Titel:
Teilweise unzulässige Wiederaufnahmeklage - unbegründete Nichtigkeitsklage
Normenketten:
ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 580
FGO § 579 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Die mangelnde Vertretung nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO umfasst auch die Fälle, in denen ein Beteiligter aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, seine Belange wahrzunehmen. Anwendungsvoraussetzung der Vorschrift ist aber, dass die mangelnde Vertretung des Klägers auf verfahrensfehlerhaftes Verhalten des Gerichts zurückzuführen ist.
2. Wurde die Klägerin zur mündlichen Verhandlung im Vorverfahren ordnungsgemäß geladen und ist trotz ordnungsgemäßer Ladung nur niemand erschienen, ist der Wiedereinsetzungsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 FGO nicht erfüllt.
Schlagworte:
Benennungsverlangen, mangelnde Vertretung, Gewerbesteuermessbetrag, Restitutionsklage, vollbeendete Personengesellschaft, Zustellungsbevollmächtigter
Fundstelle:
BeckRS 2023, 25319
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bestehend aus den Gesellschaftern [… (XX)] und [… (YY)]; die beiden Gesellschafter sind jeweils zur Hälfte an der Klägerin beteiligt. Zur Geschäftsführung ist allein XX befugt und verpflichtet.
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Die Klägerin wendete sich mit ihrer Klage im Klageverfahren Az. 12 K 3255/15 gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung 2008, 2009, 2010 und 2011 sowie gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für 2010 und 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2015. Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. August 2018 wurde die Klage vom 12. Senat des Finanzgerichts (FG) München durch den Einzelrichter als unbegründet abgewiesen. Im Urteil ist ausgeführt, dass trotz Ausbleiben eines Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemäß § 91 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) verhandelt und entschieden werden konnte. Denn die Ladung wurde durch Aufgabe zur Post am 3. Juli 2018 ordnungsgemäß zugestellt, da die Klägerin der gerichtlichen Aufforderung an ihren Geschäftsführer und Vertreter vom 24. Oktober 2017, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, nicht nachgekommen ist. Das Urteil vom 21. August 2018 im Klageverfahren 12 K 3255/15 wurde am 27. August 2018 adressiert an die Adresse des XX in Thailand zur Post gegeben. Die Briefsendung kam am 28. März 2019 als unzustellbar an das FG München zurück.
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Mit ihrer am 30. April 2020 beim FG eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens Az. 12 K 3255/15 (Dok-Nr. 4). Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass sie die Ladung vom 2. Juli 2018 zur mündlichen Verhandlung nicht erhalten habe. Die Ladung hätte an ihren Geschäftsführer XX über die deutsche Botschaft in Thailand zugestellt werden müssen. Das Urteil sei auch rechtswidrig, da es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, in der mündlichen Verhandlung Urkunden und Beweismittel vorzulegen. Im Übrigen habe die Klägerin die Aufforderung vom 24. Oktober 2017, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, nicht erhalten. Der Geschäftsführer der Klägerin XX habe sich zu diesem Zeitpunkt in Thailand aufgehalten. Im Übrigen sei der Einzelrichter […] (VRiFG CC) auch befangen (Dok-Nr. 7). Außerdem leide das Urteil vom 21. August 2018 auch an inhaltlichen Mängeln; so verkenne das Urteil, dass eine GbR auch eine stille Gesellschaft ohne Tätigkeit der Gesellschafter sei (Dok-Nr. 65).
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 9. Januar 2023 (Dok-Nr. 50) wurde die Klägerin im vorliegenden Klageverfahren aufgefordert, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten im vorliegenden Klageverfahren auf Wiederaufnahme zu benennen. Mit Schreiben vom 3. Februar 2023 (Dok-Nr. 55) hat die Klägerin vorgetragen, dass es unzulässig sei, wenn das Gericht im Streitfall nach § 53 Abs. 3 FGO verfahre und zum inländischen Zustellungsbevollmächtigten würden die […] (D-RA) in [… L-Stadt] bestellt (Dok-Nr. 56). Auf die gerichtliche Anfrage, ob die D-RA als inländische Zustellungsbevollmächtigte im Streitfall registriert werden könnten, haben die D-RA mitgeteilt, dass sie diesen Auftrag als inländische Zustellungsbevollmächtigten der Klägerin nicht übernehmen werden (Dok-Nr. 63).
