Inhalt

FG München, Urteil v. 20.07.2023 – 5 K 1966/19
Titel:

Rechtmäßigkeit der Zurechnung von Prostitutionsumsätzen

Normenketten:
AO § 147, § 158
UStG § 22 Abs. 2 Nr. 1 S. 1
Schlagworte:
Steuerbevollmächtigter, Einspruchsentscheidung, Umsatzsteuerbescheid, Umsatzsteuererklärung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25325

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Zurechnung von Prostitutionsumsätzen sowie der Zuschätzung aufgrund von Buchführungsmängeln.
2
Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der mit Gesellschaftsvertrag vom … gegründeten Klägerin sind der Betrieb einer Internetplattform bzw. Internetportale, Groß- und Einzelhandel mit Hard- und Software sowie der Elektrohandel. Zu einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Klägerin waren in den Streitjahren B sowie C bestellt. Dem Ehegatten der B, A, war in den Streitjahren Einzelprokura für die Klägerin übertragen.
3
Satzungsgemäßer Gegenstand des Unternehmens der ebenfalls mit Gesellschaftsvertrag vom gegründeten ... GmbH ist die gewerbliche Zimmervermietung, insbesondere in dem Etablissement ... Einzelvertretungsberechtigte Gesellschafter-Geschäftsführerin der ... GmbH war in den Streitjahren B; A war in den Streitjahren Einzelprokura übertragen.
4
Für die Besteuerungszeiträume bis einschließlich 30. September 2009 hatte die ... GmbH die in den Bordellen X, L (jeweils in ..) sowie V (in) von Prostituierten als Subunternehmerinnen erzielten Umsätze erklärt.
5
Aufgrund einer vom damaligen Vertreter der ... GmbH, Steuerberater, vorgeschlagenen Gestaltung sollten die Vermietung an die und die Werbung für die Prostituierten voneinander getrennt werden. Für die Besteuerungszeiträume ab dem 1. Oktober 2009 erklärte deshalb die ... GmbH Umsätze aus der Vermietung von Zimmern in den vorgenannten Bordellen an dort tätige Prostituierte, während die Klägerin Umsätze aus der Überlassung der Telefon- und EDV-Anlage sowie der Werbetätigkeit für diese Prostituierten erklärte.
6
Im gleichlautenden Impressum der Internetseiten der Bordelle X, L und V wurde die Klägerin in den Streitjahren unter „Betriebsname“ mit ihrer Firma genannt sowie ihre Adresse, Kontaktdaten, Geschäftsführerin, Handelsregisternummer und Gerichtsstand aufgeführt, während der Prokurist der Klägerin als „Inhaltlich verantwortlich“ genannt wurde. Auf diesen Internetseiten, die miteinander verlinkt waren, wurden die jeweils in den einzelnen Bordellen tagesaktuell anwesenden Prostituierten mit Namen und Foto vorgestellt; auf der Seite der X wurde mit dem Hinweis auf V geworben: „Besuchen SIE uns auch in !“; auf der Seite der L befand sich der Hinweis: „Besuche auch die X in !!!“. Außerdem gab es auf den Internetseiten aller Bordelle Vorschaukalender, in den zukünftig anwesende Prostituierte beworben wurden (Bl. 69 ff. ErmA Bd. I). Weder auf den Websites noch in Bordellen gab es den Hinweis, dass die Leistungen durch die Prostituierten selbst erbracht würden.
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Die Klägerin schloss mit den Prostituierten Dienstverträge (vgl. Bl. 1187 ff. der ErmA Band III), in denen sie den Damen gestattete, vorhandene EDV- und Telefonanlagen zu nutzen, und sich verpflichtete, Werbemaßnahmen durchzuführen. Dafür sollte die Klägerin ein Entgelt erhalten, das vom Umsatz der Prostituierten abhing.
8
Alle Flure und Hauseingänge in allen Bordellen waren kameraüberwacht; die Kameraüberwachung wurde live über das Internet zum Wohnhaus des A geleitet. Anhand der gespeicherten Filme überprüfte dieser die Anzahl und Aufenthaltszeiten der Kunden bei den Damen, um so eine Kontrolle über die von den Damen gemachten Umsatzangaben ausüben zu können.
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In ihren eingereichten Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre, denen der Beklagte (das Finanzamt -FA-) zustimmte, errechnete die Klägerin ihre Umsatzsteuer mit dem negativen Betrag von € (2009) sowie den Beträgen von € (2010), € (2011), € (2012), € (2013) und € (2014).
10
Am 9. Oktober 2014 durchsuchten Beamte der Steuerfahndungsstelle des FA die Wohnräume des Ehepaars A und B in sowie die Räume der Bordelle „X“, L und V. Am 16. Oktober 2014 gab die Steuerfahndungsstelle des FA der Geschäftsführerin der Klägerin die Erweiterung des bereits anderweitig eingeleiteten Steuerstrafverfahrens auf Steuerhinterziehung zugunsten der Klägerin betreffend Umsatzsteuer 2009 bis Juli 2014 bekannt.
11
Im Anschluss an die Steuerfahndungsprüfung (steuerlicher Bericht vom 3. Juni 2016, strafrechtlicher Ermittlungsbericht bezüglich A sowie B vom 3. Juni 2016) setzte das FA die Umsatzsteuer für die Streitjahre mit nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden vom 26. August 2016 auf die Beträge von € (2009), € (2010), € (2011), € (2012), € (2013) sowie € (2014) fest und erhöhte hierbei die Umsätze zum Regelsteuersatz.
