Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 11.07.2023 – AN 10 K 21.01601
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis und Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens (Trunkenheitsfahrt mit Fahrrad) – Anfechtungsklage

Normenketten:
GG Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1
StVG § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, lit. y (idF bis zum 28.7.2021)
FeV § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 11 Abs. 6, Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c, § 46 Abs. 1, Abs. 3, Anl. 4 Nr. 8.1
Leitsätze:
1. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung bestehen verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und y StVG (idF bis zum 28.7.2021) für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sowie hinsichtlich der entsprechenden Rechtsgrundlage in § 3 FeV (vgl. BVerwG BeckRS 2020, 16394 Rn. 34 ff.; VGH München BeckRS 2021, 16394 Rn. 14 ff.) und verstößt § 3 FeV gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1–3 GG, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen (so VGH München BeckRS 2023, 13482 Rn. 30 ff.; vgl. auch VGH München BeckRS 2023, 17192 Rn. 11 ff.). (Rn. 31 und 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Anwendbarkeit des § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV ist die Teilnahme am Straßenverkehr mit der angegebenen Alkoholkonzentration auch mit einem Fahrrad ausreichend. Dabei führt derjenige das Fahrrad, der auf einem rollenden Fahrrad sitzt, weil dieses des Lenkens bedarf. Entscheidend ist, dass das Fahrrad nicht geschoben wird. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine in der Anforderung eines Fahreignungsgutachtens auf das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bezogene Fragestellung ist wegen unzureichender Bestimmtheit der Rechtsgrundlage des § 3 FeV für behördliche Untersagungen überschießend. Wegen des nicht hinreichend bestimmbaren Inhalts des Eignungsbegriffs und der nicht näher eingrenzbaren entsprechenden Anwendung der §§ 11 ff. FeV iVm Anl. 4–6 FeV auf die Beurteilung, ob Eignungszweifel hinsichtlich des Führens (bestimmter) fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge vorliegen und welche Erforschungsmaßnahmen diese rechtfertigen, ist weiter davon auszugehen, dass die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auch nicht erforderliche sowie unangemessene Maßnahmen beinhaltet und damit nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt (vgl. VGH München BeckRS 2023, 17192 Rn. 14). (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Unverhältnismäßigkeit eines Teils der Fragestellung macht die gesamte Gutachtensaufforderung rechtswidrig, denn die Fehlerhaftigkeit eines Teils einer aus mehreren Teilen bestehenden Gutachtensanordnung infiziert regelmäßig auch den anderen Teil. Die Sanktion des § 11 Abs. 8 S. 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständige rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus (VGH München BeckRS 2013, 47537 Rn. 19). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Folgen einer teilweise unverhältnismäßigen Fragestellung in der Beibringungsaufforderung Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (keine hinreichende Bestimmtheit der Rechtsgrundlage), verfassungsrechtliche Bedenken gegen gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit, Führen eines Fahrrads, überschießende und unverhältnismäßige Fragestellung einer Gutachtensanforderung, Erfordernis einer vollständig rechtmäßigen Gutachtensanordnung
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 24.04.2024 – 11 BV 23.1631
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 02.08.2024 – 3 B 17.24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24972

Tenor

1.    Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2021 wird aufgehoben.
2.    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3.    Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4.    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis, die Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins sowie die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.
2
Der 1956 geborene Kläger ist im Besitz der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S.
3
Mit am 4. Oktober 2019 eingegangener polizeilicher Mitteilung erhielt der Beklagte davon Kenntnis, dass der Kläger am 18. Juni 2019 gegen 22:00 Uhr als Fahrradfahrer an die Tankstelle … in der … gefahren ist und dort gegen die Türe der Tankstelle schlug, weil diese bereits geschlossen hatte. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,11 mg/l. Die um 22:31 Uhr erfolgte Blutentnahme und durchgeführte Blutalkoholuntersuchung ergab einen Wert von 2,35 Promille.
4
Im Schlussvermerk der polizeilichen Mitteilung vom 4. Oktober 2019 führt der eingesetzte Polizeibeamte aus, dass die Fahrt des Klägers mit dem Fahrrad auf der von der …-Tankstelle zugesandten Videoaufzeichnung eindeutig zu erkennen sei (Blatt 11 der Behördenakte).
