Titel:
Klage gegen baurechtliche Beseitigungsverfügung
Normenketten:
BayBO Art. 6, Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Art. 76 S. 1
VwGO § 67 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Sind Einzelvorhaben, die für sich betrachtet genehmigungsfrei wären, unselbstständige Teile eines Gesamtvorhabens, das genehmigungspflichtig ist, dann erstreckt sich die Genehmigungspflicht und das Genehmigungsverfahren auch auf den Anbau. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn ein Bauwerk im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden ist und auf andere Weise als durch die Beseitigung keine rechtmäßigen Zustände hergestellt werden können, entspricht es in der Regel dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, die Beseitigung der Anlage anzuordnen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wirksamkeit einer Klageerhebung durch einen nicht vertretungsbefugten Vertreter., Rechtmäßigkeit einer Baubeseitigungsanordnung, Wirksamkeit einer Klageerhebung durch einen nicht vertretungsbefugten Vertreter, Genehmigungspflicht eines unselbständigen Gebäudeanbaus, Abstandsflächen, Brandschutz, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24975
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Bescheides, der unter Androhung eines Zwangsgelds die Beseitigung eines Gebäudeanbaus anordnet.
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Der Kläger ist seit 2012 Eigentümer des Grundstücks FlNr. 54, Gemarkung …, Gemeinde … Auf dem Grundstück befindet sich u.a. ein über 100 Jahre altes Wohngebäude. In dem Wohngebäude befinden sich mehrere Mietwohnungen. Am 7. September 2017 waren insgesamt vier Mieter in dem Gebäude gemeldet. Der südliche Teil des Wohngebäudes wurde ursprünglich als Werkstatt verwendet und bis ca. 1970 (wohl ohne Baugenehmigung) sukzessiv zu einer Wohnung umgebaut. Östlich und südöstlich des klagegegenständlichen Grundstücks befindet sich das Nachbargrundstück FlNr. 49, Gemarkung … Bei einer Baukontrolle auf dem klägerischen Grundstück am 15. März 2017 stellte die technische Bauaufsicht des Landratsamts … fest, dass südlich des bestehenden Wohngebäudes ein Anbau mit Flachdach mit den Maßen von ca. 6,85 m x 3,15 m x 3,40 m errichtet wurde. Der Abstand zur Grundstücksgrenze des Nachbargrundstücks mit der FlNr. 49 beträgt ca. 1,15 m. Die technische Bauaufsicht des Landratsamts … stellte außerdem fest, dass ein Teil des Bestandsgebäudes zum Wohnraum umgebaut worden sei, dass der Umbau und der Anbau eine Wohneinheit darstellten und dass die Dachfläche des Anbaus als Dachterrasse genutzt werden solle. Zum Zeitpunkt der Baukontrolle war der Innenputz bereits fertig gestellt, die Bodenbeläge, der Außenputz und der Estrich des Anbaus allerdings noch nicht angebracht. Bilder belegen, dass der Anbau auf seiner Südseite eine Terrassentür und zwei Fenster besitzt.
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Auf dem Nachbargrundstück FlNr. 49 befindet sich südöstlich des Anbaus unmittelbar vor der Grundstücksgrenze zum Kläger ein Gebäude. Der Abstand dieses Gebäudes zum Anbau beträgt nach Messungen auf „BayernAtlas“ ca. 1,30 m.
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Mit Bescheid vom 16. März 2017 ordnete das Landratsamt die Einstellung der Bauarbeiten an (I.), ordnete den Sofortvollzug der Nr. I. an (II.), drohte im Falle der Nichterfüllung der Nr. I. ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR an (III.) und trug dem Kläger auf, die Kosten des Verfahrens zu tragen (IV.). Es wurden eine Gebühr von 300 EUR festgesetzt und Auslagen in Höhe von 4,11 EUR erhoben (V.).
