Titel:
Ausreiseverbot für Ärzteschaft in Kuba keine asylrelevante Verfolgungshandlung
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a, § 4, § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Ein Ausreiseverbot für die Ärzteschaft in Kuba stellt zwar eine große Restriktion dar, aber keine Verfolgungshandlung iSv § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, § 3a AsylG. Es handelt sich nämlich nicht um eine Maßnahme in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder bestimmte soziale Gruppe). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Asylantragstellung in der BRD als solche zieht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kläger aus Kuba, Unglaubhaftes Vorbringen im Zusammenhang mit den Demonstrationen vom 11. Juli 202, einer eigenen Teilnahme daran und den Folgen daraus, Keine Verfolgung wegen der Flucht vor Abschluss der Medizinausbildung, Nachfluchtgründe, Nachfluchtaktivitäten, Ärzteschaft in Kuba, Ausreiseverbot, Demonstrationsteilnahme
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24979
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der 1998 geborene Kläger ist kubanischer Staatsangehöriger. Er verließ nach seinen Angaben sein Heimatland am 3. September 2021 und reiste am 17. Dezember 2021 über Serbien, Nordmazedonien und Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein und war dabei im Besitz eines ab 11. März 2019 gültigen Reisepasses, der am 13. August 2021 verlängert bzw. erneuert worden ist. Er stellte bei seinem Aufgriff am Flughafen … am 17. Dezember 2021 ein Asylgesuch und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Januar 2022 einen förmlichen Asylantrag.
2
Bei seinem Aufgriff in … gab der Kläger gegenüber der Bundespolizei an, aus politischen Gründen ausgereist zu sein. Er sei kurz vor dem Abschluss seines Medizinstudiums gestanden. An den Demonstrationen vom 11. Juli 2021 hätten viele seiner Kommilitonen teilgenommen. Am 12. Juli 2021 habe die Regierung den Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt und Teilnehmer verhaftet, eingesperrt und verschleppt, darunter auch Freunde und Bekannte von ihm. Es seien neue Proteste geplant gewesen. Die Polizei habe Bürger benutzt, dass sie die Leute von der Demonstration abhalten. Bürger seien von der Polizei angesprochen worden, um sie für Absperrmaßnahmen einzusetzen. Er habe das verweigert. Daraufhin hätten die Behörden ihn beobachtet. Man habe sich bei anderen Bürgern und Nachbarn nach ihm erkundigt. Die Bürger hätten dann Angst bekommen und er habe diesen Druck gespürt, denn er habe sich mit seiner Frau besprochen gehabt, dass sie Kuba verlassen wollten. Seine Frau und ihre kleine Tochter hätten jedoch keinen Pass erhalten. Aufgrund seiner Verweigerung sei er von der Regierung in ein Büro eingeladen worden und dort einer sehr langen Befragung unterzogen worden. Er sei nach seiner Einstellung der Regierung gegenüber, nach seinen drei Geschwistern, die sich bereits seit mehr als 20 Jahren in den USA befänden, danach, ob er sie spreche oder sehe, befragt worden. Er könne nach Kuba nicht zurück, da er als Arzt später nicht ausreisen dürfe und eingesperrt würde, weil er nicht mit der Regierung zusammengearbeitet habe. Seine Frau könne als bereits fertig ausgebildete Ärztin keinen Reisepass bekommen.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gem. § 25 AsylG am 10. Mai 2022 gab der Kläger an, geschieden zu sein. Er habe Abitur und habe das 5. Studienjahr Medizin bereits abgeschlossen gehabt. Er sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen aus Kuba ausgereist – er habe sich dort problemlos selbst finanzieren können – sondern aus politischen Gründen.
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Zu seinen Asylgründen gab der Kläger an, bei den großen Demonstrationen am 11. Juli 2021 dabei gewesen zu sein. Im Nachgang habe die Polizei illegalerweise Leute ausgefragt, warum sie teilgenommen hätten. Er sei einmal bei einem solchen Termin gewesen. Er sei über die Verbindung zu seinen drei in den USA lebenden Geschwistern ausgefragt worden, weil davon ausgegangen worden sei, dass die USA dazu angestiftet habe, auf die Straße zu gehen. Es sei dann zum fluchtauslösenden Ereignis gekommen, dass er zum zweiten Mal in seinem Studium bedroht worden sei, dass er seine Facharztausbildung nicht machen könne. Dabei sei ihm gesagt worden, dass er seinen Reisepass abgeben solle. Es habe auch noch einen Vorfall im August 2021 gegeben. Er habe Geld bei der Bank einzahlen wollen und sei in der Schlange gestanden, als ein Bank-Mitarbeiter ihn herausgezogen habe, ein Stockwerk höher in ein Büro mitgenommen habe und ihn gefragt habe, woher das Geld käme. Ihm seien Kontoauszüge und andere Belege zu seinen Bank-Aktivitäten gezeigt worden. Er habe da verstanden, dass er beobachtet werde, weil nach der Demonstration viele junge Leute verschwunden seien. Seinen Pass habe er vor seiner Ausreise verlängern lassen.