5
Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr wurde von der Staatsanwaltschaft … nach § 153a Abs. 1 StPO gegen eine Geldauflage eingestellt. Die Videoaufzeichnung sei vernichtet worden.
6
Unter Bezugnahme auf diese Trunkenheitsfahrt forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 auf, bis spätestens 3. Januar 2020, ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen.
7
Dabei seien folgende Fragen zu klären:
„Liegen körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vor, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen und ein, die Fahrsicherheit beeinträchtigender, Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann? Ist auch nicht zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen und ein, die Fahrsicherheit beeinträchtigender, Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann?“
8
Eine Vorlage des geforderten Gutachtens erfolgte auch nicht nach Verlängerung der Frist zur Vorlage des Gutachtens.
9
Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 21. Februar 2020 zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung und zur Untersagung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge an.
10
Mit Schreiben vom 16. März 2020 führte der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen aus, der Kläger habe an diesem besagten Abend kein Fahrzeug geführt, sondern das Fahrrad geschoben. Die behauptete Zeugin … (Tankstellenmitarbeiterin) habe zwar behauptet, dass sie den Kläger beim Fahren gesehen habe. Dies könne allerdings aus mehrfachen Gründen nicht zutreffend sein:
11
Aufgrund der Örtlichkeiten könnte sie überhaupt nicht einsehen, ob der Kläger fahre oder nicht, egal aus welcher Richtung (aus Richtung … oder aus Richtung …*) er die Tankstelle betreten habe. Auch die behauptete Videodokumentation sei nicht beweiskräftig. Die Videodokumentation sei zum einen nicht mehr auffindbar, des Weiteren sei nicht prüfbar, ob diese Videodokumentation tatsächlich diesen Tag erfasse oder, nachdem der Kläger Stammkunde sei, nicht möglicherweise einen anderen Tag gegen dieselbe Uhrzeit darstelle. Dies könnte auch im Nachhinein nicht mehr geprüft werden, da die Staatsanwaltschaft erkennbar das behauptete Dokument vernichtet habe.
12
Mit Bescheid vom 16. März 2020 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, untersagte das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr (Ziffer 1) und verpflichtete ihn, unter Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 4), den Führerschein und eine eventuell im Besitz befindliche Mofaprüfbescheinigung unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb von drei Werktagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Ziffer 2). Der Sofortvollzug der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Ziffer 3). Im Wesentlichen wurde der Bescheid damit begründet, dass nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV die Fahrerlaubnisbehörde anordne, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen sei, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt worden sei. Der Kläger habe ein Fahrzeug (Fahrrad) im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,35 Promille geführt. Folglich sei ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen gewesen. Da das geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt worden sei, dürfte die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen.
13
Am 23. März 2020 gab der Kläger beim Beklagten eine Erklärung an Eides statt nach § 5 StVG ab, dass er seines Führerscheins verlustig gegangen sei.
14
Gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten vom 16. März 2020 ließ der Kläger Widerspruch einlegen. Auf die Begründung des Widerspruchs wird Bezug genommen.
15
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens trug der Bevollmächtigte des Klägers ergänzend zu seiner Widerspruchsbegründung vor, es bestehe auch eine Zeugin, die gegenteilig belege, dass der Kläger an dem 18. Juni 2020 sein Fahrrad schiebend vom … her, die … entlang, von hinten zur …-Tankstelle gelangt sei.
16
Am 9. August 2021 erging der Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken, mit welchem der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen wurde. Auf dessen Begründung wird Bezug genommen.
17
Gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken ließ der Kläger Klage erheben. Auf die Klagebegründung wird Bezug genommen.
18
Er beantragt,
1. Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2020, in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken vom 9. August 2021, wird aufgehoben.
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
19
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.
20
Mit Beschluss der Kammer vom 31. Januar 2022 (AN 10 S 21.01603) wurde der Eilantrag des Klägers abgelehnt.
21
In der mündlichen Verhandlung am 25. Mai 2023 stellte der Vorsitzende in Aussicht, dass zur weiteren Sachaufklärung hinsichtlich der Tatsache, dass bzw. ob der Kläger am 18. Juni 2019 gegen 22:00 Uhr ein Fahrrad gefahren hat, Zeugen zu laden seien. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt.