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Der Bescheid wurde insbesondere damit begründet, dass der Anbau nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig sei, jedoch ohne Baugenehmigung errichtet werde.
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Mit weiterem Schreiben vom 16. März 2017 forderte das Landratsamt den Kläger auf, bis 12. Mai 2017 prüffähige Planunterlagen für die Umbau- und Anbaumaßnahmen einzureichen.
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Am 18. Mai 2017 ergab eine weitere Kontrolle des Landratsamts, dass die Bauarbeiten fortgeführt wurden.
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Mit Schreiben vom 29. März 2021 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass es beabsichtige, ihn mithilfe eines kostenpflichtigen Bescheids zu verpflichten, den Anbau vollständig zu beseitigen. Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, sich bis 30. April 2021 zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern.
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Mit Bescheid vom 21. Juni 2021 verpflichtete das Landratsamt den Kläger, den Anbau, der in einem anliegenden Luftbild rot markiert ist, vollständig zu beseitigen (I.), ordnete für den Fall der Nichtvornahme der Verpflichtung bis spätestens acht Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR an (II.), legte für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 300 EUR fest, erhob Auslagen in Höhe von 4,11 EUR und trug dem Kläger auf, die Kosten des Verfahrens zu tragen (III. und IV.).
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Der Bescheid wurde damit begründet, dass für den Anbau keine Genehmigung vorliege. Zwar sei der Kläger bereits mit Schreiben vom 16. März 2017 aufgefordert worden, prüffähige Unterlagen vorzulegen, ein Bauantrag sei beim Landratsamt allerdings nicht eingegangen. Der Anbau sei nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO sei nicht gegeben. Zwar habe der Anbau selbst einen Rauminhalt von unter 75 m³, allerdings sei auf den Brutto-Rauminhalt des Bauwerks in dem vergrößerten Endzustand abzustellen. Der Rauminhalt des bestehenden Gebäudes und der des Anbaus dürften nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Der Anbau stelle in Verbindung mit den restlichen Räumen eine gemeinsame Wohneinheit dar, die einen Brutto-Rauminhalt von über 75 m³ habe.
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Das Bauvorhaben sei auch bauordnungsrechtlich unzulässig. Der Mindestabstand eines Gebäudes zur Grundstücksgrenze betrage 3 m, das Gebäude halte hingegen nur einen Abstand von ca. 1,15 m zur südöstlichen Grundstücksgrenze ein. Ein Antrag auf Abweichung sei nicht gestellt worden und auch nicht genehmigungsfähig. Die Errichtung des Wohnbaus verstoße gegen die Kernaspekte des Abstandflächenrechts und die Verletzung der Abstandsregeln gefährde den sozialen Wohnfrieden.
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Daneben würden auch die Aspekte des Brandschutzes nicht ausreichend gewahrt werden. Die Fenster in der südlichen Fassade würden keinen ausreichenden Abstand nach Art. 28 BayBO zur Grundstücksgrenze einhalten. Es bestehe die Gefahr eines Brandüberschlags für das östlich benachbarte Grundstück und die darauf befindlichen Gebäude.
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Am 21. Juli 2021 erhob Frau …, welche eine Freundin des Klägers ist, unter Vorlage eines als „Vollmacht“ bezeichneten Schreibens des Klägers Klage. Der Kläger selbst begründete die Klage mit Schriftsatz vom 2. September 2021. Er behauptet, dass sich früher bereits ein maßgleicher Anbau an der Stelle des neu errichteten Anbaus befunden habe. Dieser sei früher als Werkstatt benutzt worden. Im Jahr 2015 sei der Anbau im Rahmen einer Kernsanierung abgerissen worden, bevor er 2017 mit den gleichen Maßen neu aufgebaut worden sei. Die Grenzsituation sei daher die Gleiche wie in den letzten 120 Jahren. Der Anbau sei kein unselbstständiger Teil des Gesamtvorhabens und sei daher genehmigungsfrei. Dies könne man bereits daran erkennen, dass sich der Anbau optisch vom Bestandsgebäude absetze. Zwischen dem Anbau und dem Bestandsgebäude würde zwar ein ca. 1,30 m breiter Durchgang bestehen, dieser sei aber inzwischen provisorisch durch eine Holzwand verschlossen worden. Die Holzwand wolle er später entfernen, wenn er das Haus an einen Interessenten verkaufen könne.
