Inhalt

VG München, Beschluss v. 07.09.2023 – M 18 E 23.3156
Titel:

Einstweilige Anordnung, Schulbegleitung als Maßnahme der Eingliederungshilfe, Abdeckung eines Teilbedarfs bei Nichterreichbarkeit anderer Maßnahmen

Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 35a
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Schulbegleitung als Maßnahme der Eingliederungshilfe, Abdeckung eines Teilbedarfs bei Nichterreichbarkeit anderer Maßnahmen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25355

Tenor

I. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, für den Antragsteller vorläufig die Schulbegleitung ab 12. September 2023 für sechs Monate im Umfang von 20,5 Zeitstunden pro Schulwoche zuzüglich einer Stunde pro Schulwoche für zusätzliche Leistungen für den Besuch der Grundschule an der P.-Straße in M. zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Gewährung von Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung.
2
Der am … … … geborene Antragsteller besucht seit September 2022 die Grundschule an der P.-Straße in M. Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern leben getrennt. Der Antragsteller hat einen Zwillingsbruder sowie eine ältere Schwester. Die Kinder leben im wöchentlichen Wechsel bei der Mutter bzw. beim Vater.
3
Mit Bescheid vom 27. Juli 2021 wurde für den Antragsteller und seinen Bruder wohl erstmals Hilfe zur Erziehung in Form von ambulanter sozialpädagogischer Familienhilfe gewährt. Ob diese Hilfe derzeit fortgeführt wird, ergibt sich aus den vorgelegten Behördenakten nicht.
4
Laut schulärztlicher Bescheinigung vom … … … war der Antragsteller nicht in der Lage, am Schulunterricht im vollem Umfang teilzunehmen. Es wurde eine reduzierte Stundenanzahl von zunächst zwei Schulstunden pro Tag ab 15. November 2022 und eine schrittweise Steigerung nach dem Ermessen der Schule nachträglich unbedingt befürwortet. Zur langfristigen Stabilisierung wurde die Installation einer Individualbegleitung dringend empfohlen.
5
Aus einem ärztlichen Attest einer Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin vom … … … geht hervor, dass beim Antragsteller zunehmend eine Entwicklungsverzögerung in vielerlei Hinsicht, die zusätzliche Fördermaßnahmen erforderlich mache, aufgefallen sei. Er werde diesbezüglich kinderpsychiatrisch durch einen Facharzt betreut. Aktuell könne er den verkürzten Schultag gut meistern.
6
Am … … … bat der Vater des Antragstellers telefonisch bei der Antragsgegnerin um Genehmigung einer Schulbegleitung für den Antragsteller. Diese bat mit Schreiben vom … … … zur Bearbeitung des Antrags um Vorlage der letzten zwei Zeugnisse, Nachweise über das Notenbild, Protokolle über Leistungsentwicklungsgespräche sowie einer Stellungnahme der Schule zur Schulbegleitung, außerdem eines Schulfragebogens, einer Schweigepflichtentbindung gegenüber den angegebenen Stellen, einer fachärztlichen Stellungnahme und des Grundantrags.
7
In der schulischen Stellungnahme der Grundschule vom … … … ist auf die Frage, ob der Schüler angemessen beschult ist „kognitiv ja, emotional?“ angegeben. Bei schulinternen Möglichkeiten der Unterstützung ist vermerkt: „nur mit Schulbegleitung gegeben!“. Die Frage, weshalb schulinterne Möglichkeiten der Unterstützung nicht ausreichend seien, wird dahingehend beantwortet, dass keine personellen Ressourcen vorhanden seien und die sozio-emotionale Situation/der psychische Zustand des Kindes zu kritisch sei. Bezüglich der Gründe und Aufgaben der Schulbegleitung wird auf Gutachten und Atteste verwiesen und außerdem genannt: „adäquate Beaufsichtigung, Betreuung und Beschulung ansonsten nicht realisierbar; durchgehende individuelle Beaufsichtigung nötig, Möglichkeit von „Auszeiten“, individuelle Betreuung“. Als Ziele der Schulbegleitung wurden die Regelbeschulbarkeit, Gefährdungsausschluss/-minderung und Verhinderung des Schulausschlusses genannt. Auch bei schulischen Veranstaltungen sei eine durchgehende Begleitung nötig. Der Antragsteller werde durch den MSD nur durch Beobachtung und Beratung betreut. Bezüglich des sonderpädagogischen Förderbedarfs wurde auf das Gutachten des MSD verwiesen und vermerkt: „Betreuung und Begleitung während des gesamten Schul- und Betreuungstags; Individualisierung, Beaufsichtigung; emotionaler Art“.
