestellte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung gewertet (s. hierzu nachfolgend unter b)). Auch für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit dem streitgegenständlichen Aggregat EA288 Euro 6, 2.0l TDI mit 140 kW und SCR-Katalysator wurde ausdrücklich das Fehlen unzulässiger Abschalteinrichtungen vom KBA bestätigt (vgl. amtliche Auskunft des KBA vom 16.05.2022 gegenüber dem Landgericht Aschaffenburg, Anlage B 122).
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Auch bei unterstellter Fahrkurvenerkennung kann angesichts der damals eindeutigen Positionierung des KBA (gerade auch zur Frage der Grenzwertrelevanz) den für die Beklagte handelnden Personen nicht unterstellt werden, dass sie damals in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden oder Emissionen gezielt auf dem Prüfstand hätten manipulieren wollen.
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b) Ein verwerfliches Handeln der Beklagten ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das unstreitig vorhandene Thermofenster (unabhängig von der konkreten – streitigen Bedatung). Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagten handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters – dessen Unzulässigkeit unterstellt – in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, zeigt die Klagepartei auch in der Berufungsbegründung nicht auf.
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Im Übrigen hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 02.05.2022 (S. 18 ff. = Bl. 78 ff. d.A.) nachvollziehbar dargelegt, dass der Einsatz des Thermofensters zum Schutz des Motors notwendig sei und aus diesem Grunde nach ihrer Kenntnis in allen in der EU hergestellten Dieselfahrzeugen zum Einsatz komme. Gegen ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten sprechen zudem die vom KBA durchgeführten umfassenden Überprüfungen und die fehlende Beanstandung des Motors (s. oben). Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung durch das KBA hätte eine (unterstellte) Fehlvorstellung der Beklagten auch nicht durch eine Anfrage an das KBA vermieden werden können.
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c) Soweit der Kläger vorträgt, dass das On-Board-Diagnose-System (OBD-System) von der Beklagten manipuliert worden sei, ist festzuhalten, dass das OBD-System nur die abgasbeeinflussenden Systeme überwacht, nicht aber auf diese einwirkt.
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d) Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die von der Klagepartei als Indiz für illegale Eingriffe in die Motorsteuerungssoftware vorgetragenen Messergebnisse keine hinreichenden Anhaltspunkte für weitere nicht offen gelegte Abschalteinrichtungen darstellen. Der Hinweis auf Diskrepanzen zwischen Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen, die zur Erlangung der Typgenehmigung für das der Euro-6-Norm unterfallende streitgegenständliche Fahrzeug noch allein maßgeblich waren, und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße genügt nicht (vgl. für einen PKW der Schadstoffklasse Euro 5: BGH, Urteil vom 13.07.2021 – ZR 128/20, Rn. 23). Dies gilt vor allem auch für die von der Klagepartei angeführten Messungen der Deutschen Umwelthilfe (siehe u.a. Vortrag in Klageschrift S. 5 ff. d. A. bzw. S. 25 ff. samt Anlagen). Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 nur die Messung im Prüfstandsbetrieb vorgeschrieben hatte und allein diese Werte zur Erlangung der Typgenehmigung maßgeblich waren, kommt es nicht darauf an, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Normalbetrieb die der Zulassung zugrunde liegenden Werte im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) nicht einhält.
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e) Dem Einwand der Klagepartei, dass es auf ein Tätigwerden des KBA nicht ankomme (Berufungsbegründung S. 11 ff. = Bl. 18 ff. d.A. OLG), ist zwar insofern zuzustimmen, als ein Rückruf des KBA nicht erforderlich ist, um Ansprüche zu begründen. Allerdings kann sich die Klagepartei in diesem Fall – anders als bei einem von einem Rückruf betroffenen Fahrzeug bzw. Motor – gerade nicht auf einen solchen Rückruf als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der von ihr aufgestellten Behauptungen stützen. Der Senat ist richtigerweise bei der Beurteilung der Frage, ob eine Abschalteinrichtung verbaut ist, nicht an die Einschätzung des KBA gebunden. Die Auskünfte des KBA sind jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Das Gericht ist nicht daran gehindert, sich auf der Grundlage dieser Auskünfte eine Überzeugung zu bilden.
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Soweit die Klagepartei auf einen Rückruf für das hier nicht streitgegenständliche Modell T6 Bezug nimmt (u.a. Berufungsbegründung S. 59 ff. = Bl. 66 ff. d.A. OLG), sei angemerkt, dass sich hieraus noch keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergeben. Dies gilt umso mehr, als dem Senat aus zahlreichen Parallelverfahren bekannt ist, dass bei einem Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung als Grund ausdrücklich die „unzulässige Abschalteinrichtung“ genannt wird, während beim Modell T6 der Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung bzw. Überschreitung des Euro-6-Grenzwerts für Stickoxide erfolgt ist.