12
Zur Begründung verwies das FA auf den Prüfungsbericht. Im steuerlichen sowie im strafrechtlichen Ermittlungsbericht, jeweils vom 3. Juni 2016 hatte die Steuerfahndungsstelle angeführt, dass die ... GmbH für die Besteuerungszeiträume ab dem 1. Oktober 2009 Mieteinnahmen in Höhe eines Anteils von 22% (betreffend X und V) bzw. 30% (betreffend L) an den von den Prostituierten dort erzielten Umsätze erklärt habe, während die Klägerin Werbeeinnahmen in Höhe eines Anteils von 18% (betreffend X und V) bzw. 20% (betreffend L) an den von den Prostituierten dort erzielten Umsätzen erklärt hätte. Aufgrund des äußeren Eindrucks der Bordelle seien der Klägerin und der ... GmbH die von Prostituierten in den vorgenannten Bordellen erwirtschafteten Umsätze als Betreibergesellschaften dieser Bordelle in voller Höhe zuzurechnen. Zudem sei zu diesen Umsätzen eine Zuschätzung in Höhe von 20% vorzunehmen, da die Klägerin ihre Umsätze nicht vollständig aufgezeichnet habe. Die Steuerfahndung hatte festgestellt, dass die Prostituierten in von A vorgefertigten und mit anonymisierten Namen sowie mit Datum versehenen Excel-Tabellenstreifen ihre täglichen Umsätze aus ihren sexuellen Dienstleistungen im Einzelnen mit Angabe zur Uhrzeit eintragen und den jeweiligen Hausdamen übergeben mussten, die diese Aufzeichnungen gesammelt an den Prokuristen weiterzuleiten hatten. Die Steuerfahndung führte aus, diese Aufzeichnungen habe A vernichtet. Die von der Klägerin erklärten Umsätze lägen zu 30% unter aufgefundenen Umsatzaufzeichnungen der Prostituierten selbst.
13
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein.
14
Mit Beschluss vom 13. April 2017 (Az.: 3 V 2793/16) setzte das erkennende Gericht die Vollziehung der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide für die Dauer des Einspruchsverfahrens aus.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2019 wies das FA den eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
17
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung zum Teil sehr pauschal und damit nicht nachvollziehbar seien; zudem habe das FA die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide nicht ausreichend begründet. So seien die im Zuge der Steuerfahndungsprüfung festgestellten Tatsachen im Fahndungsbericht nicht vollständig und richtig dargestellt worden, vielmehr habe das FA lediglich das Ergebnis der Zurechnung der Prostituiertenumsätze und der Zuschätzungen dargestellt, aber nicht begründet. Dieser Begründungsmangel sei auch nicht in der Einspruchsentscheidung geheilt worden. Das FA habe der Klägerin zu Unrecht die Prostitutionsumsätze zugerechnet, denn es fehle bereits an der erforderlichen Einzelfallbetrachtung. Die Ausführungen im strafrechtlichen Bericht bezögen sich lediglich pauschal auf „die Bordelle“, ohne dass zwischen den verschiedenen Häusern und Gesellschaften (... GmbH, Klägerin, GmbH und GmbH) unterschieden werde. Aus Sicht der Kunden seien weder die ... GmbH noch sie selbst als Leistungserbringerin aufgetreten, dies ergebe sich schon aus dem äußeren Erscheinungsbild der Häuser. Zudem sei von außen nicht erkennbar, dass es sich um Bordelle oder Clubs handele. Die Häuser seien auch im Innenbereich nicht als Club ausgestaltet gewesen; Kunden hätten keinen Eintritt zahlen müssen, es hätten kein Barbereich, keine Türsteher oder Kellner, keine Sauna oder Whirlpool, kein Kontaktbereich und keine Kleiderordnung existiert. In der X und der L habe es keine Hausdame gegeben; die Zahlung der Kunden sei stets unmittelbar an die Damen erfolgt. Es habe auch keine festen Preise und verbindlichen Preislisten gegeben; die Damen hätten sich selbst im Rahmen der „Preislisten“ unverbindliche Richtwerte gegeben, um Dumpingpreise oder Flat-Rate-Preise zu vermeiden. Die Damen seien auch nicht frei austauschbar gewesen, da sie nicht für den Geschlechtsverkehr jeweils ein beliebiges Zimmer genutzt hätten, vielmehr seien die Zimmer den Damen über einen längeren Zeitraum fest zugewiesen worden. Als wesentliches Argument für die Zurechnung der Umsätze an die Klägerin nenne der strafrechtliche Bericht den Internetauftritt und die Werbung in den und für die Häuser; auch hierbei unterscheide die Steuerfahndung jedoch nicht zwischen den einzelnen Häusern. Zwar werte die Rechtsprechung die Werbung durch den Inhaber des Betriebs als Indiz dafür, dass dem Betreiber die Umsätze des Bordellbetriebs zuzurechnen seien; im Streitfall würden jedoch Vermietung und Werbung strikt voneinander