Inhalt

BayObLG, Urteil v. 21.09.2023 – 206 StRR 112/23
Titel:

Befangenheit - Mitwirkung des abgelehnten Richters an der Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch nur bei echten Formalentscheidungen

Normenketten:
StPO § 26a Abs. 1, § 27, § 267 Abs. 1, § 400
GG Art. 101
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über ein gegen ihn angebrachtes Befangenheitsgesuch entscheidet. Voraussetzung für diese – eng auszulegende – Ausnahme ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, sondern die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte formale Entscheidung oder die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Inaussichtsstellen einer dem Angeklagten nachteiligen Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens (hier: Stellung von weiteren Beweisanträgen) bei der Strafzumessung ist geeignet, Zweifel des Angeklagten an der Unvoreingenommenheit des Richters zu erwecken. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne der bezeichneten Norm ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Es kommt demnach nicht darauf an, ob erhebliche Verletzungen tatsächlich eingetreten sind, sondern auf die potentielle Gefährlichkeit (hier: Wurf mit einer Kühltasche). (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehungsgesuch, Befangenheit, unzulässig, Verschleppungsabsicht, Verteidigungsverhalten, gefährliches Werkzeug, Kühltasche, Mitwirkung, gesetzlicher Richter
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 02.11.2022 – 25 Ns 257 Js 200142/18
Fundstellen:
LSK 2023, 25499
StV 2024, 813
BeckRS 2023, 25499

Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 2. November 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im ersten Tatkomplex (Wurf mit einer Kühltasche u.a.) wegen (lediglich einfacher) Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt worden ist. Die Aufhebung erfasst auch die Gesamtgeldstrafe.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil weitergehend in vollem Umfang aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 9. September 2021 der „vorsätzlichen“ Körperverletzung mit Beleidigung schuldig gesprochen und deswegen gegen ihn eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30.000,00 € verhängt.
2
Gegen das Urteil haben der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin Berufung eingelegt.
3
Das Landgericht München I hat mit Urteil vom 2. November 2022 auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher Körperverletzungen, jeweils in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt, wobei es die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 10.000,00 € festgesetzt hat. Die weitergehenden Berufungen sowie die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht als unbegründet verworfen.
4
Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin jeweils mit dem Rechtsmittel der Revision.
5
Der Angeklagte erhebt mehrere Verfahrensrügen sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Ein Antrag des Angeklagten auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters wegen Befangenheit sei zu Unrecht verworfen worden; mehreren im Einzelnen bezeichneten Beweisanträgen sei das Landgericht zu Unrecht nicht nachgekommen. Ferner werden Fehler in der Beweiswürdigung des Berufungsurteils geltend gemacht.
6
Der Angeklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 2. November 2022 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
7
Die Generalstaatsanwaltschaft hält in ihrer Stellungnahme die erhobene Verfahrensrüge, dass ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter zu Unrecht unter dessen Beteiligung verworfen worden sei, für begründet; die Revision des Angeklagten müsse daher bereits deshalb einen – vorläufigen – Erfolg haben.
8
Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts, wobei sich die Begründung des Rechtsmittels lediglich gegen den Schuldspruch im ersten Tatkomplex bezieht. Dieser beruhe auf einer fehlerhaften Würdigung des festgestellten Sachverhalts. Statt des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Körperverletzung hätte ein solcher auf der Grundlage der Feststellung, dass der Angeklagte eine Kühltasche nach der Nebenklägerin geworfen und diese damit auch getroffen habe, wegen gefährlicher Körperverletzung (in Tateinheit mit Beleidigung) erfolgen müssen.
9
Die Revision wird von der Generalstaatsanwaltschaft München vertreten. Sie führt aus, dass der Schuldspruch im ersten Tatkomplex (Wurf mit einer Kühltasche) allein wegen vorsätzlicher Körperverletzung einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalte. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils würden vielmehr eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung erfordern; zumindest aber seien die Feststellungen zur Beschaffenheit der Kühltasche lückenhaft.
10
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 2. November 2022 im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den jeweils zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
11
Die Nebenklägerin rügt ebenfalls, es hätte ein Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung erfolgen müssen, wobei sich die Begründung lediglich zum ersten Tatkomplex verhält. Die Nebenklage meint, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei insoweit fehlerhaft, als sich das Gericht zum ersten Tatkomplex nicht davon überzeugt habe, dass der Angeklagte zunächst ein Windlicht, das dabei zersplittert sei, auf die Nebenklägerin geworfen bzw. getreten und diese dadurch eine Schnittverletzung erlitten habe. Bereits dies habe den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung erfüllt. Die Kühltasche, die er anschließend auf die Nebenklägerin geworfen habe, sei ebenfalls als gefährlicher Gegenstand zu qualifizieren, der zu einem Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung hätte führen müssen.
12
Die Nebenklägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufzuheben und das Verfahren zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.