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Mit Beschluss vom 9. Januar 2023 wurde vom Senat in vorliegendem Klageverfahren das Ablehnungsgesuch gegen VRiFG CC als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Klägerin wurde mit einfachem Brief zur mündlichen Verhandlung geladen. Diese Ladung wurde am 15. März 2023 zur Post gegeben und an die dem FG mitgeteilte Adresse des XX adressiert.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Finanzgericht München vom 21. August 2018 (Az. 12 K 3255/15) aufzuheben und das frühere Verfahren Az. 12 K 3255/15 wieder aufzunehmen sowie die Bescheide vom 28. Januar 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2015 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit Gewinne für 2008 von -2.984 €, für 2009 von 2.592,32 €, für 2010 von 9.258.29 € und für 2011 von 10.170 € festgestellt werden, und die Bescheide vom 28. Januar 2013 über die Gewerbesteuermessbeträge für 2010 und 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2008, 2009, 2010 und 2011 und die Gewerbesteuermessbeträge für 2010 und 2011 wieder mit dem Vorbehalt der Nachprüfung zu versehen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte ist der Auffassung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen.
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Mit Urteil vom 6. März 2013 (AG München, Az. [2225] Cs 309 Js […]/12) wurde XX wegen Steuerhinterziehung (Umsatzsteuer 2009, Umsatzsteuervoranmeldungen 2010, Einkommensteuer 2010) zu einer Gesamt-Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Mit Strafbefehl vom 19. September 2012 (AG München, Az. [2225] CS 309 Js […]/12, geändert durch Beschluss vom 3. Juni 2013) wurde YY wegen Steuerhinterziehung (Einkommensteuer 2007, 2008, 2009, 2010) zu einer Gesamt-Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt.
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Das Verfahren der Klägerin wegen Umsatzsteuer 2008 bis 2011 (Az. 3 K 609/16), das aus dem Klageverfahren Az. 12 K 3255/15 mit Beschluss vom 8. März 2016 abgetrennt wurde, ist noch nicht abgeschlossen (Weglegung gemäß § 12 Nr. 3 Buchst. c Dienstanweisung zum allgemeinen Geschäftsgang beim Finanzgericht München).
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Die Wiederaufnahmeklage ist zum Teil unzulässig; insoweit ist die Klage als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin des Vorprozesses hat nur einen einzigen Nichtigkeitsgrund aufgezeigt. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.
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a) Ein rechtskräftig beendetes Verfahren kann gemäß § 134 FGO nach §§ 578 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden.
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aa) Danach kann die Wiederaufnahme eines Verfahrens entweder durch eine Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO oder durch eine Restitutionsklage nach § 580 ZPO erreicht werden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kommt nach § 579 ZPO in Fällen besonders schwerwiegender Verfahrensverstöße in Form einer Nichtigkeitsklage und nach § 580 ZPO bei schwerwiegenden inhaltlichen Mängeln der angefochtenen Entscheidung durch eine Restitutionsklage in Betracht. Beide Arten von Wiederaufnahmeverfahren sind nur unter den jeweils in den genannten Vorschriften abschließend aufgeführten Voraussetzungen statthaft (BFH-Beschluss vom 22. März 1994 VII E 13, 14/93, BFH/NV 1995, 36).
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bb) Nach § 134 FGO i.V.m. § 587 ZPO muss die Klage die Erklärung enthalten, welches Verfahren der Wiederaufnahme – Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) oder Restitutionsklage (§ 580 ZPO) – gewollt ist. Zwar muss die Klageschrift diese Bezeichnungen nicht unmittelbar enthalten. Es muss sich aus dem Begehren jedoch schlüssig ergeben, welche der beiden Klagen gemeint ist (BFH-Beschluss vom 18. März 1988 V K 1/88, BFHE 152, 426, BStBl II 1988, 586). Fehlt es an diesem notwendigen Inhalt, so kann die Klageschrift nur innerhalb der Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO ergänzt werden (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31. Januar 2012 – 4 K 298/11, n.v. juris).
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b) Die Klage ist als Nichtigkeitsklage zulässig.
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aa) Die Klage ist insoweit zulässig, als die Klägerin – vertreten durch XX (den alleinigen Geschäftsführer; vgl. Strafbefehl vom 19. September 2012, AG München, Az. [2225] Cs 309 Js […]/12; UStA Bl 28) – sinngemäß geltend macht, dass sie im Vorverfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen sei, d.h. dass ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gegeben sei. Die Klägerin hat nämlich in ihrem Schriftsatz vom 29. April 2020 vorgetragen, dass sie die Ladung vom 2. Juli 2018 nicht erhalten habe und dass sie nur angeblich ihrer Pflicht, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen nicht nachgekommen sei.