getrennt. Die „Hochrechnung“ der Umsätze auch bei der Klägerin, die nicht die Zimmer an die Damen vermiete, sondern lediglich Telefon etc. zur Verfügung gestellt habe, sei deshalb ausgeschlossen. Auch die Hinzuschätzung von 20% der erklärten Einnahmen sei dem Grunde und der Höhe nach rechtswidrig. Denn die – unterstellt vorliegende – Aufzeichnung der Tageseinnahmen durch Prostituierte auf Excel-Tabellenstreifen sei ausreichend, da keine Pflicht zur Aufzeichnung und Aufbewahrung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls und jeder Ursprungsaufzeichnung bestehe. Zudem sei neben den Excel-Tabellen ein elektronisches Kassenbuch geführt worden, in dem die Umsätze täglich aufgezeichnet und fortgeschrieben worden seien. Selbst – unterstellt vorliegende – Differenzen zwischen den Aufzeichnungen des A und den Aufzeichnungen der im Z tätigen Prostituierten im Mai 2009 rechtfertigten keine Hinzuschätzung bei der Klägerin. Davon abgesehen habe das FA seine Auswertung der privaten Aufzeichnungen von Prostituierten nicht vorgelegt, weshalb nicht überprüft werden könne, ob die Ermittlung der angeblichen Abweichung zu den in den Excel-Tabellen erfassten Werten in Höhe von 30% zutreffend sei. Zudem habe die Klägerin bereits skizziert, dass eine Vielzahl der Prostituierten die Verantwortlichen der Gesellschaften über die tatsächlichen Umstände getäuscht und falsche Zahlen vorgelegt hätten und dadurch einen Teil der angeblichen Mehrerlöse vereinnahmt hätten. Die Häuser erweckten von außen den Eindruck eines normalen Wohn- bzw. Gewerbegebäudes. Auch die Unterstellung des FA, wonach den Besuchern der Homepage suggeriert worden sei, dass die Klägerin der verantwortliche Unternehmer der drei Häuser sei, sei durch die Zeugenaussagen in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung widerlegt. So habe der Zeuge 1 ausgesagt, dass er davon ausgehe, dass sich die Damen eingemietet hätten; wer dahinterstehe, wisse er nicht. Der Zeuge 2 habe nicht einmal gewusst, ob es eine Homepage für das Haus selbst gebe. Er habe sich auf der Homepage „Ladys.de“ an den Fotos der Damen orientiert; die Damen seien Ansprechpartner für ihn gewesen. Auch die Auffassung des FA, wonach die Gesellschaften ausschließlich dazu gedient hätten, die im Bordellbetrieb erwirtschafteten Einnahmen i.H.v. 40% der Gesamteinnahmen willkürlich auf erdachte Leistungserbringer gegenüber den Prostituierten aufzuteilen, um letztlich vor der Finanzbehörde nicht als einheitlicher Leistungserbringer gegenüber dem Bordellbesucher zu erscheinen, widerspreche den Erkenntnissen aus dem Strafverfahren. Sofern das FA meine, dass hinter „allen oben benannten Bordellen“ letztlich A als „treibende, organisatorische und als geschäftsführende Kraft“, quasi als „Seele“ des Unternehmens stehe, widerspreche es seiner eigenen Argumentation, wonach die Umsätze der Klägerin zuzurechnen seien. Nach diesen Ausführungen sei A vorliegend Leistungserbringer, was allerdings nach Auffassung des FA ausscheide, da die Umsatzsteuerbescheide nicht ihm gegenüber ergangen seien. Wenn es sich nach Auffassung des FA lediglich um „erdachte Leistungserbringer“ handeln solle und A „nach außen im wirtschaftlichen Verkehr Pseudonyme (Team X, Team V, Team L)“ genutzt haben solle, sei umso mehr fraglich, warum die Umsätze der Klägerin zugerechnet werden sollten. Diese Ausführungen entlarvten, dass die Finanzverwaltung selbst nicht wisse, wer die Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbracht haben solle. Jedenfalls der Klägerin könnten die Leistungen nicht zugeordnet werden, da Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ausweislich der Gründungsurkunde der Betrieb einer Internetplattform/Internetportal und der Groß- und Einzelhandel mit Hard- und Software sowie der Elektrohandel sei. Bei Negierung einer reinen Zimmervermietung könne die „Hochrechnung“ der Umsätze nur auf Ebene der Gesellschaft gelingen, die schon dem Unternehmenszweck nach auf Zimmervermietung angelegt sei; dies sei bei der Klägerin gerade nicht der Fall. Auf die im Raum stehende Frage, ob nicht vielmehr eine aus beiden Kapitalgesellschaften bestehende weitere Gesellschaft als leistende Unternehmerin anzusehen sei, gehe die Stellungnahme des FA überhaupt nicht ein.
18
Im Übrigen wird auf die von der Klägerin eingereichten Schriftsätze verwiesen.
19
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2014, jeweils vom 26. August 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2019 aufzuheben.