8
Im Schulfragebogen vom … … … gaben die Lehrkräfte an, insofern sich der Antragsteller konzentrieren könne (i.d.R. 30 bis 45 Min.) zeige er sich bemüht und keine unterdurchschnittlichen Leistungen. Muster und feine Arbeiten würden ihm schwerfallen. Das Schriftbild sei eher unordentlich, werde aber besser. In HSU sei der Antragsteller durchschnittlich. Er sei kognitiv fit, die Leistungen seien jedoch nicht gut feststellbar, da kaum aktive Mitarbeit stattfinde. Bei offenen Arbeitsformen sei kein selbständiges Arbeiten möglich, der Antragsteller erziele in allen Bereichen dann keine Ergebnisse. Bei engmaschiger Betreuung durch die Lehrkraft schaffe es der Antragsteller, seinen Platz recht ordentlich zu halten und sein Material herauszuholen. Er verliere sich zwischendurch immer wieder in Träumereien, finde ohne permanente Aufforderung nicht zurück zum Arbeiten. Die Hausaufgabenerledigung sei wochenabhängig, überwiegend würden die Hausaufgaben vollständig, jedoch nicht immer zuverlässig erledigt. Zur sozialen Entwicklung ist ausgeführt, der Antragsteller sei innerhalb der Klassengemeinschaft insofern angepasst, dass er nicht auffalle, da er i.d.R. kaum mit den Kindern interagiere. Er habe keine/wenig Freunde, spiele alleine, da er sehr auf sich selbst fokussiert sei. Er verliere sich schnell im Spiel mit Kuscheltieren, Stiften, Knete… Bei komplexeren Arbeitsaufträgen trete schnell Überforderung ein. Durch all dies sei es ihm nicht eigenständig möglich, Erfolge zu erzielen, obwohl er kognitiv dazu in der Lage wäre. Als Fördermaßnahmen würden angeboten: Reduzierte Unterrichtsmenge und -stoff im Rahmen der Möglichkeiten, teilweise differenzierte Aufgaben, mehr Zeit für Arbeitsaufträge, räumliche Differenzierung und zeitweise reduzierte Beschulung (November bis Dezember 2022 2 Stunden, seit Januar 2023 4 Stunden). Es lägen keine kognitiven Probleme vor, sondern große Konzentrationsdefizite, es sei kein ganzer Schultag möglich. Kooperation mit den Eltern finde auf vielen Ebenen statt. Der Bruder habe einen eher dominanten und negativen Einfluss, daher würden die Brüder getrennt beschult und würden auch die Pause getrennt verbringen.
9
Am … … … ging das durch die Eltern des Antragstellers ausgefüllte Antragsformular auf Eingliederungshilfe in Form von Kostenübernahme für eine Schulbegleitung bei der Antragsgegnerin ein.
10
Mit Schreiben vom 12. April 2023 forderte die Antragsgegnerin noch die Vorlage des letzten Zeugnisses, einer fachärztlichen Stellungnahme, in der das Vorliegen einer seelischen Behinderung gem. § 35a SGB VIII sowie die Notwendigkeit der Eingliederungshilfe festgestellt wird, und die Einschätzung des MSD zum geeigneten Lern- und Förderort und den sonderpädagogischen Förderbedarf.
