Inhalt

BayObLG, Urteil v. 20.09.2023 – 207 StRR 208/23
Titel:

Keine Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus mehreren Einzelgeldstrafen

Normenkette:
StGB § 53 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus mehreren Einzelgeldstrafen ist schon wegen der unterschiedlichen kriminalpolitischen Zwecke der beiden Strafen nicht möglich. (Rn. 12) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Gesamtstrafe, Gesamtfreiheitsstrafe, Einzelgeldstrafen, Gesamtstrafenbildung, fehlerhafte Gesamtstrafenbildung
Vorinstanz:
LG Passau, Urteil vom 18.04.2023 – 1 Ns 32 Js 6360/22
Fundstellen:
BeckRS 2023, 25491
LSK 2023, 25491
NStZ-RR 2023, 366

Tenor

I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 18. April 2023 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Passau zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Das Amtsgericht Passau hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. November 2022 wegen zweier Fälle der (vorsätzlichen) Körperverletzung unter Einbeziehung einer durch Urteil des Amtsgerichts Passau vom 1. August 2022 verhängten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 € zu einer bedingten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Gegenstand waren zwei Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin am 24. Februar und 21. März 2022. Das Amtsgericht hat der Gesamtstrafe Einzelstrafen von 4 Monaten (Tat vom 21. März 2022) und 60 Tagesätzen (Tat vom 24. Februar 2022) zugrunde gelegt.
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Die (jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten) Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Passau mit Urteil vom 18. April 2023 verworfen. In den Entscheidungsgründen hat die Kammer ausgeführt, dass für die Tat vom 21. März 2022 zwar nur eine Einzelgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu verhängen, eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten aber dennoch tat- und schuldangemessen sei. Auch wenn für jede einzelne der beiden Taten die Voraussetzungen des § 47 StGB nicht erfüllt seien, sei die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten unabdingbar.
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Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie meint, dass die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe lediglich aus Einzelgeldstrafen rechtlich nicht zulässig sei. Darüber hinaus seien auch die Einzelstrafen nicht tat- und schuldangemessen. Das Rechtsmittel wird von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten. Sie führt aus, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass die Kammer für die Einzelstrafen die Voraussetzungen des § 47 StGB verneint, im Widerspruch dazu aber die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich gehalten habe. Daher sei bereits die Verhängung von Einzelgeldstrafen nicht rechtsfehlerfrei begründet. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verhängung von Einzelfreiheitsstrafen zur Festsetzung einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe geführt hätte.
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Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet (lediglich) die rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung.
II.
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1. Infolge der wirksamen Beschränkung der Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch ist nur dieser Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung durch den Senat.
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2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erzielt in diesem Umfang (sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe) mit der Sachrüge einen mindestens vorläufigen Erfolg, weil das Berufungsurteil an Darstellungsmängeln und Rechtsfehlern leidet.
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a) Die Strafzumessung ist die ureigenste Aufgabe des Tatrichters, dem hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet ist, der vom Revisionsgericht bis an die Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 03.03.2022, 5 StR 228/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 28). Dies gilt auch für die Frage, ob nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von unter 6 Monaten unerlässlich ist oder nicht. Bei der Beurteilung, ob der Tatrichter sich noch in dem ihm eröffneten Beurteilungsspielraum bewegt hat, ist auch nicht semantisch auf einzelne Formulierungen abzustellen, sondern eine Gesamtwürdigung der vom Tatrichter angegebenen Begründung geboten. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Revisionsgericht eine andere Sanktionierung für vorzugswürdig oder naheliegender erachtet und auch nicht darauf, ob einzelne Formulierungen im Berufungsurteil – für sich genommen – eine Missachtung der vom Tatrichter zu beachtenden Grundsätze nahe legen.
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b) Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge jedoch zu überprüfen, ob dem Tatrichter bei der Bewertung der Unerlässlichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe Rechtsfehler unterlaufen sind, ob er etwa einen einschlägigen Rechtsbegriff verkannt hat, von unvollständigen oder unrichtigen Erwägungen ausgegangen ist oder die Grenzen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums überschritten hat (BayObLG, Urteil vom 13.05.1993, 5 St RR 12/93, zitiert nach juris, dort Rdn. 7; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.02.2019, 3 Ss 324/18, zitiert nach juris, dort Rdn. 12; Senat, Urteil vom 22.04.2022, 207 StRR 28/22, n. v.).
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c) An diesem Maßstab gemessen hält die (nicht näher begründete) Annahme des Landgerichts, dass die Verhängung von (kurzen) Freiheitsstrafen für beide Taten jeweils nicht unerlässlich ist, jedenfalls im Lichte der Gesamtheit der Urteilsgründe (UA S. 6/7), im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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Die Ausführungen sind bereits widersprüchlich, da das Landgericht einerseits die Voraussetzungen des § 47 StGB für die beiden Einzelstrafen nicht als erfüllt ansieht, andererseits aber die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten für erforderlich hält. Darüber hinaus hat sich das Landgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 47 StGB weder näher mit den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten auseinandergesetzt (vgl. dazu OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.11.2019, (2) 53 Ss 133/19 (48/19), zitiert nach juris, dort Rdn. 8.) noch geprüft, ob angesichts der Begehung von drei gleich gelagerten Straftaten in zeitlich rascher Abfolge nicht die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 47 Abs. 1 letzte Var. StGB) hier die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gebietet (vgl. hierzu BayObLG, Urteile vom 27.06.1996, 5 St RR 52/96, dort Rdn. 10; vom 16.07.2020, 207 StRR 236/20, dort Rdn. 15, jeweils zitiert nach juris sowie Senat, Urteil vom 22.04.2022, 207 StRR 28/22, n. v.).
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Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht, hätte es die vorgenannten Umstände berücksichtigt und die dann ggf. notwendigen ergänzenden Feststellungen getroffen, bei der erforderlichen Gesamtabwägung hinsichtlich der Unerlässlichkeit der Verhängung von Freiheitsstrafen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
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d) Darüber hinaus ist auch die Gesamtstrafe auf die (insoweit zugunsten des Angeklagten wirkende, § 301 StPO) Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben. Wie die Staatsanwaltschaft zu Recht ausführt, ist die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus mehreren Einzelgeldstrafen schon wegen der unterschiedlichen kriminalpolitischen Zwecke der beiden Strafen nicht möglich (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. Beschluss vom 05.05.1999, 1 StR 133/99, zitiert nach juris, dort Rdn. 5; Sternberg-Lieben/Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 53 Rdn. 15). Eine vom Landgericht nicht näher begründete „Ausnahmesituation“ vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Die dort angeführten Gesichtspunkte wären vielmehr bereits bei der Verhängung der Einzelstrafen zu berücksichtigen gewesen.
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3. Hinsichtlich des Gesamtstrafenausspruches hat aus den vorgenannten Gründen auch die Revision des Angeklagten Erfolg.
III.
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1. Das angefochtene Urteil war daher im angefochtenen Umfang einschließlich der zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).
15
2. Die Sache war nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Passau zurückzuverweisen.