20
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
21
Das FA bezieht sich zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend dazu vor, dass sämtliche in den Bordellbetrieben X, L und V erbrachten sexuellen Dienstleistungen bei der Klägerin sowie der ... GmbH als Betreibergesellschaften der Umsatzversteuerung zu unterwerfen seien und die vom Prokuristen der Klägerin für die steuerliche Verbuchung verfassten und an die steuerliche Beraterin der Klägerin weitergeleiteten Einnahmeaufzeichnungen unvollständig und unrichtig seien. Nach der zum 1. Oktober 2009 erfolgten Umstrukturierung der betrieblichen Organisation und damit prozentualen Aufspaltung der Umsätze auf die Klägerin sowie die ... GmbH seien nur mehr lediglich 40% (bzw. 50%) der Prostitutionsumsätze als Erlöse aus Zimmerüberlassung bzw. Werbeeinnahmen erklärt worden und wegen Mängeln der Buchführung seien Zuschätzungen von weiteren 20% vorzunehmen. Anlässlich der in den Räumen der og. Bordelle durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen seien vom Prokuristen der Klägerin vorgefertigte Tabellenstreifen aufgefunden worden, in denen die in diesen Bordellen tätigen Prostituierten ihre Tagesumsätze unter Uhrzeitangabe einzutragen gehabt hätten; diese seien dann zusammen mit dem auf die Klägerin entfallenden Anteil an den Prostitutionserlösen täglich an die jeweilige Hausdame weiterzuleiten gewesen. Die jeweilige Hausdame habe sodann diese Einzelangaben in eine Gesamttabelle einzutragen und an den Prokuristen der Klägerin weiterzuleiten gehabt. Diese tabellarischen Einnahmestreifen (Grundaufzeichnungen) habe der Prokurist der Klägerin -mit Ausnahme der am Durchsuchungstag vorgefundenenjeweils vernichtet, so dass die Einnahmen nicht nachvollziehbar seien und damit die gesamte Kassenführung wegen fehlender Ordnungsmäßigkeit zu verwerfen sei. Zudem seien im Wohnhaus des Prokuristen der Klägerin handschriftliche Aufzeichnungen der im Jahr 2009 in dem für die ... GmbH zusätzlich angemieteten – nicht Gegenstand des streitgegenständlich Verfahrens darstellenden – Bordell Z tätigen Prostituierten aufgefunden worden, woraus sich Differenzen zu den verbuchten Werten in Höhe von 50% ergäben. Weitere Indizien dafür, dass er bewusst die Einnahmen der Bordelle nur verkürzt habe erklären wollen, ergäben sich aus den erheblichen Fehlbeträgen bei der Bargeldverkehrsrechnung. Der Prokurist der Klägerin habe im Laufe des gesamten Ermittlungsverfahrens wiederholt eingeräumt, dass er selbst der faktische Geschäftsführer aller Gesellschaften sei. Die Vernehmungsprotokolle der Prostituierten seien den bisherigen Verteidigern bzw. Beratern durch die umfangreiche Akteneinsicht übersandt worden. Die Bordelle L und X in … ähnelten in ihrer Gestaltung und Aufmachung sogenannten Laufhäusern. Der Kunde betrete das Gebäude und werde nicht durch eine Hausdame empfangen. Er könne von Türe zu Türe gehen und anhand der bildlichen Darstellungen und Beschreibungen prüfen, ob die abgebildete Dame seinen Erwartungen entsprechen könne. An jeder Türe könne er klingeln, wenn außen der Hinweis angebracht sei, dass die Dame „frei“ sei. Das Haus X sei bereits in den Hausfluren erotisch dekorativ gehalten und weise im Eingangsbereich durch eine große Schautafel auf die derzeit im Haus tätigen Prostituierten hin. Das Bordell V in … entspreche eher einem klassischen Bordellbetrieb. Wie sich aus der Vernehmung der dort tätigen Prostituierten durch Beamte der Steuerfahndungsstelle des FA ergebe, werde der Kunde hier durch die Hausdame empfangen und die Prostituierten würden ihm persönlich vorgestellt; den Damen sei auch kein festes Zimmer zugewiesen (Bl. 899, 900 ErmA Bd. 3). Im Bordell V gebe es auch einen Whirlpool und die Kunden könnten Getränke zu sich nehmen. In allen übrigen Bereichen wie Werbung, Abrechnung, Einstellung, Ansprechpartner, fixe Preisvorgaben, Zimmerausstattung usw. gebe es zwischen den vorgenannten 3 Bordellbetrieben nahezu keine Unterschiede. Dass die anlässlich der Durchsuchung von der Steuerfahndung befragten Damen mit den Firmen ... GmbH, GmbH“, ..GmbH“ und ..GmbH“ in Geschäftsbeziehung gestanden haben sollen, hätten die befragten Damen nicht gewusst. Die Gesellschaften hätten ausschließlich dazu gedient, die im Bordellbetrieb erwirtschafteten Einnahmen in Höhe von 40% der Gesamteinnahmen (ohne Einnahmen für Extras) willkürlich auf erdachte Leistungserbringer gegenüber den Prostituierten (Vermietungsleistung durch die ... GmbH, Werbeleistung durch die Klägerin) aufzuteilen, um letztendlich vor der Finanzbehörde nicht als einheitlicher Leistungserbringer gegenüber den Bordellbesuchern zu erscheinen. Erst im Rahmen der Verbuchung der von den Damen erhaltenen Grundaufzeichnungen (= Excel-Tabellenstreifen) habe A eine willkürliche prozentuale Aufteilung der vereinnahmten Beträge auf die beiden Gesellschaften vorgenommen. Hinter allen oben benannten Bordellen stehe letztlich er als treibende organisatorische und geschäftsführende Kraft, quasi als „Seele“ des Unternehmens. Er habe durch das Konstrukt dieser Gesellschaften und der von ihm nach außen im wirtschaftlichen Verkehr benutzten Pseudonyme (Team X, Team V, Team L) einen Weg gewählt, um der Finanzbehörde vorzutäuschen, dass es gar keinen Betreiber dieser