11
Ein Gutachten der Facharztpraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. M. vom … … …, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 18. April 2023, benennt als Diagnosen auf Achse I eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.9), Verdacht auf hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) und auf Achse II Verdacht auf expressive Sprachstörung (F80.1) und Verdacht auf rezeptive Sprachentwicklungsstörung (F80.28). Die intellektuelle Leistungsfähigkeit liege im Normbereich (IQ 85-114) (Achse III). Körperliche Erkrankungen lägen nicht vor (Achse IV). Auf Achse V wurden die Codes 1.1; 2.0; 4.1; 5.1; 6.3 und 9.2 genannt. Es bestehe eine ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung in den meisten Bereichen (Achse VI). Zusammenfassend wird ausgeführt, dass angesichts der multiplen und komplexen Problemlage und Symptomatik die bereits angewandte Teilbeschulung mit einer individuellen Anpassung unterstützt werde, um eine gelungene Eingewöhnung in der Schule zu sichern. Der Einsatz einer individuellen Schulbegleitung als weitere „schnelle“ Sofortmaßnahme sei unabdingbar. Darüber hinaus sei es dringlich, den Antragsteller alsbald in einer heilpädagogischen Tagesstätte (HPT) zu fördern und zu betreuen, um ihm einerseits Einzeltherapien (insbesondere Logopädie) zu ermöglichen, andererseits aber auch über die soziale Gruppenerfahrung die notwendige Emotionsregulation und soziale Anpassungsleistung zu fördern. Der Schule werde es obliegen, einen etwaigen Schulwechsel in ein Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung zu forcieren. Da aber dieser sicherlich nicht zeitnah erfolgen könne, würden die Installation der Schulbegleitung und Platzierung in einer HPT im Handlungsvordergrund stehen. Parallel sollte eine umfangreiche Entwicklungsdiagnostik, familienanamnestische Erhebung und zur Abklärung der weiteren Beschulung und Fördermaßnahmen eine teilstationäre kinderpsychiatrische Anmeldung erfolgen, da die ambulanten diagnostischen Mittel nicht ausreichend erscheinen würden. Es werde empfohlen, dass die bereits involvierte ambulante Erziehungshilfe weiterhin in beiden Familiensystemen arbeiten werde, diesbezüglich werde eine Intensivierung empfohlen, sodass eine Fachkraft Arbeit am Kind und die andere Elternarbeit leisten könne. Es werde der Mutter empfohlen, hinsichtlich Auffälligkeiten im expressiven und rezeptiven Sprachgebrauch einen Pädaudiologen aufzusuchen und dies fachärztlich abklären zu lassen. Die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII seien erfüllt.
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Mit Schreiben vom 19. April 2023 forderte die Antragsgegnerin noch die Vorlage des letzten Zeugnisses und der Einschätzung des MSD.
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Am … … … übersandte die Mutter des Antragstellers eine Kopie des Lernentwicklungsgesprächsprotokolls vom … … … und wies darauf hin, dass die Antragsgegnerin den Bericht des MSD mit der Stellungnahme der Schule erhalten habe müsste. Die Schule werde um nochmalige Zusendung gebeten. Außerdem wurde mitgeteilt, es gebe eine potentielle Schulbegleiterin für den Antragsteller, und um Bewilligung gebeten.
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Mit Schreiben vom 2. Mai 2023 forderte die Antragsgegnerin noch die Vorlage der Stellungnahme des MSD, ein kinderpsychiatrisches Attest zum Ausschluss akuter Selbst- und Fremdgefährdung, den ärztlicherseits empfohlenen pädaudiologischen Bericht mit erweiterter AVWS-Diagnostik aufgrund von Auffälligkeiten im Leseerwerb, einen logopädischen Befund mit standardisierten Ergebnissen zu expressiver und rezeptiver Sprache, die Mitteilung, wann mit einem Platz in der Tagesklinik zu rechnen sei, die Antragstellung für einen Platz in der HPT sowie die Mitteilung, welche Person die Schulbegleitung übernehmen solle.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2023, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 9. Juni 2023, teilte der Vater des Antragstellers bzgl. des Schreibens der Antragsgegnerin vom 12. April 2023 mit, er bemühe sich um die Vorlage eines Protokolls eines Lernentwicklungsgesprächs. Bezüglich der Kontaktdaten zum MSD habe er die Schule angeschrieben. Zum Schreiben der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2023 teilte er mit, er sei verwirrt, welche Unterlagen benötigt würden. Er bemühe sich um ein Attest zum Ausschluss von Selbst- und Fremdgefährdung. Ein Termin bei einem Pädaudiologen sei mit sehr viel Vorlauf und langer Wartezeit verbunden und die Umsetzung sei schwierig. Einen Platz in einer Tagesklinik hätte der Antragsteller nicht und es sei fraglich, ob dieser einschneidende Schritt erfolgen solle. Der Antrag für einen HPT-Platz sei gestellt bzw. in Arbeit.
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Am 31. Mai 2023 beantragte die Mutter des Antragstellers beim Verwaltungsgericht München:
17
Für den Antragsteller im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für eine Integrationshelferin (welche noch benannt wird, angestellt durch … …) vom 1.9.2023 im Umfang von maximal 30 Stunden á 60 pro Schulwoche zuzüglich einer Stunde pro Schulwoche für zusätzliche Leistungen in Höhe des laut Entgeltvereinbarung genehmigten Stundensatzes, derzeit 32,48 EUR, während des Besuchs des Unterrichts und der Betreuung in der offenen Ganztagesbetreuung der Grundschule an der P.-Straße in M. zu übernehmen.
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Hilfsweise: Die Antragsgegnerin zu verpflichten, einen Bescheid mit dem Inhalt des genannten Antrags zu erlassen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, es handle sich um eine Sofortmaßnahme und alle relevanten Unterlagen seien vorgelegt bzw. seien ohne Rechtsgrund weitere Unterlagen angefordert worden.