22
Auf den Inhalt des Beweisbeschlusses der Kammer vom 25. Mai 2023 wird Bezug genommen.
23
Mit Beschluss der Kammer vom 11. Juli 2023 wurde der Beweisbeschluss vom 25. Mai 2023 hinsichtlich der Zeugin zu 1) und hinsichtlich des Zeugen zu 2) aufgehoben, weil die Zeugin zu 1) am 10 Juli 2023 verstorben ist und es auf die Einvernahme des Zeugen zu 2) nicht ankam. Die Beteiligten verzichteten in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2023 zudem ausdrücklich auf die Zeugeneinvernahme.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte und wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die Klage ist zulässig und begründet.
26
I. Die Klage ist zulässig.
27
Der Klageantrag wird dahingehend sachgerecht ausgelegt (§ 88 VwGO), dass er sich nicht gegen die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids verfügte Zwangsmittelandrohung richtet. Der Kläger hat eine eidesstattliche Versicherung über den Verlust seines Führerscheins abgegeben und es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass nach Abgabe einer derartigen Erklärung noch die Anwendung des Zwangsmittels drohen könnte. Insoweit würde im Übrigen auch das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
28
II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
29
1. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
30
a) Die auf § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV gestützte Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ist rechtswidrig.
31
In der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehen verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und y StVG a.F. für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sowie der entsprechenden Rechtsgrundlage in § 3 FeV (vgl. BVerwG, U.v. 4.12.2020 – 3 C 5/20 – juris Rn. 34 ff; BayVGH, B.v. 8.6.2021 – 11 CS 21.968 – juris Rn. 14 ff.).
32
In seinem jüngsten Urteil vom 17. April 2023 (11 BV 22.1234 – juris Rn. 30 ff.) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof näher ausgeführt, dass und aus welchen Gründen § 3 FeV gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen verstößt (vgl. auch BayVGH, B.v. 12.07.2023 – 11 CS 23.551 – BeckRS 2023, 17192 Rn. 11 ff.).
33
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an, so dass die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten bereits aus diesem Grund aufzuheben ist.
34
b) Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids verfügte Fahrerlaubnisentziehung ist ebenfalls rechtswidrig, da die Voraussetzungen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 und 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV nicht vorliegen. Im vorliegenden Fall fehlt es an der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom 24. Oktober 2019, weil die dem Kläger darin mitgeteilte Fragestellung teilweise unverhältnismäßig ist und damit den insoweit zu stellenden rechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird.
35
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, finden gemäß § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Missbrauch liegt nach Ziffer 3.13.1 der Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber das Führen eines Kraftfahrzeuges und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits alkoholabhängig zu sein. In einem solchen Fall ist der Betroffene nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu entsprechen. Aus Ziffer 8.2 der Anlage 4 zur FeV ergibt sich, dass Eignung und bedingte Eignung nach Beendigung des Missbrauchs wieder bejaht werden können, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.
36
Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung des Gutachtens ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung formell und materiell rechtmäßig erfolgte. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig war (st.Rspr. vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 11 CS 20.1061 – juris Rn. 16). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei der Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 11 CS 20.1061 – juris Rn. 16). Billigkeitserwägungen wie das Angewiesen sein auf den Führerschein – auch zur Berufsausübung – können nicht entgegen gebracht werden.
37
Die Entziehung begegnet unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe rechtlichen Bedenken.
38
Der Beklagte hat vorliegend zu Unrecht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV wegen der Trunkenheitsfahrt des Klägers am 18. Juni 2019 angeordnet.
39
Zunächst ist unstreitig, dass der Kläger bei dem maßgeblichen Vorfall eine Blutalkoholkonzentration von 2,35 Promille aufwies.