Bordelle als Erbringer der sexuellen Dienstleistungen am Kunden gäbe. Bei der Dursuchung des Wohnhauses des Ehepaares habe der Prüfer handschriftlich verfasste Einnahmeaufzeichnungen der im Bordell Z tätigen Damen für den Monat Mai 2009 vorgefunden, die A wohl versehentlich nicht wie die übrigen Grundaufzeichnungen vernichtet habe; ein Vergleich dieser handschriftlichen Aufzeichnungen mit den hierzu von ihm vorgenommenen steuerlichen Aufzeichnungen habe eine durchschnittliche Differenz von 53% ergeben. Gerade durch diesen Fund sei belegt, dass er in Kenntnis der durch die Hausdamen bzw. Prostituierten handschriftlich verfassten Einnahmeaufzeichnungen dennoch um ca. 50% niedrigere Einnahmen zur steuerlichen Anmeldung bzw. Erklärung erfasst habe. Da die aufgefundenen Unterlagen aber nicht die Klägerin, sondern die ... GmbH betroffen hätten, sei der Differenzbetrag nicht als Zuschätzungsgrundlage herangezogen worden. Die Zuschätzungen seien erfolgt, weil er seinen Belegaufbewahrungspflichten gemäß § 147 AO nicht nachgekommen sei, indem er seine Grundaufzeichnungen in Form der von den Prostituierten erhaltenen Excel-Tabellenstreifen mit den jeweiligen Umsatzzahlen aus den sexuellen Dienstleistungen vernichtet habe. Der von der Klägerin im Einspruchsverfahren vorgelegte interne handschriftliche Kurzvermerk des Steuerfahndungsprüfers datiere auf den 27. April 2005, also fast 10 Jahre vor dem Beginn der strafrechtlichen Maßnahmen. In der Durchsuchungsnacht hätten in den Bordellen natürlich nur aktuelle Aufzeichnungen von Prostituierten aufgefunden werden können, die nicht für die Umsätze aller Bordelle und Jahre repräsentativ sein könnten. Aus sämtlichen Vernehmungsprotokollen gehe eindeutig hervor, dass die Preise „vom Haus“ oder dem „Chef A“ vorgegeben worden seien und sich die Damen auch daran zu halten gehabt hätten. Wenn im Rahmen der strafrechtlichen Hauptverhandlung von einigen Damen die damals gemachten Angaben ganz oder teilweise revidiert hätten, sei zu beachten, dass die Damen zu A in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis stünden. Die Damen seien in den Bordellbetrieben subunternehmerisch für den Bordellbetreiber tätig gewesen und somit als eigenständige Unternehmer verpflichtet, die eigenen Umsätze durch entsprechende Abgabe von Steuererklärungen zu deklarieren.
22
Im Übrigen wird auf die vom FA eingereichten Schriftsätze verwiesen.
23
Mit Beschluss vom 29. Oktober 2019 stellte das Amtsgericht das gegen B und A geführte Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung (Az.:) gem. § 153 a Strafprozessordnung (StPO) gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt € … ein.
24
Mit Beschluss vom 11. August 2022 hat das erkennende Gericht die Akten des beim Amtsgericht Augsburg gegen A u.a. wegen Steuerhinterziehung geführten Strafverfahrens (Az.:) zum vorliegenden Verfahren beigezogen.
25
Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
26
Die Klage ist unbegründet.
27
1. Die Umsätze aus den sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten sind der Klägerin zuzurechnen.
28
a) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Diese Vorschrift beruht auf Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach Umsätze aus Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegen.
29
Für die Zurechnung von in einem Bordell erbrachten Prostitutionsumsätzen gelten die allgemeinen Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob eine Leistung dem unmittelbar Handelnden oder dem Unternehmer, in dessen Unternehmen er eingegliedert ist, zuzurechnen ist. Es kommt darauf an, ob der Unternehmer nach den nach außen erkennbaren Gesamtumständen aufgrund von Organisationsleistungen selbst derjenige ist, der durch die Anwerbung von Prostituierten und deren Unterbringung das Bordell betreibt. Dabei kann maßgebend sein, ob der Unternehmer z.B. in seiner Werbung als Inhaber eines Bordells oder eines bordellähnlichen Betriebs als Erbringer sämtlicher vom Kunden erwarteten Dienstleistungen einschließlich der Verschaffung von Geschlechtsverkehr aufgetreten ist. Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist deshalb in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 27. September 2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127, Rz 13, 14 m.w.N.; vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 5. Mai 2022 1 StR 475/21, UR 2022, 794, Rz 12, 13). Entscheidend ist das Auftreten nach außen (BFH-Urteil vom 4. Februar 2015 XI R 14/14, BStBl II 2015, 908, Rz 19). Bei dieser Beurteilung kann auch der Frage, ob beziehungsweise inwieweit die Prostituierte in den Bordellbetrieb eingegliedert ist, Bedeutung zukommen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Mai 2016 VII R 50/14, BStBl II 2016, 730; BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 V R 37/08, BStBl II 2009, 873; vom 11. November 2015 V R 3/15, MwStR 2016, 496; BGH-Beschluss in UR 2022, 794, Rz 13). Hierbei sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2011 XI B 50/11, BFH/NV 2012, 810).
30
b) Im Streitfall sind die von den Prostituierten höchstpersönlich erbrachten sexuellen Dienstleistungen nach Würdigung und Abwägung aller Gesamtumstände der nach außen als Betreiberin der Bordelle X, L und V auftretenden Klägerin zuzurechnen.