20
Die Antragsgegnerin listete mit Schreiben vom 13. Juni 2023 alle noch fehlenden Unterlagen für eine Bewilligung der Schulbegleitung auf. Es würden bis 14. Juli 2023 benötigt: Ein Protokoll über Leistungsentwicklungsgespräche, die schriftliche Einschätzung/Attest des MSD über den geeigneten/angemessenen Lern- und Förderort sowie zum sonderpädagogischen Förderbedarf, ein kinderpsychiatrisches Attest zum Ausschluss akuter Fremd- und Selbstgefährdung, ein ärztlicherseits empfohlener pädaudiologischer Bericht mit erweiterter AVWS-Diagnostik aufgrund von Auffälligkeiten im Leseerwerb, ein logopädischer Befund mit standardisierten Ergebnissen zu expressiver und rezeptiver Sprache und die Mitteilung, welche Person die Schulbegleitung übernehmen solle. Es wurde mitgeteilt, der Antrag auf HPT werde bearbeitet.
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Am 14. Juni 2023 legte der Vater des Antragstellers der Antragsgegnerin ein Attest der Praxis Dr. M. vom … … … vor, aus dem sich ergibt, dass zuletzt im Januar/Februar 2023 eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung habe ausgeschlossen werden können. Zum aktuellen Zeitpunkt könne keine Stellung bezogen werden.
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Die psychologische Stellungnahme vom … … … des psychologischen Fachdienstes der Antragsgegnerin trägt zusammenfassend vor, dass aufgrund fehlender elterlicher Mitwirkung keine abschließende Diagnostik und Verlaufsinformation zur bisherigen Maßnahme vorlägen und daher eine psychologische Empfehlung nicht möglich sei. Grundvoraussetzung der Schulbegleitung sei die Angemessenheit der Beschulung. Ein Defizit der Beschulung könne schlimmstenfalls das Störungsbild weiter festigen.
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Nach gerichtlichem Hinweis, stimmte der Vater des Antragstellers am 19. Juli 2023 der Antragstellung bei Gericht zu und teilte mit, er unterstütze das von der Kindsmutter geführte Verfahren.
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Am 28. Juli 2023 beantragte die Antragsgegnerin,
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den Eilantrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, eine Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben. Die Bewilligung der Schulbegleitung könne nicht erfolgen, da die Eltern bei der Vorlage der notwendigen Unterlagen nicht ausreichend mitgewirkt hätten. Die Schulbegleitung sei aus aktueller Sicht nicht ausreichend und daher nicht geeignet. Ein Wechsel an eine Förderschule sei zu favorisieren. Die Hilfeplanung für einen HPT-Besuch sei abgeschlossen und es stünde ein Platz zur Verfügung. Der Bedarf an Schulbegleitung vormittags könne letztlich mit Blick auf das Kindeswohl im Sinne einer Krisenintervention befristet umgesetzt werden, wenn die Eltern auch in nächster Zeit nicht umfassend mitwirken würden. Es solle jedoch mindestens die Rückmeldung der Schule zur Einschätzung von Qualifikation, Aufgabenfestlegung und Stundenumfang abgewartet werden.
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Mit Schriftsatz vom … … … nahm die Mutter des Antragstellers Stellung und forderte die Antragsgegnerin dringend auf, die Schulbegleitung zu bewilligen. Ein Schulwechsel sei ohnehin nicht mehr möglich. Die Schule sei gebeten worden, die Fragen der Antragsgegnerin zu beantworten. Es sei im notwendigen Umfang mitgewirkt worden. Weitere Diagnostiken seien irrelevant. Die Logopädie sei nach Aussage der Logopädin abgeschlossen.
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Am 17. August 2023 nahm die Antragsgegnerin hierzu Stellung und übermittelte Bewilligungsbescheide vom 8. August 2023 für den HPT-Besuch an fünf Tagen wöchentlich für die Zeit vom 4. September 2023 (frühestens jedoch ab Eintrittstag) bis 31. August 2025. Es wurde auf eine Stellungnahme des psychologischen Fachdienstes verwiesen, aus der sich im Wesentlichen ergibt, dass insbesondere eine fundierte Diagnostik des sprachlichen Leistungsvermögens und des Hörvermögens dringlich sei. Anderenfalls könne die nicht bedarfsgerecht ausgestaltete Schulbegleitung den Antragsteller nicht ohne Schaden unterstützen. Sollte sich der Verdacht auf eine Sprach- und/oder Hörstörung bestätigen, benötige der Antragsteller im Regelschulbetrieb eine pädagogische Fachkraft idealerweise mit Erfahrung in kommunikativen Hilfen. Ein Wechsel in eine Förderschule werde praktisch kaum möglich sein. Umso wichtiger erscheine es, den Antragsteller bei der Fehlbeschulung mit einer fundierten Hilfe am Vormittag zu begleiten, die derzeit aber nicht ermittelt werden könne. Eine „wenigstens etwas“-Hilfe werde nicht verantwortet und empfohlen.