13
Die Generalstaatsanwaltschaft München führt in ihrer Stellungnahme vom 14. April 2023 zur Revision der Nebenklägerin aus, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts, soweit ein Wurf mit einem Windlicht nicht festgestellt werden konnte, keine Rechtsfehler aufweise. Auf die Revision der Nebenklägerin sei das Urteil des Landgerichts aufzuheben, soweit kein Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund des Wurfs mit der Kühltasche erfolgt sei; im Übrigen sei die Revision der Nebenklägerin als unbegründet zu verwerfen.
B.
14
Die eingelegten Revisionen sind zulässig nach §§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO; diejenige der Nebenklägerin, die das Ziel eines Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verfolgt, erfüllt ferner die Voraussetzungen der § 400 Abs. 1 i.V.m. § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO sowie des § 401 StPO.
15
Die Rechtsmittel erweisen sich als begründet.
I. Kein Verfahrenshindernis
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Auf die zulässigen Rechtsmittel hin hatte das Revisionsgericht von Amts wegen auch ohne eine entsprechende Rüge das Vorliegen der erforderlichen Verfahrensvoraussetzungen zu überprüfen.
17
Der Erörterung bedarf insoweit nur, ob der Umfang des angegriffenen Urteils vom Eröffnungsbeschluss vom 13. Dezember 2019 gem. § 203 StPO gedeckt ist. Die Prüfung durch das Revisionsgericht, das sich hierbei des Freibeweisverfahrens bedient hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, Einl. Rn. 152 m.w.N.), hat insoweit kein Verfahrenshindernis aufgedeckt.
18
Mit der Anklageschrift vom 11. Februar 2019 (Bl. 105/107 d.A.) ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 19. Juli 2018 gegen 23:30 Uhr zunächst eine Glaslaterne und kurze Zeit später eine mit Getränken gefüllte Nylonkühltasche auf die Geschädigte xx geworfen zu haben, wobei es sich nach der rechtlichen Wertung der Anklageschrift um gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 StGB gehandelt habe. Sonstige Körperverletzungshandlungen wie Stoßen, Schubsen oder Schlagen sind in der Anklage in diesem Tatkomplex nicht geschildert. Nach diesem Geschehen habe sich der Angeklagte entfernt. Nach „kurzer“ Zeit sei er zurückgekehrt und habe die Geschädigte durch näher beschriebene Handgreiflichkeiten körperlich misshandelt. Ferner habe der Angeklagte in beiden Fällen, die die Anklage als in Tatmehrheit zueinanderstehend bewertet hat, jeweils tateinheitlich eine Beleidigung zum Nachteil der Geschädigten begangen.
19
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2019 hat das Amtsgericht München die Anklage vom 11. Februar 2019 mit der Änderung zur Hauptverhandlung zugelassen, dass „beim ersten Tatkomplex“ nach Aktenlage kein hinreichender Tatverdacht bezüglich einer gefährlichen und/oder einer versuchten gefährlichen Körperverletzung bestehe, sondern lediglich hinsichtlich einer vorsätzlichen Körperverletzung, begangen durch Faustschläge, Stoßen und Schubsen, in Tateinheit mit einer Beleidigung (Bl. 277/278 d.A.). Die Staatsanwaltschaft hat dies beanstandet und (erfolglos) hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt.
20
Der Eröffnungsbeschluss bietet eine ausreichende Grundlage für die Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht wegen zweier tatmehrheitlich begangener Taten. Die Formulierung, dass ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich des Werfens von Gegenständen auf die Geschädigte nicht bestehe, sondern lediglich hinsichtlich der genannten Handgreiflichkeiten, deutet zwar darauf hin, dass das Gericht lediglich den zweiten Tatkomplex, für den allein im Anklagesatz derartige Handlungen geschildert werden, zum Gegenstand des Hauptverfahrens habe zulassen wollen. Dagegen spricht jedoch die Formulierung im Beschluss selbst, dass „bei dem ersten Tatkomplex“ eine Änderung angebracht werde. Daraus lässt sich schließen, dass das Gericht für beide Komplexe einen hinreichenden Tatverdacht, wenn auch in beiden Fällen lediglich für einfache Körperverletzungen und Beleidigungen, habe bejahen wollen. Zum anderen handelt es sich bei den Teilkomplexen wegen ihres engen räumlichen, zeitlichen und situativen Zusammenhangs um eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. In dessen Rahmen ist das Gericht im Übrigen an die rechtliche Beurteilung im Eröffnungsbeschluss nicht gebunden, § 264 Abs. 2 StPO.
II. Revision des Angeklagten
21
Die Revision des Angeklagten hat, wie auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 14. April 2023 ausführt, bereits mit der erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 26a Abs. 1 StPO Erfolg. Es ist infolgedessen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil hat der Vorsitzende der Strafkammer mitgewirkt, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch in objektiv nicht vertretbarer Weise unter seiner Mitwirkung durch Beschluss nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO verworfen und dadurch der Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist.
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1. Die Rüge ist zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO erhoben. Sie enthält alle Tatsachen, die das Revisionsgericht benötigt, um die angegriffene, auf das Ablehnungsgesuch des Angeklagten ergangene Entscheidung am Maßstab des § 26a StPO zu überprüfen.
