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FG München, Urteil v. 03.08.2023 – 12 V 1055/23
Titel:

Formell ordnungsmäßige Buchführung - Übertragung von Werten auf das nächste Kalenderjahr

Normenketten:
FGO § 69 Abs. 2 S. 2
AO § 93 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, § 158
Leitsätze:
1. Die Übertragung der ermittelten Werte aus einer Kalkulation für ein repräsentatives Jahr auf ein anderes Jahr ist nur zulässig, sofern in der Betriebsstruktur keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind.
2. In einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ausgewiesene Gewinne können auch durch die Ergebnisse einer Nachkalkulation erschüttert werden.
Schlagworte:
Minderung, Obdachlosigkeit, Gewinn und Verlustrechnung, Betriebsstruktur, wesentlichen Änderung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25323

Tenor

1. Die Bescheide vom 1. Februar 2023 über die Umsatzsteuer für 2016 bis 2018 werden für 2016 in Höhe von 18.481,00 €, für 2017 in Höhe von 24.336,00 € und für 2018 in Höhe von 21.771,00 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung ausgesetzt.
2. Die Bescheide vom 1. Februar 2023 über die Gewerbesteuermessbeträge für 2016 bis 2018 werden für 2016 in Höhe von 4.277 €, für 2017 in Höhe von 5.782 € und für 2018 in Höhe von 4.739 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung ausgesetzt.
3. Die Bescheide vom 1. Februar 2023 über die Einkommensteuer 2016 bis 2018 werden für 2016 in Höhe von 28.093 €, für 2017 in Höhe von 41.071 € und für 2018 in Höhe von 31.225 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung ausgesetzt.
4. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
5. Die Kosten des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag tragen der Antragsteller zu 11% und der Antragsgegner zu 89%. Die Kosten des Verfahrens betreffend Einkommensteuer trägt der Antragsgegner.