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Er habe an der Demonstration vom 11. Juli 2021 in der Nähe seiner Wohnung, in dem nächst gelegenen Park, teilgenommen. Zuvor habe es Streik gegeben und das Internet sei abgeschaltet worden. Jeder Kubaner sei auf die Straße gegangen. Wenn die Polizei gekommen sei, hätten sich die Leute zerstreut und sich später wieder zusammengefunden. Als er gesehen habe, dass die Regierung Leute verhafte, sei bei ihm die Entscheidung gefallen, das Land zu verlassen. Fünf Tage nach der letzten Demonstration, am 18. oder 19. Juli 2021, sei er zu Polizei vorgeladen worden. Er sei auf der Straße gewesen, man habe seinen Namen genannt und er sei gefragt worden, ob er derjenige sei. Er sei zu Polizeistation, die nur 3 min. von seinem Krankenhaus entfernt sei, mitgenommen worden. Sie hätten von seiner Teilnahme und seinem Medizinstudium gewusst und gefragt, warum er demonstriere, wenn er doch Medizin studiere. Er habe auf der Polizei zunächst ca. 45 min. gewartet. Als er mitgenommen worden sei, sei ihm aufgefallen, dass dort noch viel mehr Leute gewartet hätten. Er sei etwas weniger als eine Stunde lang verhört worden. Er sei nach seinen Geschwistern in den USA befragt worden. Es sei auch sein Vater erwähnt worden, der in Kuba acht Jahre in Haft gewesen sei. Sie hätten eine Verbindung über den Nachnamen hergestellt. Er sei in Bezug auf das Studium und seine Freiheit bedroht worden. Er sei insgesamt zwischen 1 Stunde 40 min und 1 Stunde 50 min auf der Polizeistation gewesen, seine zweite Dienststunde sei schon fast vorbei gewesen. Er habe kein Dokument auf der Polizei bekommen. Er sei einfach so gegangen. Er sei sich sicher, dass man ihn aufgrund des Arztkittels, den er getragen habe, habe gehen lassen. Es sei alles indirekt gewesen. Ob es inzwischen eine offizielle Anklage gebe, wisse er nicht. Sein Vater, zu dem er noch Kontakt habe, lebe ca. 80 km von seiner ehemaligen Wohnung entfernt. Auf Nachfrage zu dem Vorfall bei der Bank und seinem Konto gab der Kläger an, dass dies am 11. oder 12. August gewesen sei. Er habe ab diesem Tag das Konto nicht mehr verwenden können. Es sei zwar nicht blockiert gewesen, aber er habe nichts einzahlen können und deshalb nicht über das Konto zahlen können, was viele Läden verlangten. Seine Freunde hätten in den letzten Tagen für ihn Einkäufe getätigt und er habe sie bar bezahlt. Bei der Ausreise habe es keine Probleme gegeben. Das Ticket habe aber sein Bruder online gekauft und er sei aus einer anderen Provinz abgeflogen. Für eine Rückkehr sehe er wegen der langen Abwesenheit Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Sein Studium existiere im Prinzip nicht mehr. Es sei schwer, ein Bankkonto zu haben. Er befürchte, Aussagen bei der Polizei machen zu müssen und angefeindet zu werden. Er befürchte als Vaterlandsverräter zu gelten und wie sein Vater ins Gefängnis zu müssen.
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Mit Bescheid vom 14. Dezember 2022 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung – in erster Linie – nach Kuba an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass im Vortrag des Klägers keine asylrechtlich erhebliche Intensität erkennbar sei. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine so erhebliche Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung drohe, dass dies einen Angriff auf die Menschwürde darstellen würde.