40
Weiterhin setzt § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV voraus, dass ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt wurde. Die Norm erfordert nach ihrem klaren Wortlaut nicht das Führen eines Kraftfahrzeugs, sondern lediglich eines Fahrzeugs, weshalb die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Fahrrad ausreichend ist (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, FeV, § 13 Rn. 23a; BayVGH, B.v. 8.2.2010 – 11 C 09.2200 – juris Rn. 10). Der Begriff des Straßenverkehrs bezieht sich hierbei auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum (vgl. Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, FeV, § 13 Rn. 23d). Derjenige, der auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt dieses Fahrrad, weil ein rollendes Fahrrad des Lenkens bedarf. Entscheidend ist, dass das Fahrrad nicht geschoben wird. Das gilt unabhängig davon, ob die Bewegungsenergie aus einem aktuellen Betätigen der Pedale gezogen wird, aus einer vorhergehenden Pedalbewegung herrührt oder etwa nur aus der Schwerkraft beim Befahren einer Gefällstrecke. Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs ist, dass ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden ist, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen ist, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegen und der Bodenkontakt mit beiden Füßen zumindest insoweit gelöst ist, dass das Fahrrad nicht nur beim Gehen geschoben wird (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 21.3.2016 – 11 CS 16.175 – juris Rn. 15).
41
Der Kläger wendet ein, er habe am 18. Juni 2019 kein Fahrrad geführt, sondern das Fahrrad geschoben. Er sei schon oft mit dem Fahrrad in die Tankstelle gefahren, nicht aber am fraglichen Tag. Aufgrund der Örtlichkeiten könnte die Zeugin … überhaupt nicht einsehen, ob der Kläger fahre oder nicht, egal aus welcher Richtung (aus Richtung … oder aus Richtung …*) er die Tankstelle betreten habe. Auch die behauptete Videodokumentation sei nicht beweiskräftig. Die Videodokumentation sei zum einen nicht mehr auffindbar, des Weiteren sei nicht prüfbar, ob diese Videodokumentation tatsächlich diesen Tag erfasse oder, nachdem der Kläger Stammkunde sei, nicht möglicherweise einen anderen Tag gegen dieselbe Uhrzeit darstelle. Dies könnte auch im Nachhinein nicht mehr geprüft werden, da die Staatsanwaltschaft erkennbar das behauptete Dokument vernichtet habe. Darüber hinaus müsse man berücksichtigen, dass es insoweit bei der Aussage der Zeugin, er sei gefahren, um einen Trugschluss handeln könnte, weil man mit einem Fahrrad automatisch Fahrradfahren assoziiert, nicht aber ein Schieben des Fahrrads; wenn die Zeugin also ein Fahrrad bei ihm gesehen habe, könne es unter Berücksichtigung aller genannten Umstände auch so sein, dass die Zeugin, ohne die Unwahrheit zu sagen, glaubt, ihn am fraglichen Tag fahren gesehen zu haben.
42
Die Kammer ist nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme aber davon überzeugt, dass der Kläger ein Fahrzeug, nämlich sein Fahrrad, am Tattag tatsächlich im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV „geführt“ hat. Dies ergibt sich insbesondere aus den Einlassungen der Zeugin und wird auch nicht durch die sich in der Akte befindlichen widersprüchlichen Angaben der verstorbenen Zeugin in ihren schriftlichen Zeugenaussagen, entkräftet.
43
Die Schilderungen der vernommenen Zeugin … waren schlüssig und widerspruchsfrei. Sie boten keine Anhaltspunkte an deren Glaubhaftigkeit zu zweifeln. Ebenso konnte sie plausibel erläutern, aus welchen Gründen sie sich an den nun bereits vier Jahre zurückliegenden Vorfall erinnern kann. Sie hat in freier Rede von dem Ablauf der Geschehnisse erzählt. Sie sagte aus, sie habe die Tankstelle gegen 22:00 Uhr abgeschlossen. Die Tankstelle verfüge über eine große Glasfront, aus der man gut nach außen blicken könne. Sie habe sich dann der Kasse widmen wollen, als sie noch gesehen habe, dass von der … her ein Fahrradfahrer hereingefahren gekommen sei. Wie sie später erfahren habe, habe es sich um den Kläger gehandelt. Die Zeugin … räumte offen ein, wenn sie Nachfragen mangels Erinnerung nicht beantworten konnte. Dies war etwa im Hinblick darauf, wo das klägerische Fahrrad abgestellt gewesen sei, der Fall. Solche Erinnerungslücken sind nach diesem langen Zeitraum nicht ungewöhnlich. Ebenso berichtete sie – ausgehend von ihrem Standpunkt an der Kasse der Tankstelle – nachvollziehbar die örtliche Situation. Sie habe an der Kasse gestanden und durch die Fensterfront alles sehen können. Es war dort nichts verstellt. Sie habe den Radfahrer gesehen, als er direkt in der Einfahrt gewesen sei. Die Glasfront sei so ausgestaltet, dass die Zeugin, wenn sie etwa im 90-Grad-Winkel dort hindurchsehe, problemlos in die … auch in Richtung Stadt sehen könne. Sie könne auch die Einmündung der dort kreuzenden Straße sehen. Auch nachdem ihre Sichtweise von Klägerseite in Zweifel gezogen wurde, ist die Zeugin … fest bei ihrer Aussage geblieben. Daran zeigt sich, dass die Zeugin auch bei äußeren Einflüssen in ihrer Aussage unbeirrt geblieben ist, wenn sie sich über eine Tatsache sicher war. Nachfragen hat die Zeugin umfassend beantworten können.