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Der Kläger beantragt sinngemäß:
Der Bescheid des Landratsamts … vom 21. Juni 2021 wird aufgehoben.
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Der Beklagte beantragt,
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Der Beklagte bezieht sich auf die Begründung des Bescheids und meint darüber hinaus, selbst wenn der frühere Anbau eine Baugenehmigung gehabt hätte, wäre diese jedenfalls durch den Abriss erloschen. Darüber hinaus habe auch eine Nutzungsänderung von einer Werkstatt zu einer Wohnung stattgefunden. Der Anbau müsse zusammen mit dem Bestandsgebäude gesehen werden, da eine gemeinsame Wohneinheit gebildet werden müsse. Das Gesamtgebäude weise einen größeren Rauminhalt als 75 m³ auf und sei daher genehmigungspflichtig. Wegen des Verstoßes des Anbaus gegen das Abstandsflächenrecht und brandschutztechnische Normen sei das Gebäude auch nachträglich nicht genehmigungsfähig. Daran ändere auch das ehemalige Gebäude, das sich an der Stelle des Anbaus befunden habe, nichts, da es sich bei diesem um einen Schwarzbau gehandelt habe.
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Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 13. März 2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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1. Das Gericht konnte trotz Nichterscheinens der Klagepartei im Termin am 13. März 2023 entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß zum Termin geladen wurden und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 1 und 2 VwGO).
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2. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 21. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
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Die Klagefrist gegen den mit einer ordentlichen Rechtsbehelfsbelehrungversehenen Bescheid, der am 24. Juni 2021 zugestellt wurde, beträgt einen Monat, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Klage wurde am 21. Juli 2021 innerhalb der Monatsfrist wirksam erhoben. Dabei ist unerheblich, dass die Klage nicht durch den Kläger persönlich, sondern durch seine Freundin erhoben wurde.
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Frau … war gegenüber dem Verwaltungsgericht nicht vertretungsbefugt. Beteiligte des Verwaltungsgerichtsverfahrens können den Rechtsstreit entweder nach § 67 Abs. 1 VwGO selbst führen oder sich von den in § 67 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO genannten Personengruppen vertreten lassen. Frau I. K. gehört nicht zu den in der Norm genannten Personen. Allerdings sind nach § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO Prozesshandlungen, zu denen auch die Klageerhebung zählt (vgl. Aulehner in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 81 VwGO Rn. 87 f.), auch von nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten bis zu ihrer Zurückweisung wirksam. Eine Zurückweisung von Frau … als Bevollmächtigte durch das Gericht ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt, nachdem der Kläger am 17. November 2021 erklärt hatte, dass diese als Bevollmächtigte gestrichen werden solle (Heftung 59 der Gerichtsakte). Damit ist die Klage als wirksam erhoben worden.
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b) Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Der Beklagte hat die Beseitigungsanordnung zu Recht auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 76 Satz 1 BayBO gestützt.
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Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die vollständige oder teilweise Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert worden sind, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Erforderlich ist demnach zum einen, dass im Fall einer genehmigungsbedürftigen Anlage, diese formell baurechtswidrig ist, d.h. ohne durch eine erforderliche Baugenehmigung gedeckt zu sein, errichtet oder geändert wurde, und darüber hinaus, dass sie materiell baurechtswidrig ist, d.h. sie auch nicht (nachträglich) genehmigt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2003 – 20 ZB 99.3616 – juris Rn. 3). Bei verfahrensfreien (Art. 57 BayBO) oder genehmigungsfreigestellten Vorhaben (Art. 58 BayBO), die keiner Baugenehmigung bedürfen, genügt die materielle Illegalität (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 145. EL Januar 2022, Art. 76 Rn. 89 f.), denn auch verfahrensfreie Vorhaben müssen das materielle Recht einhalten (vgl. BayVGH B.v. 20.1.2003 – 20 ZB 99.3616 – juris Rn. 3).