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Zusammen mit der Stellungnahme vom … … … wurde die schulische Stellungnahme vom … … …, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 9. August 2023, vorgelegt. Die Frage, ob der Antragsteller ausgemessen beschult werde, wird mit „nein evtl. E-Schule?“ und „Förderbedarf sozial-emotionale Entwicklung“ beantwortet. Alle schulinternen Möglichkeiten der Unterstützung seien bereits installiert und ausgeschöpft. Trotz andauernder, permanenter Betreuung durch die Lehrkraft sei kein Arbeiten/keine Bewältigung des Schulalltags möglich. Als Gründe für die Notwendigkeit einer Schulbegleitung und als Aufgaben einer Schulbegleitung ist angegeben: „Hilfe bei der Bewältigung des Schulalltags, insbesondere Unterstützung bei Organisation des Arbeitsplatzes, seiner Materialien und während Arbeitsphasen, um in einer Regelklasse unterrichtet werden zu können! Starke Strukturierungshilfen nötig; durch Klassenleitung nicht gegeben“. Als Ziele, die durch den Einsatz der Schulbegleitung erreicht werden sollen, werden genannt: Eingliederung in den Schulalltag, Strukturierung der Arbeitsprozesse am Platz, Aufbau eines positiven Selbstkonzepts, Einhaltung des sozialen Ordnungsrahmens; Gewährleistung der Beschulung; bestmögliche Förderung. Der Betreuungsbedarf wird mit 23 Zeitstunden (25 Unterrichtsstunden und sonstige Zeiten) angegeben. Die Begleitung während schulischer Veranstaltungen sollte je nach Bedarf und emotionalem Zustand stattfinden. Der Antragsteller werde nicht vom MSD betreut, da dies nicht zielführend und möglich sei. Zum sonderpädagogischen Förderbedarf wird auf die Unterlagen und Gutachten verwiesen. Die Einschätzung des MSD richte sich laut Schulleitung auf eine dringende Empfehlung der Schulbegleitung.
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Ebenfalls mit der Stellungnahme vom … … … vorgelegt wurde der Schulfragebogen vom … … … Dort wird mitgeteilt, der Antragsteller sei begabt, aber aufgrund seines starken sozial-emotionalen Förderbedarfs nicht in der Lage, am Unterricht aktiv teilzunehmen und entsprechende Leistungen zu erbringen. Als besondere Schwierigkeiten und Auffälligkeiten werden „s-Laute“ sowie grammatikalisch unvollständige Sätze und unklare Aussprache genannt. Zum Arbeits- und Leistungsverhalten wird angegeben, es gebe keinerlei selbständige Organisation und Strukturierung sämtlicher Lern- und Arbeitsabläufe. Wenn der Antragsteller in der Lage sei, und bei Interesse (selten) sei kurzzeitige Konzentration möglich, ansonsten gebe es keinerlei Konzentrationsleistung. Die Hausaufgabenerledigung erfolge selten und unvollständig. Bezüglich des Sozialverhaltens wird mitgeteilt, der Antragsteller sei nicht selbständig integriert, werde aber von der Klassengemeinschaft akzeptiert. Er suche überwiegend die Nähe zur Lehrkraft. Er nehme kaum am Schulalltag teil, verweigere sich oft und sei lethargisch. Als Fördermaßnahmen würden verkürzte Beschulung und Anpassung des zeitlichen Rahmens für Arbeiten angeboten. Als Besonderheit wird ein Trennungskonflikt der Eltern angeführt. Der MSD sei beratend tätig gewesen.
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Mit der Stellungnahme vom … … wurde außerdem das Jahreszeugnis des Antragstellers für das Schuljahr 2022/2023 vorgelegt sowie eine Bestätigung des sonderpädagogischen Förderzentrums Süd vom 20. Juni 2023, aus dem hervorgeht, dass im Rahmen des MSD Unterrichtsbeobachtungen und Gespräche mit den beteiligten Lehrkräften stattgefunden hätten. Die Beobachtungen und Informationen hätten die dringende Notwendigkeit einer schulbegleitenden Maßnahme ergeben.