44
Letztendlich sind weder Erinnerungsfehler noch Wiedergabefehler erkennbar, dafür aber hinreichende Realkennzeichen, so dass von der Zuverlässigkeit der Aussage ausgegangen werden kann.
45
Der Einwand des Klägers, es könne schon sein, dass die Zeugin ihn mit dem Fahrrad in die Station hineinfahren habe sehen, welcher Tag dies allerdings genau gewesen sei, müsse offenbleiben, denn er sei Stammkunde dieser Tankstelle, verfängt nicht, da – wie bereits oben ausgeführt – die Zeugin einen in sich stimmigen und glaubhaften Sachverhalt geschildert hat. Zudem sagte die Zeugin aus, ein Polizeibeamter, sie glaube es sei Herr … gewesen, habe sie dann befragt, auch diesbezüglich, ob der Kläger mit dem Fahrrad gefahren sei. Sie habe dem Polizeibeamten dann gesagt, dass der Kläger von der … aus in die Tankstelle hereingefahren gekommen sei und dem Polizeibeamten auch erklärt, dass es eine Videoüberwachung gebe. Später habe sie dann erfahren, dass die Polizei das Video gesehen und eine Kopie gezogen hätte. Dies sei dann am anderen Morgen gewesen, denn die Bänder löschten sich nach einiger Zeit, wohl ungefähr nach 48 Stunden, von selbst. Angesichts dieser Realkennzeichen und Details, an die sich die Zeugin erinnert hat, kann eine Verwechslung ausgeschlossen werden. Erinnerungsfehler oder auch nur Wiedergabefehler der Zeugin sind daher schon aufgrund der Struktur ihrer Aussage nicht erkennbar.
46
Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin … ist auch nicht durch die inhaltlich abweichendenden schriftlichen Zeugenaussagen der verstorbenen Zeugin … erschüttert worden. Diese schriftlichen Zeugenaussagen können als Urkundenbeweis verwertet werden.
47
Die schriftlichen Zeugenaussagen sind in sich widersprüchlich: In ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 19. Dezember 2020 führte die verstorbene Zeugin … noch aus, etwa 20 Minuten vorher habe sie zufällig beobachtet, vom Hoftürchen aus, wie sich eine Person, ein Fahrrad schiebend in der … in Richtung …-Tankstelle bewegte. Diese Person sei ziemlich wackelig auf ein Fahrrad gestützt durch die hintere Einfahrt in den Tankstellenbereich gegangen, sei plötzlich in Höhe der zweiten Zapfsäule umgekehrt, und dann im Laufschritt Richtung Kiosk. Dann sei die Zeugin … in ihr Wohnanwesen gegangen. Das es sich dabei um den Kläger gehandelt haben muss, vermutete sie erst, als der Kläger in Begleitung, wie genannt, an ihrer Wohnung vorbeigegangen sei. In ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 17. August 2021 führte die verstorbene Zeugin nunmehr aus, sie erkannte den Kläger als er, am Dienstag, den 18. Juni 2019, kurz vor 22:00 Uhr, in der … ein Fahrrad schiebend auf den rückwärtigen Bereich der …-Tankstelle zugegangen sei und die Tankstelle in diesem Bereich betreten habe. Er habe den Bereich der Tankstelle nicht in Richtung Kfz Ein- und Ausfahrt durchlaufen, sondern wendete plötzlich, etwa im Bereich der ersten Zapfsäuleanlage und sei zum Eingangsbereich des Kiosks gelaufen. Aufgrund der aufgezeigten Widersprüchlichkeiten hält das Gericht diese schriftlichen Aussagen nicht für zuverlässig.