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bb) Die Klage konnte auch von der Klägerin erhoben werden. Denn eine Vollbeendigung einer Personengesellschaft – wie im Streitfall der GbR – wird erst dann angenommen, wenn das Rechtsverhältnis zwischen der Personengesellschaft und der Finanzbehörde vollständig abgewickelt ist. Eine Personengesellschaft wird steuerrechtlich, selbst wenn sie zivilrechtlich vollbeendet worden ist, so lange als existent behandelt, wie noch Gewerbesteueransprüche gegen sie geltend gemacht werden; denn eine aufgelöste und zivilrechtlich vollbeendete Personengesellschaft besteht steuerrechtlich so lange fort, bis sämtliche Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und der Finanzbehörde abgewickelt worden sind (sog. Ewigkeitstheorie; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 48 FGO Rz. 108 m.w.N. [Mai 2017]). Die Klägerin ist deshalb klagebefugt und beteiligtenfähig, da sie sich mit ihrer Klage auf Wiederaufnahme nicht nur gegen das Urteil über die Klage gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb wendet; denn dieses von der Klägerin angegriffene Urteil hat auch über die Klage gegen die Gewerbesteuermessbescheide entschieden. Nach der Rechtsprechung des BFH ist nämlich eine Personengesellschaft weiterhin klagebefugt und beteiligtenfähig, wenn sie sich nicht nur gegen den Feststellungsbescheid, sondern auch gegen den Gewerbesteuermessbescheid wendet (BFH-Urteile vom 26. September 2013 IV R 45/11, BFHE 243, 367, BStBl II 2015 vom 17. Dezember 2008 IV R 85/06, BFHE 224, 84, BStBl II 2009, 795).
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Außerdem ist auch das Verfahren der Klägerin wegen Umsatzsteuer 2008 bis 2011 (Az. 3 K 609/16) noch nicht abgeschlossen und auch diese Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Finanzbehörde sind noch nicht abgewickelt worden.
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c) Im Übrigen ist die Klage unzulässig, soweit die Klägerin erklärt, dass sie nicht ausreichend Urkunden und Beweismittel vorlegen konnte (Schriftsatz vom 29. April 2020) oder dass sie den Richter im Vorverfahren für befangen erachtet (Schriftsatz vom 4. Mai 2020); dieser Vortrag entspricht keinem der Wiederaufnahmegründe. Die Aufzählung der Wiederaufnahmegründe in §§ 579, 580 ZPO ist abschließend (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 36; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 580 ZPO Rz. 2).
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aa) Eine Nichtigkeitsklage findet zwar gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO statt, wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war. Dies macht aber die Klägerin nicht geltend; sie hält VRiFG CC deshalb für Befangen, weil sie Entscheidungsgründe im Urteil des Vorverfahrens für falsch hält. Im Übrigen war von der Klägerin gegen VRiFG CC im Vorverfahren kein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit angebracht worden.
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bb) Eine Restitutionsklage findet zwar statt, wenn eine bestimmte Urteilsgrundlage weggefallen ist oder diese Grundlage mit qualifizierten verbrieften Beweismitteln in Widerspruch steht (Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 580 ZPO Rz. 1). Dies ist aber – neben weiteren im Streitfall von der Klägerin nicht annähernd angesprochenen Alternativen – nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO auf den Fall beschränkt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Dieser Wiederaufnahmegrund setzt aber voraus, dass die Urkunde im Hauptprozess nicht benutzbar gewesen ist, sei es, weil ihr Vorhandensein oder ihr Verbleib nicht bekannt war oder weil sie sich in Händen eines nicht vorlagebereiten bzw. vorlageverpflichteten Dritten befand (BGH-Beschluss vom 24. April 2013 XII ZB 242/09, BGH NJW-RR 2013, 833). Dies macht die Klägerin aber gerade nicht geltend; sie behauptet nämlich, dass sie ihr vorliegende Urkunden und Beweismittel nicht vorlegen konnte, weil sie im Termin des Vorverfahrens nicht anwesend war.
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2. Soweit die Nichtigkeitsklage zulässig ist, ist sie unbegründet. Insoweit wird die Klage auf Wiederaufnahme als unbegründet abgewiesen.