23
2. Der rechtlichen Beurteilung durch den Senat liegt, soweit entscheidungserheblich, folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
24
Am dritten Verhandlungstag, den 2. November 2022, hat der Angeklagte durch einen seiner Verteidiger einen Antrag auf Verlesung eines im familienrechtlichen Verfahren zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ergangenen Beschlusses über den Umgang mit den gemeinsamen Kindern gestellt. Um dem Gericht die Prüfung zu ermöglichen, ob für die Dauer der Antragsverlesung die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden sollte, ist dem Gericht der genannte Antrag sowie ein weiterer noch nicht gestellter Antrag auf Verlesung eines familienpsychologischen Gutachtens sowie auf zeugenschaftliche Einvernahme des Gutachters ausgehändigt worden. Nach 20-minütiger Unterbrechung der Hauptverhandlung kam die Kammer aus ihrer Beratung zurück. Der Vorsitzende Richter äußerte, er appelliere an die Verteidiger, die beabsichtigten Anträge nicht zu stellen und wies darauf hin, dass eine Antragstellung trotz entgegenstehenden Ratschlags des Gerichts sich auf die Strafzumessung auswirken könne. Anschließend lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Durch seine Äußerung habe er aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu erkennen gegeben, dass sich zulässiges Verteidigungsverhalten strafschärfend auswirken könne und werde. Danach wurde von der Verteidigung begonnen, einen weiteren Beweisantrag zu verlesen. Zur Klärung, ob die Öffentlichkeit während der Verlesung auszuschließen sei, übergab die Verteidigung dem Gericht den Antrag sowie zwei weitere angekündigte Beweisanträge, deren Stellung beabsichtigt war. Bereits am ersten Verhandlungstag war beantragt worden, eine Reihe von Akten aus durchgeführten und noch anhängigen familienrechtlichen Verfahren beizuziehen.
25
Nachdem am dritten Verhandlungstag die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zum Befangenheitsantrag erhalten hatten, wurde die Sitzung kurz (für vier Minuten) unterbrochen. Anschließend erging nach geheimer Beratung der Kammer unter Mitwirkung des abgelehnten Richters folgender Beschluss:
„Das Ablehnungsgesuch wird gemäß § 26a Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen.
Gründe:
Der Antrag dient lediglich der Verfahrensverschleppung, im Übrigen sind verfahrensfremde Zwecke damit beabsichtigt. Ganz davon abgesehen wird der Vorsitzende falsch zitiert. Er hat lediglich völlig legitim darauf hingewiesen, dass prozessuales Verhalten gegebenenfalls auch ein Strafzumessungskriterium darstellt. Nicht mehr und nicht weniger.“
26
Die von der Verteidigung gestellten Beweisanträge wurden sodann gemäß § 244 Abs. 3 und Abs. 6 StPO als unzulässig abgelehnt. Im selben Hauptverhandlungstermin erging das gegenständlich angegriffene Berufungsurteil.
27
3. Die Rüge erweist sich als begründet. Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten ist durch den Beschluss vom 2. November 2022 zu Unrecht unter Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden Richters als unzulässig gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO verworfen worden. Die Begründung des Beschlusses, es gehe offensichtlich nur um die Verschleppung des Verfahrens und um verfahrensfremde Zwecke, die Äußerung des Vorsitzenden sei zudem falsch zitiert worden, ist durchgreifend zu beanstanden.
28
a) Für den Fall der Ablehnung eines Richters als befangen ist in § 27 Abs. 1 StPO der Regelfall normiert, dass über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, ohne dessen Mitwirkung entscheidet. Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über ein gegen ihn angebrachtes Befangenheitsgesuch entscheidet. Voraussetzung für diese – eng auszulegende – Ausnahme ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, sondern die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte formale Entscheidung oder die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Juni 2005, 2 BvR 625/01, 2 BvR 638/01, juris Rn. 55; BGH, Beschluss vom 2. April 2008, 5 StR 129/07, NStZ-RR 2008, 246, 247; Beschluss vom 7. September 2017, 1 StR 300/17, NStZ 2018, 485, 486; BeckOK StPO/Cirener, 47.Ed, Stand 01.04.2023, § 26a Rn. 9; KK-StPO/Heil, 9. Aufl. 2023, § 26a Rn. 9). Die Regelung beinhaltet damit eine Abwehrmöglichkeit gegen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellte Ablehnungsanträge, die etwa auf völlig haltlose und unzutreffende Vorwürfe gestützt werden. Namentlich kann eine Verschleppungsabsicht nur dann angenommen werden, wenn es dem Antragsteller offensichtlich ausschließlich auf eine Verzögerung der Hauptverhandlung ankommt (BGH NStZ 2018, 485, 486 m.w.N.). Nach § 26a Abs. 2 Satz 2 StPO bedarf es im Verwerfungsbeschluss der Angabe der Umstände, die den Verwerfungsgrund ergeben.
29
Auf die ausführlichen und zutreffenden rechtlichen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 14. April 2023, S. 2f., wird ergänzend Bezug genommen.
30
b) Diesen Vorgaben wird der Verwerfungsbeschluss vom 2. November 2022 nicht gerecht. Der Vorsitzende hätte an der Entscheidung über das Ablehnungsersuchen nicht mitwirken dürfen; es hätte vielmehr nach § 27 StPO verfahren werden müssen.