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Der Kläger erhob am 27. Dezember 2022 zur Niederschrift der Rechtsantragsteller des Verwaltungsgericht Ansbach Klage und beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Dezember 2022 aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2022,
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Zur Begründung der Klage berief sich der Kläger mit einem am 17. Januar 2023 eingereichten Schriftsatz auf seine nach der Demonstration aufgrund seines Berufes kompliziert gewordenen Situation. Er werde wie viele Leute vor ihm, die Kuba in der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen hätten, als „Sektor“ angesehen. Er möchte nicht wieder anonym von der Polizei verhört werden, um seine Rechte auszudrücken. Er möchte nicht zu den jungen Leuten gehören, die nach dem „9./11. Juli 2021“ vermisst werden. Er habe Angst davor, was passieren würde, wenn er zurückkehre.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 14. Dezember 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Gastland in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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a) Eine Vorverfolgung im o.g. Sinne hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger hat bei seinen insgesamt drei Befragungen, nämlich bei der Bundespolizei am 17. Dezember 2022, bei seiner Befragung beim Bundesamt am 10. Mai 2022 und bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2023 jeweils stark divergierende Aussagen sowohl zum Kerngeschehen seines Asylvortrags als auch zu Nebenpunkten seiner Asylgeschichte gemacht, so dass es an einem Sachverhalt, den die Einzelrichterin dem Kläger glaubt und der der Prüfung zu Grunde gelegt werden kann, fehlt. So erwähnte der Kläger bei der Bundespolizei die Demonstrationen vom 11. Juli 2021 nur in Bezug auf Freunde und Bekannte, machte eine eigene Teilnahme jedoch nicht geltend, was er jedoch beim Bundesamt später vorbrachte, wobei er als (unter anderem) fluchtauslösend die Tatsache angab, dass er gesehen haben, wie die Polizei andere Demonstrationsteilnehmer verhaftet habe. In der mündlichen Verhandlung schilderte der Kläger schließlich, dass er von der Polizei wegen seiner eigenen Demonstrationsteilnahme nach seinem Dienst verhört worden sei. Die fehlende Angabe zu einer eigenen Demonstrationsteilnehme bei der polizeilichen Befragung konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären. Seine Äußerungen, dass sein Vortrag bei der Übersetzung vielleicht verloren gegangen sei und er wahrscheinlich deshalb keine Angaben gemacht habe, weil er den Vorgang nicht habe beweisen können, sind in keiner Weise nachvollziehbar. Sie sind in sich schon widersprüchlich und außerdem nur Vermutungen des Klägers. Nach den Angaben des Klägers bei der Bundespolizei sei er wegen „seiner Verweigerung“ von der Regierung in ein Büro eingeladen worden und einer Befragung insbesondere zu seiner Familie unterzogen worden. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger hingegen an, dass er auf dem Weg zur Arbeit von einer Polizeistreife angesprochen worden sei und am gleichen Tag am Abend nach der Arbeit von der Polizei abgepasst und mit auf die Dienststelle genommen worden sei. Nach seinem Vortrag beim Bundesamt hat die Befragung – davon abweichend – allerdings vor seinem Dienst stattgefunden; er gab dort klar an, dass seine zweite Dienststunde bereits fast vergangen gewesen sei, als er wieder freigekommen sei. Ähnlich inkonstant und widersprüchlich war auch sein Vortrag in Bezug auf den Vorfall im Bankgebäude im August 2021. Nach seinen Angaben beim Bundesamt sei er von einem Bankangestellten beim Anstehen vor dem Geldautomaten aus der Schlage gezogen worden, nach der Herkunft des Geldes, das er habe einzahlen wollen, gefragt worden und habe ab diesem Tag keine Einzahlungen mehr auf sein Konto machen können, weswegen das Freunde von ihm für ihn erledigt hätten. In der mündlichen Verhandlung gab er hingegen an, dass er Geld habe abheben wollen und von der Polizei in ein Büro des Bankgebäudes mitgenommen worden sei. Dass sein Konto blockiert gewesen sei bzw. er nichts mehr habe einzahlen können, erwähnte er in der mündlichen Verhandlung von sich aus gar nicht und auf Nachfrage und Vorhalt des Gerichts völlig anders. Er gab an, nur an diesem Tag keine Bankgeschäfte mehr habe erledigen können und er sich danach nicht mehr aus dem Haus gewagt habe.