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a) Nach § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Der Nichtigkeitsgrund einer nicht nach den Vorschriften des Gesetzes erfolgten Vertretung eines Beteiligten entspricht dem absoluten Revisionsgrund des § 119 Nr. 4 FGO (Bergkemper in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 134 FGO Rz. 46 [April 2020]). Erfasst werden vor allem Fälle, in denen der Beteiligte selbst, sein gesetzlicher Vertreter oder sein Prozessbevollmächtigter in verfahrensfehlerhafter Weise daran gehindert werden, an der tatsächlich durchgeführten mündlichen Verhandlung teilzunehmen, oder in denen das Gericht zu Unrecht ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Zwar überschneidet sich die mangelnde Vertretung eines Beteiligten mit der Versagung rechtlichen Gehörs. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz <GG>) auch in anderen Fällen einen Wiederaufnahmegrund darstellt. Bei einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist in analoger Anwendung von § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine Nichtigkeitsklage nicht zulässig (BFH-Beschluss vom 24. März 1998 V B 158/97, BFH/NV 1998, 1237; BGH-Urteil vom 11. Dezember 2002 XII ZR 51/00, BGHZ 153, 189, Rz. 15, 19; BAG-Beschluss vom 21. Juli 1993 7 ABR 25/92, BAGE 73, 378, Rz. 15; BAG-Beschluss vom 13. Oktober 2015 3 AZN 915/15 (F), NZA 2016, 127, Rz. 21; Wendl in Gosch, AO/FGO, § 134 FGO Rz. 31 f. [Jan. 2018] m.w.N). Gegen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann und muss nunmehr eine Anhörungsrüge erhoben werden (BAG in NZA 2016, 127; Wendl in Gosch, AO/FGO, § 134 FGO Rz. 32 [Jan. 2018] m.w.N.).
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b) Die BFH-Rechtsprechung legt § 119 Nr. 4 FGO – und damit auch § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO – entsprechend seinem Zweck weit aus; so umfasst der Begriff der mangelnden Vertretung auch die Fälle, in denen ein Beteiligter aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, seine Belange wahrzunehmen. Gemeint ist aber stets nur ein Mangel in den Möglichkeiten, die das Gericht hierzu – im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften – eröffnet, nicht die Ausnutzung der Möglichkeiten durch die Beteiligten bzw. deren Vertreter. Anwendungsvoraussetzung der Vorschrift ist mithin, dass die mangelnde Vertretung des Klägers auf verfahrensfehlerhaftes Verhalten des Gerichts zurückzuführen ist (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 119 FGO Rz. 252 [Okt. 2020]; BFH-Beschluss vom 3. September 2001 – GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802). So sind die Voraussetzungen des § 119 Nr. 4 FGO und damit auch des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO z.B. erfüllt, wenn das Finanzgericht bei der Ladung zur mündlichen Verhandlung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dadurch einem Beteiligten die Teilnahme unmöglich macht (BFH-Beschluss vom 27. Januar 1988 IV R 14/86, BFHE 152, 196, BStBl II 1988, 447; BFH-Beschluss in BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, Rz. 58; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 119 FGO Rz. 271 [Okt. 2020]).
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c) Diese Voraussetzungen gemäß § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind im Streitfall nicht erfüllt. Es liegt kein Fall vor, in dem der Beteiligte selbst, sein gesetzlicher Vertreter oder sein Prozessbevollmächtigter in verfahrensfehlerhafter Weise daran gehindert wurde, an der tatsächlich durchgeführten mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die Klägerin wurde zur mündlichen Verhandlung im Vorverfahren am 21. August 2018 ordnungsgemäß geladen. Für die Klägerin ist trotz ordnungsgemäßer Ladung nur niemand erschienen.
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Die Ladungsfrist beträgt beim Finanzgericht (FG) gemäß § 91 Abs. 1 FGO zwei Wochen. Diese Frist hat wurde im Vorverfahren eingehalten. Die Ladung vom 2. Juli 2018 wurde der Klägerin innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß § 91 Abs. 1 FGO wirksam bekannt gegeben. Die Ladung ging rechtzeitig zur Post; sie wurde am 3. Juli 2018 als (Einwurf-)Einschreiben an die Klägerin unter der Adresse des XX in Thailand bei der D. P. AG eingeliefert (FG-Akte 12 K 3255/15 Bl 118). Ausweislich der Sendungsverfolgung der D. P. AG wurde die Sendung am 17. Juli 2018 zugestellt (FG-Akte 12 K 3255/15 Bl 120). Folgt man den Angaben der Sendungsverfolgung hat die Klägerin die Ladung rechtszeitig (mehr als einen Monat vor der Sitzung) erhalten.