31
aa) Der Beschluss entspricht bereits in formaler Hinsicht nicht den Anforderungen des § 26 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 StPO. Er teilt keinen tatsächlichen Umstand mit, auf den die Strafkammer ihre Einschätzung stützt, dass die Ablehnung des Vorsitzenden offensichtlich lediglich das Ziel verfolge, das Verfahren zu verschleppen oder dass lediglich sonstige verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollten.
32
bb) Der Senat kann solche Umstände auch weder dem Ablehnungsgesuch selbst noch dem Verfahrensgeschehen entnehmen.
33
(1) Die Ablehnung des Vorsitzenden stützt sich darauf, dieser habe geäußert, dass es sich auf die Strafzumessung auswirken könne bzw. werde, wenn bestimmte Beweisanträge gestellt würden. Dies zugrunde gelegt, ist weder erkennbar noch gar offensichtlich, dass der Angeklagte mit seinem Antrag verfahrensfremde Zwecke, insbesondere eine Prozessverschleppung, verfolgt haben könnte. Nach § 24 Abs. 2 StPO besteht die Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es geht dabei um die nachvollziehbare Sorge, dass die erforderliche Neutralität, innere Distanz und Unparteilichkeit gegenüber dem Angeklagten negativ beeinflusst sein könnten. Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt eines „vernünftigen“ bzw. „verständigen“ Ablehnenden aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, spielt keine Rolle (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 24 Rn. 5, 6 m.w.N.). Strafprozessual zulässiges Verteidigungsverhalten darf einem Angeklagten nicht, auch nicht bei der Strafzumessung nach einem etwaigen Schuldspruch, angelastet werden (st. Rspr.; vgl nur Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 46 Rn. 53 m.w.N.). Bereits die In Aussichtsstellung einer dem Angeklagten nachteiligen Berücksichtigung zulässigen Verteidigungsverhaltens bei der Strafzumessung ist, was keiner näheren Erörterung bedarf, geeignet, Zweifel des Angeklagten an der Unvoreingenommenheit des Richters zu erwecken.
34
(2) Anhaltspunkte dafür, dass die gestellten oder angekündigten Beweisanträge ihrerseits den Rahmen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten und die beanstandete Äußerung gerechtfertigt hätten, zeigen sich nicht.
35
Es verbietet sich insbesondere, bereits von vorneherein solche Beweisanträge, die aus den in § 244 Abs. 3 Satz 3 bis Abs. 6 StPO geregelten Gründen abgelehnt werden können – wie das Berufungsgericht vorliegend schließlich, jedoch erst nach der gegenständlichen Äußerung des Vorsitzenden und nach der Verwerfung des Ablehnungsgesuchs entschieden hat – als prozessual nicht mehr zulässiges Verteidigungsverhalten einzuordnen, welches geeignet sei, strafschärfend berücksichtigt zu werden. In diesem Zusammenhang hat der Senat insbesondere nicht abschließend zu bewerten, ob die gestellten oder angekündigten Beweisanträge, die die angegriffene Äußerung des Vorsitzenden veranlasst haben, ihrerseits gemäß § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO die Verschleppung des Verfahrens bezweckten oder sonstige verfahrensfremde Ziele verfolgten. Umstände, etwa das Fehlen jeglichen sachlichen Bezugs der Beweisanträge zum Gegenstand des Verfahrens, sind jedenfalls nicht offensichtlich. Ein Beschluss des Gerichts über die Beweisanträge ist erst nach der beanstandeten Äußerung des Vorsitzenden ergangen; die etwaige Einschätzung des Gerichts, diese seien zum Zweck der Prozessverzögerung gestellt, war dem Angeklagten daher noch nicht bekannt. Zudem wäre selbst aus einer etwaigen Unzulässigkeit der Anträge gemäß § 244 Abs. 6 StPO nicht zwingend zu folgern, dass auch die Ablehnung des Vorsitzenden auf eine Äußerung hin, die nicht lediglich die Zulässigkeit der Beweisanträge thematisiert, sondern weitergehend strafzumessungsrelevante Folgen in den Raum gestellt hat, ihrerseits lediglich prozessverzögernde Ziele verfolgt. Dafür, dass es sich bei der Ablehnung, etwa weil sie zum wiederholten Male erhoben worden sei, um eine gezielte Methode mit dem Ziel gehandelt haben könnte, den Fortgang des Verfahrens zu torpedieren, ist nichts ersichtlich.
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(3) Die Behauptung des Angeklagten im Ablehnungsersuchen, er besorge eine Befangenheit des Vorsitzenden, war vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht völlig haltlos. Die Absicht, den Prozess zu verschleppen oder sonstige verfahrensfremde Ziele zu verfolgen, als offensichtlich alleinigem Zweck der Ablehnung, der eine Verwerfung im Verfahren nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO hätte rechtfertigen können, haftet ihr nicht an.