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Mit undatiertem Schriftsatz, eingegangen bei Gericht am 21. August 2023 erklärte die Mutter des Antragstellers den Antrag bezüglich der Schulbegleitung, die nach dem Regelunterricht erfolgen sollte, für erledigt, hielt den Antrag bezüglich der Schulbegleitung für den Vormittag/Regelunterricht aufrecht und nahm im Übrigen erneut Stellung. Die nicht vorliegende Hördiagnostik ändere nichts an der Notwendigkeit der Schulbegleitung. Die Schwierigkeiten des Antragstellers bestünden im sozial-emotionalen Bereich, sodass es auf Lernberichte nicht ankomme. Bezüglich des MSD-Berichts sei mehrfach vorgetragen worden, dass die Familie des Antragstellers diesen nicht habe. Dieser sei auch irrelevant, nachdem der Antragsteller durch das Gesundheitsamt ausführlicher untersucht worden sei und das Gesundheitsamt der Ansicht sei, er solle in der Regelschule verbleiben.
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Mit Schriftsatz vom 31. August 2023 stimmte die Antragsgegnerin der teilweisen Erledigungserklärung zu.
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Mit Beschluss vom 6. September 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
35
Zum Sachverhalt im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte – auch im Verfahren des Bruders des Antragstellers M 18 E … – Bezug genommen.
II.
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Das Verfahren war, soweit es die begehrte Nachmittagsbetreuung betrifft, auf Grund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen einzustellen.
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Im Übrigen ist der Antrag zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Soweit auch eine Verpflichtung zur Bewilligung für den Zeitraum vom 1. bis 11. September sowie über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus begehrt wurde, war der Antrag abzulehnen.
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Der Antrag war gemäß § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, ihm zeitlich unbefristet Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten Integrationshelferin im Umfang von 20,5 Zeitstunden pro Schulwoche zuzüglich einer Zeitstunde pro Schulwoche für zusätzliche Leistungen zu bewilligen. Da die Mutter des Antragstellers mit Schriftsatz vom 21. August 2023 erklärte, bezüglich des Stundenumfangs sei der Antrag (noch) auf die Schulbegleitung für den Vormittag/Regelunterricht gerichtet, geht das Gericht insoweit zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass der verbleibende Antrag auf einen Umfang von 20,5 Zeitstunden zuzüglich einer Zeitstunde pro Schulwoche für zusätzliche Leistungen gerichtet ist. Denn laut Stundentafel in Anlage 1 zur Schulordnung für die Grundschulen in Bayern vom 11. September 2008 beträgt die Schulstundenzahl in der zweiten Jahrgangsstufe 24. Zuzüglich einer Vor- und Nachviertelstunde täglich ergeben sich 20,5 Zeitstunden.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4). Insbesondere bei zeitlich gebundenen Begehren bleibt nur die Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. zu allem: Happ in Eyermann, VwGO, Kommentar, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a bis 66c m.w.N.).
41
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsteller hat sowohl einen zeitlich beschränkten Anordnungsanspruch ab Beginn des Schuljahres 2023/2024 als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
42
Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form eines Schulbegleiters nach § 35a SGB VIII für zunächst sechs Monate wurde glaubhaft gemacht.
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Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
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1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und 45
45
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
46
Der Antragsteller gehört angesichts der eindeutigen Feststellungen im fachärztlichen Gutachten der Praxis Dr. M. vom … … … zu dem von § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII erfassten Personenkreis. Dies dürfte zwischen den Beteiligten unstreitig sein.
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Nachdem die Antragsgegnerin die HPT mit Bescheid vom 8. August 2023 bewilligt hat und in den dortigen Gründen angegeben hat, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 35a SGB VIII vorlägen, ist ebenfalls unstreitig, dass eine sog. Teilhabebeeinträchtigung i.S.v. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII vorliegt. Auch das Gericht hat hieran keine Zweifel.
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Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und mehrerer Fachkräfte, welche nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern nur eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation enthalten muss, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist damit gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.). Will ein Betroffener – wie hier der Antragsteller – die Verpflichtung des Trägers der Jugendhilfe zur Durchführung einer bestimmten Hilfemaßnahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erwirken, muss er im Hinblick auf den in den Grenzen der sozialpädagogischen Fachlichkeit bestehenden Beurteilungsspielraum des Jugendamtes darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet ist, mithin fachlich vertretbar ist (BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 31 m.w.N.)