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Art. 76 Satz 1 BayBO stellt auf die Errichtung oder Änderung von Anlagen ab. Der Begriff der Anlage ist in Art. 2 Abs. 1 Satz 4 BayBO legaldefiniert. Gegenstand der Beseitigungsanordnung können damit bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 BayBO sein. Gegenstand der im Streit stehenden Beseitigungsanordnung ist das an das auf dem klägerischen Grundstück bestehende Haus im Süden angebaute Gebäude. Dies ist eine bauliche Anlage und damit zulässiger Gegenstand einer Beseitigungsanordnung.
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Der Gebäudeanbau ist formell und materiell rechtswidrig und das behördliche Ermessen wurde pflichtgemäß ausgeübt.
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aa) Das Vorhaben ist formell rechtswidrig, d.h. es bedarf einer Baugenehmigung, die aber nicht vorhanden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gebäudeanbau einen Brutto-Rauminhalt von unter 75 m³ hat, denn Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO stellt nur selbständige Gebäude verfahrensfrei. Sind Einzelvorhaben, die für sich betrachtet genehmigungsfrei wären, jedoch unselbständige Teile eines Gesamtvorhabens, das genehmigungspflichtig ist, dann erstreckt sich die Genehmigungspflicht und das Genehmigungsverfahren auch auf den Anbau (Lechner/Busse in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 149 EL, Art. 57 BayBO Rn. 14 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
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Der Anbau und das Bestandsgebäude stehen in einem engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang. Dieser äußert sich insbesondere durch den zwischen den beiden Gebäudeteilen bestehenden 1,30 m breiten Durchgang, der den Anbau und das Bestandsgebäude verbindet und zu einem einheitlichen Objekt verschmilzt. Für einen funktionalen Zusammenhang spricht weiter, dass der Anbau in der Vergangenheit von Mietern des Bestandsgebäudes, wenn auch möglicherweise gegen den Willen des Klägers, als zusätzliche Wohnfläche genutzt wurde. Zwar wurde der Durchgang vom Kläger nach eigenen Angaben provisorisch mit Brettern verschlossen, allerdings plant der Kläger nach eigenen Angaben die Bretter im Falle eines Verkaufs des Grundstücks wieder zu entfernen. Die Unterbrechung der Verbindung zwischen den Gebäuden ist daher nur vorrübergehend und aus Sicht des Gerichts für die Frage der Einheitlichkeit der Gebäude unerheblich.
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Letztendlich kommt es auf die Frage der Verfahrensfreiheit des Anbaus jedoch nicht an und muss daher nicht entschieden werden. Denn selbst wenn das Vorhaben verfahrensfrei wäre, würde das den Kläger nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen entbinden, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, und ließe die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt (Art. 55 Abs. 2 BayBO). In diesem Fall wäre die materielle Rechtswidrigkeit des Anbaus für den Erlass einer Beseitigungsanordnung tatbestandlich ausreichend.
