Titel:
Keine fiktive Terminsgebühr für Gerichtsbescheid bei vollständigem Obsiegen
Normenkette:
VwGO § 84 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Eine fiktive Terminsgebühr kann nicht bei einem vollständigen Obsiegen angesetzt werden. Die Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 VV RVG) verlangt, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig gestellt werden könnte, was bei vollständigem Obsiegen mangels Beschwer nicht möglich ist. (Rn. 19 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerinnerung (Zurückweisung), Änderungsbeschluss, Gerichtsbescheid, Fiktive Terminsgebühr bei Obsiegen, Terminsgebühr, Kostenerinnerung, vollständiges Obsiegen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25360
Tenor
I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich gegen den Änderungsbeschluss des Verwaltungsgerichts München vom ... mit dem der Kostenfestsetzungsbeschluss vom ... aufgehoben und Aufwendungen ohne Berücksichtigung einer fiktiven Terminsgebühr festgesetzt wurden.
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag der Antragsteller auf Asylanerkennung als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheids). Des Weiteren wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde die Abschiebung nach Griechenland oder in einen anderen Staat, in den die Kläger einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Kläger dürften nicht nach Afghanistan abgeschoben werden (Ziffer 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4 des Bescheids). Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt (Ziffer 5 des Bescheids).
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Mit rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 28. September 2021 hob das Verwaltungsgericht München den Bescheid vom 9. Mai 2019 mit Ausnahme von Ziffer 3 Satz 4 auf und legte die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin auf (M 18 K …
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Auf Antrag der Bevollmächtigten der Antragsteller vom … … … setzte das Verwaltungsgericht mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom … … … die den Antragstellern im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München entstandenen notwendigen Aufwendungen antragsgemäß auf 1.820,70 EUR fest.
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Mit Schreiben vom … … … beantragte die Antragsgegnerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss die Entscheidung des Gerichts, da die festgesetzte fiktive Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG nicht angefallen sei.
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Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung der Antragsgegnerin mit streitgegenständlichem Beschluss vom 27. Oktober 2021 ab, hob den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. Oktober 2021 auf und setzte die zu erstattenden Aufwendungen auf 958,19 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr versehentlich erfolgt sei.
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Die Bevollmächtigten der Antragsteller beantragte am 11. November 2021
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die Entscheidung des Gerichts.
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Zur Begründung wird unter Verweis auf Rechtsprechung ausgeführt, dass eine fiktive Terminsgebühr auch bei Entscheidungen durch Gerichtsbescheid anzusetzen sei.
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Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn mit Schreiben vom … … … dem Gericht zur Entscheidung vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und dem Verfahren M 18 K … Bezug genommen.
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Die Erinnerung hat keinen Erfolg.
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Über die Erinnerung entscheidet das Gericht in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen wurde, hier also durch den Einzelrichter nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
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Die gemäß § 165 Satz 2 VwGO i.V.m. § 151 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Kostenerinnerung gegen die Abhilfeentscheidung der Urkundsbeamtin nach § 151 Satz 1 i.V.m. § 148 Abs. 1 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Die Urkundsbeamtin hat auf die Beschwerde der Antragsgegnerin zu Recht den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. Oktober 2021 aufgehoben und die zu erstattenden Aufwendungen ohne Berücksichtigung einer fiktiven Terminsgebühr festgesetzt.
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Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
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Das Gericht hat vorliegend im zu Grunde liegenden Verfahren M 18 … durch Gerichtsbescheid gemäß § 84 VwGO entschieden und dem Antrag der Kläger vollumfänglich stattgegeben.
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Das Gericht teilt zwar die – wohl auch herrschende – Auffassung der Bevollmächtigten der Antragsteller, dass eine fiktive Terminsgebühr bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht auf die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beschränkt ist (vgl. OVG SH, B.v. 11.10.2022 – 5 KS 8/21 – juris Rn. 4 auch unter Verweis auf die von den Bevollmächtigten in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 2020 – 8 C 18.1889).
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Allerdings geht das Gericht zudem davon aus, dass eine fiktive Terminsgebühr nicht bei einem vollständigen Obsiegen der Partei – wie vorliegend – angesetzt werden kann.
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Diese Frage ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. hierzu ausführlich: OVG SH, B.v. 11.10.2022 – 5 KS 8/21 – juris Rn. 5); auch die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes hierzu differieren. Während die Entscheidung vom 27. Februar 2020 (8 C 18.1889 – juris Rn. 13 ff.) auch in diesen Fällen den Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr für gerechtfertigt hält, wird dies in der Entscheidung vom 9. August 2022 (7 C 22.928 – juris Rn. 9) explizit entgegen der o.g. Entscheidung verneint.
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Zwar ist der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG insoweit offen. Das Gericht folgt jedoch der Ansicht, dass die Voraussetzung der Möglichkeit der Beantragung einer mündlichen Verhandlung (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 VV RVG) nach dem Sinn und Zweck der Regelung (vgl. BT-Drs. 17/11471) verlangt, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig gestellt werden könnte. Dies ist jedoch im vorliegendem Fall mangels Beschwer nicht möglich (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 1 C 15/01 – juris Rn. 10).
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Die Gewährung einer fiktiven Terminsgebühr in Fällen, in denen der Antrag auf mündliche Verhandlung ohne jedes verfahrensrechtliche Erfordernis ausschließlich aus gebührentaktischen Gründen theoretisch möglich erscheint, erachtet das Gericht hingegen als in der Sache verfehlt und nicht gerechtfertigt (vgl. auch OVG SH, B.v. 11.10.2022 – 5 KS 8/21 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 9.8.2022 – 7 C 22.928 – juris Rn. 10 ff.).
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Die Kostenerinnerung war daher zurückzuweisen.
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Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Erinnerungsverfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).