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Selbst wenn man Zweifel an den Angaben der Sendungsverfolgung hegen sollte, wurde im Vorverfahren die Ladungsfrist gemäß § 91 Abs. 1 FGO eingehalten. Die Ladung an die Klägerin wurde nämlich am 3. Juli 2018 zur Post gegeben und gilt damit gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO am 3. Juli 2018 als zugestellt (BFH-Beschluss vom 6. Juli 2012 V B 103/11, BFH/NV 2012, 1980). Der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post wurde auch in den Akten vermerkt (FG-Akte 12 K 3255/15 Bl 118 Rückseite; entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 34 [Feb. 2022] m.w.N.).
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d) Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO sind im Vorverfahren erfüllt; damit wirkt die Zustellungsfiktion (Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 177 [Aug. 2019]) wonach eine Sendung mit der Aufgabe zur Post als zugestellt gilt. Als „Aufgabe zur Post“ reicht bereits der Einwurf eines gewöhnlichen Briefs in einen Briefkasten (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 34 [Feb. 2022] m.w.N.).
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aa) Gemäß § 53 Abs. 3 Satz 1 FGO hat ein Beteiligter, der seinen Wohnsitz oder seinen Sitz nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Geschieht dies nicht, gilt gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO eine Sendung mit der Aufgabe zur Post als zugestellt, selbst wenn sie als unbestellbar zurückkommt. § 53 Abs. 3 Satz 1 FGO – als Sonderregelung zu § 184 ZPO – gibt dem Gericht die Befugnis, die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten zu verlangen, wenn der Beteiligte, dem zuzustellen ist, außerhalb des Geltungsbereichs der FGO wohnt oder – bei juristischen Personen oder Personenvereinigungen – seinen Sitz (§ 11 Abgabenordnung<AO>) hat. Die Regelung soll Zustellungen im Ausland (§§ 183, 184 ZPO) vermeiden. Außerhalb des Geltungsbereichs der FGO liegt auch das Gebiet der Europäischen Union oder des EWR, so dass die Aufforderung zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten weiterhin zulässig ist, wenn der Kläger in einem dieser Staaten wohnt (Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 170 [Aug. 2019]). Zustellungsbevollmächtigter ist eine Person, die Vollmacht hat, Schriftstücke in Empfang zu nehmen, die für den Vertretenen bestimmt sind, und die für eine unverzügliche Übersendung der Schriftstücke sorgen soll (BFH-Urteil vom 8. September 1971 I R 25/71, BFHE 103, 134, BStBl II 1971, 811; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 33 [Feb. 2022]).
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Die Aufforderung zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten steht im Ermessen des Gerichts. Sie kann – mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung – neben dem Spruchkörper auch der Vorsitzende, sowie der Berichterstatter (§ 79 FGO) oder der Einzelrichter (§ 6 FGO) treffen. Zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist ein Beschluss nicht erforderlich; es reicht eine Aufforderung durch die Geschäftsstelle des Gerichts – auf richterliche Anordnung hin – aus (BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 242/75, BFHE 120, 7, BStBl II 1976, 787; BFH-Beschlüsse vom 24. Mai 1984 VIII R 77/82, n.v. juris; vom 30. November 2011 VI B 22/11, BFH/NV 2012, 436).
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bb) Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Satz 1 FGO sind erfüllt, denn die Klägerin – als GbR eine Personenvereinigung – hatte keinen Sitz (§ 11 AO) im Inland und keiner ihrer Vertreter – XX oder YY – hatte einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland. XX hatte seinen Wohnsitz im Inland ebenso aufgegeben wie YY; XX verfügte nur über einen Wohnsitz in Thailand, YY nur über einen Wohnsitz in Spanien. Die Aufforderung einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen war, auch im Übrigen formell ordnungsgemäß. Sie enthielt den nach den Rechtsgedanken des § 123 Satz 4 AO sowie des § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO entweder erforderlichen, zumindest aber sinnvollen Hinweis auf die Rechtsfolge des § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO (BFH-Beschluss vom 19. Februar 2019 II B 85/17, BFH/NV 2019, 404, Rn. 21, juris).
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cc) Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde die Klägerin ordnungsgemäß aufgefordert einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.