Tatbestand

I.
1
Der Antragsteller betreibt seit dem 1. April 2016 das Restaurant […] als Einzelunternehmer und erzielt daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seinen Gewinn ermittelt er durch Betriebsvermögensvergleich. Die Antragsteller werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.
2
Der Antragsgegner, das Finanzamt, führte beim Antragsteller in der Zeit vom 6. April 2021 bis 2. Dezember 2022 eine steuerliche Außenprüfung durch. Der Betriebsprüfer vertrat – neben anderen hier nicht streitigen Punkten – die Auffassung, dass die Gewinne aus Gewerbebetrieb von Antragsteller nicht vollständig erklärt worden seien. Aufgrund einer für das Jahr 2017 durchgeführten Ausbeutekalkulation der Getränke ermittelte der Betriebsprüfer eine Differenz zwischen dem erklärten Gewinn und dem Kalkulationsergebnis (Betriebsprüfungsbericht vom 2. Dezember 2022, Tz. C.1.5.d). Aufgrund der Kalkulation ergebe sich für das Jahr 2017 ein kalkulatorischer Umsatz in Höhe von 556.381 €. In der Gewinn- und Verlustrechnung sei jedoch nur ein Umsatz in Höhe von 391.159 € erklärt worden. Die Kalkulationsdifferenz betrage demgemäß 165.222 €. Diese Kalkulationsdifferenz würde in Höhe von 58.798 € auf Umsätze zu 7% und in Höhe von 106.423 € auf Umsätze zu 19% entfallen. Aus der Kalkulation für 2017 ergebe sich ein Rohgewinnaufschlagsatz in Höhe von 392,01%. Ausgehend von diesem Rohgewinnaufschlagsatz seien auch die Umsätze für die Jahre 2016 und 2018 neu zu kalkulieren. Für 2016 würde sich eine Kalkulationsdifferenz in Höhe von 122.310 € und für 2018 eine Kalkulationsdifferenz in Höhe von 138.711 € ergeben. Ausgehend von dieser Kalkulation erhöhte der Betriebsprüfer deshalb die Entnahmen und zwar für 2016 um 140.701 €, für 2017 um 189.557 € und für 2018 um 160.482 € (Betriebsprüfungsbericht, Tz. C.1.5.d). Neben weiteren – hier nicht streitigen Änderungen – wurden die Gewinne aus Gewerbebetrieb des Antragstellers als Einzelunternehmer vom Betriebsprüfer für 2016 um 135.918 €, für 2017 um 177.221 € und für 2018 um 153.014 € erhöht. Außerdem erhöhte der Betriebsprüfer entsprechend die Lieferungen und Leistungen zur Umsatzsteuer zu 19% und 7%. Das Finanzamt folgte in den Änderungsbescheiden vom 1. Februar 2023 zur Einkommensteuer 2016 bis 2018, zum Gewerbesteuermessbetrag 2016 bis 2018 und zur Umsatzsteuer 2016 bis 2018 der Auffassung des Betriebsprüfers im Betriebsprüfungsbericht vom 2. Dezember 2022.
3
Mit ihren dagegen gerichteten Einsprüchen trugen die Antragsteller bzw. der Antragsteller vor, dass die Übertragung des Ergebnisses der Ausbeutekalkulation für 2017 auf die Jahre 2016 und 2018 willkürlich sei. Der Antragsteller habe das Restaurant erst im Jahr 2016 als Einzelunternehmer übernommen. Die wirtschaftliche Situation sei sehr schlecht gewesen. Der Antragsteller habe erst den Ruf des Restaurants sanieren, die Speisen- und Getränkekarte erneuern, neue Rezepte ausprobieren und die Stammkundschaft aufbauen müssen. Deshalb könnten nicht alle Jahre gleichgesetzt werden. Auch sei die Ausbeutekalkulation für 2017 nicht aussagekräftig. Würde man unterstellen, die Kalkulation wäre fachlich richtig, so würde daraus nur die Erkenntnis folgen, dass ein höherer Umsatz theoretisch erzielbar gewesen wäre. Es gebe aber keinen Hinweis darauf, dass auch tatsächlich ein höherer Umsatz erzielt worden sei. Faktoren wie Fehlplanungen, Fehlproduktion in der Küche, hoher Schwund, verschwenderischer Umgang mit Produktionsstoffen, Bruch und Verderb seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es gebe keine rechtliche Grundlage, aufgrund der von einer Berechnung des höchstmöglichen Getränkeumsatzes auf einen höchstmöglichen Verkauf von Speisen geschlossen werde dürfe.
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Über die Einsprüche wurde bisher nicht entschieden.
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Der Antragsgegner hat mit Bescheiden vom 29. März 2023 gegenüber dem Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide für 2016 bis 2018 und der Umsatzsteuerbescheide 2016 bis 2018 und gegenüber den Antragstellern die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 2016 bis 2018 abgelehnt. Der Antragsgegner hat insbesondere darauf hingewiesen, dass nach finanzgerichtlicher Rechtsprechung (FG Nürnberg, Urteil vom 8. Mai 2012 2 K 1122/2009, DStRE 2013, 304) eine Ausbeutekalkulation des Getränkeumsatzes und eine Übertragung dieses Ergebnisses auf die Kalkulation des Speiseumsatzes zulässig sei. Auch könne die Kalkulation eines repräsentativen Jahres auf andere Jahre übertragen werden, sofern in der Betriebsstruktur keine wesentlichen Änderungen im Prüfungszeitraum eingetreten sein. Wesentliche Änderungen im Vergleich zu 2017 hätte es in 2016 nicht gegeben.
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Zur Begründung ihrer Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bedienen sich die Antragsteller im Wesentlichen der bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente. Ergänzend tragen sie vor, dass nicht nur ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen würden, sondern dass auch eine unbillige Härte vorliege. Es gelte, die drohende Überschuldung und die drohende Obdachlosigkeit einer Dreigenerationenfamilie zu verhindern. Die Antragsteller haben ihre Anträge nicht beziffert.
