Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.03.2023 – 5 C 21.1863
Titel:

Verwaltungsrechtsweg für Auskunftsbegehren gegen Betriebskrankenkasse über Beitragsakte einer Zeitarbeitsfirma

Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
IFG § 1
GVG § 17a Abs. 3, Abs. 4
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5
SGB X § 25
Leitsatz:
Bei dem Verfahren um den Anspruch nach § 1 IFG handelt es sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1, 1. HS VwGO. Dies gilt auch für ein Auskunftsbegehren auf Informationen, die im Rahmen der Tätigkeit als Sozialversicherungsträger angefallen sind, solange nicht der besondere sozialrechtsspezifische Pflichtenkreis, sondern eine etwaige Verpflichtung als Behörde zur Erfüllung des Anspruchs eines Einzelnen auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 Abs. 1 IFG betroffen ist. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsrechtsweg, Auskunft, Informationsfreiheit, Betriebskrankenkasse, Beitragsakte, Zeitarbeitsfirma, Sozialgericht, Sozialversicherung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 09.06.2021 – M 32 K 20.1371
Fundstellen:
ZInsO 2023, 1992
LSK 2023, 24984
BeckRS 2023, 24984

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Zeitarbeitsfirma einen Auskunftsanspruch gegen die Beklagte, eine Betriebskrankenkasse, geltend. Die Zeitarbeitsfirma hatte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse über die Beklagte abgewickelt.
2
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2019 bat der Kläger die Beklagte unter Berufung auf §§ 1 ff. des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) um Akteneinsicht in sämtliche bei dieser für bzw. im Zusammenhang mit der Zeitarbeitsfirma geführten Akten für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum 12. Januar 2015. Mit Schreiben vom 7. Januar 2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dem Akteneinsichtsgesuch könne so nicht entsprochen werden. Es fehle an einer Darlegung, welche Informationen aus welchem Grund nicht zugänglich seien. Bereits die in einem Klageverfahren vor dem Landgericht Hamburg vom Kläger geltend gemachten Ansprüche aus Insolvenzanfechtung für Zahlungen in den Jahren 2009 bis 2014 belegten, dass ihm alle notwendigen Informationen vorlägen. Hierzu werde um ergänzende Erläuterung gebeten. Die Beklagte erließ in der Folgezeit keinen förmlichen Bescheid zum Akteneinsichtsbegehren des Klägers.
3
Am 25. März 2020 erhob der Kläger eine Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht in die bei ihr geführte Beitragsakte bezüglich der insolventen Zeitarbeitsfirma zu gewähren. Er mache ein „Jedermannrecht“ im Sinne von §§ 1 ff. IFG geltend.
4
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020 rügte der Bevollmächtigte der Beklagten die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs. Der Rechtsstreit falle nach § 51 SGG in den Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichte. Das Akteneinsichtsbegehren des Klägers weise (auch) einen sozialrechtlichen Bezug auf, da es sich auf alle in den Akten der Beklagten dokumentierten Vorgänge und darin enthaltenen Schriftstücke in irgendeinem Zusammenhang mit seiner Betriebsnummer beziehe. Er habe damit (zumindest auch) Akteneinsichtsrechte nach § 25 SGB X und nicht nur gemäß § 1 IFG geltend gemacht.
5
Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2020 erwiderte der Klägerbevollmächtigte, der Kläger mache kein Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X, sondern Informationsrechte nach §§ 1 ff. IFG geltend.
6
Mit Beschluss vom 9. Juni 2021 stellte das Verwaltungsgericht fest, der Verwaltungsrechtsweg sei zulässig. Der Kläger habe den Streitgegenstand unmissverständlich und in zulässiger Weise als Informationszugangsanspruch nach dem IFG definiert; andere Auskunftsansprüche habe er ausdrücklich nicht geltend gemacht. Dieser Anspruch sei selbstständig streitgegenstandsfähig und ein aliud gegenüber einem Anspruch nach § 25 SGB X, auf Auskunft nach § 83 SGB X oder auf Beratung und Auskunft nach den §§ 14 und 15 SGB I. Für den geltend gemachten Informationsanspruch nach dem IFG sei gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Gericht folge der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B.v. 4.4.2012 – B 12 SF 1/10 R – juris), wonach das durch das Auskunftsbegehren nach dem IFG zwischen den Beteiligten begründete Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur sei. Eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO sei nicht gegeben. Insbesondere liege keine die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit begründende öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 oder 5 SGG vor.
7
Die Beklagte hat Beschwerde eingelegt. Der Kläger begehre eine allgemeine Akteneinsicht gegenüber der Beklagten als Krankenkasse. Er wolle die Akteneinsicht im Rahmen eines Insolvenzanfechtungsprozesses vor den Zivilgerichten nutzen. Dort gehe es ihm um die Rückforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen, die der Insolvenzschuldner im Zeitraum vom 26. Juni 2009 bis 19. Juni 2013 an die Beklagte gezahlt habe. Das Begehren des Klägers könne nicht von diesem sozialrechtlichen Aspekt isoliert betrachtet werden. Der Auskunftsanspruch betreffe Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen. Der Kläger mache damit auch einen Anspruch geltend, der spezialgesetzlich in § 25 SGB X geregelt und für den der Sozialrechtsweg eröffnet sei.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