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Geglaubt werden kann dem Kläger lediglich insoweit, als er in Kuba in der Ausbildung zum Arzt gestanden hat. Anders als fertig ausgebildete Ärzte bestand für den Kläger aber noch kein Ausreiseverbot aus Kuba und war es ihm noch möglich einen Reisepass zu erhalten. Dies bestätigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung ganz klar. Von dem Ausreiseverbot war der Kläger damit noch nicht unmittelbar betroffen. Dieses stellt überdies für die Ärzteschaft in Kuba zwar eine große Restriktion dar, aber keine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a AsylG. Es handelt sich nämlich nicht um eine Maßnahme in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder bestimmte soziale Gruppe). Die Ärzteschaft kann auch nicht als soziale Gruppe angesehen werden. Die soziale Gruppe ist in § 3b Abs. 1 Nr. 4b AsylG als Gruppe definiert, die in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Berufsgruppen fallen hierunter regelmäßig nicht. Es fehlt auch an einer Verfolgungsabsicht durch den kubanischen Staat, der das Ausreiseverbot zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung im Land auferlegt. Durch Aufgabe des Arztberufes kann sich die Person im Übrigen der Beschränkung auch entziehen, was der Kläger ebenfalls selbst angegeben hat. Dass ihm in diesem Fall jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre und er in einem anderen Beruf nicht mehr Fuß fassen könnte, kann anhand der zum Verfahren beigezogenen Erkenntnismittel zu Kuba (vgl. insbesondere Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Kuba, Gesamtaktualisierung vom 23.7.2019, BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Kuba, Regimekritische Ärztin vom 12.8.2020) nicht festgestellt werden und wurde vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
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b) Nachfluchtgründe sind für den Kläger ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere zieht die Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als solche nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung unverfolgt und legal aus Kuba eingereister kubanischer Staatsangehöriger nach sich (BVerwG, B.v. 7.12.1999 – 9 B 474.99; BayVGH, U.v. 29.7.2002 – 7 B 01.31054; B.v. 5.6.2008 – 15 ZB 07.30102; ständige Rechtsprechung des VG Ansbach, U.v. 24.9.2015 – AN 3 K 14.30542; B.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350 – alle juris). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass den kubanischen Behörden die Asylantragstellung des Klägers überhaupt bekannt geworden ist.
21
Nachfluchtaktivitäten, die den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kuba dort der Gefahr politischer Verfolgung aussetzen, können nicht festgestellt werden. Da der Kläger ein politisches Tätigwerden in Kuba nicht glaubhaft machen konnte (vgl. vorstehende Ausführungen), spricht nichts dafür, dass er im Fokus oder unter Beobachtung der kubanischen Machthaber steht und exilpolitische Tätigkeiten dort bekannt werden. Hierfür besteht jedenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, zumal der Kläger nennenswerte exilpolitische Tätigkeiten nicht geltend hat. Dass eine einmalige Demonstrationsteilnahme (Teilnahme an einer Demonstration von Kubanern und Deutschen am … in …*) entdeckt und im Falle einer Rückkehr asylrelevant verfolgt würde, ist nicht wahrscheinlich. Es existieren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem kubanischen Staat die Demonstration, deren Hintergrund und politische Zielsetzung der Kläger nicht weiter dargelegt hat, so dass auch eine Gefährdung hieraus nicht ohne weiteres angenommen werden kann, und die Demonstrationsteilnahme gerade des Klägers bekannt geworden sind. Daran ändert auch eine vom Kläger selbst gemachte Videoaufnahme nichts. Es ist weder vorgetragen, noch wahrscheinlich, dass diese Aufnahme den kubanischen Staatsträgern zugespielt worden ist.
22
Eine Rückkehr nach Kuba ist für den Kläger derzeit auch möglich. Kubanische Staatsangehörige können innerhalb von 24 Monaten rechtlich und tatsächlich regelmäßig ohne Schwierigkeiten bei der Einreise bzw. der Gefahr der Einreiseverweigerung und ohne die Einholung einer Rückkehrberechtigung zurückkehren. Der danach eintretende Verlust der Rückkehrberechtigung stellt darüber hinaus keine Verfolgungsmaßnahme dar; der Verlust der Rückkehrberechtigung knüpft nämlich an den Ablauf der Rückkehrfrist und nicht an die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale an (VG Ansbach, U.v. 6.10.2020 – AN 17 K 20.30350; U.v. 14.9.2015 – AN 3 K 14. 30542 – jeweils juris). Dafür, dass dem Kläger als für einen medizinischen Beruf in Ausbildung Stehender eine Rückkehr hiervon abweichend nicht möglich ist, bestehen keine validen Anhaltspunkte. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen (insbesondere Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 22.2.2018, BFA, Anfragebeantwortung vom 12.8.2020) sind lediglich ausgebildete Ärzte von einem fünf bis achtjährigen Einreiseverbot nach Kuba bedroht. Auch ein längerfristiges Einreiseverbot würde aber nicht per se eine Verfolgungshandlung i.S.v. §§ 3, 3a AsylG darstellen, sondern nur, wenn eine Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgt, was nicht erkennbar ist (vgl. hierzu vorstehende Ausführungen unter a). Dies wurde vom Kläger nicht geltend gemacht.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht. Dass eventuell die Fortsetzung der Medizinausbildung in Kuba nicht möglich sein wird (wobei der Kläger hierzu keine gesicherte Kenntnis hat und eine Fortsetzung selbst nicht ausgeschlossen hat) oder die Ausreise ins Ausland eventuell berufliche Einschränkungen nach sich zieht, genügt hierfür nicht.
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3. Auch nationale Abschiebungsverbote sind nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr nach Kuba vorliegt. Hierfür ist nichts erkennbar.
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4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.