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Eine Schulbegleitung erscheint entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin aktuell auch als einzig geeignete und erforderliche Hilfemaßnahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, um dem Antragsteller die Bewältigung des Schulalltags zu ermöglichen.
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Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX insbesondere auch Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Zu diesen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Gewährung einer Schulbegleitung (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 6).
51
Das Gericht erachtet die Entscheidung des Jugendamts des Antragsgegners, die begehrte Hilfe in Form der Schulbegleitung abzulehnen, für fachlich nicht vertretbar. Der Antragsteller hat vielmehr glaubhaft gemacht, dass sich der Beurteilungsspielraum des Antragsgegners – jedenfalls für sechs Monate – dahingehend verdichtet hat, dass allein die begehrte Hilfemaßnahme die derzeit geeignete und erforderliche Maßnahme zur Deckung des Bedarfs des Antragstellers ist.
52
Neben dem Einsatz einer Schulbegleitung sind zum aktuellen Zeitpunkt keine besser- oder auch nur gleichgeeigneten Hilfemaßnahmen ersichtlich. Dies stellt die Antragsgegnerin selbst zuletzt in der Stellungnahme vom … … … mit den Worten „Umso wichtiger scheint es, die Kinder bei Fehlbeschulung mit einer fundierten Hilfe am Vormittag zu begleiten.“ letztlich nicht in Abrede. Dass daneben womöglich eine Förderschule die geeignetere Schulform wäre oder weiterführende Diagnostik zu anderen geeigneten Hilfen bzw. zur genaueren Spezifizierung der Qualifikation und Aufgabenfestlegung der Schulbegleitung führen würden, ändert daran nichts.
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Der von Seiten des psychologischen Fachdienstes der Antragsgegnerin favorisierte Wechsel in die Förderschule kann derzeit nicht erfolgen. Einerseits tragen die Eltern des Antragstellers dazu nicht bei, andererseits hat auch die Grundschule keine schulrechtlichen Schritte zur Umschulung eingeleitet, sondern sich vielmehr für den Einsatz einer Schulbegleitung ausgesprochen. Es bleibt daher aus im vorliegenden Verfahren nicht änderbaren Gründen bis auf Weiteres bei der Pflicht des Antragstellers zum Besuch der Grundschule. Alle beteiligten Fachstellen, wie insbesondere die Grundschule, die psychiatrische Praxis Dr. M. sowie das Gesundheitsamt haben sich für Notwendigkeit und Geeignetheit einer Schulbegleitung ausgesprochen.
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Die Beklagte verkennt in ihrer Argumentation, dass ihrer Ansicht nach eine weitere Diagnostik und folglich womöglich andere Maßnahmen für den Bedarf des Antragstellers vorrangig seien, dass durch die Jugendhilfe zwar, wenn möglich, der Gesamtbedarf abgedeckt werden soll und daher alle von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick nehmen sind. Allerdings kann Hilfe auch nur einen Teilbedarf abdecken, z.B. wenn bestimmte Hilfen von den Leistungsempfängern nicht angenommen werden. Eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn diese Hilfe die Hilfe in anderen Bereichen erschweren oder vereiteln würde („nachteilige Wechselwirkungen“) (siehe hierzu die grundlegende Entscheidung des BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris). Sofern die vom Jugendamt präferierte Hilfe aufgrund fehlender Mitwirkung derzeit nicht erreichbar ist, ist die beantragte Hilfe dann als die aktuell einzig mögliche anzusehen. Andernfalls würde dem Hilfebedürftigen eine verfügbare und auch offenkundig nicht kontraproduktive Hilfe unter Hinweis auf eine aktuell nicht mögliche Hilfe versagt werden. Dies ist mit der grundsätzlichen Zielrichtung der Jugendhilfe unvereinbar (BayVGH, U.v. 24.10.22 – 12 CE 22.2022 – juris Rn. 19).
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Die Antragsgegnerin hat nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass die Gewährung der Schulbegleitung die Hilfe in anderen Bereichen oder die ihrer Meinung nach eigentlich geeigneten Hilfen vereiteln oder erschweren würde. Insbesondere die Umschulung in die möglicherweise geeignetere Förderschule ist und bleibt weiterhin möglich, ebenso die nach weiterer Diagnostik möglicherweise passgenauere Ausgestaltung der Schulbegleitung. Dass die Schulbegleitung gar schädlich für den Antragsteller sein könnte, da sie eine mögliche Überforderung des Antragstellers maskieren könnte, wird nur in den Raum gestellt und nicht weiter ausgeführt. Insbesondere wird nicht die Frage beantwortet, welche Schäden den Antragsteller treffen könnten, wenn er nun ganz ohne Schulbegleitung weiter in die Regelschule gehen muss. Insofern dürfte eine „wenigstens etwas“-Hilfe dürfte hier doch vorzugswürdig gegenüber gar keiner Hilfe sein.