37
(4) Soweit im Übrigen der Verwerfungsbeschluss über den Ablehnungsantrags ergänzend darauf gestützt ist, dass der Vorsitzende „falsch zitiert“ sei, liegen die Voraussetzungen des § 26a StPO ebenso wenig vor. Abgesehen davon, dass das Gericht davon absieht, mitzuteilen, welche Äußerung der Vorsitzende tatsächlich getätigt habe, handelt es sich dabei nicht um eine reine Formalentscheidung, wie sie von § 26a StPO ermöglicht wird, sondern um ein Eingehen auf die Sache, nämlich darauf, welchen Inhalt die beanstandete Äußerung tatsächlich hatte und ob dieser Anlass zu einer Besorgnis im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO geben konnte. Diese Frage wäre im Regelverfahren nach § 27 StPO ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters zu klären gewesen, um jeden Anschein einer Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden.
38
(5) Auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft dazu, dass aufgrund der gegebenen Umstände bei zutreffender rechtlicher Beurteilung der Vorsitzende gemäß § 27 Abs. 1 StPO nicht an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch hätte mitwirken dürfen (S. 2 ff.), wird zur Ergänzung Bezug genommen.
39
c) Der Ablehnungsantrag des Angeklagten vom 2. November 2022 durch den Beschluss des Berufungsgerichts, ist, weil hieran der abgelehnte Richter mitgewirkt hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 26a StPO vorlagen, im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO zu Unrecht verworfen worden. Der abgelehnte Richter hat sich gleichsam zum „Richter in eigener Sache“ gemacht und dem Angeklagten seinen durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten gesetzlichen Richter entzogen. Darauf, ob das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, kommt es bei dem vorliegenden absoluten Revisionsgrund nicht an.
40
4. Die Revision des Angeklagten ist damit bereits wegen des festgestellten Verfahrensfehlers begründet mit der Folge, dass das Urteil des Landgerichts München I vom 2. November 2022 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen wird, ohne dass es auf die weiteren Verfahrensrügen, betreffend die Zurückweisung von Beweisanträgen, oder auf die mit der Sachrüge erhobenen Beanstandungen noch ankommt.
41
Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:
42
Die Aufhebung des Urteils in vollem Umfang (bezüglich beider Tatkomplexe) auf die Revision des Angeklagten zieht zu seinem Schutz das vom neuen Tatgericht zu beachtende Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nach sich. Dieses gilt lediglich insoweit nicht, als auch die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin Erfolg haben (zum ersten Tatkomplex; s. dazu nachfolgend).
III. Revision der Staatsanwaltschaft
43
1. Die Ausführungen in der Begründungsschrift der Staatsanwaltschaft richten sich allein gegen die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung des angegriffenen Urteils zum ersten Tatkomplex des Geschehens am Abend des 19. Juli 2018. Die Verurteilung wegen Körperverletzung und die deswegen verhängte Einzelstrafe im zweiten Tatkomplex werden von der Revisionsführerin nicht beanstandet. Der Senat sieht darin gem. § 300 StPO eine Beschränkung des Rechtsmittels gem. § 344 Abs. 1 StPO auf diesen ersten Komplex. Die Beschränkung ist auch zulässig. Das Landgericht hat die beiden festgestellten Tatabschnitte wegen der zeitlichen und situativen Zäsur rechtlich als tatmehrheitlich begangene Taten im materiellen Sinne gemäß § 53 StGB gewertet. Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf eine von mehreren tatmehrheitlich begangenen Taten ist regelmäßig, so auch hier, zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 344 Rn. 7, § 318 Rn. 10).
44
2. Der Senat hat, obgleich das Urteil des Landgerichts München I vom 2. November 2022 bereits aufgrund der Revision des Angeklagten in vollem Umfang aufzuheben ist, aus prozessualen Gründen noch über die Revision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, denn wie bereits ausgeführt würde eine Aufhebung lediglich aufgrund des Rechtsmittels des Angeklagten dazu führen, dass dieser durch das neue Tatgericht in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht schlechter gestellt werden dürfte als im aufgehobenen Urteil, § 358 Abs. 2 StPO. Dieser Schutz vor einer Verschlechterung gilt nicht, soweit die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, § 296 Abs. 1 StPO, ebenfalls Erfolg hat.
45
3. Auf die mit der Sachrüge, ohne Beschränkung auf die ausgeführten Rügen (Revisionsbegründung vom 12. Januar 2023, S. 2), begründete Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat das Urteil einer revisionsgerichtlichen Prüfung auf sachliche Mängel unterzogen und dabei Rechtsfehler in den Urteilsfeststellungen und der Beweiswürdigung aufgedeckt, die sich zugunsten des Angeklagten ausgewirkt haben. Dies ist im ersten Tatkomplex (Geschehen auf der Veranda des Haupthauses der Hotelanlage, gegen 23:00 Uhr [Ortszeit]) der Fall. Das Landgericht ist insoweit sich aufdrängenden Fragen nach der Begehung von Körperverletzungshandlungen mittels gefährlicher Werkzeuge nur unzureichend nachgegangen.