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Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Bescheide vom 1. Februar 2023 über die Einkommensteuer 2016 in Höhe von 30.434 €, über die Einkommensteuer 2017 in Höhe von 42.709 € und die Einkommensteuer 2018 in Höhe von 32.059 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Bescheide vom 1. Februar 2023 über den Gewerbesteuermessbetrag 2016 in Höhe von 4.434 €, über den Gewerbesteuermessbetrag 2017 in Höhe von 6.135 € und den Gewerbesteuermessbetrag 2018 in Höhe von 4.739 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen sowie die Bescheide vom 1. Februar 2023 über die Umsatzsteuer 2016 in Höhe von 22.859,00 €, über die Umsatzsteuer 2017 in Höhe von 28.806,74 € und die Umsatzsteuer 2018 in Höhe von 27.114,99 € für die Dauer des Einspruchsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen.
9
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
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Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Anträge unbegründet seien.
11
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die vorgelegten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
12
Der Antrag ist zum großen Teil begründet.
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1. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des Sachverhalts anhand präsenter Beweismittel bestehen ernstlichen Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 und Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhof <BFH> vom 24. Februar 2000 IV B 83/99, BStBl II 2000, 298).
14
Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 11. November 2022 VIII B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165, Rz. 12, m.w.N.). Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz. 12).
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2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Gericht ernsthafte Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, soweit das Finanzamt eine Hinzuschätzung zu den Gewinnen aus Gewerbebetrieb und den Umsätzen aufgrund der Kalkulation vorgenommen hat.
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a) Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO gibt dem Finanzgericht (FG) eine eigene Schätzungsbefugnis. Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gilt das Gleiche, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 AO nicht erteilt. Formelle Buchführungsmängel berechtigen nach ständiger Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH-Urteile vom 25. März 2015 X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz. 34; vom 14. Dezember 2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; vom 12. Dezember 2017 VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 601, Rz. 38, vom 16. Dezember 2021 IV R 1/18, BFH/NV 2022, 305, Rz. 43). Maßgebend für die Hinzuschätzung von Einnahmen ist insofern die Einnahmenerfassung, denn es kommt für die Feststellung der Ordnungsgemäßheit der Buchführung auf die einzelne Besteuerungsgrundlage an (vgl. BFH-Urteil BFH vom 26. April 1983, VIII R 38/82, BFHE 138, 323, BStBl II 1983, 618 m. w. N.). Das ergibt sich nicht zuletzt aus Formulierung „soweit“ in § 162 Abs. 1 AO.
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b) Das Finanzamt hat weder im Betriebsprüfungsbericht noch im Schriftwechsel mit den Antragstellern oder in seinen Schriftsätzen in dem vorliegenden Verfahren vorgetragen, worauf es seine Schätzungsbefugnis stützt. Im Betriebsprüfungsbericht wurde bei den Feststellungen zur Buchführung nur ausgeführt, dass auf die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen hingewiesen wurde und dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung zukünftig zu beachten sind (BP-Bericht Tz. B.2.). Das bedeutet für den Senat nach der erforderlichen – aber auch ausreichenden – summarischer Prüfung, dass vom Antragsgegner keine formellen Buchführungsmängel festgestellt wurden, die zu einer Schätzung berechtigen würden. Im Übrigen berechtigen formelle Buchführungsmängel nur zur Schätzung, soweit sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.
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c) In einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ausgewiesene Gewinne können aber auch durch die Ergebnisse einer Nachkalkulation erschüttert werden. An diesen Nachweis sind wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als an die Begründung einer Schätzung des Umsatzes oder Gewinns bei festgestellten, zur Schätzung berechtigenden Mängeln der Buchführung (BFH-Urteile vom 25. Juni 1970 IV 17/65, BFHE 100, 159, BStBl II 1970, 838; vom 26. Oktober 1982 VIII R 151/79 n.v. juris). Da eine Nachkalkulation mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist und ihrem Wesen nach selbst eine Schätzung darstellt, so dass also die Schätzungsbefugnis erst durch eine Schätzung begründet wird, müssen an diese hohe Anforderungen gestellt werden. Sie muss einwandfrei erfolgen, den Unsicherheiten Rechnung tragen und zu dem Ergebnis führen, dass das Buchführungsergebnis nicht richtig sein kann (Sächsisches FG, Urteil vom 26. Oktober 2017 6 K 841/15, EFG 2018, 165, Rz. 34). Die Richtigkeitsvermutung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ist nur entkräftet, wenn das Finanzamt nachweist, dass das Buchführungsergebnis sachlich schlechterdings nicht zutreffen kann; an die Methodik einer solchen Schätzung sind wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als in Fällen, in denen wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin eine Schätzung der Einnahmen durchgeführt werden muss (BFH-Urteil vom 25. März 2015, X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743 m. w. N.). Zu den Mindestvoraussetzungen gehört es, dass eine solche Nachkalkulation in ihren Einzelheiten nachvollziehbar ist; danach sind eine weitgehende Aufgliederung des Wareneinsatzes und ein genauer Überblick über das Preisgefüge erforderlich (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1982 VIII R 151/79 n.v. juris m. w. N.).