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Es liegt zudem keine Baugenehmigung vor, welche den Gebäudeanbau in der errichteten Form formell legalisieren würde und somit einer Beseitigungsanordnung entgegenstünde. Zwar beruft sich der Kläger darauf, dass bereits vor dem Neubau des Anbaus an gleicher Stelle ein inzwischen vollständig abgerissenes Gebäude vorhanden gewesen sei, für dieses Gebäude lag allerdings ebenfalls keine Baugenehmigung vor. Selbst wenn das vormals bestehende Gebäude genehmigt worden wäre, so wäre der Bestandsschutz spätestens mit dem vollständigen Abriss des Gebäudes erloschen (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2012 – 15 ZB 12.2116 – juris Rn. 8)
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bb) Der Anbau ist materiell rechtwidrig. Materiell rechtswidrig ist eine bauliche Anlage, wenn sie mit dem materiellen Recht nicht übereinstimmt und auch nicht nachträglich in Einklang gebracht werden kann (VG Würzburg, U.v. 22.6.2022 – W 4 K 22.1026 – juris m.w.N.).
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Der Anbau verstößt gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, Art. 6 BayBO. Grundsätzlich sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen freizuhalten, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt dabei mindestens 3 m, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO. Der Abstand des Gebäudes zur Grundstücksgrenze ist jedoch deutlich kleiner und beträgt nur ca. 1,15 m. Der Mindestabstand kann daher nicht eingehalten werden. Eine Übernahme der Abstandsfläche durch den Nachbarn (FlNr. 49, Gemarkung …*) ist nicht erfolgt und im Hinblick auf die bereits vorhandene Bebauung auf dem Nachbargrundstück derzeit auch nicht möglich. Eine Abweichung von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts wurde vom Kläger nicht beantragt.
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Das Gebäude verstößt auch gegen die Vorschriften zum Brandschutz. Brandwände sind gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO als Gebäudeabschlusswand erforderlich, ausgenommen von Gebäuden ohne Aufenthaltsräume und ohne Feuerstätten mit nicht mehr als 50 m³ Brutto-Rauminhalt, wenn diese Abschlusswände an oder mit einem Abstand von weniger als 2,50 m gegenüber der Grundstücksgrenze errichtet werden, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert ist. Brandwände sind nach Art. 28 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 8 BayBO grundsätzlich durchgehend und öffnungslos zu errichten.
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Der Abstand des Gebäudeanbaus zur Grundstücksgrenze beträgt weniger als 2,50 m und ein Abstand von 5 m zu bestehenden Gebäuden ist nicht gesichert, insbesondere befindet sich auf dem Nachbargrundstück FlNr. 49 ein Gebäude, das nur ca. 1,30 m von dem Gebäudeanbau entfernt ist. In der südlichen Wand des Gebäudeanbaus befinden sich Öffnungen in Form von Fenstern und eine Tür. Die Anforderungen des Art. 28 BayBO sind damit nicht erfüllt. Eine Abweichung wurde nicht beantragt.
36
cc) Der Beklagte hat über die Beseitigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die streitgegenständliche Beseitigungsanordnung weist nach Überzeugung des Gerichts keinen Ermessensfehler auf, der nach § 114 VwGO zu ihrer Aufhebung führen müsste. Wenn ein Bauwerk im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden ist und auf andere Weise als durch die Beseitigung keine rechtmäßigen Zustände hergestellt werden können, entspricht es in der Regel dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, die Beseitigung der Anlage anzuordnen (VG Würzburg, U.v. 22.7.2022 – W 4 K 22.1026 – juris Rn. 32). Es sind keine Gründe ersichtlich, die der Beseitigungsanordnung entgegenstehen.
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c) Gegen die Zwangsgeldandrohungen bestehen keine rechtlichen Bedenken (Art. 29, 31, 36 VwZVG). Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die Angemessenheit der Zwangsgeldhöhe (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 VwZVG).
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d) Ebenso wenig bestehen Bedenken, dass dem Kläger die Verwaltungskosten auferlegt und diese auf 300,00 EUR festgesetzt wurden, vgl. Art. 1, Art. 2 KG i.V.m. lfd. Nr. 2.I.1, Tarifstelle 1.45 der Anlage des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz. Die Auslagen in Höhe von 4,11 EUR für die Postzustellung konnte nach Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 KG erhoben werden.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.