31
aa) Für eine Zurechnung sprechen maßgeblich die Internetauftritte der Bordelle. Diese erweckten den Eindruck, dass die Klägerin selbst Anbieterin der sexuellen Dienstleistungen war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 127, Rz 18). Auf den Websites wurde die Klägerin jeweils im Impressum unter „Betriebsname“ mit ihrer Firma genannt und ihre wesentlichen Betriebsdaten aufgeführt, so dass der Eindruck entsteht, sie sei die Betreiberin. A wird dort lediglich als „Inhaltlich verantwortlich“ genannt, erscheint also nur als derjenige, der die Texte erstellt hat (vgl. § 55 Abs. 2 des in den Streitjahren gültigen Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien). Die Klägerin warb auf ihren gleichartig aufgebauten und untereinander verlinkten Websites mit der Anwesenheit von jeweils mehreren Prostituierten in den vorgenannten, mit einem einheitlichen Namen versehenen Bordellen und gab hierbei auch an, wann welche Prostituierte in welchem Bordell, bei der X sogar in welchem Zimmer, anzutreffen sei. Die Verweise auf der Website der X („Besuchen SIE uns auch in “) und der … („Besuche auch die X in !!!“) erwecken bei dem Besucher den Eindruck, dass es einen einheitlichen Betreiber gibt. Verstärkt wird dies durch die auf der Website der X verwendeten Pronomina „Unsere“ und „uns“. Auf der Website der X warb die Klägerin sogar damit, dass „Unsere Girls“ einen „TOP-SERVICE“ böten (Bl. 74 ErmA Bd. I). Dies hat nahegelegt, dass die Prostituierten aus Sicht der Freier austauschbar erschienen, unabhängig davon, ob das tatsächlich der Fall war. Demgegenüber ist nicht von entscheidender Bedeutung, dass einzelne Prostituierte nach dem Vortrag der Klägerin, den das Gericht als wahr unterstellt, selbst für die Werbung verantwortlich waren, weil dies das Werben der Klägerin für die in ihren Bordellen tätigen Prostituierten nicht in Frage stellt.
32
Zudem konnten die Freier auf Fragebögen bzw. Websites der Klägerin ihre Zufriedenheit mit ihrem Aufenthalt mitteilen, wodurch der Eindruck vermittelt wurde, dass die Möglichkeit von Reklamationen über die Leistungen der Prostituierten bestand (vgl. Bewertungsfragebogen des Bordells V, Bl. 897, 1178 ErmA Bd. III sowie die interne Bewertungsübersicht, Bl. 1213 ErmA Bd. III; vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 127, Rz 18).
33
Ferner waren die Flure und Hauseingänge kameraüberwacht und die Livebilder wurden zum Wohnsitz des A übertragen, so dass die Klägerin ständig die Vorgänge in den Bordellen überwachen konnte.
34
bb) Für eine Zurechnung spricht auch, dass die Klägerin nach ihren mit den Prostituierten getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarungen (vgl. § 4 Tz. 1 des „Dienstvertrags“, Bl. 1187, 1196, 1204 ErmA Bd. III) über die von den Prostituierten zu zahlenden, umsatzabhängigen Entgelte für Werbung direkt an deren Umsätzen beteiligt war (vgl. BGH-Beschluss in UR 2022, 794, Rz 14). Demgegenüber war allerdings kein Wettbewerbsverbot mit den Damen vereinbart. Nach dem BGH-Beschluss in UR 2022, 794, Rz 19 macht dies die selbständige Leistungserbringung durch die Prostituierten in einem Fall deutlich, bei dem durch Hinweise auf der Website und auf Aushängen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Verträge für die sexuellen Dienstleistungen mit der jeweiligen Prostituierten abgeschlossen würden. Im Streitfall gab es jedoch solche Hinweise nicht, so dass ein fehlendes Wettbewerbsverbot der Zurechnung an die Klägerin nicht entgegensteht.
35
cc) Für eine Zurechnung spricht zudem, dass die -über ihre Websites nach außen auftretendeKlägerin den Freiern aus deren Sicht ein organisatorisches Gesamtarrangement zur Verfügung stellte, das der Ermöglichung des Bezugs von sexuellen Dienstleistungen diente und sie als Betreiberin der drei oben genannten Bordelle erscheinen ließ. So entstand bei den Besuchern der Websites durch die Werbung für die gerade in dem jeweiligen Bordell tätigen Prostituierten der Eindruck, dass die Anwesenheit mehrerer Prostituierten sichergestellt sei. Das gilt unabhängig davon, dass es – wovon das Gericht zu Gunsten der Klägerin ausgeht – keine festen Arbeitszeiten gab, weil es dabei auf die Sicht der Besucher ankommt, welche die internen Absprachen nicht kennen. Dafür spricht auch, dass die Freier die im Bordell V aufgefundene Preisliste (Bl. 1174 ErmA Bd. III) sowie die auf der Website des Bordells L präsentierte Preisliste (Bl. 71 ErmA Bd. III) als einheitliche Vorgabe der Klägerin als Bordellbetreiberin verstehen durften, auch wenn sie gegenüber den Prostituierten nach dem Vortrag der Klägerin, den das Gericht als wahr unterstellt, nur Richtwerte waren. Zu den zurechnungsbegründenden Organisationsleistungen der Klägerin gehört auch, dass sie den Prostituierten ausweislich der Regelung in § 1 Nr. 1 des „Dienstvertrags“ (Bl. 1187 ErmA Bd. III) die Nutzung der Telefon- und EDV-Anlage in den von der ... GmbH angemieteten Räumen zur Verfügung stellte. Als wahr unterstellt werden kann der klägerische Vortrag, wonach es keine Kleiderordnung, keinen Barbereich und keine Verhaltensregeln gegeben habe, denn für eine Zurechnung bestehen auch ohne die vorgenannten Kriterien ausreichende Anhaltspunkte (s.o.).
36
dd) Einer Zurechnung steht auch nicht entgegen, dass nach den zivilrechtlichen Vereinbarungen (vgl. Bl. 1189, 1198, 1207 ErmA Bd. III) nicht die Klägerin, sondern die – gegenüber den Freiern nicht auftretende – ... GmbH den Prostituierten ihre Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat, denn aus Sicht der Freier trat nur die Klägerin über die Websites nach außen auf.