48
Die Aussagen der Zeugin … decken sich mit dem als Urkundenbeweis verwertbaren Schlussvermerk der Polizeiinspektion … vom 28. September 2019 (Bl. 11 BA). Daraus geht hervor, dass dem eingesetzten Polizeibeamten … durch die …-Tankstelle eine CD zur Verfügung gestellt worden sei, worauf die Fahrt des Klägers mit dem Fahrrad eindeutig zu erkennen sei. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Frage des Führens des Fahrrads ebenso für die strafrechtlichen Ermittlungen und damit für die Polizei als Strafverfolgungsbehörde von zentraler Bedeutung war. Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass etwaige Unklarheiten zu diesem Punkt auch in die polizeiliche Dokumentation eingeflossen wäre.
49
Der sinngemäße Einwand des Bevollmächtigten, die Videoaufzeichnung unterliege einem absoluten Beweisverwertungsverbot, so dass auch der Umstand, dass der eingesetzte Polizeibeamte … die Fahrt des Klägers mit dem Fahrrad auf dieser Videoaufzeichnung eindeutig gesehen habe, nicht verwertbar sei, verfängt ebenfalls nicht. Dies begründet im zu entscheidenden verwaltungsrechtlichen Verfahren zum Entzug der Fahrerlaubnis kein Verwertungsverbot. Da ein Beweisverwertungsverbot im Fahrerlaubnisrecht nicht ausdrücklich normiert ist, ist über die Verwertbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des verletzten Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Die Frage, ob unter Missachtung strafprozessualer Vorschriften gewonnene belastende Erkenntnisse im Verwaltungsrecht berücksichtigungsfähig sind, ist dabei unabhängig vom Bestehen eines strafprozessualen Verwertungsverbots zu beantworten (zum Ganzen BayVGH, B.v. 23.3.2021 – 11 CS 20.2643 – juris Rn. 29 m.w.N.). Diese Abwägung fällt hier zu Gunsten der Verwertung aus. Im Fahrerlaubnisrecht sind auch Rechtsgüter Dritter, namentlich das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, in die Abwägung einzustellen. Mit dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse allgemein gehindert wären bzw. wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind (zum Ganzen BayVGH, B.v. 23.3.2021 – 11 CS 20.2643 – juris Rn. 30 m.w.N.). Im Übrigen hat das Gericht das Video ja gerade nicht verwertet, sondern nur die Behördenakte – im Rahmen eines Urkundsbeweises – ausgewertet.
50
Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Kläger die Einstellung des gegen ihn, wegen Trunkenheit im Verkehr durch Führen eines Fahrrads eingeleitete Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 1 StPO gegen Geldauflage akzeptierte, dafür, dass der Kläger tatsächlich gefahren ist.
51
Zwar war die Fragestellung wegen der Trunkenheitsfahrt des Klägers mit dem Fahrrad anlassbezogen. Im hier zu entscheidenden Fall fehlt es der Fragestellung jedoch teilweise an der Verhältnismäßigkeit, weil die dem Kläger darin mitgeteilte Fragestellung bezüglich fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wegen unzureichender Bestimmtheit der Rechtsgrundlage des § 3 FeV für behördliche Untersagungen (s. oben) überschießend war. Wegen des nicht hinreichend bestimmbaren Inhalts des Eignungsbegriffs und der nicht näher eingrenzbaren entsprechenden Anwendung der §§ 11 ff. FeV i.V.m. Anlage 4 bis 6 zur FeV auf die Beurteilung, ob Eignungszweifel hinsichtlich des Führens (bestimmter) fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge vorliegen und welche Erforschungsmaßnahmen diese rechtfertigen, ist weiter davon auszugehen, dass die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auch nicht erforderliche sowie unangemessene Maßnahmen beinhaltet und damit nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt (BayVGH, B.v. 12.7.2023 – 11 CS 23.551 – BeckRS 2023, 17192 Rn. 14).