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d) Nach dieser Maßgabe hat der beschließende Senat insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, als sich nach summarischer Prüfung eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts nicht feststellen lässt.
20
Im Streitfall hat das Finanzamt bisher nicht begründet, wie der Betriebsprüfer zu seiner Kalkulation der Erlöse für die Getränke gelangt ist. Im Betriebsprüfungsbericht wird nur das Ergebnis der Getränkekalkulation mit einem Bruttoerlös für 2017 in Höhe von 181.249 € (und einer Ausdifferenzierung des Ergebnisses auf verschiedene Getränkearten) ausgewiesen. Welcher Wareneinsatz und welcher Rohgewinnaufschlagsatz für 2017 zu Grunde gelegt wurde, ist nicht ersichtlich. Damit kann der beschließende Senat nach der erforderlichen – aber auch ausreichenden – summarischer Prüfung nicht erkennen, dass die hier erhöhten Voraussetzungen für die Nachkalkulation erfüllt sind. Das geht zu Lasten des Antragsgegners. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist nämlich ein Verfahren, indem wegen der Eilbedürftigkeit nur auf Basis der vorliegenden Unterlagen, d.h. nur nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln (§ 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 Zivilprozessordnung) entschieden wird (BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BStBl II 2011, 855, BStBl II 2011, 855 Rz. 31). Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das FG sind nicht erforderlich; insoweit ist der sonst das finanzgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsgrundsatz eingeschränkt (BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116).
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e) Gemäß § 158 AO sind deshalb in vorliegendem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Antragstellers der Besteuerung zugrunde zu legen. Nach summarischer Prüfung besteht nämlich kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. An das positive Tatbestandsmerkmal der sogenannten formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Beschluss vom 20. September 1999 X B 56/99, BFH/NV 2000, 304; BFH-Urteil vom 24. Juni 1997 VIII R 9/96, BFHE 183, 358, BStBl II 1998, 51) knüpft § 158 AO die gesetzliche Vermutung, dass das Buchführungsergebnis sachlich richtig sei.
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f) Im Übrigen hat der beschließende Senat auch ernstliche Zweifel daran, ob die Kalkulation für das Streitjahr 2017 auf das Rumpfwirtschaftsjahr 2016 übertragen werden kann. Die Übertragung der ermittelten Werte für ein repräsentatives Jahr auf ein anderes Jahr ist nämlich nach der ständigen BFH-Rechtsprechung nur zulässig, sofern in der Betriebsstruktur keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind (BFH-Beschluss vom 30. Juli 2013 IV B 107/12, BFH/NV 2013, 1928, Rz. 12). Zwar vertritt das Finanzamt die Auffassung, dass diese wesentlichen Änderungen nicht eingetreten sind. Der beschließende Senat hält diese Auffassung aber für unzutreffend. Denn der Antragsteller hat die Gaststätte erst zum 1. April 2016 übernommen […] und war die Jahre davor dort als Angestellter tätig. Dass das Finanzamt diese geänderten Umstände als Argument dafür nutzt, dass in der Betriebsstruktur keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind, hält der Senat für nicht nachvollziehbar. Außerdem hält der Senat das Argument des Finanzamts, dass keine wesentlichen Änderungen in der Betriebsstruktur eingetreten sind, da sich im gesamten Prüfungszeitraum Umsatz und Gewinn nicht erheblich verändert hätten (Schreiben des Finanzamts an die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller vom 29. März 2023), für nicht überzeugend.
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g) Der beschließende Senat hat aber keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, soweit in den Änderungsbescheiden die übrigen Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 2. Dezember 2022 umgesetzt wurden. Die Antragsteller haben insoweit auch keine Einwendungen geltend gemacht.
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3. Nach Auffassung des beschließenden Senats führen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zur Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide in dem nachfolgend dargestellten Umfang.
25
a) Für die Zwecke der Aussetzung der Vollziehung ist von Gewinnen aus Gewerbebetrieb für 2016 in Höhe von 29.015 € für 2017 in Höhe von 34.653 € und für 2018 in Höhe von 21.280 € auszugehen. Die Gewinne für die Streitjahre berechnen sich wie folgt:

2016

2017

2018

Gewinn lt. Finanzamt

151.235

199.874

159.991

- Minderung der Entnahmen

- 140.701

- 189.557

- 160.482

+ Minderung USt-Verbindlichkeiten (vgl. d)

18.481

24.336

21.771

Gewinn lt. FG für AdV

29.015

34.653

21.280

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b) Ausgehend von den Gewinnen aus Gewerbebetrieb (nach Tz. II.3.a) ist für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung von einem Gewerbesteuermessbetrag für 2016 in Höhe von 157 €, für 2017 in Höhe von 353 € und für 2018 in Höhe von 0 € auszugehen. Demgemäß sind die folgenden Beträge von der Vollziehung auszusetzen:

2016

2017

2018

GewStMB lt. Finanzamt

4.434

6.135

4.739

GewStMB lt. FG

- 157

- 353

- 0

Ausgesetzter Betrag lt. FG

4.277

5.782

4.739

27
c) Ausgehend von diesen Gewinnen aus Gewerbebetrieb (nach Tz. II.3.a) und diesen Gewerbesteuermessbeträgen (nach Tz.II.3.b) ist für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung von Ermäßigungen für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 2016 von 597 € (157 * 3,8 = 596,6), für 2017 von 1.342 € (353 * 3,8 = 1.341,4) und für 2018 von 0 € auszugehen. Nach dieser Maßgabe (und einer entsprechenden Veränderung der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz) ergibt sich eine festgesetzte Einkommensteuer für 2016 von 2.389 €, für 2017 von 3.058 € und für 2018 von 834 €. Demgemäß sind die folgenden Beträge von der Vollziehung auszusetzen:

2016

2017

2018

ESt lt. Finanzamt

30.482

44.129

32.059

ESt lt. FG

- 2.389

- 3.058

- 834

Ausgesetzter Betrag lt. FG

28.093

41.071

31.225

28
d) Außerdem ist für die Zwecke der Aussetzung der Vollziehung von einer Minderung der Umsatzsteuer auf die zugeschätzten Umsätze (Betriebsprüfungsbericht Tz. C.1.5.d und C.5.5 und 5.6) auszugehen. Die Umsatzsteuerfestsetzungen mindern sich deshalb für 2016 um 18.481 € (2.776 + 15.705), für 2017 um 24.336 € (4.116 + 20.220) und für 2018 um 21.771 € (2.674 + 19.097).
29
4. Im Übrigen war eine weitere Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Verwaltungsakte wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO nicht geboten.
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Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne dieser Vorschriften liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 1990 II B 98/89, BFHE 160, 61 BStBl II 1990, 510; vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Da im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung nur eine summarische Prüfung nach Aktenlage erfolgt, können auch die für eine unbillige Härte sprechenden Umstände nur insoweit berücksichtigt werden, als sie bis zur Entscheidung substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sind. Deshalb müssen die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelfall substantiiert dargelegt werden (BFH-Beschluss vom 9. Januar 1990 VII B 127/89, BFH/NV 1990, 473).
31
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Antragsteller haben sich nur ab-strakt auf die – ihrer Ansicht nach – existenzbedrohenden Nachteile berufen, die eine Zahlung der Steuerschuld mit sich bringen könnte.
32
5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich Gewerbesteuermessbetrag und Umsatzsteuer auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO und hinsichtlich Einkommensteuer auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.