37
ee) Weiterhin steht der Zurechnung nicht entgegen, dass die Prostituierten mit den Freiern verhandelt und den Freierlohn vereinnahmt haben, da die Freier hieraus in Anbetracht der oben geschilderten Gesamtumstände nicht den Schluss ziehen, dass eine Leistungsbeziehung zu den einzelnen Prostituierten und nicht zur Klägerin bestand (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Januar 2008, V B 201/06, BFH/NV 2008, 827, Rz 12). Entscheidend ist, ob Steuerschulden aus einer Tätigkeit des Unternehmers herrühren und nicht, wer die Entgelte vereinnahmt hat (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848). Hierfür spricht zudem auch der der Vorschrift des § 56 des Handelsgesetzbuches zugrunde liegende Rechtsgedanke, wonach zu „Empfangnahmen“, die in einem Laden oder Warenlager gewöhnlich geschehen, als ermächtigt gilt, wer in einem Laden oder in einem offenen Warenlager angestellt ist. Die Tatsache, dass die Prostituierten als Subunternehmerinnen tätig wurden, steht einer Zurechnung der sexuellen Dienstleistung an die Klägerin nicht entgegen (vgl. BFH-Beschluss vom 2. Juli 2017 V B 48/16, BFH/NV 2017, 629, Rz 7).
38
ff) Schließlich ist unerheblich, dass Gegenstand des Unternehmens der Klägerin der Betrieb einer Internetplattform/Internetportale, der Groß- und Einzelhandel mit Hard- und Software sowie der Elektrohandel ist, weil es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung auf ihre tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ankommt.
39
c) Die Leistungen der Prostituierten sind vollständig der Klägerin zuzurechnen. Gegenüber den Freiern trat nämlich ausschließlich sie im Rahmen der Websites auf. Damit scheidet als Leistende die ... GmbH aus. Die Prostitutionsleistungen sind auch nicht von einem Zusammenschluss aus der Klägerin und der ... GmbH ausgeführt worden. Maßgeblich für die Zurechnung von Leistungen an Zusammenschlüsse ist ebenfalls das Auftreten nach außen (BFH-Urteil vom 27. Mai 1982 V R 110/81, V R 111/81, BStBl II 1982, 678 für den Leistungsempfang; Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – vom 16. September 2020 C-312/19, Valstybinė mokesčių inspekcija, Mehrwertsteuer-Recht – MwStR – 2020, 974, Rn 40 ff.; vom 16. März 2023, DGRFP Cluj, C-519/21, MwStR 2023, 296, Rn 70 ff.).
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2. Auch die vom FA vorgenommene Schätzung der Prostitutionsumsätze ist nicht zu beanstanden.
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a) Das FA war zur Schätzung der Prostitutionsumsätze befugt.
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aa) Das FA ist gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO u.a. dann zur Vornahme einer Schätzung befugt, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen, die der Steuerpflichtige nach den Steuergesetzen zu führen hat, der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, zur Feststellung der Steuer und der Grundlagen ihrer Berechnung Aufzeichnungen zu machen. Aus den Aufzeichnungen müssen gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG die vereinbarten Entgelte für die vom Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen zu ersehen sein.
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bb) Im Streitfall durfte das FA die Prostitutionsumsätze schätzen, da die Klägerin – aus ihrer Sicht konsequenterweise – keine Aufzeichnungen über die von den Prostituierten getätigten und ihr zuzurechnenden (s.o.) Umsätze geführt hat. Gründet die Schätzungsbefugnis – wie im Streitfall – darauf, dass der Steuerpflichtige keine Unterlagen vorlegen kann (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO), so ist es unerheblich, warum er sie nicht vorlegen kann, namentlich, ob ihn hieran ein Verschulden trifft (BFH-Urteil vom 27. September 2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127 m.w.N.). Zwar hat sich die Klägerin nach den Feststellungen des FA von den Prostituierten täglich Excel-Tabellenvordrucke geben lassen, in denen handschriftlich für jeden Freier Uhrzeit und Honorar einzutragen waren (vgl. S. 40 des strafrechtlichen Ermittlungsberichts vom 3. Juni 2016) und die dann von der jeweiligen Hausdame in eine Gesamttabelle (vgl. S. 41 des strafrechtlichen Ermittlungsberichts vom 3. Juni 2016) übertragen wurde; diese Grundaufzeichnungen hat die Klägerin jedoch zeitnah vernichtet. Ob die Klägerin – wie sie vorträgt – ein elektronisches Kassenbuch geführt habe, ist wegen der fehlenden Grundaufzeichnungen unerheblich.
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b) Auch die Höhe der zugeschätzten Umsätze (ohne Zuschlag von 20%) begegnet keinen Bedenken.
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aa) Umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erzielten Umsätze ist gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG das Entgelt, das die Freier für die von der Klägerin erbrachten Leistungen aufgewendet haben. Dazu zählen auch die von den Prostituierten erbrachten Leistungen, da sie – wie oben ausgeführt – von der Klägerin an die Freier erbracht worden sind, unabhängig davon, ob das Entgelt hierfür unmittelbar von den Prostituierten oder der GmbH vereinnahmt wurde (s.o.).
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bb) Das FA hat die Prostitutionsumsätze errechnet, indem es die von den Prostituierten an die Klägerin für Werbung und an die ... GmbH für Vermietung geleisteten und von diesen beiden Gesellschaften erklärten Zahlungen hochgerechnet hat. Hierbei konnte das FA von dem, den Prostituierten vorgegebenen Aufteilungsschlüssel (40% Anteil bei den Bordellen X und V bzw. 50% Anteil beim Bordell L; vgl. Anlage 4 zum steuerlichen Bericht vom 3. Juni 2016) ausgehen.