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Der vorstehende Fehler bzw. die Unverhältnismäßigkeit eines Teils der Fragestellung macht die gesamte Gutachtensaufforderung rechtswidrig. Denn besteht eine Gutachtensanordnung wie hier aus mehreren Teilen, so infiziert die Fehlerhaftigkeit eines Teils regelmäßig auch den anderen Teil. Die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständige rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus (vgl. VG Augsburg, B. v. 25.3.2014 – Au 7 S 14.306 – juris; BayVGH, B. v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – VD 2013, 128; VGH BW, B. v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – NJW 2011, 3257; VG Osnabrück, B. v. 16.1.2013 – 6 B 73/12 – juris). Insbesondere konnte nicht dem Gutachter oder gar dem Kläger überlassen bleiben, nach eigener Wahl nur einen Teil der Gutachtensfragen zu beantworten bzw. beantworten zu lassen. Die Fahrerlaubnisbehörde muss konkret den gesamten Untersuchungsrahmen klar umreißen und dem Gutachter mitteilen. Aus dem Wortlaut und Zweck des § 11 Abs. 6 FeV folgt, dass schon in der Gutachtensanordnung die Konkretisierung des Untersuchungsthemas zu erfolgen hat. Die Beantwortung der Frage, ob die Fahreignung aufklärungsbedürftig ist und ob sowie durch wen und in welchem Umfang, obliegt allein dem Beklagten. Er kann diese Frage nicht der Begutachtungsstelle oder dem Kläger überantworten. Dem Kläger kann bei einer Fragestellung wie hier vorliegend nicht zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Selbst angesichts der getrennten Fragenkomplexe der Gutachtensaufforderung ist aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen Gutachter, Fahrerlaubnisbehörde und Fahrerlaubnisinhaber und angesichts der Einheit der Gutachtensanordnung eine andere Sichtweise nicht gerechtfertigt. Die Gutachtensanordnung ist unteilbar, wie auch der zwingend erforderliche Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV zeigt. Der Beklagte hat – ohne Abstriche zu machen oder zu differenzieren – den Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er auf die Nichteignung schließen dürfe, wenn sich der Kläger nicht untersuchen lasse bzw. das geforderte (also auch vollständige) Gutachten nicht fristgerecht vorlegen sollte (vgl. BayVGH, B. v. 4.2.2013 – 11 CS 13.22 – VD 2013, 138; VG Osnabrück, B. v. 18.7.2013 – 6 B 40/13 – juris; B. v. 16.1.2013 – 6 B 73/12 – juris).
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Nach alledem durfte der Beklagte aufgrund der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens nicht auf die Nichteignung des Klägers schließen. Vielmehr sind die Gutachtensaufforderung vom 24. Oktober 2019 und damit auch der sich darauf stützende Entziehungsbescheid vom 16. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2021 rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Rechtswidrigkeitsfolge erstreckt sich auch auf die Aufforderung in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids, den Führerschein abzuliefern.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Hinzuziehung des Klägerbevollmächtigten für das Vorverfahren wird gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt. Eine Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren ist dann notwendig, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen; maßgeblich ist der Standpunkt eines verständigen Beteiligten (vgl. BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 2 A 6.15 – juris Rn. 5). Angesichts der Komplexität des Rechtsstreits, insbesondere aufgrund ungeklärter Rechtsfragen hinsichtlich der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, war es dem rechtsunkundigen Kläger nicht zumutbar, das Vorverfahren insoweit selbst durchzuführen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff.
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Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick darauf, dass eine derartige Konstellation in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist, grundsätzliche Bedeutung hat. Insbesondere ist die hier entscheidungserhebliche Frage, wann bei einer durch die unzureichende Bestimmtheit der Rechtsgrundlage des § 3 FeV ausgelöste teilweise unverhältnismäßigen Fragestellung in der Gutachtensanordnung dem Betroffenen ausnahmsweise zugemutet werden kann, nur den rechtmäßigen Teil der Fragestellung abklären zu lassen, bislang obergerichtlich nicht geklärt.