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Mit richterlicher Anordnung vom 24. Oktober 2017 (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 85) wurde die Klägerin durch den Berichterstatter aufgefordert, bis 30. November 2017 einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Die Anordnung war an den Geschäftsführer der Klägerin XX adressiert, an die Adresse in [99999 M-Stadt, J-Straße 28].
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Dass das Benennungsverlangen im Vorverfahren an eine inländische Adresse der Klägerin adressiert war, ist nicht zu beanstanden, denn der Beteiligte muss für das Benennungsverlangen nur im Inland oder Ausland erreichbar sein, damit es ihm bekannt gegeben und so wirksam werden kann (Müller-Franken in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 123 AO Rz. 49 [Sept. 2013]). Deshalb ist auch die Bekanntgabe des Benennungsverlangens an eine Korrespondenzadresse – wie im Vorverfahren vorgenommen – ausreichend; eine allgemeine Korrespondenzanschrift begründet nämlich keinen Sitz (BFH-Beschluss vom 19. Februar 2019 II B 85/17, BFH/NV 2019, 404, Rn. 19, juris).
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dd) Diese richterliche Anordnung vom 24. Oktober 2017 – die nicht zugestellt werden muss (BFH-Urteil vom 24. Mai 1984 VIII R 77/82, n.v. juris; BFH-Beschluss vom 19. Februar 2019 II B 85/17, BFH/NV 2019, 404) – hat die Klägerin nach Auffassung des Senats auch erhalten.
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(1) Dies schließt der Senat aus den in der FG-Akte befindlichen Schreiben der Klägerin vom Oktober 2017 (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 85 ff.), insbesondere den Schreiben vom 28. und 29. Oktober 2017 (vgl. Entscheidungsgründe insbesondere unter Textziffer II.2.d.dd.5).
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(2) Denn mit Schreiben vom 26. Oktober 2017, das dem Gericht per Telefax am 27. Oktober 2017 übermittelt wurde, wendet sich XX im Namen der Klägerin gegen eine Adressierung von Schreiben an die frühere Adresse in [… M-Stadt] mit der Begründung, dass XX nach Thailand verzogen ist und dies dem Gericht bekannt ist (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 88, 90). Daraus schließt das Gericht, dass die Klägerin – vertreten durch XX – auch Schreiben erhalten hat, die an die Adresse [in M-Stadt] gerichtet waren und über den Eingang von solchen Schreiben unterrichtet worden war.
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(3) Zuvor hatte sich XX im Namen der Klägerin bereits mit Schreiben vom 24. Oktober 2017, das dem Gericht am selben Tag per Telefax übermittelt wurde, dagegen gewendet, dass ihm vom Gericht Schreiben an die Adresse in M-Stadt gesendet wurden (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 84), da er nach Thailand verzogen ist und dies dem Gericht bekannt ist. Das Gericht hatte nämlich der Klägerin einen Beschluss über die Beiziehung von Akten aus einem Strafverfahren vom 5. Oktober 2017 (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 79) an die […] Adresse [in M-Stadt] gesendet, sowie XX ein richterliches Schreiben vom 4. Oktober 2017 (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 68) (betreffend eine mögliche Beiladung zum Verfahren); diese beiden Postsendungen kamen als unzustellbar an das Gericht zurück (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 96-100). Sowohl der Beschluss vom 5. Oktober 2017 als auch das richterliche Anhörungsschreiben vom 4. Oktober 2017 waren auch an YY an ihre spanische Adresse gesendet wurden und wurden dieser am 24. Oktober 2017 zugestellt (ausweislich des Rückscheins; FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 105).
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(4) Dieses Schreiben vom 24. Oktober 2017 hatte XX als Grundlage für sein Schreiben vom 26. Oktober 2017 verwendet und nun die Zusätze angebracht, dass er (XX) und YY nicht Kläger seien und mitgeteilt, dass dies eine Berichtigung seines Schreibens vom 24. Oktober 2017 darstellt. Außerdem war diesem Schreiben vom 26. Oktober noch eine weitere Seite mit einer Erklärung vom 27. Oktober 2017 beigefügt, dass eine Beiladung von XX und YY zum Klageverfahren abgelehnt werde. Außerdem war auf dem Schreiben vom 24. Oktober 2017 bereits handschriftlich der Zusatz angebracht „[…] YY – Klägerin? wg. Strafakte“; der Zusatz wurde in den Schreiben vom 26. und 27. Oktober 2017 nicht gestrichen. Aus diesen Schreiben vom 26. und 27. Oktober 2017 schließt der Senat weiter, dass XX und die Klägerin darüber informiert waren, dass sie zu einer Beiladung im Verfahren angehört werden sollten und dass Strafakten beigezogen worden waren.