46
4. Soweit das Landgericht zum ersten Tatkomplex im Urteilsabschnitt über die tatsächlichen Feststellungen geschildert hat, dass der Angeklagte eine gefüllte Kühltasche auf die Nebenklägerin geworfen hat, begegnet seine Würdigung, dies stelle (lediglich) eine einfache, nicht aber eine Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, rechtlichen Bedenken. Jedenfalls aber erweisen sich die diesbezüglichen Feststellungen sowie die Beweiswürdigung als lückenhaft.
47
a) Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten handelt es sich bei ihm um einen zum Tatzeitpunkt 29-jährigen Profifußballspieler. Das Landgericht hat zu dem hier maßgeblichen Abschnitt des Tatgeschehens festgestellt, im Zuge der Auseinandersetzung mit der Nebenklägerin habe der Angeklagte „eine mit Getränken gefüllte Kühltasche aus Stoff“ genommen und diese „beidhändig aus ca. drei Metern Entfernung der Geschädigten mittig an den oberen Rücken geworfen“. Hierdurch habe die Geschädigte kurzzeitig heftige Schmerzen verspürt, ihr sei die Luft weggeblieben.
48
b) Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge hin die Urteilsfeststellungen darauf zu überprüfen, ob diese die in den Schuldspruch mündende Subsumtion unter die jeweils angewandten Strafnormen in objektiver und subjektiver Hinsicht tragen. § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das Revisionsgericht prüft auf die Sachrüge, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet worden ist, sowie weitergehend auch darauf, ob die Feststellungen überhaupt eine tragfähige Grundlage für die Prüfung bieten, insbesondere, ob sie frei von Lücken, Widersprüchen, Unklarheiten und Verstößen gegen Denk- und Erfahrungsgesetzen sind (KK-StPO/Gericke, a.a.O. § 337 Rn. 28; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 337 Rn. 21; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, § 337 Rn. 89, je m.w.N.).
49
c) Der Schuldspruch wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB wird von diesen Feststellungen ohne weiteres getragen; das gilt auch für die subjektive Tatseite. Zwar enthalten die Urteilsgründe keine ausdrücklichen Ausführungen zum Tatvorsatz, nach dem geschilderten äußeren Sachverhalt ergibt sich dieser jedoch von selbst in Form eines zumindest bedingten Verletzungsvorsatzes. Bereits nach dieser Tatschilderung drängt sich aber weitergehend auf, dass die Handlung den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht haben könnte. Im Hinblick auf diese Frage erweisen sich die Feststellungen jedenfalls als lückenhaft.
50
aa) Ein gefährliches Werkzeug im Sinne der bezeichneten Norm ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Es kommt demnach nicht darauf an, ob erhebliche Verletzungen tatsächlich eingetreten sind, sondern auf die potentielle Gefährlichkeit (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 StR 478/20, NStZ-RR 2021, 211; Fischer, StGB a.a.O. § 224 Rn. 14, je m.w.N.).
51
bb) Die Kühltasche kommt nach den Feststellungen sowohl aufgrund ihrer Beschaffenheit als auch ihrer konkreten Verwendungsweise als gefährliches Tatmittel in Betracht; eine abschließende Beurteilung ist dem Senat jedoch auf der Grundlage der hierzu lückenhaften Feststellungen nicht möglich.
52
Die Tasche war aus Stoff, einem weichen Material. Ob sie selbst gleichwohl aufgrund ihrer Verarbeitung (z.B. Verstärkungen aus festem Material, Reißverschluss o.Ä.) möglicherweise geeignet war, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, bleibt offen, da sie nicht näher beschrieben ist. Insbesondere aber drängt sich aufgrund ihres festgestellten Inhalts, nämlich dass sie „mit Getränken gefüllt“ war, auf, dass entweder die Tasche selbst dadurch ein nicht unerhebliches Gewicht aufgewiesen hat, oder dass bei dem Wurf mit der Tasche auch einzelne Getränke hätten herausfallen und die Nebenklägerin treffen können; es wären auch ergänzende Feststellungen zur Beschaffenheit der Getränkebehältnisse erforderlich, beispielsweise ob es sich um (schwerere) Glasflaschen oder nur um (leichtere) Dosen oder sonstige Behältnisse gehandelt hat. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme darauf verweist, dass der vom Landgericht einvernommene Sachverständige Dr. ... ausweislich der Urteilsgründe eine „Gesamtmasse von einigen Kilogramm“ (UA S. 19) annimmt, hat das Landgericht weder diese Einschätzung in die Feststellungen aufgenommen noch sonst zu erkennen gegeben, ob es sie seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Die Angaben des Sachverständigen werden im Urteilsabschnitt über die Beweisaufnahme lediglich wiedergegeben, nicht aber gewürdigt. Der Senat vermag daher nicht zu ersehen, von welcher Beschaffenheit und von welchem (Mindest-)Gewicht der Tasche das Landgericht ausgegangen ist. Bereits die Feststellung, dass Getränke (im Plural, UA S. 15) enthalten waren, weist darauf hin, dass nach Gewicht und Beschaffenheit der Behältnisse ein Gefährdungspotential auch für schwere Verletzungen im Hinblick auf die festgestellte konkrete Verwendung des Tatmittels nicht von vorneherein auszuschließen ist.