9
1. Die zulässige Rechtswegbeschwerde der Beklagten (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 9. Juni 2021 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 GVG bleibt ohne Erfolg.
10
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für das Klagebegehren des Klägers der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO eröffnet ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Streitsache nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO).
11
Nach § 17a Abs. 3 GVG hat das Gericht die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs auszusprechen, wenn eine Partei dies rügt. Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift ist eine Verweisung gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 GVG nur dann geboten und zulässig, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d.h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.1992 – 5 B 144.91 – juris Rn. 2). Andernfalls entscheidet das angegangene Gericht des zulässigen Rechtswegs gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen. Hierdurch wird der prozessuale Anspruch, also der für die Zulässigkeit des Rechtswegs maßgebliche Streitgegenstand bestimmt (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 3; BayVGH, B.v. 11.2.2020 – 5 C 19.2302 – Juris Rn. 6). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zu Recht den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet gehalten.
12
Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, Einsicht in die bei der Beklagten geführte Beitragsakte zur in Insolvenz befindlichen Zeitarbeitsfirma zu erhalten. Das Begehren wurde ausschließlich auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützt. Die von der Beklagten angesprochene Frage, ob das vom Kläger verfolgte Rechtsschutzziel auf dieser Anspruchsgrundlage optimal erreicht werden könne, ist für die Bestimmung des Streitgegenstands nicht maßgeblich. Im Übrigen ist anzumerken, dass die von der Beklagten als einschlägig angesehene Anspruchsgrundlage des § 25 SGB X für die vom Kläger verlangte Akteneinsicht ein noch nicht abgeschlossenes Sozialverwaltungsverfahren voraussetzen würde (vgl. Brink/Polenz/Blatt, IFG, 1. Aufl. 2017, § 1 Rn. 149).
13
Bei dem Verfahren um den geltend gemachten Anspruch nach § 1 IFG handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO. Der Kläger nimmt die Beklagte als Behörde im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 IFG und damit als Trägerin hoheitlicher Gewalt in Anspruch. Die streitentscheidende Norm ist deshalb als Sonderrecht der öffentlichen Hand dem öffentlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, B.v. 26.5.2020 – 10 B 1.20 – juris Rn. 8; B.v. 20.9.2012 – 7 B 5.12 – juris Rn. 3; BSG, B.v. 4.4.2012 – B 12 SF 1/10 R – juris Rn. 17; BFH, B.v. 8.1.2013 – VII ER-S 1/12).
14
Hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs aus § 1 IFG fehlt eine abdrängende Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO. Insbesondere begründet dieser Informationsanspruch keine Streitigkeit in Angelegenheiten einer Sozialversicherung, die den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 und 5 SGG). Zwar bezieht sich das Auskunftsbegehren des Klägers auf Informationen, die im Rahmen der Tätigkeit der Beklagten als Sozialversicherungsträgerin angefallen sind. Der Streitgegenstand betrifft jedoch nicht den besonderen sozialrechtsspezifischen Pflichtenkreis der Beklagten gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter, sondern eine etwaige Verpflichtung der Beklagten als Behörde zur Erfüllung des Anspruchs eines Einzelnen auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 Abs. 1 IFG (vgl. BSG, B.v. 4.4.2012 – B 12 SF 1/10 R – juris Rn. 19).
15
Anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (B.v. 16.9.2014 – 10 S 1451/14 – juris). Der Kläger im dortigen Verfahren hat – anders als vorliegend – ausdrücklich einen Anspruch gemäß § 15 Abs. 1 und 2 SGG I gegen eine Allgemeine Ortskrankenkasse geltend gemacht, der in dieser Entscheidung (a.a.O., Rn. 6 f.) als eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts im Sinne von § 51 Abs. 1 SGG qualifiziert wurde. Gleichermaßen betraf die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. April 2010 – L 16 B 9/09 SV – (juris 12), auf das sich die Beklagte bezieht, einen Auskunftsanspruch, der im Gerichtsverfahren ausdrücklich auch auf §§ 25, 83 SGB X gestützt wurde.
16
Das angegangene Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Das sozialrechtliche Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X dürfte allerdings einen anderen Streitgegenstand betreffen und daher in einem Rechtsstreit, der sich auf einen Informationszugang nach § 1 IFG beschränkt, nicht mit zu prüfen sein. § 1 IFG gewährt einen eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch auf Informationszugang, der sich insbesondere vom Akteneinsichtsrecht in einem Verwaltungsverfahren wie demjenigen nach § 25 SGB X grundlegend unterscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2012 – 7 B 5.12 – juris Rn. 4; BSG B.v. 4.4.2012 – B 12 SF 1/10 R – juris Rn. 20; BGH, B.v. 27.11.2013 – III ZB 59/13 – juris Rn. 15).
17
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 GKG) eine Festgebühr anfällt.
18
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG liegen nicht vor.
19
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).