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Da es der Senat auch für möglich hält, dass XX nur von YY über den Inhalt des richterlichen Schreibens vom 4. Oktober 2017 und den Beschluss vom 5. Oktober 2017 in Kenntnis gesetzt wurde, betrachtet der Senat die Schreiben des XX vom 24., 26. und 27. Oktober 2017 noch nicht als Beweis dafür, dass die Klägerin die richterliche Aufforderung vom 24. Oktober 2017 auch erhalten hat. Denn ausweislich des Rückscheins (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 105) hatte YY das richterliche Schreiben vom 4. Oktober 2017 und den Beschluss vom 5.Oktober 2017 bereits am 24. Oktober 2017 erhalten.
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(5) Außerdem teilte XX im Namen der Klägerin mit einem Schreiben vom 28. Oktober 2017, das dem Gericht per Telefax am 28. Oktober 2017 übermittelt wurde (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 92) und einem weiteren Schreiben vom 28. Oktober 2017 mit einem Nachtrag vom 29. Oktober 2017, das dem Gericht per Telefax am 29. Oktober 2017 übermittelt wurde (FG-Akte 12 K 3255/15, Bl 93), mit, dass er über eine Adresse in Thailand verfüge. In diesem zweiten Schreiben vom 28. Oktober 2017 ist in einem Nachtrag vom 29. Oktober 2017 ausgeführt, dass in Thailand „auch in deutscher Sprache [Postsendungen] zustellbar“ (Originalzitat; ohne Zusatz in […]) seien, dass „unzulässige Zustellungen rechtswidrig [seien] BGH/BFH“ (Originalzitat; ohne Zusatz in […]). Außerdem wird ausgeführt: „evtl. Vollmacht? Bevollmächtigt Finanzminister Dr. S. Nbg“.
44
Der Senat ist der Auffassung, dass der Zusatz auf dem am 29. Oktober 2017 per Telefax übermittelten Schreiben „Bevollmächtigt Finanzminister Dr. S. Nbg“ nur so verstanden werden kann, dass XX die richterliche Anordnung vom 24. Oktober 2017 nun vorliegen hatte. Das Gericht ist der Auffassung, dass XX dem Gericht in diesem Schreiben mitteilt, dass er die Aufforderung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, für rechtswidrig hält. Außerdem teilt XX damit dem Gericht mit, dass er Zustellungen in Deutschland für rechtswidrig hält; letztlich soll sich das Gericht den bayerischen Finanzminister als inländischen Zustellungsbevollmächtigten halten. Diese Mitteilung des XX, dass der Finanzminister bevollmächtigt wird, ergibt nach Auffassung des Senats nur dann einen Sinn, wenn XX von der Aufforderung einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, Kenntnis hatte. Dass diese richterliche Aufforderung vom 24. Oktober 2017 der Klägerin, vertreten durch XX, tatsächlich auch zugegangen ist, schließt das Gericht weiter daraus, dass dieses Schreiben dem Gericht nicht als „Rückläufer“ zurückgesendet wurde (während andere Schreiben sich als Rückläufer in den Akten finden). Weiter ist für den Senat entscheidend, dass die Antworten des XX vom 28. und 29. Oktober 2017 in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der richterlichen Aufforderung vom 24. Oktober 2017 stehen.
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(6) Mit dem Zusatz „Bevollmächtigt Finanzminister Dr. S. Nbg“ auf dem per Telefax am 29. Oktober 2017 übermittelten Schreiben ist keine wirksame Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten i.S. des § 53 Abs. 3 FGO erfolgt. Denn die Benennung erfolgt durch Mitteilung von Namen und Anschrift gegenüber dem Gericht (Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 184 Rz. 5); vorliegend fehlt es zumindest an der Mitteilung einer Anschrift.
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3. Im Übrigen wurde die Klägerin auch im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren ordnungsgemäß aufgefordert, gemäß § 53 Abs. 3 FGO einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Die Klägerin verfügt aber über keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten.