53
Diese Verwendung ist nach den Feststellungen dadurch gekennzeichnet, dass ein knapp 30-jähriger, anzunehmend durchtrainierter und kräftiger Profisportler die Tasche beidhändig aus drei Metern Entfernung in Richtung auf die Nebenklägerin geworfen und sie am Rücken getroffen hat, was zu kurzzeitigen Schmerzen geführt hat. Für eine abschließende Bewertung der Gefährlichkeit der Handlung, insbesondere auch der subjektiven Tatseite, reichen die Feststellungen jedoch auch insoweit nicht aus, denn die (potentielle) Geeignetheit, erhebliche Verletzungen zu verursachen, bestimmt sich nicht nur danach, wo das Tatmittel tatsächlich am Körper des Tatopfers aufgetroffen ist, sondern auch danach, wo es nach den konkreten Umständen hätte auftreffen können. Die Nähe des „oberen Rückens“ zu Kopf und Nacken des Tatopfers und damit die Gefahr, dass es dort zu Verletzungen kommt, drängt sich einerseits auf; die Beurteilung, auch des erforderlichen Tatvorsatzes, kann aber noch davon abhängen, ob und ggf. wie sich die Nebenklägerin bewegt, z. B. sich weggeduckt hat und welche Wahrnehmung der Angeklagte hatte.
54
d) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Lückenhaftigkeit der Feststellungen darauf beruht, dass das Gericht trotz Ausschöpfung aller Beweise keine weiteren Feststellungen zum Wurf mit der Kühltasche hätte treffen können. Die Würdigung der insoweit erhobenen Beweise weist vielmehr ihrerseits Lücken auf, die rechtlich zu beanstanden sind.
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aa) Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts, dem allein es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017, 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184 m.w.N.). Die revisionsrechtliche Nachprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind; dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze verstößt oder gesicherten Erfahrungssätzen widerspricht (st. Rspr; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Januar 2005, 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 337 Rn. 27).
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bb) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs erweist sich die Beweiswürdigung des Berufungsurteils zu den Umständen des Wurfs mit der Kühltasche bezüglich entscheidungserheblicher Umstände als lückenhaft.
57
Wie bereits ausgeführt, wird die Aussage eines Sachverständigen zu einem von ihm angenommenen Gewicht der Tasche mit „einigen Kilogramm“ wiedergegeben (UA S. 19), jedoch nicht gewürdigt. Nach Aussage zweier Zeuginnen soll die Kühltasche jedenfalls neben Dosen auch mit Flaschen gefüllt gewesen sein (UA S. 12, 15), ohne dass das Gericht diese Aussagen gewürdigt und ggf. Schlüsse hinsichtlich des Gewichts und der Gefährlichkeit der Tasche als Wurfgeschoss gezogen hätte. Die Nebenklägerin hat darüber hinaus ausgeführt, die Tasche sei ihr „ins Genick“ geworfen worden (UA S. 12), was eine höhere Verletzungsgefahr begründen könnte als ein Wurf auf den Rücken. Eine Würdigung dieser Aussage und eine Begründung dafür, aus welchen Gründen das Gericht einen Wurf (lediglich) auf den Rücken festgestellt hat, ist ebenfalls unterblieben.
58
e) Insgesamt weisen die Urteilsgründe damit bezüglich des Wurfs mit der Kühltasche im ersten Tatkomplex Lücken auf, die sich bei der rechtlichen Beurteilung zugunsten des Angeklagten auswirken, ohne dass in den Feststellungen oder im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilt wird, ob und ggf. aus welchen Gründen keine weiteren Feststellungen getroffen werden konnten. Da nicht auszuschließen ist, dass von einem neuen Tatgericht weitere Feststellungen möglich sein werden, könnte das Urteil im Hinblick auf diesen ersten Tatkomplex auch dann keinen Bestand haben, wenn es nicht bereits auf die Revision des Angeklagten vollständig aufzuheben wäre.
59
2. Da das Revisionsgericht auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft hin das Urteil ohne Beschränkung auf die einzeln erhobenen Beanstandungen auf sachliche Fehler zu überprüfen hat, besteht, ohne dass dies noch entscheidungserheblich wäre, Anlass zu ergänzenden Ausführungen zu den Urteilsgründen soweit, ebenfalls im ersten Tatkomplex, ausweislich der tatsächlichen Feststellungen im Zuge der zunächst verbalen und sodann tätlichen Auseinandersetzung ein Windlicht aus Glas zu Bruch gegangen ist.
60
a) Unter Zugrundelegung der hierzu getroffenen Feststellungen, wonach das Gericht sich nicht davon überzeugen konnte, dass es sich um einen gezielten Wurf des Angeklagten mit dem Windlicht in Richtung der Nebenklägerin, sondern um ein versehentliches Umstoßen handelte, kommt in rechtlicher Hinsicht insoweit weder eine vollendete noch eine versuchte, ggf. gefährliche, Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1 und 2, 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB in Betracht. Ein Widerspruch zwischen den Urteilsfeststellungen und dem (unterbliebenen) Schuldspruch besteht demnach nicht.