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c) Ob das FA zu Recht einen Zuschlag zur Schätzung in Höhe von 20% vorgenommen hat, kann im Streitfall offenbleiben. Denn der Klägerin als alleiniger Leistungserbringerin nach außen wären alle Prostitutionsumsätze zuzurechnen und damit auch die vom FA der ... GmbH zugerechneten Prostitutionsumsätze. Hieraus ergäben sich Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von … € (2009), … € (2010), … € (2011), … € (2012), … € (2013) sowie … € (2014). Daraus resultierte eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von … € (2009), … € (2010), … € (2011), … € (2012), … € (2013) sowie … € (2014) und damit eine höhere Steuer als vom FA mit den streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheiden festgesetzt. Da das Gericht die Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Einspruchsentscheidung nicht verschlechtern darf (BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 I R 57/90, BFH/NV 1992, 200), war die Klage abzuweisen.
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Deswegen ist auch unerheblich, ob – wie die Klägerin vorbringt – eine Vielzahl der Prostituierten die Verantwortlichen der Gesellschaften über die tatsächlichen Umstände getäuscht und falsche Zahlen vorgelegt und damit einen Teil der angeblichen Mehrerlöse vereinnahmt haben, mithin über die tatsächlichen Einnahmen getäuscht haben. Außerdem hätte dies zur Folge, dass die der Klägerin zuzurechnenden Umsätze sogar noch höher wären als die von ihr erklärten und vom FA hochgerechneten Umsätze.
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3. Den von der Klägerin gestellten Beweisanträgen war nicht nachzukommen, weil das Gericht die zu beweisenden Tatsachen als wahr unterstellte (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Februar 2013 XI B 117/11, BFH/NV 2013, 981 m.w.N.; vgl. II.1.b der Gründe), sie für die Entscheidung unerheblich waren (vgl. II.1.b der Gründe) oder die angegebenen Beweisthemen keine Tatsachen, sondern rechtliche Wertungen sind.
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Das Gericht kann auf eine beantragte Beweiserhebung verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist (BFH-Beschluss vom 14. März 2018 IV B 46/17, BFH/NV 2018, 728, Rz 14, m.w.N.).
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a) Insbesondere unterstellte das Gericht als wahr, dass es keine Kleiderordnung, keinen Barbereich, keine Verhaltensregeln und keine festen Arbeitszeiten gegeben hat sowie dass die aufgefundenen Listen über Preise nur Richtwerte waren, von denen die Prostituierten abweichen konnten (vgl. II.1.b.cc. der Gründe). Ferner nahm das Gericht an, dass Prostituierte selbst für die Werbung verantwortlich waren, und dass das äußere Erscheinungsbild der Häuser, in denen sich die Bordelle befanden, den Eindruck eines normalen Wohn- bzw. Gewerbegebäudes erweckte (vgl. II.1.b.cc. der Gründe).
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b) U.a. unerheblich für die rechtliche Beurteilung des Streitfalles ist, ob Prostituierte zur Abgabe von Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für 2010 aufgefordert und teilweise Strafverfahren wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung 2014 eingeleitet worden sind. Zudem ist nicht von Bedeutung, dass Gegenstand der Klägerin nach ihrer Gründungsurkunde der Betrieb einer Internetplattform/Internetportale, der Groß- und Einzelhandel mit Hard- und Software sowie der Elektrohandel ist (II.1.b.ff der Gründe). Das Gleiche gilt für das Vorbringen der Klägerin, dass sie neben Excel-Tabellen ein elektronisches Kassenbuch führte (II.2.a.bb der Gründe) und dass eine Vielzahl der Prostituierten die Verantwortlichen der Gesellschaften über die tatsächlichen Umstände getäuscht und falsche Zahlen vorgelegt hätten und damit einen Teil der angeblichen Mehrerlöse vereinnahmt hätten, mithin über die tatsächlichen Einnahmen getäuscht hätten (II.2.c der Gründe). Darüber hinaus ist nicht erheblich, ob die Damen tatsächlich nicht frei austauschbar gewesen sind, da die Zimmer über einen längeren Zeitraum an sie vermietet worden sind (II.1.b.aa der Gründe). Ob die Steuerfahndung im Vorfeld des Strafverfahrens in einem Aktenvermerk die Ansicht vertrat, dass die Aufzeichnungen der Klägerin ordnungsgemäß seien, ist für die rechtliche Beurteilung durch das Gericht nicht entscheidungserheblich.
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c) Ob die Klägerin als leistende Unternehmerin aufgetreten ist, ob für die Kunden die jeweiligen Dame Leistungserbringerin waren, ob der Klägerin die Leistungen der Prostituierten „zuzuordnen“ sind und ob die Umsätze der Prostituierten nicht der Klägerin, sondern allenfalls einer aus der X und der Klägerin bestehenden GbR zuzurechnen seien, da diese beiden Kapitalgesellschaften als gemeinsame Organisation nach außen aufgetreten seien, sind rechtliche Beurteilungen, die das Gericht vorzunehmen hat und keine einem Beweis zugänglichen Tatsachen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Januar 2008 V B 201/06, BFH/NV 2008, 827). Im Übrigen kommt es für die rechtliche Beurteilung der Leistungsbeziehungen nicht auf die Wahrnehmung einzelner Personen an, sondern die Sichtweise eines typisierten Freiers.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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5. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert im Hinblick auf den BGH-Beschluss in UR 2022, 794.