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a) Mit richterlicher Anordnung vom 9. Januar 2023 hat die Berichterstatterin die Klägerin, vertreten durch XX, aufgefordert bis zum 20. Februar 2023 einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Diese Aufforderung wurde an die Klägerin neben anderen Dokumenten mit Schreiben vom 10. Januar 2023 versendet. Diese Aufforderung einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen hat die Klägerin auch erhalten, denn mit E-Mail vom 3. Februar 2023 hat sich XX auf diese richterliche Anordnung vom 9. Januar 2023 bezogen und dem Gericht untersagt nach § 53 Abs. 3 FGO vorzugehen. Mit weiterem E-Mail vom 3. Februar 2023 hat XX als inländischen Zustellungsbevollmächtigten D-RA benannt. Jedoch haben die D-RA dem Gericht mitgeteilt, dass sie diesen Auftrag als inländische Zustellungsbevollmächtigten der Klägerin nicht übernehmen werden.
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b) Der Zustellungsbevollmächtigte ist eine Person, die Vollmacht hat, Schriftstücke in Empfang zu nehmen, die für den Vertretenen bestimmt sind, und die für eine unverzügliche Übersendung der Schriftstücke sorgen soll (BFH-Urteil vom 8. September 1971 I R 25/71, BFHE 103, 134, BStBl II 1971, 811; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 53 FGO Rz. 33 [Feb. 2022]). Der Zustellungsbevollmächtigte wird mit Benennung Zustellungsadressat; eine Vorlage der Vollmacht bei der Zustellung durch ihn ist nicht erforderlich; mit der Benennung (Prozesshandlung) des inländischen Zustellungsbevollmächtigten wird zugleich die Zustellungsvollmacht als Außenvollmacht gemäß § 167 Abs. 1 Alt. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erteilt. Die Zustellungsvollmacht kann jederzeit widerrufen werden (mit der Folge, dass keine Benennung mehr vorliegt); im Übrigen gelten §§ 86, 87 ZPO entsprechend (Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 184 Rz. 5).
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c) Im Streitfall hat der benannte Zustellungsbevollmächtigte mit Schreiben vom 16. Februar 2023 gegenüber dem Gericht erklärt, dass er ein Mandat für die Klägerin nie übernommen hat und dass er nicht als inländische Zustellungsbevollmächtigten gespeichert werden will. Damit hat nie ein Kausalverhältnis (Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 85 ZPO Rz. 3) bestanden, das der Vollmacht zugrunde liegen könnte. Und D-RA hat mit diesem Schreiben zum Ausdruck gebracht, dass im Innenverhältnis zwischen ihm und der Klägerin kein Mandat besteht. Mit dieser Anzeige beim Gericht ist gemäß § 87 Abs. 2 ZPO (gilt auch im Verhältnis zum Gericht; vgl. Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 87 ZPO Rz. 3) auch die von der Klägerin erteilte Außenvollmacht erloschen (und die Fortdauer der Vollmacht nach § 87 Abs. 1 ZPO bis zur Bestellung eines anderen Zustellungsbevollmächtigten kommt nicht in Betracht, da kein Anwaltsprozess vorliegt). D-RA hat dem Gericht mitgeteilt, dass er nicht bereit ist, für die Klägerin Zustellungen entgegenzunehmen. Dieses Schreiben der D-RA wurde vom 16. Februar 2023 wurde der Klägerin auch zur Kenntnis gegeben. Damit ist auch im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren die Wirkung der Zustellungsfiktion gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO eingetreten und die Ladung zur mündlichen Verhandlung, die am 15. März 2023 von der Senatsgeschäftsstelle zur Post gegeben wurde, ist der Klägerin fristgemäß wirksam zugestellt worden.
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d) Im Streitfall konnte trotz Ausbleibens des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, da gemäß § 91 Abs. 2 FGO in der Ladung an die Klägerin auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen wurde (§ 91 Abs. 2 FGO).
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4. Da mit einer Wiederaufnahmeklage erreicht werden soll, dass die beschwerende Entscheidung des Vorprozesses aufgehoben wird, die Sache neu verhandelt wird und nun eine günstige neue Entscheidung vom Gericht getroffen wird (Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 590 ZPO Rz. 1), hat das Gericht den Antrag der Klägerin rechtsschutzgewährend dahin ausgelegt (BFH-Beschluss vom 30. Dezember 2022 XI B 61/22, BFH/NV 2023, 379; BFH-Urteile vom 3. August 2022 IV R 16/19, BFH/NV 2023, 120; vom 7. April 2022 III R 4/21, BFH/NV 2022, 1069 jeweils m.w.N.), dass die Klägerin neben der Aufhebung des Urteils im Vorprozess und der Neuverhandlung auch die entsprechenden Anträge aus dem Vorprozess weiter aufrecht erhält.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.