18
Soweit die Klagepartei auf sog. „freiwillige Software-Updates“ für Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 verweist und vorträgt, die Beklagte biete diese nur an, um verbindlichen Rückrufen zuvorzukommen bzw. die manipulierte Software zu verschleiern (Berufungsbegründung S. 7 = Bl. 14 d.A. OLG und S. 60 f = Bl. 66 f d.A. OLG), weist der Senat darauf hin, dass ein solches freiwilliges Update gerichtsbekannt voraussetzt, dass das Fahrzeug und seine Software eingehend geprüft und keine unzulässige Abschalteinrichtung durch das KBA festgestellt worden ist. Dies lässt sich u.a. der Website des KBA unter „Fragen & Antworten zu Software-Nachrüstungen“ entnehmen. Gleiches ist dem ebenfalls über die Website abrufbaren Ergebnisbericht zur „Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren“ (Stand 10.01.2020, S. 14) zu entnehmen, der hierzu im Einzelnen – insbesondere zu den durchgeführten Prüfungen einschließlich Fahrten im realen Straßenverkehr (RDE) vor Genehmigung des freiwilligen Software-Updates weitere Erläuterungen enthält.
19
f) Selbst wenn ursprünglich ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu bejahen gewesen wäre – was der Senat hier nicht annimmt – wäre dieses in der Gesamtschau jedenfalls bei Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahre 2020 entfallen gewesen, weil die Beklagte nach Erteilung der Typgenehmigung, aber noch vor Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags im Jahr 2020 an der Aufdeckung einer eventuell unzulässigen Abschalteinrichtung mitgewirkt und sowohl die Fahrkurvenerkennung als auch ein bestehendes Thermofenster dem KBA gegenüber offengelegt hat (vgl. BGH zum Kauf nach ad-hoc-Mitteilung, Urteil vom 30.07.2020, ZR 5/20).
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2. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung ist auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB im hier zu entscheidenden Fall gegeben.
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a) Der Tatbestand des § 263 StGB ist wegen der fehlenden Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – ZR 5/20, juris Rn. 18 ff.).
22
b) Der Bundesgerichtshof hat zwar mit Urteilen vom 26.06.2023 VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22) entschieden, dass einem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen kann. Das hierfür erforderliche, zumindest fahrlässige Verhalten der Beklagten ist jedoch nicht gegeben. Die Beklagte hat in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt.
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aa.) Der Kläger hat zum Schuldvorwurf im Rahmen des 823 Abs. 2 BGB nicht substantiiert vorgetragen.
24
bb.) Die Beklagte selbst führt aus, sie sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon ausgegangen, dass das Fahrzeug die rechtlichen Anforderungen erfülle und es sich bei den von der Klagepartei gerügten Funktionen nicht um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Soweit dies nun anders zu beurteilen sei, beruft sich die Beklagte ausdrücklich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (vgl. Klageerwiderung S. 58/59 = Bl. 118/119 d.A.).
25
cc.) Eine Vermeidbarkeit dieses Irrtums der Beklagten ergibt sich auf Grundlage des bisherigen Parteivortrags nicht. Denn auch bei einer entsprechenden Nachfrage beim KBA als zuständige Behörde hätte die Beklagte die Auskunft bekommen, der hier verbaute Motor EA 288 weise keine unzulässige Abschalteinrichtung auf und wäre damit in ihrem Irrtum noch bestärkt worden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 65 ff.):
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Das KBA hat Fahrzeuge mit EA288-Motoren im Zeitraum von 2015 bis 2021 nicht nur den Angaben der Beklagten zufolge, sondern auch nach eigener Auskunft umfassenden Untersuchungen unterzogen, so z.B. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. Dabei hat das KBA die Fahrzeuge mit dem Motor EA288 gerade auch im Hinblick auf eine implementierte Fahrkurvenerkennung und das Thermofenster eingehend geprüft und dennoch keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt (siehe Berufungserwiderung S. 7 ff. = Bl. 67 ff. d.A. OLG sowie das von der Beklagten vorgelegte Anlagenkonvolut mit Bescheinigungen des KBA, u.a. Anlagen B 15, 18, 28, 37, 38, 40, 41, 42, 48, 56, 57, 60, 61, 62, 76, 81 sowie BE 37, 38, 72, 73, 78, 90 114).
27
Wie oben bereits ausgeführt, wurde insbesondere auch der streitgegenständliche Fahrzeugtyp mit dem streitgegenständlichen Aggregat EA288 Euro 6, 2.0l TDI mit 140 kW und SCR-Katalysator einer entsprechenden Überprüfung unterzogen und ausdrücklich das Fehlen unzulässiger Abschalteinrichtungen vom KBA bestätigt (vgl. amtliche Auskunft des KBA vom 16.05.2022 gegenüber dem Landgericht Aschaffenburg, Anlage B 122).
28
Die Rechtsauffassung der Beklagten zur Zulässigkeit der Fahrkurvenerkennung und des Thermofensters wäre mithin bei entsprechender Nachfrage vom KBA bestätigt worden (hypothetische Genehmigung).
29
Damit scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn, wie hier, der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 65).
30
Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen wird dem Kläger die Rücknahme seiner offensichtlich aussichtslosen Berufung empfohlen. Auf die in Betracht kommende Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV Nr. 1220,1222) wird hingewiesen.