61
b) Jedoch erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts zu diesem Teilgeschehen als lückenhaft und widersprüchlich.
62
Die Urteilsgründe legen die Aussage der als Zeugin vernommenen Nebenklägerin dar, wonach der Angeklagte ein auf dem Couchtisch stehendes Windlicht genommen und nach ihr geworfen habe (UA S. 12). Die Zeugin xx hingegen hat angegeben, der Angeklagte habe nach ihrer Wahrnehmung nach dem Windlicht „getreten“ (UA S. 15), wobei jedoch, bereits dies lückenhaft, offenbleibt, ob es sich dabei um einen gezielten Tritt in Richtung der Nebenklägerin gehandelt habe.
63
Zur Würdigung der Aussagen führt das Landgericht einerseits aus, die Nebenklägerin habe ohne jeden Belastungseifer ausgesagt (UA S. 22); ihre Aussage werde im Wesentlichen bestätigt durch die Aussage der Zeugin xx (UA S. 22). Dies ist für den Senat insoweit nicht nachvollziehbar, als im Hinblick auf das Geschehen um das Windlicht, also einer im Hinblick auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB entscheidungserheblichen Frage, gerade keine übereinstimmenden Angaben vorliegen. Eine Würdigung dieser Diskrepanz unter dem Aspekt, welcher der beiden Angaben aus Sicht des Gerichts der Vorzug zu geben ist, lassen die Urteilsgründe vermissen. Eine maßgebliche Lücke in der Beweiswürdigung findet sich zum gegenständlichen Geschehen auch insoweit, als das Gericht der Aussage der Nebenklägerin einerseits eine hohe Bedeutung für die getroffenen Feststellungen beimisst (UA S. 22), jedoch andererseits nicht konkret erörtert, aus welchen Gründen es gleichwohl zu einer gespaltenen Würdigung ihrer Aussage gelangt und sich von der Richtigkeit ihrer Angaben zum Wurf mit der Kühltasche, nicht aber von derjenigen zum Wurf mit dem Windlicht überzeugen konnte. Die angestellten allgemeinen Erwägungen zu „Abweichungen“ (UA S. 23) sind nicht erkennbar gerade auf die unterschiedlichen Schilderungen zum Bruch des Windlichts bezogen und genügen den Begründungsanforderungen nicht.
64
c) Diese fehlende Erörterung stellt einen Rechtsfehler dar, der sich nicht ausschließbar zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hat und, wäre das Urteil mit den Feststellungen nicht bereits aus obenstehenden Gründen aufzuheben, unter diesem Gesichtspunkt zur Aufhebung (im ersten Teilkomplex) führen würde.
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Der Senat weist für das weitere Verfahren gleichwohl darauf hin, es dem Tatgericht trotz des Erfolgs der zuungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittels unbenommen bleibt, Abweichungen in den Feststellungen, in der Beweiswürdigung, im Schuldspruch und im Rechtsfolgenausspruch zugunsten des Angeklagten zu treffen, § 301 StPO. Es wird sich daher, sollte es sich von der Aussage der Nebenklägerin, der Angeklagte habe ein Windlicht auf sie geworfen worden, nicht überzeugen können, gegebenenfalls auch mit der Frage zu befassen haben, ob daraus für andere Angaben der Zeugin, etwa für diejenigen zum Wurf mit der Kühltasche, Folgerungen zugunsten des Angeklagten zu ziehen sein werden.
IV. Revision der Nebenklägerin
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Die zulässige Revision der Nebenklägerin richtet sich ausweislich ihrer Begründungsschrift ebenfalls nur auf den ersten Tatkomplex und hat insoweit in vollem Umfang Erfolg; einer teilweisen Verwerfung ihres Rechtsmittels bedarf es daher nicht.
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Vom Revisionsgericht ist angesichts der beschränkten Rechtsmittelbefugnis der Nebenklägerin auch in der Frage der Begründetheit lediglich zu überprüfen, ob die Vorschriften über das Nebenklagedelikt, welches zur Einlegung des Rechtsmittels berechtigt, § 400 Abs. 1 i.Vm. § 395 StPO, richtig angewendet worden sind (BGH, Urteil vom 10. Mai 1995, 1 StR 764/94, NStZ 1995, 551, 552; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 400 Rn. 7; KK-StPO/Gericke, a.a.O. § 352 Rn. 10).
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Die Nebenklägerin begründet die Revision mit der Rüge materiellen Rechts und führt dazu konkret Urteilsfehler in Feststellungen, Beweiswürdigung und Schuldspruch insoweit aus, als das angegriffene Urteil den Wurf mit der Kühltasche nicht als gefährliche Körperverletzung gewertet hat und es aus Beweisgründen nicht auch von einem Wurf mit dem Windlicht ausgegangen ist, welcher ebenfalls als, ggf. versuchte, gefährliche Körperverletzung zu werten wäre.
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Bei der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 StGB handelt es sich gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO um ein zum Anschluss mit der Nebenklage berechtigendes Delikt.
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Die Begründetheit der Revision der Nebenklage insoweit ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft.