Titel:
Verhängung einer Freiheitsstrafe statt Geldstrafe
Normenketten:
StGB § 21, § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1, § 240 Abs. 1
StPO § 327
StGB § 46, § 47 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnender Umstände als unverzichtbar erweist, weil im konkreten Fall jedes andere zulässige Reaktionsmittel die erforderliche Spezialprävention nicht gewährleistet. Hierbei ist der Blick auch darauf zu richten, dass mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe ein gewichtigeres Unwerturteil verbunden ist als bei einer Geldstrafe. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe ist zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich, wenn die Verhängung einer Geldstrafe allein aus Sicht der Allgemeinheit völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar wäre. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aussetzung des Vollzugs, Strafzumessung, Bewährung, Vorstrafe, Freiheitsstrafe, Geldstrafe, Verteidigung der Rechtsordnung
Vorinstanz:
AG Augsburg, Urteil vom 14.02.2023 – 03 Ds 408 Js 102930/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 19.09.2023 – 207 StRR 268/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24788
Tenor
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 14.02.2023 wird kostenpflichtig verworfen.
Entscheidungsgründe
1
Die Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 14.02.2023 wegen Bedrohung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt.
2
Die hiergegen von dem Angeklagten mit Verteidigerschriftsatz vom 17.02.2023 eingelegte Berufung wurde mit weiterem Schriftsatz vom 19.05.2023 mit ausdrücklicher Zustimmung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
3
Die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe zur Bewährung anstrebte, hatte keinen Erfolg.
4
Eine Verständigung hat nicht stattgefunden.
(persönliche Verhältnisse)
(Festgestellter Sachverhalt)
5
Da die Berufung des Angeklagten wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, steht der Schuldspruch des Erstgerichts rechtskräftig fest. Die diesen tragenden tatsächlichen Feststellungen sind gem. § 327 StPO für die Berufungskammer bindend und unterliegen nicht mehr der Nachprüfung.
6
Bezüglich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
7
Die Feststellungen der Kammer zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben im Rahmen der Hauptverhandlung.
8
Eine Beweiswürdigung zum durch das Amtsgericht als strafbar festgestellten Sachverhalt war durch die Bindungswirkung nach § 327 StPO obsolet Zudem hat der Angeklagte in glaubhafter und nachvollziehbarer Weise den ihm vorgeworfenen Sachverhalt in der Berufungshandlung in objektiver und subjektiver Hinsicht vollumfänglich eingeräumt und sich für sein Verhalten entschuldigt.
9
Die Feststellungen zu den Vorstrafen beruhen auf der Verlesung des Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 30.05.2023, dessen Inhalt der Angeklagte als richtig anerkannt hat.
10
Aufgrund der – wirksamen – Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch die rechtliche Würdigung des angefochtenen Urteils in Rechtskraft erwachsen.
11
Der Strafrahmen wurde dem Regelstrafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB entnommen. Von einer Strafrahmenverschiebung gem. §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB hat die Kammer aufgrund einer Gesamtwürdigung abgesehen, da bei einer Gesamtbetrachtung der – nicht ausschließbar aufgrund einheitlichen Tatentschlusses – geführten Tat der Schwerpunkt in der Nachhaltigkeit der Tatbegehung und der vollendeten Bedrohung liegt.
12
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Umständen, die eine Strafrahmenverschiebung gem. §§ 21, 49 StGB begründen könnten, haben sich in der Berufungshauptverhandlung nicht ergeben.
13
a) Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten insbesondere berücksichtigt, dass er die Tat in 1. Instanz sowie durch seine Berufungsbeschränkung und in der Berufungshauptverhandlung vollumfänglich eingeräumt und er sich für die Tat entschuldigt hat. Weiterhin hat die Kammer strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte sich in einer emotionalen Ausnahmesituation nach der Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder befunden hat. Zudem wurde zu seinen Gunsten in die Abwägung eingestellt, dass der Angeklagte in zeitlicher Nähe zur Tat an einer Familienberatung teilgenommen und sich mit der Geschädigten ausgesprochen hat, sowie, dass diese kein Strafverfolgungsinteresse mehr hat. Weiterhin wurde für den Angeklagten berücksichtigt, dass seit der Tat keine weiteren Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet werden mussten.
14
Zu seinen Lasten hat die Kammer im Gegenzug insbesondere berücksichtigt, dass der Angeklagte mehrfach vorgeahndet ist, wobei das Gericht auch berücksichtigte, dass die Vorahndungen nicht wegen einschlägiger Delikte erfolgt sind. Zudem stand der Angeklagte zur Tatzeit unter offener Bewährung … und hat in der laufenden Bewährungszeit bereits zwei Verurteilungen zu Geldstrafe erhalten … wobei die Verurteilung unter … nur wenige Monate vor der hier abzuurteilenden Tat in Rechtskraft erwachsen ist.
15
b) Sodann hat die Kammer eine umfassende Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechender Umstände, die im Rahmen der Strafzumessung zu gewichten sind, vorgenommen, um zu überprüfen, ob statt einer Freiheitsstrafe auch die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht käme. In dem Zusammenhang wurde insbesondere auch berücksichtigt, dass die begangenen Taten sowie das gesamte Tatgepräge bereits keinen Bagatellcharakter aufweisen. Ungeachtet dessen hat das Gericht diese Abwägung vorgenommen, ist jedoch zu dem Schluss gelangt, dass die Voraussetzungen für die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorliegen, da eine solche unerlässlich ist.
16
Die Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnender Umstände als unverzichtbar erweist, weil im konkreten Fall jedes andere zulässige Reaktionsmittel die erforderliche Spezialprävention nicht gewährleistet. Hierbei ist der Blick auch darauf zu richten, dass mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe ein gewichtigeres Unwerturteil verbunden ist als bei einer Geldstrafe. Es müssen deswegen bestimmte Tatsachen die konkrete Tat in einer bestimmten Beziehung aus dem Durchschnitt der praktisch vorkommenden Taten dieser Art herausheben oder bestimmte Eigenschaften und Verhältnisse beim Täter diesen vom durchschnittlichen Täter solcher Taten unterscheiden (so etwa: BayObLG, Beschluss vom 31.03.2003, Az. 4St RR 18/2003; OLG München, Urteil vom 09.06.2009, Az. 5St RR 128/09).
17
Nach dieser umfassenden Gesamtabwägung ist die Berufungskammer hier zu dem Schluss gelangt, dass der Strafzweck hier durch die Verhängung einer Geldstrafe verfehlt wäre und nur durch eine Freiheitsstrafe erreicht werden kann. In dem Zusammenhang ist nochmals auf die Vielzahl der Vorstrafen und die Tatbegehung in offener Bewährung Bezug zu nehmen.
18
Die Verhängung einer Freiheitsstrafe ist zudem hier auch zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Dies ist dann der Fall, wenn die Verhängung einer Geldstrafe allein aus Sicht der Allgemeinheit völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar wäre. Auch dies ist hier gegeben, weil der Allgemeinheit schlicht nicht begreiflich gemacht werden könnte, warum bei einem Täter, der unter offener Bewährung stehend, die mittlerweile vierte Straftat begeht, nunmehr plötzlich eine Geldstrafe einen gerechten Schuldausgleich darstellen könnte. Im Falle des Angeklagten ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe sowohl aus spezialpräventiven wie auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten heraus geboten.
19
Nach ausführlicher, nochmaliger Abwägung sämtlicher bestimmender, bereits dargestellter Strafzumessungsgesichtspunkte ist das Gericht deswegen zu dem Schluss gelangt, dass im vorliegenden Falle die Verhängung einer Freiheitsstrafe hier unerlässlich ist und eine solche von 9 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.
20
Dabei hat die Kammer auch bedacht, dass dem Angeklagten der Widerruf der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung … droht, aber auch unter diesem Gesichtspunkt keine andere Entscheidung für veranlasst gesehen.
3. Strafaussetzung zur Bewährung
21
Die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe konnte nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.
22
Die Bejahung einer positiven Sozialprognose, welche zwingende Voraussetzung einer Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung ist, bedarf besonderer Feststellungen, wenn erhebliche und einschlägige Vorstrafen und/oder Bewährungsversagen vorliegen.
23
Solche Feststellungen konnte die Kammer vorliegend nicht treffen.
24
Hierbei wurde nicht übersehen, dass der arbeitslose Angeklagte nach der Tat seine Bereitschaft gezeigt hat, an der schwierigen familiären Situation zu arbeiten und an einer Familienberatung teilgenommen hat. Diese war auch insofern erfolgreich, als sich das Verhältnis zur Geschädigten normalisiert hat und der Umgang mit den gemeinsamen Kindern seither problemlos funktioniert. Der Angeklagte ist zudem willig, sein Leben künftig geordnet zu führen und sich seiner Verantwortung als Vater zu stellen.
25
Die Kammer hat zudem geprüft, ob die folgenden Umstände eine positive Sozialprognose begründen könnten. So hat sie in der Abwägung berücksichtigt, dass der Angeklagte die Tat eingeräumt hat und damit seine Schuldeinsicht zum Ausdruck gebracht hat, was als Argument für seine Bereitschaft, sich in Zukunft rechtstreu zu verhalten, gewertet wurde. Bei der Prüfung der Legalprognose hat das Gericht auch nicht die Augen vor dem Umstand verschlossen, dass gegen den Angeklagten bis dato keine neuen Ermittlungsverfahren eingeleitet werden mussten. Diese Phase der Abstinenz von der Begehung von Straftaten wurde als prognostisch günstig und als positiv für den Angeklagten in die Abwägung eingestellt. Je länger es einem Täter gelingt, nach einem Bewährungsversagen straffrei zu bleiben, desto mehr kann sich die (negative) Bedeutung des Bewährungsversagens die Sozialprognose reduzieren.
26
Unter Abwägung aller Umstände vermochte das Berufungsgericht aber letztlich eine begründete Erwartung des Inhalts, dass sich der Angeklagte die Verurteilung alleine hinreichend zur Warnung dienen lassen und auch ohne Strafvollzug keine neuen Straftaten begehen wird, nicht anzunehmen.
27
Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass es nicht auf eine schlichte Hoffnung künftigen straffreien Verhaltens ankommt, sondern es ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit straffreier Führung zu verlangen. Hieran fehlt es vorliegend offensichtlich. Der Angeklagte stand nicht nur zur Tatzeit unter offener Bewährung.
28
Er hat zudem bereits gezeigt, dass allein die Verhängung einer Freiheitsstrafe, deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt wird, nicht ausreicht, ihn zu künftig rechtstreuem Verhalten zu veranlassen.
29
Gegen den Angeklagten musste in laufender Bewährungszeit bereits zweimal eine Geldstrafe verhängt werden (…), wobei bereits im Verfahren, das zum Eintrag unter … geführt hat, dem Angeklagte zunächst vom Amtsgericht Augsburg und sodann zweimal von der Berufungskammer am Landgericht Augsburg deutlich vor Augen geführt worden ist, dass er sich künftig straffrei zu führen habe, da es sich um eine wiederholte Straffälligkeit in offener Bewährung gehandelt hat. Anstatt zumindest die zweite Berufungshauptverhandlung in dieser Sache am 22.03.2021 …, die mit der am gleichen Tag in Rechtskraft erwachsenen zweiten Geldstrafe mündete, als letzten Warnschuss zu verstehen, beging der Angeklagte die verfahrensgegenständliche Tat nur wenige Monate später. Dies zeigt, dass der Angeklagte durch Geldstrafen und den damit verbunden Appell, sich nunmehr (endlich) an die Gesetze zu halten, schlicht nicht zu erreichen ist. Nichts anderes gilt für eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird – dies hat er bereits trefflich unter Beweis gestellt. Hierbei kann die Kammer ausschließen, dass der Angeklagte die Umstände, die zu der Verhängung der zweiten Geldstrafe in laufender Bewährung geführt haten, als „Freibrief“ verstanden haben könnte, trotz offener Bewährung weiterhin Straftaten begehen zu können, ohne eine Vollzugsstrafe befürchten zu müssen. Dass die Erwartung, der Angeklagte werde sich durch irgendeine andere Strafe als eine Vollzugsstrafe zu künftig rechtstreuem Verhalten veranlassen lassen, falsch ist, haben die ihm in der Vergangenheit mehrfach gewährten und vertanen Chancen deutlich gezeigt.
30
Diesem Umstand setzt auch die reine Erkenntnis des Angeklagten, dass er sich regelkonform verhalten solle, nichts weiter entgegen als die Hoffnung, künftig straffreien Verhaltens. Für eine begründete Wahrscheinlichkeit ist dies zu wenig, zumal der Angeklagte weiterhin arbeitslos ist. Durch die zutrage getretene Erkrankung … mit damit einhergehender eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit besteht zudem kein Grund zu der Annahme, dass der Angeklagte zeitnah eine ihm mögliche Beschäftigung wird finden können.
31
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe konnte deswegen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Dabei hat die Kammer auch erneut bedacht, dass dem Angeklagten der Widerruf der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung in … droht. Gleichwohl ist auch vor diesem Hintergrund keine andere Entscheidung geboten.
32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.