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Angesichts des komplexen Krankheitsbildes des Antragstellers wird sich zeigen, ob dieser mit unterstützenden Maßnahmen dauerhaft in der Lage sein wird, im Schulalltag mit all seinen Anforderungen zu bestehen. Da sich die Eltern des Antragstellers bislang gegen den Besuch einer Förderschule entschieden haben und auch die Grundschule keine weiteren ggf. auch zwangsweisen Schritte zur Umschulung des Antragstellers unternommen hat (vgl. Art. 41 Abs. 6 BayEUG), sind im Lichte des Art. 24 der UN-Behindertenkonvention alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Antragsteller den Besuch der Regelschule zu ermöglichen und so eine erfolgreiche Bildung und schulische Entwicklung mittels eines inklusiven Unterrichts zu gewährleisten.
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Das Gericht erachtet im Rahmen der Verpflichtung nach § 123 VwGO die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung der begehrten Hilfen über einen Zeitraum von sechs Monaten ab Schulbeginn am 12. September 2023 als sachgerecht. Wie und bis wann der zukünftige, wohl auch langfristige Bedarf des Antragstellers durch möglicherweise erforderliche weitere Diagnostik und Unterlagen festgestellt ist, ist offen. Die Praxis Dr. M. hat eine teilstationäre kinderpsychiatrische Anmeldung zur weiteren Diagnostik empfohlen, die bislang nicht ansatzweise in die Wege geleitet wurde bzw. fraglich ist, ob sie überhaupt zeitnah eingeleitet wird. Auch ist davon auszugehen, dass ein Wechsel an eine Förderschule bzw. das möglicherweise erforderliche schulrechtliche Verfahren gemäß Art. 41 Abs. 6 BayEUG einigen zeitlichen Vorlauf benötigen wird. Des Weiteren dürfte die Durchführung eines ordnungsgemäßen Hilfeplanverfahrens durch die Antragsgegnerin, wozu insbesondere auch ein persönliches Gespräch mit den Beteiligten und ggf. eine Kontaktaufnahme und Einbeziehung weiterer Beteiligter erforderlich ist (vgl. zum Hilfeplanverfahren allgemein: VG München, U.v. 7.7.2021 – M 18 K 18.2218 – juris Rn. 97 ff.) erforderlich sein und zusätzlichen Zeitaufwand bedeuten. Das Gericht erlaubt sich insoweit jedoch bereits in vorliegendem Verfahren den Hinweis, dass die Bewilligung einer Jugendhilfeleistung auch die Mitwirkung der Beteiligten (§ 60 SGB I) voraussetzt, so dass es nicht der Antragstellerseite obliegt zu entscheiden, welche Unterlagen für das Verfahren benötigt werden. Angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs erscheint eine Klärung der komplexen Sachlage vor dem Ablauf von sechs Monaten nicht realistisch. Umgekehrt wurde aber auch kein über den Umfang von sechs Monaten hinausgehender Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Angesichts der nicht vollständigen Diagnostik spricht einiges dafür, dass die Schulbegleitung nicht ohne Weiteres die zukünftige alleinig geeignete Maßnahme darstellt. Der Vortrag der Antragstellerseite setzt dem nichts Ausreichendes entgegen. Zudem kann bereits denklogisch eine Schulbegleitung nicht für den Zeitraum vor den tatsächlichen Unterrichtsbeginn zum 12. September 2023 erfolgen, so dass der Antrag auch insoweit abzulehnen war.
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Für den genannten Zeitraum ist zudem ein Anordnungsgrund anzunehmen. Die (teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache war aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes geboten. Dem Antragsteller drohen möglicherweise schwerwiegende Nachteile, sollte er die Grundschule ohne Schulbegleitung besuchen. Eine rückwirkende Erbringung der Hilfemaßnahme kommt dahingehend nicht in Betracht, sodass eine Wiedergutmachung ausscheidet.
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Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des eingestellten Teils, der ca. 1/3 des insgesamt Beantragten entspricht, auf § 161 Abs. 2 VwGO, wonach unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden ist. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten gegeneinander aufzuheben, da die Erfolgsaussichten bezüglich des ursprünglich begehrten Anspruchs auf Schulbegleitung während der Nachmitttagsbetreuung offen erscheinen.
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Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.