Inhalt

VG München, Beschluss v. 18.09.2023 – M 27 E 23.1176
Titel:

Einstweilige Anordnung, Unzulässiger Antrag, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung), Aufenthaltserlaubnis, Straftaten

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 60a
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Unzulässiger Antrag, Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung), Aufenthaltserlaubnis, Straftaten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25370

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, eine am ... geborene serbische Staatsangehörige, begehrt mit ihrem Antrag die einstweilige Aussetzung ihrer Abschiebung.
2
Sie reiste eigenen Angaben zufolge erstmals am ... in das Bundesgebiet ein und hat drei in den Jahren 1998, 2002 und 2003 geborene Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit.
3
Ein von der Antragstellerin beim Landeseinwohneramt B. gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde mit Bescheid vom 12. November 1998 abgelehnt und die Antragstellerin zur Ausreise innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufgefordert.
4
Am ... sprach die Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Ehemann, ebenfalls serbischer Staatsangehöriger, bei der Antragsgegnerin vor und erklärte, illegal in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Sie habe hier ein Kind geboren und sei ausreisewillig.
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Am 3. März 2003 stellte die Antragstellerin beim Landeseinwohneramt Berlin einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und gab an, im Oktober 2001 in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Sie erhielt zunächst eine Duldung, welche fortlaufend verlängert wurde und am ... erstmals eine bis zum ... befristete Aufenthaltserlaubnis.
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Strafrechtlich trat die Antragstellerin im Bundesgebiet wie folgt in Erscheinung:
7
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 17. August 2009 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
8
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 11. April 2011 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
9
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 29. November 2011 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 35 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
10
- Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 19. Dezember 2011 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung in 16 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.
11
- Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 10. Mai 2012 wurde die Antragstellerin durch nachträgliche Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 11. April 2011, vom 29. November 2011 und vom 19. Dezember 2011 zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 12 Euro verurteilt.
12
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 3. Dezember 2012 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
13
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 18. März 2016 wurde die Antragstellerin wegen Betrugs zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
14
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 21. April 2020 wurde die Antragstellerin wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung in sechs Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.
15
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 16. September 2020 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.
16
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 15. September 2021 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro (mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 11. Oktober 2021 geändert auf 10 Euro) verurteilt.
17
- Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 25. April 2022 wurde die Antragstellerin wegen Leistungserschleichung zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.
18
Nach erfolgtem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin verlängerte diese am 19. Oktober 2006 die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin bis zum 19. Oktober 2009. Eine weitere Verlängerung erfolgte am 20. Oktober 2009 bis zum 17. Oktober 2016.
19
Mit Schreiben vom 22. April 2016 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass strafrechtliche Verurteilungen auch ausländerrechtliche Konsequenzen haben können. Da die Antragstellerin Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen sei und daher eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge besitze, werde zum jetzigen Zeitpunkt von einer Ausweisungsverfügung abgesehen. Sollte die Antragstellerin jedoch erneut (also nach April 2016) strafrechtlich in Erscheinung treten, werde unter Berücksichtigung der bisherigen Verurteilungen eine Ausweisung erneut geprüft. Zudem könne die weitere Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis versagt werden.
20
Am ... beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Am 4. Juli 2017 wurde ihr eine vom 25. August 2016 bis zum 21. März 2022 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt.
21
Am 17. Februar 2022 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf weitere Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und erhielt eine fortlaufend verlängerte Fiktionsbescheinigung. In der Folge wurde unter anderem ein Arbeitsvertrag mit der Firma ... vom ... über ein ab dem ... bestehendes Arbeitsverhältnis (wöchentliche Arbeitszeit: mindestens 15 Stunden) vorgelegt.
22
Mit Schreiben vom ... hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin unter Verweis auf deren letzte Verurteilung durch das Amtsgericht München zu der beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis an.
23
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin äußerte sich mit Schreiben vom 24. Juni 2022 und verwies auf ihren langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie wohne derzeit in einer Einrichtung des evangelischen Beratungsdienstes. Von ihrem Ehemann lebe die Antragstellerin seit dem Jahr 2017 getrennt, sei aber noch nicht geschieden. Die der Antragstellerin zur Last gelegte Straftat finde ihre Erklärung in ihrer prekären finanziellen Situation, die Strafhöhe liege zudem im Bagatellbereich. Dessen ungeachtet liege im Falle der Antragstellerin ein Ausnahmefall vor.
24
Mit Schreiben vom 4. Juli 2022 bestellte sich ein weiterer Bevollmächtigter für die Antragstellerin und führte mit weiterem Schreiben vom 15. September 2022 aus, dass seines Erachtens im Falle der Antragstellerin aufgrund des wiederholten „Schwarzfahrens“ zwar ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gegeben sei, jedoch ein Ausnahmefall vorliege, der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG entgegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG rechtfertige. Zu berücksichtigen seien der Gesundheitszustand der Antragstellerin, ihr langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die aktuelle Diskussion um die Abschaffung des § 265a StGB (Leistungserschleichung). Vorgelegt wurden ein ärztliches Attest des ... vom ... mit der Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1)“ sowie eine undatierte Arbeitsbescheinigung der Firma ..., wonach die Antragstellerin „ab September“ eine Vollzeitstelle erhalten werde.
25
Mit Bescheid vom 14. Februar 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 1), forderte die Antragstellerin auf, das Bundesgebiet bis zum 10. März 2023 zu verlassen (Nr. 2), wies auf die Möglichkeit des Erlasses eines Einreise- und Aufenthaltsverbots bei schuldhafter und erheblicher Überschreitung der Ausreisefrist hin (Nr. 3) und drohte für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung nach Serbien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, an (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
26
Am 10. März 2023 ließ die Antragstellerin durch ihren vormaligen Prozessbevollmächtigten Klage gegen diesen Bescheid erheben (M 27 K 23. …*) und zudem beantragen,
27
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Vollziehung auszusetzen und von der Antragsgegnerin die Zusicherung einzuholen, bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag von Vollzugsmaßnahmen abzusehen.
28
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 AufenthG offenkundig erfüllt seien. Selbst wenn man entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Antragstellerin davon ausgehe, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entgegenstehe, hätte von der Antragsgegnerin geprüft werden müssen, ob nach Ermessen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abzusehen sei, was offenkundig übersehen worden sei.
29
Die Antragsgegnerin legte am 15. März 2023 die Behördenakten vor und beantragte mit Schreiben vom selben Tag,
30
den Antrag abzulehnen.
31
Der Antrag sei bereits unzulässig. Vorrangig sei im vorliegenden Fall ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Die Abschiebung werde bis zu einer Entscheidung über den Antrag im Eilverfahren ausgesetzt.
32
Mit Schreiben vom 17. Juli 2023 zeigte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin deren Vertretung an.
33
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
34
1. Der Antrag ist bereits unzulässig.
35
a) Soweit die Antragstellerin beantragt, von der Antragsgegnerin die Zusicherung einzuholen, bis zu einer Entscheidung über den Eilantrag von Vollzugsmaßnahmen abzusehen, ist ein Rechtsschutzbedürfnis nicht gegeben, da eine solche Zusicherung durch die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 15. März 2023 bereits abgegeben wurde.
36
b) Soweit die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Abschiebung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren begehrt, ist der Antrag unstatthaft. Statthaft wäre diesbezüglich ein Antrag nach § 80 Abs. 5 AufenthG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage, da durch die Antragsablehnung die zuvor durch den rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag entstandene Fiktionswirkung entfallen ist, die bei Erfolg des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz wieder aufleben könnte. Lediglich in den Fällen, in denen der Antrag bei der Ausländerbehörde eine solche Fiktionswirkung nicht auslöst, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO eine Aussetzung der Abschiebung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen zu erstreben (vgl. VGH BW, B.v. 20.9.2018 – 11 S 1973/ 18 – juris Rn. 13).
37
2. Der Antrag wäre im Übrigen auch unbegründet.
38
Ein Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren besteht nicht. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO ist, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
39
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt; ein Anordnungsanspruch ist nicht gegeben. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache glaubhaft gemacht.
40
Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
41
a) Ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, welcher durch eine Verfahrensduldung im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre, ist vorliegend nicht erkennbar.
42
aa) Ein Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist mangels Minderjährigkeit der Kinder der Antragstellerin nicht gegeben.
43
bb) Einem Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG steht § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG entgegen. Hiernach setzt die Verlängerung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht.
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(1) Für das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte. Vielmehr reicht es aus, dass ein Ausweisungsinteresse gleichsam abstrakt – d.h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen – vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 AufenthG normiert ist.
45
Ein Ausweisungsinteresse liegt dann vor, wenn einer der gesetzlich normierten Tatbestände erfüllt und verwertbar ist (vgl. bereits zu dem „Ausweisungsgrund“ nach § 17 Abs. 5 AuslG a.F. BVerwG, U.v. 16.7.2002 – 1 C 8.02 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 22.3.2021 – 10 CS 20.2358 – juris Rn. 23). Ausweisungsgründe dürfen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer ferner nur dann und so lange entgegengehalten werden, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.3.2005 – BVerwG 1 C 26.03 – BVerwGE 123, 114, 121 f. – juris Rn. 21; v. 3.8.2004 – BVerwG 1 C 30.02 – BVerwGE 121, 297, 313 – juris Rn. 41). Aufgrund der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht mehr entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – BVerwG 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325, 339 f. – juris Rn. 39). Ein Vertrauenstatbestand liegt nicht mehr vor, wenn sich seit der Erklärung der Ausländerbehörde die Sach- und Rechtslage geändert hat; vor allem eine erneute Straftat des Ausländers lässt den Vertrauensschutz entfallen, so dass auch frühere Sachverhalte wieder in vollem Umfang berücksichtigt werden können (BayVGH, B.v. 26.5.2023 – 10 ZB 22.2550 – juris Rn. 12).
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(2) Unter Heranziehung dieses Maßstabs liegt im Falle der Antragstellerin ein aktuelles und verwertbares Ausweisungsinteresse vor, welches einer Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG entgegensteht. Dieses Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, da die Antragstellerin einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Sie wurde in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich verurteilt. Einen zurechenbaren Vertrauenstatbestand, der einer Berücksichtigung dieser Verurteilungen entgegenstehen könnte, hat die Antragsgegnerin vorliegend nicht geschaffen. Insbesondere ist in der nochmaligen Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin am 4. Juli 2017 durch die Antragsgegnerin nicht die Schaffung eines solchen Vertrauenstatbestandes zu sehen, da die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 21. April 2016 explizit darauf hingewiesen hat, dass die bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Straftaten im Falle einer erneuten Straffälligkeit der Antragstellerin ausländerrechtlich berücksichtigt würden. Dessen ungeachtet wäre die Voraussetzung eines nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften auch dann erfüllt, wenn man in die Beurteilung lediglich die nach diesem Zeitpunkt verwirklichten Straftaten einbezöge, welche die strafgerichtlichen Verurteilungen der Antragstellerin vom 21. April 2020, vom 16. September 2020, vom 15. September 2021 und vom 25. April 2022 zur Folge hatten. Dass die Antragstellerin in allen diesen vier Fällen wegen Leistungserschleichung gemäß § 265a StGB verurteilt wurde und aktuell rechtspolitisch über Abschaffung oder Beibehaltung dieser Strafrechtsnorm diskutiert wird, ändert am Vorliegen des genannten Ausweisungsinteresses im Falle der Antragstellerin nichts.
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Die strafrechtlichen Verurteilungen der Antragstellerin unterliegen auch keinem Verwertungsverbot nach § 50 Abs. 1 BZRG. Zwar normiert § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG eine fünfjährige Tilgungsfrist, einer Tilgung steht vorliegend jedoch § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG entgegen.
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Es liegt auch kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG rechtfertigen würde. Gründe, ausnahmsweise von der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
49
Schließlich kommt vorliegend auch § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG insoweit nicht zur Anwendung, da es sich bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG gerade nicht mehr um ein Aufenthaltsrecht zum Familiennachzug handelt (VG München, U.v. 19.5.2015 – M 4 K 14.3439 – juris Rn. 51).
50
cc) Ein Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Unabhängig davon, dass auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, liegt nach summarischer Prüfung keine Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen vor, insbesondere wurde mit dem vorgelegten ärztlichen Attest keine derzeit bestehende Unmöglichkeit der Abschiebung und damit eine zur Erteilung einer Duldung führende Reiseunfähigkeit der Antragstellerin entsprechend § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht.
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Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise ergibt sich voraussichtlich auch nicht aus den familiären Bindungen der Antragstellerin im Bundesgebiet. Zwar schützt Art. 6 Abs. 1 GG die Familie als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, zwischen Enkeln und Großeltern oder zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie bestehen können (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.2014 – 1 BvR 2926/13 – juris Rn. 22 f. m.w.N.). Nur dann, wenn ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und sich diese Hilfe nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies jedoch einwanderungspolitische Belange zurückdrängen. Eine derartige Konstellation ist vorliegend nicht erkennbar.
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dd) Die Antragstellerin hat auch keinen sonstigen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, da ihre Abschiebung nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Insbesondere führen die familiären Bindungen der Antragstellerin im Bundesgebiet unter Bezugnahme auf obige Ausführungen vorliegend nicht zu einer Unmöglichkeit ihrer Abschiebung im rechtlichen Sinne.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 8.1 und 8.3 (entsprechend) des Streitwertkatalogs.